Forum Wissenschaft 2/2019
13.06.2019: Verkaufte Stadt. Kritik und Alternativen der Stadtentwicklung
Forum Wissenschaft 2/2019; Foto: Juergen Nowak / shutterstock.com |
Ein seltsames Wort lässt den Bürger gruseln: Enteignung! Erregte Debatten sind zu vernehmen, selbst in einflussreichen TV-Talkshows werden die üblichen Verdächtigen genötigt, sich mit diesem Begriff auseinanderzusetzen. Doch worum geht es - Honecker ante portas? Droht die kommunistische Revolution? Nichts dergleichen ist zu erwarten. Aber immerhin: in Berlin werden erfolgreich Unterschriften gesammelt. Ziel ist ein Volksentscheid, mit dem der Senat aufgefordert wird, ein Gesetz zu erlassen, mit dem profitorientierte Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen in Berlin enteignet werden. Die Kampagne bewegt sich - ganz im Sinne Wolfgang Abendroths - auf dem Boden des Grundgesetzes und seines Artikels 15.
Dass die Kampagne "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" soviel Zuspruch findet, deutet auf die Schwere des Problems hin: Bezahlbares Wohnen ist in städtischen Ballungsräumen zu einer der drängendsten sozialen Fragen geworden. Die Preisentwicklung bei Immobilien und Mietwohnungen ist - besonders in Berlin - exorbitant, es sind längst nicht mehr nur ärmere und sozial benachteiligte Schichten davon betroffen. Massive Interessenskonflikte werden sichtbar: Immobilieninvestor*innen einerseits und Mieter*innen andererseits. Diese Konflikte haben längst gesellschaftliche Sprengkraft erlangt. Der (partei)politische Umgang mit dem Thema wirkte lange desinteressiert und mittlerweile eher hilflos. Aufrufe zu vermehrtem Wohnungsbau ändern ebensowenig wie die sog. Mietpreisbremse. Stattdessen werden Mieter*innen vermehrt selbst aktiv. Sie versuchen, ihre Wohnungen bzw. Häuser selbst zu kaufen und organisieren sich dazu in kollektiven Netzwerken oder gründen Initiativen und kämpfen um ihr Recht auf Stadt.
Der Kampf um eine lebenswerte Stadt umfasst aber auch weitere Aspekte: Bewegungen kämpfen für eine solidarische und ökologische Stadt, protestieren gegen die Privatisierung öffentlichen Raums und fordern eine andere Verkehrspolitik. Und immer wieder stehen städtebauliche Großprojekte im Fokus lokaler Auseinandersetzungen. Eine kritische Betrachtung aktueller Tendenzen der Stadtentwicklung steht im Mittelpunkt dieses Heftes. Wir hoffen, mit den Beiträgen weitere Anstöße zur Diskussion zu liefern. Für die Mitarbeit an diesem Themenschwerpunkt danken wir allen Autor*innen.
Inhalt:
Stadtentwicklung
Andrej Holm: Mietwahnsinn
Kalle Kunkel: Ein Gespenst geht um…
Robin Marlow und Michael Mießner: Das Beispiel Göttingen. Immobilieninvestitionen und Verdrängung in Universitätsstädten
Ronja Hesse: Studentisches Wohnen
Lilli Bauer und Werner T. Bauer: Erbaut aus den Mitteln der Wohnbausteuer
Larisa Tsvetkova: Wohnen in einer Krise: Selbstorganisiert
Werner Sauerborn und Winfried Wolf: Ein Großprojekt und zehn gravierende Folgen
Regina Schleicher: Solidarität in der Stadt
Bernd Hüttner: Weimarer Kunstschule als nationale Erfolgsstory?
Sofian Philip Naceur: Bauboom in Ägypten
Bildung und Wissenschaft
Torsten Bultmann und Florian Kappeler: Nötige Zusatzfinanzen und anhaltende Enttäuschung
Andreas Keller (im Interview: Knausern in alle Ewigkeit
Richard Albrecht: Berliner Doktorspiele oder Giffey als Symptom
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