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Weimarer Kunstschule als nationale Erfolgsstory?

06.06.2019: Warum sich die Linke für das bauhaus-Jubiläum interessieren sollte

  
 

Forum Wissenschaft 2/2019; Foto: Juergen Nowak / shutterstock.com

1919 wurde das bauhaus in Weimar als Kunstschule gegründet, sein hundertjähriges Jubiläum findet breite öffentliche Aufmerksamkeit. Seine Wirkung auf die moderne Kunst, Gestaltung und Architektur ist bis heute ungebrochen. Bernd Hüttner argumentiert, dass das bauhaus100-Jubiläum die "Kunstschule" - immer noch - in die nationale Erfolgsgeschichte einschreibt und fordert, dass die Linke sich trotzdem dafür interessieren sollte.

Nach der Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums in Weimar im April strebt der offizielle Veranstaltungsreigen anlässlich des 100 jährigen Jubiläums des bauhaus´ mit der Eröffnung des neuen Museums in Dessau im September dem nächsten Höhepunkt zu. Keine erst recht so kurzlebige Institution wird museal so umfangreich dokumentiert wie das bauhaus. Es gibt drei große Museen bzw. Archive, und alle drei bekommen aus Anlass des Jubiläums Neubauten, in Berlin ist die Eröffnung des sanierten Gebäudes samt Erweiterungsneubau für 2022 vorgesehen. Während sich das Feuilleton und das Fernsehen vor Begeisterung fast überschlagen, übergeht die Linke das Jubiläum mit Stillschweigen, wenn nicht Desinteresse.1 Dabei war das bauhaus bis kurz vor seinem Ende ein Reformprojekt, nach innen und nach außen. Es gehört - ungeachtet aller Widersprüche - zur Tradition der Linken; bezogen auf Kultur und Ästhetik, auf Bildung und Studium und auch auf städtebauliche Visionen. Die Linke fremdelt mit "Kultur", mit Gestaltung, Design und erst recht Kunst und ignoriert das Jubiläum.

Die Reformidee des bauhaus

Das bauhaus entsteht in der Aufbruchsstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, einer Zeit, die zumindest bis Mitte der 1920er Jahre von politischen Debatten und kulturellen Experimenten geprägt ist.2 In der Ökonomie, der Pädagogik, der Kunst und etlichen anderen Feldern herrscht Aufbruchsstimmung. Die alten ökonomischen und militärischen Eliten gibt es aber auch noch, und das bauhaus steht permanent unter Beobachtung und Kritik - und wird zweimal regelrecht vertrieben.3

Walter Gropius (1883-1969), bis 1928 erster Direktor, will Kunst und Handwerk wieder zusammenbringen und baut dabei auf Vorläufer wie etwa den 1907 gegründeten Deutschen Werkbund oder Reformideen des Arbeitsrat für Kunst um 1918 auf.4 Unstrittig ist, dass die Ausbildung für Gestalter_innen modernisiert werden muss, die Zeit der Stillleben-Malerei und des Kopierens von antiken Gipsstatuen an den Kunstakademien vorbei ist. So hat das bauhaus auch viele Förderer, auch im Staatsapparat, der Industrie und im Linksliberalismus. Nicht nur im und durch das bauhaus soll mittels Gestaltung guter Produkte das Leben für die Menschen besser gemacht, ein "rationales" und rationelles und, im positiven Sinne: einfaches, Leben im Industriezeitalter befördert werden. Funktionalität und Schlichtheit sollen "Schönheit" ergeben. Viele sehr berühmte Künstler wie etwa Lyonel Feininger (1871-1956), Wassily Kandinsky (1866-1944) oder Paul Klee (1879-1940) lehren am bauhaus.

Die Kunstschule ist auch eine Reaktion auf die wachsende Bedeutung von Film, Kino und Printmedien sowie die beginnende, fordistische Massenproduktion, die mittels Standardisierung und auch Reduktion der Form progressiv gewendet werden soll. Eine eigenständige Abteilung für Architektur wird am bauhaus allerdings erst 1927 eingerichtet. Das Konzept der Einrichtung ist neu und vor allem interdisziplinär, es wird fotografiert, getanzt, getöpfert, Metall geschmiedet, gezeichnet und gebaut. Zeitweise wird dort die konsequente Kleinschreibung in allen seinen Publikationen praktiziert, ein Prinzip das Aufsehen erregt; ein Aufsehen, das man sich heute wohl nicht mehr vorstellen kann.

Der Widerspruch zwischen "Malern" und "Ingenieuren" und ihren jeweiligen Konzepten zieht sich durch die ganze Geschichte der Einrichtung, etwa in der Frage ob Kunst lehr- und erlernbar sei oder nicht vielmehr auf "Begabung" beruhe. Letztere, so Patriarch Gropius und andere Meister, sei freilich eine allein männliche Gabe.

Rezeption, Antikommunismus und ein Jubiläum

In der Deutung entkleidet sich das bauhaus, v.a. durch die von Gropius bis zu seinem Tod gesteuerte Rezeption, selbst seines gesellschaftskritischen Impetus, im Grunde schon ab 1928. Dass viele Bauhäusler unter den Nazis in Deutschland weiterarbeiten, gar - wie etwa Herbert Bayer - staatliche Aufträge annehmen, wird jahrzehntelang verschwiegen.

Das bauhaus ist vor und noch mehr nach dem Zweiten Weltkrieg ein deutscher Exportschlager, in den 1950er und 1960er Jahren mit einer antikommunistischen Begründung. Das aus den USA reimportierte bauhaus war deswegen unverfänglich. Heute dient das Jubiläum wieder als Anlass für Image- und Standortpolitik der Nation. Neben der Forschung zum Thema, die einige gute Ausstellungen und Publikationen hervorgebracht hat, dient das Jubiläum auch dazu, das bauhaus als Dachmarke der, wenn nicht Synonym für "die Moderne" darzustellen. Im Verbund bauhaus100 haben sich alle relevanten staatlichen Akteure zusammengeschlossen, um mit viel Geld das Jubiläum in die nationale Erfolgserzählung der Läuterung und Westernisierung einzufügen. Das bauhaus soll so als Visitenkarte eines Landes dargestellt werden, das sich lieber als Ursprung der Nachkriegsmoderne in der Welt darstellen will, als das Land der Weltkriege und des Holocaust. Deutschland verteilt nicht nur Panzer, Zerstörung und Massenmord, sondern eben auch Dichter, Denker, und jetzt auch, Designer.

Bauhaus100 wird in einer großen Koalition aus Bundesregierung, Landesregierungen aller politischen Couleur und Kommunen zu einer Spielmarke der Tourismuswirtschaft und des Standortmarketings. "Die Welt neu denken", lautet das offizielle Motto der Kampagne, für die alleine der Bund nahezu 100 Millionen Euro bereitstellt.5 Um Bilder zu produzieren, die dann TouristInnen oder gar Investoren anlocken und Regionen mit eher drögem Image in einem positiven Licht erscheinen lassen, müssen unter den Bedingungen des Terrors der Aufmerksamkeitsökonomie Bedürfnisse nach Nostalgie, Identifikation, Unterhaltung und nach Neuigkeiten gestillt und Symbole und Superlative geschaffen werden.6 Hier wird auf der Metaebene ein naiver, wenn nicht inhaltsleerer Begriff von Moderne und Reform verwendet, den die Linke hart kritisieren - und sich dadurch wieder aneignen könnte. In der konkreten Erscheinung werden heute dann die gefälligen Stühle, Teppiche, Lampen und Geschirr als primär ästhetische Erscheinungen goutiert, weniger die sozialreformerischen Ideen vieler, wenn auch nicht aller, bauhaus-AkteurInnen.

In der aktuellen Kampagne werden, in Ausstellungen, Publikationen und auch im Feuilleton im Unterschied zu der von 2009, zwei Themen breiter debattiert und so aus der Nische der Forschung herausgeholt: Die Rolle und Bedeutung von Frauen am bauhaus, und die globalen Verflechtungen des bauhaus‘. Im großen Projekt "bauhaus imaginista" (samt Website und umfangreicher Publikation) wurde die Verbreitung der Ideen des bauhaus, ebenso wie der Einfluss nichteuropäischer Aspekte und Personen auf das bauhaus untersucht.7 Etliche Publikationen und Ausstellungen widmen sich, im deutlichen Unterschied zur bisherigen, am Wirken der großen, als Lichtgestalten beschriebenen Männer orientierten Geschichtsschreibung, den frauenfeindlichen Strukturen des bauhaus und den Autonomiebestrebungen der Frauen.8

Ambivalenzen

Trotz aller Kritik bietet das bauhaus als Idee und reale Institution für die Linke heute viele Anknüpfungspunkte: Viele Studierende waren (radikale) Linke, wie etwa Max Gebhard, der das Logo der Antifaschistischen Aktion erfunden hat, das heute weltweit verbreitet ist. Die völkische Rechte hetzt zweitens mit dem Vorwurf des Kulturbolschewismus immer gegen das bauhaus, damals noch mehr als heute. Deswegen muss die Linke das bauhaus verteidigen. In der Pädagogik wurde mit dem Vorkurs ein interdisziplinäres Instrument entwickelt, das als eine der wichtigsten Folgen des bauhaus gilt. Das bauhaus widmet sich zumindest phasenweise, etwa mit Hannes Meyer (1889-1954), dem von 1928-1930 zweiten Direktor, stark der Wohnungsfrage, einem heute unstrittig an Bedeutung gewinnenden Thema. Es experimentiert mit sozialem Wohnungsbau und propagiert die rationelle Ausstattung und Gestaltung gerade dieser (Einfach-)Wohnungen. Viele Studierende und Lehrende widmen sich auch der Stadtplanung und Gestaltung des urbanen Raumes. Meyer will Volksbedarf statt Luxusbedarf, was auch als Kritik an der Arbeit des bauhaus vor ihm verstanden werden kann.

Gedenken sollte die Linke auch der Toten des bauhaus: Viele BauhäuslerInnen werden verfolgt und müssen fliehen, 60 gehen (zeitweise) in die Sowjetunion, ein Viertel von ihnen wird dort vom stalinistischen Staatsapparat ermordet.9 Ungefähr 20 werden im Nationalsozialismus ermordet, in der Mehrheit Frauen.

Fünftens muss die Linke dagegen angehen, wenn das bauhaus in eine nationale Erfolgserzählung eingefügt wird oder wenn deswegen seine Verwicklungen mit dem Nationalsozialismus und seine unzweifelhaft patriarchalischen Seiten ignoriert oder verharmlost werden. Wichtig ist nicht zuletzt, dass "Design" die Umwelt, in der wir leben, gestaltet, sprich: das, was wir online und im real life sehen, unsere Häuser, die öffentlichen Orte, die Print- und Online-Medien; und insofern unser Leben sehr beeinflusst. Zu Zeiten des bauhaus hieß das "die gesellschaftliche Rolle der Gestaltung". Umso auffälliger ist es, wenn es, meist in der Gebrauchsgrafik angesiedelte Ausnahmen bestätigen die Regel, heute keine linke Beschäftigung mit Design gibt. Der Anspruch, durch Gestaltung die Welt zu einem besseren Ort zu machen, bleibt weiter aktuell - und ist ja bis heute nicht eingelöst.

Bisher hat die Linke das Thema ignoriert und damit auch eine Chance zur Intervention verschenkt. Das bauhaus verteidigen - und es kritisieren? Geht das? Ja, das geht und nur so kann man ihm gerecht werden. Denn das bauhaus war selbst ambivalent, es changierte zwischen Ästhetik und Technik, zwischen Intuition und Planung, Geist und wissenschaftlicher Ausbildung, Handwerk und Industrie, zwischen Mittelalter und Amerikanismus, Esoterik und Sozialismus. Diese Ambivalenzen und die dazugehörige Diversität anzuerkennen, und auszuhalten, wäre eine angemessene, eben: sehr moderne Art dem bauhaus zu gedenken, und es damit auch zu feiern.

Anmerkungen

1) Neben einzelnen Artikeln, etwa Philipp Oswalt: "Die verschwiegenen Bauhaus-Krisen", in: Sozialismus, Heft 2/2019, finden sich lesenswerte Hintergrundtexte zur Rezeption und Bedeutung aus kritischer Perspektive in größerer Auflage nur in: Henselmann. Beiträge zur Stadtpolitik, Ausgabe 1/2018 (Bauhaus - Vorschau 100). Zeitungsbeilage der Hermann-Henselmann-Stiftung in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, vgl. www.hermann-henselmann-stiftung.de/Archive/1266. Ausgabe 2 ist im Erscheinen. Das alternative Radio Corax in Halle hat sich dem Thema ausführlich gewidmet, siehe radiocorax.de/tag/bauhaus/.

2) Aus Anlass des Jubiläums sind viele Publikationen (überarbeitet) erschienen. Zur Einführung z.B. Jeannine Fiedler & Peter Feierabend (Hg.) 2019: Bauhaus, Rheinbreitbach oder Magdalena Droste 2015: Bauhaus. Reform und Avantgarde, Köln oder die beste Zusammenfassung zum Thema von ders. 2019: Bauhaus, Köln sowie Aus Politik und Zeitgeschichte, 13/14-2019, URL www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2019-13-14_online.pdf. Zu Frauen am bauhaus: Ulrike Müller 2019: Bauhaus-Frauen; München; zu den Mythen v.a.: Anja Baumhoff und Magdalena Droste (Hg.) 2009: Mythos Bauhaus, Berlin; zu Debatten am und um das bauhaus: Philipp Oswalt (Hg.) 2009: Bauhaus Streit. 1919-2009. Kontroversen und Kontrahenten, Ostfildern.

3) Vgl. Lars Breuer 2019: "Das Bauhaus Dessau 1926-1932 und der Kulturkampf von rechts", in: Bernd Hüttner / Georg Leidenberger (Hg.): 100 Jahre Bauhaus. Vielfalt, Konflikt und Wirkung, Berlin: 87-104.

4) Vgl. dazu jetzt Marcel Bois: Der Arbeitsrat für Kunst in der frühen Weimarer Republik, URL: www.bauhaus-imaginista.org/articles/3207/the-art-that-s-one-thing-when-it-s-there/de.

5) Hierin sind allerdings die Zuschüsse zu den drei Neubauten enthalten.

6) Vgl. etwa die Broschüre "1919-2019 - Die Moderne in Thüringen" der rot-rosa-grünen Landesregierung. PDF auf www.das-ist-thueringen.de/bauhaus/.

7) Vgl. www.bauhaus-imaginista.org.

8) Statt vieler Patrick Rössler, Elizabeth Otto 2019: Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. München.

9) Nach Astrid Volpert 2019: "Bauhaus - umstritten und geschätzt", in: Hellmut Th. Seemann / Thorsten Valk (Hg.): Entwürfe der Moderne. Bauhaus-Ausstellungen 1923-2019, Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar 2019, Göttingen: 127-148, hier: 129. Vgl. auch Ursula Muscheler 2016: Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern, Berlin.

Bernd Hüttner ist Referent für Zeitgeschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er hat zusammen mit Prof. Georg Leidenberger (Mexico City) soeben das Buch "100 Jahre Bauhaus. Vielfalt, Konflikt und Wirkung" (Metropol Verlag, Berlin) herausgegeben. In Forum Wissenschaft 1/2018 schrieb er über die 1968 geschlossene Hochschule für Gestaltung in Ulm. Website: www.bernd-huettner.de.

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