Workshop: "Wir alle" - Universalisierung von Verantwortung als kollektive Indienstnahme
Workshop im Rahmen des Kongresses "Ungleichheit als Projekt".
Samstag, 25.11., nachmittags
Beschreibung des Workshops
Als Motto der allgemeinen Denkweise des Psychologismus, gesellschaftliche "Zustände aus dem Seelenleben ihrer Opfer zu erklären" (Adorno), kann die Mitteilung der Mutter allen Neoliberalismus, Margret Thatchers gelten, sie kenne nur Individuen und Familien, aber keine Gesellschaft. Alles, was als Gesellschaft imponieren kann, löst sich danach in das Handeln der vielen Individuen auf. Jede(r) handelt für sich selber und ist für sich verantwortlich. Das moralische Credo lautet: Wenn jede(r) an sich denkt, ist an alle gedacht. Im Anschluss an Marx nannte Holzkamp diese Denkweise eine Verkehrung von Konkretheit und Abstraktheit, die von den gesellschaftlichen Vermittlungen individuellen Handelns absieht (abstrahiert). Was konkret erscheint, ist in Wirklichkeit abstrakt oder mit einem Wort von Karel Kosik - "pseudokonkret".
Personalisierung bedeutet vor diesem Hintergrund in der ersten Variante (bzw. in der einen Medaillenseite), von den Lebensumständen der Menschen derart zu abstrahieren, dass gesellschaftliche Beschränkungen in subjektive Beschränktheit uminterpretiert werden. Die zweite Variante der Psychologisierung (bzw. die andere Seite der Medaille) ist die Reduktion gesellschaftlicher auf psychologische Fragen, die Denkweise, - allgemeiner, psychologische Muster auf gesellschaftliche Sachverhalte auszudehnen, ein Prozess, der durch die Entpolitisierung der Gesellschaft begünstigt wird. Psychologie wird, so die Konsequenz beider Seiten der Psychologisierung bzw. der Entpolitisierung der Gesellschaft, zu einem umfassenden Paradigma der Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse befördert, verbunden mit der "Illusion der Ohnmächtigen, ihr Schicksal hinge von ihrer Beschaffenheit ab" (Adorno)
Meine These ist, dass die neoliberale Umstrukturierung, wie sie sich vor allem in den Veränderungen der Arbeitsverhältnisse und des Sozialsystems zeigt, psychologisierendes Denken noch plausibler macht, als es ohnehin schon war. Auffällig ist dabei, dass in dieser aktuellen Psychologisierung die Gesellschaft nicht mehr ausgeklammert werden muss, sondern als integraler Bestandteil psychologisierenden Denkens fungiert: Die vielfältig vermittelte Gesellschaft(lichkeit) wird nach dem Muster einer unmittelbaren Gemeinschaft dargestellt, wobei dann Globalisierung nur heißt, dass es überall auf der Welt (die ja "ein Dorf" geworden ist) so zugeht. Entgegen dem psychologistischen Paradigma der Deutung gesellschaftlicher Zustände, das Politiker/innen natürlich - interessiert - allenthalben im Munde führen, um sich zu entlasten und sich mit dem von ihnen dazu gemachten 'kleinen Mann' gemein zu machen, muss eine kritische Psychologie darauf bestehen, dass individuelle Verantwortung nicht strukturell diffundiert.
Interesse ist aus meiner Sicht der Begriff, mit dem "Verantwortung" bzw. Appelle, Verantwortung zu übernehmen, zu hinterfragen sind. Horkheimer hat in seiner Schrift "Egoismus und Freiheitsbewegung" die Gegebenheiten reflektiert, unter denen die Vertretung eigener Interessen auf Kosten anderer geht, insofern die Vertretung eigener Interessen im negativen Sinne egoistisch ist. Die Frage ist also, unter welchen Bedingungen die Vertretung eigener Interessen überhaupt ein Problem ist - denn eine Gesellschaft, in der keiner seine Interessen verträte, kann ja wohl auch nicht das Interesse aller sein - jedenfalls nicht in jener Perspektive, in der die freie Entwicklung eines jeden die Voraussetzung der freien Entwicklung - und damit der freien Interessenentfaltung - aller ist. Wenn sich in dieser Perspektive das Übernehmen von Verantwortung als eigene psychische Qualität oder als besondere Aufgabe herauskristallisiert, müsste eigentlich ausgeschlossen werden können, dass sie neoliberal entgrenzt oder im Sinne einer Indienstnahme instrumentalisiert ist, man sich also mit der Übernahme von Verantwortung fremdbestimmen lässt bzw. strukturell übernimmt.
Referent
Prof. Dr. Morus Markard
Markard, Morus, Prof. Dr. phil. habil., Dipl.-Psych.; apl. Hochschullehrer an der FU Berlin im Studiengang Psychologie (Sozialpsychologie, Forschungsmethoden, Praxisforschung). Mitbegründer und Redakteur des "Forum Kritische Psychologie". Mitglied im Bundesvorstand des BdWi.
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