Podiumsbeitrag: Wissenschaft und Bildung unter dem Regime der Ungleichheiten
Podiumsbeitrag im Rahmen des Kongresses "Ungleichheit als Projekt".
Samstag, 25.11., abends
Beschreibung des Podiumsbeitrags
Zum Verhältnis von Bildung und (Un-) Gleichheit im Wettbewerbskorporatismus: Hinweis auf einige Konfliktfelder!
Bei den sog. Volksparteien ist gegenwärtig zu beobachten, wie das Thema "Bildung" ins Zentrum ihrer - seit langen stecken gebliebenen - programmatischen Erneuerung rückt. "Bildung" wird sogar tendenziell ein universales Catch-All-Thema, in dem Maße wie die Lösung nahezu sämtlich gesellschaftlicher Probleme (M. Platzeck: "Bildung verhindert Armut!") als Erwartung auf das Bildungssystem projiziert wird. Derartige Versuche stehen eindeutig im Zusammenhang damit, das Thema Gleichheit/soziale Gerechtigkeit bzw. gesellschaftliche Partizipation a) auf "Zugangsgerechtigkeit" beim Eintritt in (Arbeits-)Märkte zu reduzieren und damit b) Bildungsreform umfassender in den Kontext neoliberaler Subjektaktivierungsstrategien einzuordnen - kurz: "aktivierender" statt "umverteilender" Staat! Damit würde zweifelsfrei die Legitimationsfunktion des Bildungssystems für soziale Ungleichheit weit über das heutige Maß hinaus an Bedeutung zunehmen: in dem Verhältnis etwa wie Bildungschancen formal angeglichen würden, kann gesellschaftliches "Scheitern" (z.B. auf dem Arbeitsmarkt) auf Unterschiede an natürlichen Voraussetzungen ("Begabungen"), die politisch nicht beeinflussbar sind, zurück geführt werden. Dennoch ist es verkürzt, die offizielle Inszenierung einer Bildungsreformdebatte nur als eine Art kompensatorisches ideologisches Manöver für Sozialabbau zu bewerten: In der sog. hochtechnologischen Produktionsweise wird der grundlegende gesellschaftliche Qualifikationsbedarf zunehmend wissensbasiert und wissenschaftsintensiv. In Deutschland sind aber die Bildungsinvestitionen nicht im entsprechenden Verhältnis gestiegen - im Unterschied zu den meisten anderen OECD-Ländern, die seit Mitte der 90er Jahre auch ihre öffentlichen Bildungsausgaben linear anwachsen ließen. Das deutsche Bildungssystem ist kaum noch international "wettbewerbsfähig". Im herrschenden Block findet vor diesem Hintergrund derzeit eine ungeklärte Kontroverse über das geeignete Verhältnis von sozialer Bildungsausweitung und Herrschaftssicherung statt. Die führenden neoliberalen Denkfabriken identifizieren das gegliederte Schulsystem und die Undurchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung als Haupthindernis für die Entwicklung von "Humannressourcen" und den Weg in die "Wissensgesellschaft". Damit ist nicht auszuschließen, dass künftig die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Bildungsreform als Auseinandersetzung um strukturelle und inhaltliche Alternativen zum Status Quo und zweitens im Rahmen einer Verteilung von finanziellen Zuwächsen geführt wird. Diese Widersprüche sollen in der Diskussion noch weiter entfaltet werden!
Referent
Torsten Bultmann
Jg. 1954, Bonn, studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik, arbeitete lange in der Studierendenbewegung und interessiert sich auch heute noch zäh für Hochschulpolitik. Torsten Bultmann ist Bundesgeschäftsführer des BdWi und Mitglied im Landesfachgruppenaussschuss Hochschule und Forschung der GEW Nordrhein-Westfalen.
Literatur zur Vorbereitung
- Torsten Bultmann (2006): Soziale Kämpfe um Bildung, In: Christina Kaindl (Hrsg.): Dokumentation der 2. BdWi-Herbstakademie in Werftpfuhl 2004 (Arbeitstitel). Marburg - im Erscheinen!; auszugsweiser Vorabdruck in: GEW-Landesverband Niedersachsen (Hrsg.) (2006): Der Ökonomisierung entgegentreten - Beiträge zur Entwicklung gewerkschaftlicher Gegenstrategien an Hochschulen. Hannover. S. 7-19
- Torsten Bultmann: Die Deppen der entwickelten Welt, in: Jungle World 42/2006
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