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Klaus Holzkamp

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Demokratische statt unternehmerischer Hochschule!

13.03.2014: Offener Brief zum Hochschulzukunftsgesetz NRW

Unter dem Motto "Für eine demokratische Hochschulverfassung und eine Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung" hat am 10. März der NRW-Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit 50 erstunterzeichnenden Professoren eine Unterschriftensammlung für eine tiefgreifende Überarbeitung des vorliegenden Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetz NRW gestartet. Mit gleichem Anliegen wenden sich heute sechs zivilgesellschaftliche und hochschulnahe Organisationen und Initiativen mit einem offenen Brief an die NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze.

Beide Aktionen sind scharf abgegrenzt gegen den wütenden Protest, der gleich nach Veröffentlichung der Gesetzesvorlage von Hochschulleitungen und aus Wirtschafskreisen vorgetragen wurde. Dieser Protest dient ausschließlich der Wahrung von Privilegien und lukrativen Handlungsspielräumen, die 2007 nach Vorarbeit der Bertelsmann-Stiftung durch den damaligen FDP-Minister Pinkwart mit dem so genannten Hochschulfreiheitsgesetz entstanden waren. Damit wurde zugleich die Umorientierung der NRW-Hochschulen vollzogen, die fortan als unternehmerische Hochschulen agierten. Qualität und gesellschaftliche Verantwortung von Forschung und Lehre trat damit in den Hintergrund. Unter dem Primat der Betriebswirtschaft wurde die Drittmittelakquise zum Kerngeschäft. Wettbewerb wurde zum Leitmotiv der Hochschulentwicklung. Wirtschaftskreise gewannen über die Hochschulräte maßgeblichen Einfluss auf die Forschung und Lehre. Die Beschäftigungsverhältnisse eines großen Teils der Hochschulbeschäftigten wurden prekarisiert.

Dieser unternehmerischen Ausrichtung der NRW-Hochschule wollte Ministerin Schulze mit dem Hochschulzukunftsgesetz entgegenwirken. Die Gesetzesvorlage wird diesem Anspruch nicht gerecht. Der unternehmerische Charakter wird nicht in Frage gestellt. Die zu Recht angestrebte Transparenz kann leicht umgangen werden. Eine wirklich demokratische Mitbestimmungsregelung ist nicht vorgesehen. Die Beschäftigungsverhältnisse sollen nach wie vor privatwirtschaftlich angelegt sein. Wege zur tatsächlichen Realisierung des im Entwurf explizit vorgesehenen Beitrags der Hochschulen zu einer "nachhaltigen und friedlichen Welt" werden nicht aufgezeigt.

Diese und weitere Mängel werden im hier vorgestellten offenen Brief aufgezeigt. Die Ministerin wird aufgefordert, die Gesetzesvorlage grundlegend zu überarbeiten, die Kritik der Hochschulleitungen und von Wirtschaftskreisen zurückzuweisen und sich auf einen konstruktiven Dialog mit den Befürwortern einer demokratischen Reform der NRW-Hochschulen einzulassen:

Offener Brief von zivilgesellschaftlichen und hochschulnahen Kräften zum Hochschulzukunftsgesetz der NRW-Landesregierung

an die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Frau Svenja Schulze

nachrichtlich
- an die Ministerpräsidentin des Landes NRW, Frau Hannelore Kraft
- sowie an den Vorsitzenden des Landtagssausschusses für Innovation, Wissenschaft und Forschung , Herrn Arndt Klocke

Sehr geehrte Frau Ministerin Schulze,

mit der Vorlage Ihres Entwurfs eines Hochschulzukunftsgesetzes (HZG) wurden Sie unmittelbar zur Zielscheibe heftiger Protestattacken von Hochschulrektoren, Kanzlern, Hochschulräten und aus der Wirtschaft. Sie alle sind entschlossen, ihre aus dem Leitbildwechsel zur "unternehmerischen Hochschule" erw achsenen Privilegien und Machtpositionen mit allen Mitteln zu verteidigen. In völlig irrationaler Weise ist die Rede von einem "Hochschulentmündigungsgesetz" und von einem "Krieg gegen die Hochschulen". An dem von Bertelsmanns Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vorformulierten Hochschulfreiheitsgesetz (HFG) aus der Ära Rüttgers/Pinkwart soll - unterstützt durch einen willfährigen Medienmainstream - mit aller Macht festgehalten werden.

Es soll also dabei bleiben, dass die Wirtschaft mit ihrer Dominanz in den Hochschulräten und über üppige Drittmittelfinanzierung maßgeblich Einfluss auf Fragestellungen und wissenschaftliche Erkenntnisprozesse nehmen kann. Die durch die entdemokratisierenden Auswirkungen des HFG und durch die "Freiheit" der Drittmittelgewährung gewonnene Machtstellung soll die Durchsetzbarkeit partikularer Wirtschaftsinteressen in der öffentlichen Institution Hochschule gewährleisten. Unter sinnentstellendem Bezug auf die "Freiheit der Wissenschaft" wollen Hochschulleitungen und Wirtschaft svertreter eine letztlich wissenschafts- und gesellschaftsschädigende Ausrichtung der Hochschulen vorantreiben.

Von Ihrer Seite gab es auf die Protestkampagne hin Signale der Verständigungsbereitschaft und die Ankündigung von Entgegenkommen. Eine solche Kompromissbereitschaft geht aber in die falsche Richtung. Denn Ihr Gesetzentwurf enthält nicht zu viel, sondern deutlich zu wenig Abkehr von der unternehmerischen Hochschule und von dem seit 2007 geltenden Hochschulfreiheitsgesetz.

Mit dem HZG wollen Sie erklärtermaßen erreichen, dass - wie von kritischen Hochschulangehörigen und Gewerkschaften gefordert - die Hochschulen "ihren Beitrag zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt" entwickeln, sich "friedlichen Zielen verpflichtet" sehen und "ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen" nachkommen (Teil I § 3 Abs. 6). Vergebens aber sucht man in Ihrem Entwurf nach Regelungen, die einen Weg zur Erreichung dieser Zielsetzungen aufzeigen oder gar entsprechende Gebote und Garantien bieten.

Stattdessen gibt es eine Fülle von Regelungen, die zeigen, dass mit Ihrem Gesetz keine der Pinkwartschen Positionen wirklich ernsthaft geräumt werden sollen, dass sogar noch punktuelle Verschärfungen vorgesehen sind. Nur wenig deutet darauf hin, dass Sie und die Landesregierung daran denken, mit dem HZG einen Richtungswechsel weg von der Politik der Vermarktlichung und Unternehmerisierung der Hochschulen anzustreben. Nicht einmal Positionen der früheren rot-grünen Oppositionszeit - z.B. Ablehnung der Prekarisierung von Teilen des Hochschulpersonals durch entsprechende HFG-Regelungen - werden aufgegriffen und umgesetzt. Nur in vagen Ansätzen ist ein demokratisches Mitbestimmungssystem erkennbar. Die Regelungen zur vollmundig propagierten Transparenz, also zur Offenlegung der Inhalte von Drittmittelprojekten sind vage und leicht umgehbar. Weiterhin sollen Wettbewerb um Geld und Geldeinwerbung bestimmende Wirkungsfaktoren in der Hochschullandschaft sein.

Es darf aber nicht dabei bleiben, dass die Regeln des Bertelsmannschen New Public Management die Zukunft der Hochschulen bestimmen. Sie sind die konzeptionelle Grundlage des HFG, das vorrangig auf eine am Wettbewerb um Forschungsgelder orientierte Steuerung der Hochschulen abzielt. Das New Public Management hat nicht nur zu einem Verlust an Wissenschaftsfreiheit, sondern damit auch zu einer Verschlechterung der Qualität in der Lehre, zu erheblicher sach- und wissenschaftsfremder Mehrbelastung von wissenschaftlichem Personal und Studierenden, zur Entdemokratisierung und Schädigung der argumentativen Kultur der Hochschulen wie auch zur objektiven Verschlechterung arbeitsvertraglicher Bedingungen und berufsbiografischer Perspektiven geführt.

Wenn Sie aber das Leitbild der unternehmerischen Hochschule wirklich überwinden wollten, müsste Ihr Entwurf einer gänzlich anderen Logik wissenschaftlicher Autonomie und akademischer Zusammenarbeit Raum geben. Träger dieser Autonomie wären nicht die Hochschulleitungen und unternehmerischen Drittmittelgeber, sondern die Subjekte des Wissenschaftsprozesses und die Träger wirklicher Wissenschaftsfreiheit, nämlich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Studierenden sowie die MitarbeiterInnen aus Technik und Verwaltung.

Ihr HZG-Entwurf müsste dem Erfordernis einer Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung Rechnung tragen, also zu einer friedlichen, demokratischen, sozialen Entwicklung der Welt sowie zur Bildung mündiger Persönlichkeiten beitragen. Die Ziele von Forschung und Lehre müssten von allen Akteuren der Hochschulen gemeinwohlorientiert bestimmt werden. Geweckt und gefördert werden müsste das Engagement der Studierenden für aktives Mitgestalten einer humanen Gesellschaft.

Da Ihr HZG-Entwurf dies alles nicht bietet, können die vorgeblich empörten Protestierer aus den Hochschulleitungen und der Wirtschaft eigentlich ganz gut mit dem Gesetz leben. Es geht ihnen aber offenbar um etwas ganz anderes: Jeder Gedanke, es könnte Alternativen zur unternehmerischen Hochschule geben, ja auch nur Ansätze einer Debatte darüber, dass und wie Gesellschaft und Politik auf ein steuerfinanziertes Wissenschaftssystem legitimerweise Einfluss nehmen könnten, sollen offenbar im Keim erstickt werden. Man fürchtet die Einleitung eines politischen Diskurses über die Rolle der Hochschule in einer demokratischen Gesellschaft, an dessen Ende eine generelle Debatte über den normativen und ökonomischen Kontext neoliberaler Entdemokratisierung und weitaus konsequentere Lösungen als die in der aktuellen HZG-Fassung vorgesehenen stehen könnten. Denn eine Hochschulreform, die eindeutig das Ziel allgemeinwohlorientierter Bildung und Wissenschaft sowie die dazu erforderlichen Verbesserungen verfolgt, würde die Unterstützung großer Teile der Gesellschaft und der Hochschulen finden.

Wir fordern Sie auf, sich dem reaktionären und erpresserischen Druck von Hochschulleitungen und Wirtschaftsvertretern nicht zu beugen. Lassen Sie als der Bevölkerung verpflichtete Ministerin eine von partikularen Wirtschaftsinteressen bestimmte Indienstnahme der öffentlichen Institution Hochschule nicht weiter fortbestehen. Suchen Sie die Kommunikation und Kooperation mit allen hochschulischen Akteuren.

Überarbeiten Sie in diesem Rahmen Ihren HZG-Entwurf dahingehend,

  • dass er tatsächlich eine Abkehr vom neoliberalen Leitbild der unternehmerischen Hochschule bewirkt,
  • dass demokratische Strukturen eine gleichberechtigte Mitbestimmung und Partizipation aller am Wissenschaftsprozess Beteiligten und rechtlich gesicherte, entprekarisierte Beschäftigungsverhältnisse garantieren,
  • dass die Hochschulen im erforderlichen Umfang öffentlich finanziert und von der Abhängigkeit von externen Geldgebern befreit wird,
  • dass die Gestaltung des Studiums in den Hochschulgremien selbst festgelegt wird - frei von sinnentleerter Modularisierung, Bepunktung, Beschränkung des Masterzugangs und von anderen Studienrestriktionen
  • und dass die Bedingungen für eine Realisierung der in Teil I §3 Abs. 6 benannten Aufgaben und Zielvorstellungen einer an Frieden und Nachhaltigkeit orientierten Hochschule Gestaltungskraft gewinnen können.

Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht nur den Hochschulleitungen und Wirtschaftsvertretern, sondern auch uns als zivilgesellschaftlichen Verfassern dieses Briefes die Gelegenheit zu Gesprächen über ihren Gesetzesentwurf und unsere Vorstellungen böten. So werden wir Sie in den nächsten Tagen zu einer Diskussionsveranstaltung an der Kölner Uni einladen, mit der ein solcher Dialog eingeleitet werden kann.

Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - BdWi

Freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften - fzs

Attac NRW

GEW-Studis - Landesausschuss der Studentinnen und Studenten in der GEW NRW

Arbeitskreis Bildung & Erziehung bei Attac Köln - AK:BE

Arbeitskreis Zivilklausel der Universität Köln

Kontakt und Information:

Torsten Bultmann, BdWi - bultmann@bdwi.de

Oswald Pannes, AKBE - oswaldpannes@gmx.de

Zugehörige Dateien:
Offener-Brief13.3._01.pdfDownload (209 kb)
PM zum offenen Brief13.03..pdfDownload (197 kb)

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