Forum Wissenschaft 4/2021
13.12.2021: (Anti-)Klassismus. Beiträge zur Debatte
Forum Wissenschaft 4/2021; Foto: #stadtschmiererei / photocase.de |
Infolge der Finanzkrise 2008 und der Covid-19-Pandemie sind Fragen des Zugangs zu Chancen, Ressourcen und der Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum vermehrt in den Fokus gerückt und diskutiert worden. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder auch der Begriff des "Klassismus".
In den vergangenen Monaten sind dazu eine Vielzahl von Veröffentlichungen erschienen, in wissenschaftlichen und politischen Publikationen, auch im bürgerlichen Feuilleton wird kontrovers über "Klassismus" debattiert. Klassismus gilt den einen als Ausdruck des Siegeszugs der "Identitätspolitik" mit mangelnder analytischer Schärfe. Antiklassismus gilt ihnen als bloße Abwehr gegen (kulturelle) Diskriminierung, biete aber keinen Ansatz für einen gemeinsamen Kampf gegen gesellschaftliche Strukturen der Klassengesellschaft. Unterdessen heben andere das Potenzial des Klassismuskonzepts für antikapitalistische Herrschaftskritik hervor. Gerade die stark von autobiographischen Erfahrungen geprägte "Klassismusliteratur" eröffne Ausgangspunkte für wissenschaftliche Gesellschaftsanalysen und könnte den Blick für Ungleichheiten und Ausgrenzungsmechanismen stärken. Auch im BdWi haben wir die Auseinandersetzung zur Klassismusthematik aufgegriffen. 2020 erschien im BdWi-Verlag der Band Klassismus und Wissenschaft, der - u. a. mit zahlreichen autobiographischen Erfahrungsberichten - eine analytische Bestandsaufnahme zur Frage klassistischer Diskriminierung im akademischen Raum vornimmt. Ein Jahr nach diesem Buch (das inzwischen seine zweite Auflage erlebt hat) wollen wir das Thema im Rahmen dieses Heftes nochmal aufgreifen und zur kontroversen Debatte einladen: Was ist Klassismus und ist er geeignet, als Theorieperspektive neue analytische Blicke zur Gesellschaftsanalyse zu eröffnen? Oder verhindern Klassismus-Theorien genau dieses, weil sie lediglich auf einer Mikroebene des Individuums argumentieren? Wie könnten Wege zu einer Verbindung von antiklassistischen Ansätzen mit kritischen Einwänden aussehen?
Aus dem Inhalt:
Klassismus
- Das ordnungslose Rauschen des Klassismus Susanne Pawlewicz sondiert eine polarisierende Debatte und legt Potenziale des Klassismuskonzepts frei
- Vom hölzernen Weg zur obersten Sprosse Jana Kavermann, Hannah-Maria Eberle und Philipp Schäfer zeigen Parallelen zwischen Sozialer Arbeit und Klassismusdebatte auf
- "Klassismus" Lena Hezel und Steffen Güßmann kritisieren aus marxistischer Perspektive theoretische Leerstellen des Klassismuskonzepts
- "…nicht die besten Erfahrungen gemacht" Bildungswege von Arbeitertöchtern in den 1950er Jahren skizziert Gisela Notz
- Nicht-Passung, Brüche und Collagen Biographische Klassismuserfahrungen lassen sich als Collage denken, findet Lena-Marie Staab
- Strolling down the Class Avenue Reflexive Straßen-Notizen von Mai-Anh Boger in Anlehnung an Badiou
- Klassismusreflexivität als Forschungsperspektive Svenja Garbade und Anja Kerle formulieren Überlegungen für eine klassismusreflexive Forschungsstrategie im Kontext Kindheit
- Ungeniert und privilegiert?! Felix Gaillinger diskutiert, warum die Frage nach "Klassismus nach oben" unproduktiv ist
- Fallstricke und Potenziale der Klassismus-Debatte Maria Neuhauss lotet Potenziale eines produktiven Austauschs aus
- "Wenn ich groß bin…" Zuzana Kobesova analysiert die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems
Gesellschaft
- Kindergerecht oder kapitalgetrieben? Die Auswirkungen des Krisenmanagements im Corona Kapitalismus auf Kinder und Jugendliche erörtert Michael Klundt
- Bewusstsein - ein Mysterium? Wolfgang Kromer stellt Überlegungen zur Natur des Ich-Bewusstseins vor
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