Forum Wissenschaft 4/2019
11.12.2019: Umstrittene Wissenschaft. Wissenschaftsleugnung und Fake Science
Forum Wissenschaft 4/2019. Gerhard Mester – Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V., CC BY-SA 4.0, commons.wikimedia.org |
Hunderttausende junge Menschen haben im zu Ende gehenden Jahr mit beeindruckender Kreativität und Beharrlichkeit Woche für Woche für eine lebenswerte Zukunft demonstriert. Die Akteur*innen der "Fridays for Future" gründen ihre politischen Forderungen auf wissenschaftliche Erkenntnisse und werden darin von Tausenden Wissenschaftler*innen unterstützt: Die global messbaren rasanten Änderungen des Klimas haben ihre Hauptursache in den menschlichen Lebens- und Produktionsweisen. Dieser Ursachenzusammenhang ist wissenschaftlich nahezu unumstritten - politisch ist der "Klimawandel" aber stark umkämpft. Eine gesellschaftliche Minderheit leugnet die wissenschaftlichen Tatsachen, zieht sie in Zweifel oder bestreitet ihre Relevanz. Politischen Ausdruck findet die Klimaleugnung in rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien. Für Trump wie für die AfD ist die Ablehnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zentraler Bestandteil des politischen Selbstverständnisses.
Ähnliche Formen der Wissenschaftsleugnung lassen sich auch auf anderen Themenfeldern beobachten. Viele davon sind (jedenfalls hierzulande) freilich nur als skurrile Randerscheinungen zu betrachten - etwa die "Flache Erde" oder der Kreationismus. Relevant sind hingegen entsprechende Tendenzen im Gesundheitsbereich. Zwar hat die Tabaklobby ihre Kämpfe gegen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über gesundheitliche Folgen mittlerweile verloren, dafür haben etwa Auseinandersetzungen über Notwendigkeit und Risiken des Impfens an Bedeutung gewonnen. In der Impfskepsis drückt sich auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den Institutionen des Gesundheitswesens und den Interessen der Pharmaindustrie aus. Unter den Bedingungen einer immer stärkeren Ökonomisierung des Gesundheitsbereichs ist dieses Misstrauen durchaus nicht immer unbegründet. Es trägt aber auch dazu bei, Alternativen zur "Schulmedizin" zu suchen - wogegen auch nicht unbedingt etwas einzuwenden ist. Kritisch wird es aber dann, wenn für wissenschaftlich nicht belegbare Methoden wie die Homöopathie der Anspruch der Wissenschaftlichkeit erhoben wird, um damit gesellschaftliche Anerkennung und öffentliche Finanzierung zu erhalten.
Wir hoffen, mit den Beiträgen dieses Heftes weitere Anstöße zur Diskussion zu liefern uund danken allen Autor*innen für ihre Mitarbeit.
Inhalt:
Wissenschaftsleugnung
Achim Brunnengräber: Das Klimaleugnertum im gesellschaftlichen Abseits?
Christian Stache: Zwieschlächtig
Natalie Grams und Udo Endruscheit: Wie wissenschaftlich ist die Homöopathie?
Christoph Horst: Akademische Eurythmie
Peter Bierl: Geistiger Mist
Maria Urban und Heinz-Jürgen Voss: Missverstandene Schutzkonzepte
Bildung und Wissenschaft
Bayreuther Offenbarungseid. Dokumente zur Debatte um die "Bayreuther Erklärung" mit Erläuterungen von Torsten Bultmann
Eduard Meusel: Grundlagenforschung braucht Zeit
Patrick Weißler: Raus aus den Kinderschuhen
Internationales
Asli Telli Aydemir: What is to become of Peace now?
Daniela Pino und Carlos Meyer: Chile in Aufruhr
Gesellschaft
Frank Graf: Die Gunst der Stunde
Meinhard Creydt: Massive Hindernisse der Gesellschaftstransformation
Richard Albrecht: Porträt eines marxistisch orientierten Soziologen
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