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Klaus Holzkamp

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Willkommen im Club der Auserwählten! Über die schleichende Veränderung des Hochschulzulassungsrechtes.

Das deutsche Hochschulzulassungsrecht wird aktuell nachhaltig verändert, womit zugleich eine im Prinzip mehr als dreißig Jahre währende Praxis endet. Entschieden bislang staatliche Verordnungen und die Abiturdurchschnittsnote darüber wer ein Studium beginnen konnte, so verständigen sich aktuell Bund und Länder darauf, dass künftig alle Hochschulen - anhand von Bewerbungsunterlagen und Auswahlgesprächen - Studierende selbst auswählen. Darüber hinaus soll die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), die seit 1972 für die bundesweite Vergabe von Studienplätzen in Fächern mit Numerus clausus (NC) verantwortlich ist, in eine Service-Einrichtung für die Hochschulen und StudienbewerberInnen umorganisiert werden. Anstatt weniger werden mehr formale Hürden beim Hochschulzugang geschaffen und mehr Menschen, vor allem Arbeiterkinder, QuereinsteigerInnen sowie ausländische Studierende, von einem Studium in Deutschland abgeschreckt.

Hochschulzugang - gestern und heute

Seit über 200 Jahren gibt es in Deutschland das Abitur, dessen Anforderungen von den jeweiligen Kultusministerien der Länder bzw. von der Kultusministerkonferenz (KMK) festgelegt werden. Die erste Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse an höheren Schulen wurde zwischen den damaligen Bundesstaaten des Kaiserreichs 1874 abgeschlossen und später mehrfach novelliert (1909, 1922, 1931, 1954). Auch der Hochschulzugang ist, seit mehr als 100 Jahren, Gegenstand differenzierter Regelungen zwischen den Bundesländern, jedoch nie ohne vorherige Absprache mit den Hochschulen.(1)

In Deutschland nahm früher fast jedeR AbiturentIn ein Studium auf. Doch die ab den 1950er Jahren einsetzende Diskussion über die Notwendigkeit einer Steigerung höherer Bildungsbeteiligung in (West-)Deutschland führte dazu, dass in den folgenden Jahren der Ausbau der Hochschulen nicht mit den Ausbau der Gymnasien Schritt hielt. Dies hatte zur Folge, dass nicht mehr sofort für alle StudienbewerberInnen Studienplätze der gewünschten Fachrichtungen zur Verfügung standen. Auch wenn in den folgenden Jahren ein deutlicher Ausbau des Bildungs- und Hochschulwesens stattfand, sorgten der Mangel an Studienplätzen, Prognosen über eine zu erwartende Überkapazität an HochschulabsolventInnen und infolgedessen drohende AkademikerInnenarbeitslosigkeit sowie eine wachsende Nachfrage nach AbiturentInnen in Wirtschaft und Verwaltung dafür, dass in den 1970er und 1980er Jahren der Prozentsatz der AbiturentInnen, die gleich im Anschluss an die Schule studieren wollten, nachhaltig zurück ging (1970: 90 %, 1977: 73 %, 1987: 61 %, 1991: 54 %). Dafür absolvierten immer mehr Studienberechtigte, heute fast ein Drittel der StudienanfängerInnen, eine Berufsausbildung nach dem Abitur, wobei diese Entwicklung seit einigen Jahren auf Grund des angespannten Lehrstellenmarkts rückläufig ist. Hinzu kommt, dass die Fachhochschulen keineswegs nur für AbsolventInnen mit Fachhochschulreife attraktiv sind: Mehr als die Hälfte der StudienanfängerInnen an Fachhochschulen haben mittlerweile die allgemeine Hochschulreife.(2)

Der enorme Anstieg der AbiturentInnenzahlen führte Anfang der 1970 Jahre - trotz verstärkten Ausbaus der Hochschulen - zu einem bundesweiten Numerus clausus für eine Reihe von Studienfächern. Richtlinien für die Zulassung von StudienanfängerInnen zu solchen Fächern beschloss die KMK am 12.03.1970. Seither wird die Nachfrage nach Studienmöglichkeiten in regionaler und fachlicher Hinsicht durch spezielle Zulassungsverfahren (HRG und entsprechende Regelungen in den Landeshochschulgesetzen, vor allem der Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen, der sog. Kapazitätsverordnung - KapVO) mit dem Angebot an Studienplätzen in Einklang gebracht. Das heißt, entsprechend den personellen, räumlichen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten der Hochschulen werden die sog. Ausbildungskapazitäten berechnet. Wird die Ausbildungskapazität einer Hochschule durch die Nachfrage des Studienangebots in einzelnen Studiengängen überschritten, ist durch länderspezifische Hochschulzulassungsgesetze sowie weiterer Vergabeordnungen der Länder bzw. der Hochschulen die Zahl der höchstens aufzunehmenden Studierenden pro Hochschule befristet kontingentiert (örtlich zulassungsbeschränkte Studiengänge).(3)

Daneben gibt es die sog. bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengänge, deren Zugang an mehreren Hochschulen in verschiedenen Bundesländern kontingentiert wurde. Es handelt sich gegenwärtig um die Universitätsstudiengänge Betriebswirtschaft, Biologie, Medizin, Pharmazie, Psychologie, Tiermedizin und Zahnmedizin. In diesen Fächern erfolgt die Vergabe der Studienplätze durch die von den Bundesländern 1972 mit Sitz in Dortmund eingerichtete Zentralstelle (ZVS).(4)

Auswahlrecht der Hochschulen

Die Vergaberegeln für die bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengänge wurden in den vergangenen Jahren mehrfach geändert: So gab es bis einschließlich dem Sommersemester 1999 zwei - unterschiedlich gewichtete - Hauptkriterien: Abiturnote und Wartezeit. Nach der Umsetzung des 4. HRG-Änderungsgesetzes (20.08.1999) verringerten sich ab dem Wintersemester 2000/01 bis Sommersemester 2002 die Leistungsquote von 60 auf 55 Prozent und die Wartezeitquote von 40 auf 25 Prozent der verfügbaren Plätze. Der dadurch frei werdende Anteil an Studienplätzen von 20 Prozent ermöglichte die Einführung von zusätzlichen Auswahlkriterien bzw. Auswahlverfahren seitens der Hochschulen, was von Baden-Württemberg auch sofort genutzt wurde.

Zum Wintersemester 2002/03 wurde - den von der KMK auf ihrer 297. Sitzung (28.02./01.03.2002) beschlossenen Vorschlägen folgend - die Quotenaufteilung erneut geändert: der Anteil der Hochschulquote stieg auf 24 Prozent, während sich der Anteil der Leistungsquote von 55 auf 51 Prozent verringerte; die Wartezeitquote blieb unverändert. Auf Vorschlag von Baden-Württemberg bildete die KMK eine Amtschefsarbeitsgruppe, um weitere Vorschläge zu erarbeiten, die das Auswahlrecht der Hochschulen im Rahmen einer Experimentierklausel zur Erprobung studiengangspezifischer Auswahlverfahren durch entsprechende Änderung des Hochschulrahmengesetzes stärken sollten. Zusätzlicher politischer Druck kam vom baden-württembergischen CDU-Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg, indem dieser mit der Kündigung des ZVS-Staatsvertrags drohte, wenn die Hochschulen gegenüber der ZVS kein vorrangiges Auswahlrecht erhielten und die Hochschulauswahlquote nicht auf 70 Prozent erhöht würde. Nachdem auch bei der 300. Sitzung der KMK (05./06.12.2002) in dieser Angelegenheit keine Einigung erzielt werden konnte, erklärte Baden-Württemberg, die Kündigung des ZVS-Staatsvertrags zum Jahr 2005 vorzubereiten und eine begleitende Klage gegen die entsprechenden HRG-Vorschriften einzuleiten.(5)

Auch der Beirat der ZVS (07.02.2003) sprach sich öffentlich für ein neues Aufnahmeverfahren der Studierenden durch die Hochschulen aus und bemühte sich um einen Kompromiss hinsichtlich der Länderinitiativen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Das Plenum der HRK (17./18.02.2003) gab ein eindeutiges Votum für den modifizierten Lösungsvorschlag von Baden-Württemberg ab, 50 Prozent der Studienplätze außerhalb des ZVS-Verfahrens durch die Hochschulen zu vergeben. Auf der 301. Sitzung beschloss die KMK (06./07.03.2003) zwei Modelle ab dem Wintersemester 2004/05, für die sich die Länder jeweils entscheiden können.(6)

  • Im ersten Modell (Vorschlag Baden-Württemberg) wird das Wahlrecht der Hochschulen betont. Die Länder erhalten die Möglichkeit, vorab bis zu 50 Prozent der Gesamtzahl der Studienplätze durch die Hochschulen zu vergeben. Die Auswahl erfolgt nach dem Grad der "Eignung" der BewerberInnen für den gewählten Studiengang. Die ZVS vergibt dann 25 Prozent der Studienplätze an die "Abiturbesten" entsprechend ihren Ortswünschen. Die verbleibenden Studienplätze werden schließlich nach den Kriterien "Durchschnittsnote" und "Wartezeit" vergeben.
  • Im zweiten Modell (Vorschlag Nordrhein-Westfalen) wird das Wahlrecht der "Abiturbesten"-BewerberInnen besonders hervorgehoben. Es werden 25 Prozent der Gesamtzahl der Studienplätze durch die ZVS an die "Abiturbesten" entsprechend ihren Ortswünschen vergeben, weitere 25 Prozent der Studienplätze durch die Hochschulen nach dem Grad der "Eignung" der BewerberInnen für den gewählten Studiengang. Die verbleibenden Studienplätze vergibt die ZVS nach den Kriterien "Durchschnittsnote" und "Wartezeit".

Ende Januar 2004 veröffentlichte der Wissenschaftsrat die Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs (Drs. 5920/04), in denen gefordert wird, dass die Universitäten in den zulassungsbeschränkten Fächern grundsätzlich alle BewerberInnen anhand von validen und verlässlichen Eingangstests, wobei der Schulabschluss eine "herausragende Rolle” behält, aussuchen sollen. Ferner soll das Zulassungsrecht schrittweise auf die Fachbereiche, abzüglich einer Sozial- bzw. "Abiturbesten"-Quote von ca. 10 Prozent, übertragen werden. Des Weiteren fordert der Wissenschaftsrat nachdrücklich, die Kapazitätsverordnung abzugeschaffen.

Nachdem die sozialdemokratische Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn anfänglich die Initiative der Länder grundsätzlich abgehnte - und zwischenzeitlich sogar ihren Staatssekretär Christoph Matschie öffentlich zurückpfiff, weil dieser sich für eine stärkere Studierendenauswahl seitens der Hochschulen einsetzte - will nun auch sie endlich Vorschläge machen, die aber bereits im Vorfeld klar sind: Die ZVS abschaffen und den Hochschulen mehr Einfluss bzw. Freiräume bei der Studierendenauswahl geben. Allerdings hält die Ministerin an einem bundesweiten Rahmen bei der Hochschulzulassung fest.

Vorstellungsgespräche als Zulassungskriterium

Die geplanten Änderungen beim Hochschulzugang führen, vor allem durch die Einführung zusätzlicher, sogar schriftlicher Auswahlprüfungen, zur faktischen Abwertung des Abiturs in seiner ursprünglichen Funktion - und damit ebenso der gymnasialen Oberstufe. Auch wenn dies aktuell nur für zulassungsbeschränkte Studiengänge empfohlen wird, besteht die Gefahr, dass sich das Prozedere schnell zu allgemeinen Hochschuleingangsprüfungen entwickelt. So haben bereits einzelne Bundesländer, Baden-Württemberg und Niedersachsen, Gesetzesänderungen vorgenommen bzw. sind im Begriff, dies zu tun.

Doch wie können Eingangsprüfungen die faktische Diskrepanz zwischen der durch das Abitur ausgewiesenen Hochschulreife und der vermeintlichen unzureichenden "Studierfähigkeit" vieler AbiturientInnen besser Rechnung tragen? Unbestritten mangelt es heutzutage vielen StudienanfängerInnen an der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu erfassen, zu durchdenken und mündlich oder schriftlich darzulegen. Viele sind überdies nicht in der Lage, ihr Studium weitgehend eigenverantwortlich zu organisieren, was in Anbetracht der hohen Erwerbstätigkeit neben dem Studium auch nicht verwundert. Mindestens diese Gruppe von Studierenden scheitert früher oder später an den Anforderungen einer wissenschaftlichen Ausbildung. Solche Problemfälle sollen offenbar vermieden, ungeeignete KanditatInnen von der Aufnahme eines Hochschulstudiums abgehalten werden, um eine möglichst hohe Studienerfolgsquote erzielen zu können.

Tatsächlich jedoch bieten hochschuleigene Auswahlprüfungen nicht den geringsten Lösungsansatz für das skizzierte Problem, sondern bürden es allein denjenigen auf, die sich im (Aus)bildungsgang befinden. Die Beseitigung der angesprochenen Defizite bzw. ihre Vermeidung sollte Aufgabe der weiterführenden Schulen sein. Sie sind dafür verantwortlich, dass das Abitur ein zuverlässiger Qualifikationsindikator für die allgemeine Hochschulreife bleibt. Hinzu kommt die Befürchtung, dass der Erfolg von Auswahlgesprächen stark vom subjektiven Eindruck der beteiligten Professorin bzw. des Professors geprägt sein wird. Somit werden Auswahlgespräche und Einstellungstests die soziale Selektion im Hochschulwesen weiter verschärfen und/oder ein angepaßtes Verhalten fördern, welches der Wissenschaft abträglich ist.

Doch klar ist auch, dass bei vielen das Vertrauen in die Hochschulen fehlt, den Auswahlprozess organisieren zu können. Es fehlt auch der Mut, gleich zwei in Deutschland heilige Institutionen in Frage zu stellen: Das Abitur und die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. So äußert sich selbst der Präsident der HRK skeptisch: "Wenn die hundertprozentige Studentenauswahl auf die Hochschulen zukommt -und ich bin unbedingt dafür, kann durch die Auswahl der Abiturbesten der Arbeitsaufwand begrenzt werden. Tests, mit denen die Universitäten feststellen können, ob Studierende spezifische Eignungen mitbringen, wären wünschenswert. So geht es ja bei Ärzten und Lehrern auch um Fähigkeiten, die sich nicht in der Abiturnote abbilden. Aber wir sollten uns davor hüten, uns den gläsernen Menschen zu wünschen. Durch die Schulnote lässt sich eben auch der künftige Studienerfolg prognostizieren.” Im Wettbewerb um die Besten im Land!(7)

Bei der Diskussion um Neuregelungen beim Hochschulzugang geht es diesmal um mehr als nur die reine Vergabe von Studienplätzen nach ökonomischen Kriterien, vielmehr wird das bildungsbürgerlich-gymnasiales Konzept einer allgemeiner Hochschulreife grundsätzlich in Frage gestellt. Bereits 1995 forderte das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), anlässlich einer gemeinsamen Tagung mit dem Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Hans-Joachim Meyer, die Neugestaltung des Abiturs und des Hochschulzulassung (Leipziger Erklärung).(8)

Die Selbstauswahl, vor allem der Universitäten, ist der Auffassung einer Hochschule als Dienstleistungsunternehmen geschuldet, die auf dem Markt ein spezifisches "Profil" in Konkurrenz mit anderen Hochschulen entwickelt. Doch so einfach ist das nicht umzusetzen. Selbst wenn eine Hochschule schließlich das Recht erlangt, sich alle ihrer StudienanfängerInnen selbst auszuwählen, zwingt das deutsche Kapazitätsrecht die öffentlichen Hochschulen, ihre Ressourcen maximal auszulasten. Es ist eine direkte Konsequenz des NC-Urteils des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) von 1972, welches auch besagt, dass bevor "sekundäre" Verteilungsverfahren (Notendurchschnitt, Warteliste etc.) das "primäre" Recht auf freie Wahl des Studienplatzes einschränken, die Fachbereiche ihre Kapazitäten optimal ausschöpfen müssen.

Dieses Szenario ist unvereinbar mit einem Rechtsanspruch auf Bildung - selbst in seiner technokratischen Variante der "allgemeinen Hochschulreife" - oder mit einem sozialbürokratischen Zuteilungssystem à la ZVS. Vielmehr wird hier aktuell ein kompletter Systemwechsel in der Zuteilung von Bildungsberechtigungen vollzogen. Derartige Maßnahmen sind Konsequenzen der "Ökonomisierung" von Hochschulen: die Erfordernisse wettbewerblicher "Profilbildung" gehen folgerichtig mit einer stärkeren (einzel-)institutionellen Zugangskontrolle sowie einer selektiven Bewertung individueller Qualifikationsprofile einher. Die daraus resultierenden Maßnahmen laufen in letzter Konsequenz tatsächlich auf eine von ökonomischen Interessen geleitete Zuteilung von Studienplätzen hinaus. Im Wettbewerb werden Hochschulen versuchen, sich durch Spezialisierung Profile zuzulegen, nach denen sie die Auswahl ihrer Studierenden treffen.(9)

Bei der sowohl für bundesweit als auch für örtlich zulassungsbeschränkte Studiengänge erhöhten Hochschulauswahlquote wird ein wichtiger Faktor unterschätzt, der empirisch nachgewiesenermaßen die Wahl des Studienstandortes für die meisten Studierenden bestimmt: die Nähe zwischen Heimat- und Studienort. Daraus ergeben sich massive Standortnachteile für dezentral gelegene Hochschulen oder solche mit einem dünn besiedelten Einzugsgebiet. Sie werden die Auswahlquote kaum ausschöpfen oder müssten Aufnahmeagenturen an zentralen Orten einrichten. Bislang konnte hier gerade die ZVS regulierend eingreifen und zur gleichmäßigen Auslastung der Hochschulen beitragen. Nachdem der ZVS jedoch nur noch eine nachrangige und eingeschränkte Beteiligung am Vergabeverfahren für bundesweit zulassungsbeschränkte Studiengänge zubilligt wird, ist vorhersehbar, dass sich regionale Ungleichheiten in der bundesweiten Hochschullandschaft - etwa ein nachweisbares Ost-West-Gefälle - weiter verschärfen.

Überdies stellt die Ausschöpfung der erhöhten Hochschulauswahlquote eine erhebliche und unzumutbare Arbeitsbelastung gerade für das im Bereich der Daueraufgaben unterbesetzte wissenschaftliche Personal und für das Verwaltungspersonal in den Studentensekretariaten dar. Hinzu Kommt: Wer auch immer die hochschulinternen Auswahlgespräche wird führen müssen, ist dafür bislang in keiner Weise qualifiziert worden.

Hochschulen offen gestalten!

Für den Hochschulzugang muss uneingeschränkte Chancengleichheit gelten, die sich ohne ausreichende finanzielle Absicherung der Studierenden nicht herstellen lässt. Der Gesetzgeber muss Gleichbehandlung gewährleisten, d. h., dass alle Studienberechtigten unabhängig von ihrem Geschlecht sowie von ihrer ethnischen und sozialen Herkunft ein Studium nach ihren Fähigkeiten und Wünschen an Hochschulen in staatlicher Verantwortung aufnehmen können. Auch individuelle Bildungsbiographien müssen Berücksichtigung finden; sie erfordern einen flexibilisierten Hochschulzugang.

Gerade die Hochschulen in staatlicher Verantwortung sollen sich nicht durch die von ökonomischen Interessen geleitete Kontingentierung der Studienplätze für eine handverlesene Elite zu profilieren versuchen. Es kann auch nicht die Aufgabe von Universitäten sein, den sich ständig und kurzfristig wandelnden Arbeitsmarkt mit maßgeschneiderten AbsolventInnen zu bedienen. Das Profil einer Hochschule sollte vielmehr durch Anstrengungen zur Verbreiterung des Studienangebots und die Verbesserung der Lehre geschärft werden. Dazu gehören auch ein solides, zielgruppenorientiertes Informationsangebot für verschiedene Altersgruppen sowie eine engere und frühzeitige studienvorbereitende Zusammenarbeit mit den weiterführenden Schulen. Hier reichen jährliche Informationstage für SchülerInnen der fortgeschrittenen Sekundarstufe II, Hochglanzfalter, Videoclips und Internetauftritte nicht aus.

Für die Erhöhung der Hochschulauswahlquote auf 90 Prozent gibt es keine sachliche Notwendigkeit und keinen konkreten Handlungsbedarf, denn bisher haben die Hochschulen die bestehende Quote von 24 Prozent nicht einmal annähernd ausgeschöpft. So nutzten nur 13 Prozent der dafür formal berechtigten Fachbereiche diese neue Form der Studierendenauswahl. Daher stellt sich die Fragen, um wie viele Studienplätze es im Verhältnis zum Gesamtvolumen eigentlich geht oder in welchem Umfang das neue, gestärkte Auswahlrecht der Hochschulen eigentlich greifen wird? Bislang sind lediglich die Daten der von der ZVS vergebenen Studienplätze verfügbar.(10)

Anstelle eines Selbstauswahlrechtes der Hochschulen sollte vielmehr der Hochschulzugang in dem Sinne erweitert werden, dass alle Studierwilligen und -berechtigten die Möglichkeit erhalten, ein Studium ihrer freien Wahl aufzunehmen. Daher muss der Hochschulzugang entbürokratisiert und flexibler gestaltet werden. Gleichzeitig gilt es, die Beratungs- und Informationsangebote vor und während des Studiums, unter Berücksichtigung der verschiedenen Lebensbiographien, auszubauen.

1 Vgl. Christoph Führ: Deutsches Bildungswesen seit 1945. Grundzüge und Probleme. Neuwied 1997, Seite 192ff.
2 Vgl. ebenda, Seite 192ff; Deutsches Studentenwerk: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden. 16. Sozialerhebung, Berlin 2002.
3 Vgl. Claudia Kleinwächter: Die (Neu)Regelungen der Hochschulzulassung auf Bundes- und Landesebene, aktuell: Niedersachsen, 2004, (www.gew-nds.de/).
4 Vgl. ebenda. Grundlage für die Tätigkeit der ZVS ist ein zwischen den Bundesländern abgeschlossener Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen, welcher mehrfach, zuletzt am 24.06.1999, erneuert wurde. In dieser Fassung läuft er 2005 aus, und es ist eine offene Frage, ob und wie es zu einer Neuverhandlung kommt.
5 Vgl. ebenda.
6 Vgl. ebenda.
7 Prof. Peter Gaehtgens (HRK-Präsident): Gebt uns Entscheidungsfreiheit, Tagesspiegel 04.02.2004.
8 Vgl. CHE (www.che.de)
9 Vgl. Torsten Bultmann: Wie backe ich mir mein Disneyland-Harvard?, Forum Wissenschaft 02-2004.
10 Vgl. Bernhard Scheer (ZVS-Sprecher): Gebt uns Entscheidungsfreiheit, Tagesspiegel 04.02.2004.

Sabine Kiel (sabine.kiel@web.de) arbeitet beim Studentenwerk Hannover und ist im Vorstand vom BdWi.

Zuerst veröffentlicht in:

BdWi-Studienheft (2): BdWi/fzs (Hg.): Studiengebühren, Elitekonzeptionen und Agenda 2010, Marburg, April 2004

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