Wer Ungleichheit reduzieren will, muss ihre Ursachen bekämpfen!
25.10.2006: BdWi zur Debatte um gesellschaftliche Ungleichheit
Pressemitteilung des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) zur aktuellen Debatte - nebst Hinweis auf eine diesbezügliche Konferenz
Infolge einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung wird in der etablierten Politik verstärkt über soziale Ungleichheit diskutiert. Das ist an sich begrüßenswert, da es sich bei den so angesprochenen Problemen nicht um vorübergehende Phänomene handelt. Im Spektrum der kritischen Wissenschaft und auch der Gewerkschaften wurden diese schon seit langem untersucht, auch als das Thema noch keine Konjunktur hatte. "Noch begrüßenswerter wäre es, wenn die Politik diese Erscheinungen nicht nur als etwa ihr Äußerliches erstaunt interpretieren, sondern die Fragestellung auch selbstkritisch auf ihre eigenen sozialpolitischen Instrumente und Methoden ausdehnen würde!" stellte dazu das Mitglied des BdWi-Vorstandes Christina Kaindl fest, die zum gleichen Thema eine Konferenz (s.u.) vorbereitet.
Die herrschende Wirtschafts- und Sozialpolitik der vergangenen Jahre hat deutlich ihre Spuren in einer Vertiefung sozialer Unterschiede hinterlassen, die immer mehr Menschen von gesellschaftlicher Beteiligung ausschließt. Wo Ungleichheiten bisher sogar offen als Katalysator für mehr "Eigenverantwortung" und eine Steigerung der "Wettbewerbsfähigkeit" (Wolfgang Clement) propagiert wurden, entdeckt nun die aktuelle Diskussion die Gefahr einer "neuen Unterschicht". Die offiziellen Fragen nach Abhilfe nehmen aber erneut nicht die Grundlagen der gesellschaftlichen Produktion von Ungleichheit in den Blick, sondern suchen Antworten wiederum in der stärkeren Aktivierung der Einzelnen und in mehr Bildungsprogrammen. "Es wird verkannt, dass das Bildungssystem selbst Teil der Produktion von gesellschaftlicher Ungleichheit ist und nicht Mittel zu ihrer Verminderung", so noch einmal Christina Kaindl.
Als der BdWi vor fast 10 Jahren auf einer Konferenz an der Universität Marburg die neoliberale Produktion von Ungleichheiten zum Gegenstand gemacht hatte, bestand für manche noch die Hoffnung auf ein rot-grünes Reformprojekt. Heute sind die Auswirkungen dieses Projektes auf die verschärften Ungleichheiten selbst zu untersuchen: die Agenda 2010 und ihre Vertiefung sozialer Disparitäten, die Rückkehr imperialistischer Kriege und die Frage nach "ungleichen" Staaten. Entsprechend soll es auf einer neuen Tagung um die Verschiebung von gesellschaftlichem Reichtum gehen, um die Produktion von Armut und Niedriglohn und um ungleiche Entwicklung als Voraussetzung und Produkt der Transnationalisierung von Wirtschaft und Kapital. Gleichzeitig werden Veränderungen von (globalen) Geschlechter- und Klassenverhältnissen, von Kultur und Lebensweisen oder die gewollte Stabilisierung von Bildungsungleichheit untersucht. Für all dies sollen Analysen und Positionen aus dem Spektrum von kritischer Wissenschaft, Gewerkschaften und sozialen Initiativen zusammen geführt werden. Wir verstehen uns nicht als unbeteiligte Forscher sondern als Partei in diesem Prozess: die Gegenbewegungen, die Praxis und Konzepte der sozialen Kämpfe sollen besonders in den Blick genommen werden. Was wären etwa Perspektiven für ein gesellschaftlich ausstrahlungsfähiges Projekt gegen die Produktion von Ungleichheit, welches Differenzen gleichzeitig respektiert und lebbar macht?
Referentinnen und Referenten: Alex Demirovic, Frank Deppe, Ursula Huws, Hans-Jürgen Urban, Brigitte Stolz-Willig, Bernd Röttger, Thomas Seibert, Encarnacion Gutierrez Rodriguez, Mario Candeias, Alessandro Pelizzari, Christoph Butterwegge, Georg Fülberth, Sabah Alnasseri, Alexandra Wagner, Jens Dangschat, Manuela Bojadzijev,Morus Markard, Marianne Demmer, Klaus Dörre, Uli Brand, Iris Nowak, Peter Scheiffele u.a.
Marburg und Berlin, den 25.10.2006
Kongress Ungleichheit als Projekt 24.-26.11.06, Fachhochschule Frankfurt am Main
Anmeldung und Programm: www.ungleichheit-als-projekt.de
Kontakt: ckaindl[at]zedat.fu-berlin.de