Forum Wissenschaft 2/2024

26.06.2024: 25 Jahre Bologna

	Forum Wissenschaft 2/2024; Foto: M.Musca (GLAM NILDE), CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Entwicklungsrahmen oder Sackgasse

Im Sommer 1999 verabschiedeten 29 europäische Bildungsminister*innen im italienischen Bologna ein gewichtiges hochschulpolitisches Dokument mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Die europäische Vergleichbarkeit von Studiengängen und Studienleistungen sollte gefördert, Mobilitätshindernisse für ein Auslandsstudium sollten beseitigt, die Studiengänge auf ein einheitliches Konsekutivmodell umgestellt und das Bewertungssystem für studentische Leistungen vereinheitlicht werden.
"Bologna" wurde schnell zum Synonym für die Neugestaltung des Hochschulsystems. Die Prozesse der Umgestaltung wurden von Anbeginn kritisch begleitet - aus Wissenschaft und Politik, von Gewerkschaften und Studierendenverbänden. Zum 25. Geburtstag von "Bologna" scheint es angemessen, eine politische Bilanz zu ziehen.
Die aktuellen Kritikpunkte sind dabei keineswegs neu: Überreglementierung und Verschulung des Studiums führen zur Abkehr vom humboldtschen Bildungsideal, die verknappten Zugänge zum Master-Abschluss verstärken (soziale) Selektionsmechanismen und hinsichtlich des politischen Entscheidungsprozesses wurden magelnde Beteiligungsmöglichkeiten und fehlende Transparenz beklagt. Bezüglich des zuletzt Genannten deuten sich immerhin zarte Verbesserungen an. Gewerkschaftliche und studentische Vertreter*innen können mittlerweile gewissen Einfluss nehmen und etwa Anregungen zur sozialen Dimension, zur Wissenschaftsfreiheit der zur Mitbestimmung in den Bologna-Prozess einbringen.
Zum Anderen ist fraglich, inwieweit problematische Entwicklungen tatsächlich mit "Bologna" ursächlich zusammenhängen. Der BdWi analysierte schon 2003, dass "das Label "Europäisierung" [...] in Deutschland benutzt [wird], um Politiken durchzusetzen, die mit der Entstehung eines europäischen Bildungsraumes nicht unmittelbar zusammenhängen." Tatsächlich ist die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen und der Konkurrenzkampf unter dem Leitbild der "unternehmerischen Hochschule" schon etliche Jahre älter als die Bologna-Vereinbarung von 1999. Forum Wissenschaft will mit dem Themenschwerpunkt dieser Ausgabe das 25jährige Jubiläum mit Beiträgen aus verschiedenen Perspektiven würdigen. Wir danken allen Autor*innen dieser Ausgabe für ihre Mitarbeit.
Erinnern wollen wir - ganz selbstreferenziell - aber auch an ein zweites Jubiläum: Vor 40 Jahren erschien zum ersten Mal die Verbandszeitschrift des BdWi unter dem Titel Forum Wissenschaft. 40 Jahre wissenschaftspolitische Gegenöffentlichkeit verdienen doch eine kleine Würdigung in dieser Ausgabe.

Aus dem Inhalt:

40 Jahre Forum Wissenschaft

• Optimistisch gegen die Wende
  
Anmerkungen von Steffen Käthner zum 40. Geburtstag von Forum Wissenschaft

25 Jahre Bologna

• Von Bologna nach Bonn
  
Matthias Ernst reflektiert die Veränderungen im Lebensalltag der Studierenden 25 Jahre nach der Bologna-Deklaration

• Potemkinsche Seminare
  
Vor dem Hintergrund eigener Lehrerfahrung reflektiert Thomas Gehrig den gegenwärtigen Zustand des Hochschulwesens

• Resonanzraum für Interessenvertretung
  
Andreas Keller bewertet das Kommuniqué der Konferenz der europäischen Wissenschaftsminister*innen im Mai 2024 in Tirana

• 25 Jahre Bologna
  
Mythen, Fakten und Zukunft der Harmonisierung der Hochschulsysteme beleuchtet Iris Kimizoglu aus europäischer studentischer Perspektive

• Reformprozessmit schlechtem Image
  
Aus der Sicht studentischer Interessenvertretungen fällt die Bilanz des Bologna-Prozesses überwiegend kritisch aus, findet Carlotta Eklöh

• Mobile Ungleichheit
  
Die Steigerung studentischer Mobilität durch die Erasmus Programme reproduziert soziale Ungleichheit, beobachtet Simon Weiser

• Microcredential
  
Marco Unger erläutert Chancen und Risiken von Microcredentials

• Der Bologna-Prozess ist gescheitert
  
Eine kritische Würdigung des Bologna-Prozesses von Torsten Bultmann aus dem Jahr 2015

• Hochschulreform und "Bologna-Prozess"
  
Dokumentation der politischen Forderungen des BdWi anlässlich des europäischen Bildungsminister*innentreffens vom 19.09.2003

Gesellschaft

• Solidarität
  
Jos Schnurer beleuchtet Geschichte und Gegenwart, Potenziale und Grenzen des Genossenschaftswesens als Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell

Die Printversion kann hier bestellt werden.