Forum Wissenschaft 2/2023

16.06.2023: Postkoloniale Hochschule

	Forum Wissenschaft 2/2023; Foto: Ollyy / shutterstock.com

Auch wenn sich an manchem Kiosk (und vielerorts im Internet) noch Souvenirs zur Pflege kolonialer Nostalgie erwerben lassen, hat doch hierzulande seit einiger Zeit eine Debatte um die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands begonnen. Es geht um die Anerkennung von Verbrechen, die bis zum Genozid reichen, um die Restitution kolonialer Raubgüter und um die Formen einer würdigen und angemessenen Erinnerungspolitik. Dabei stößt das wachsende Bewusstsein für die Probleme kolonialer Kontinuitäten konflikthaft auf gewachsene Traditionen der Erinnerung an die Shoa. Wie kann die Anerkennung der Verantwortung für ein historisches Verbrechen gelingen, ohne zur Herabwürdigung des anderen zu führen?

Auch an den Hochschulen hat die Forderung nach einer strukturellen Dekolonisierung Raum gewonnen, die über eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit Lehre und etablierter Forschungspraxis hinausgeht. Dabei geht es nicht nur um die Verschiebung inhaltlich hegemonialer Wissensordnungen, sondern auch um die Anerkennung unterschiedlicher Artikulationsweisen - letztlich um die Aufhebung ungleicher Machtverhältnisse zwischen Wissenschaftler*innen und Hochschulen des Globalen Nordens einerseits und des Globalen Südens andererseits.

Forum Wissenschaft widmet sich in dieser Ausgabe unterschiedlichen Aspekten des umfangreichen Themenfeldes "Rassismus und (Post-)Kolonialismus in Wissenschaft und Hochschule".

Hochschulen sind Teil der Gesellschaft und mithin auch keine rassismusfreien Räume. Doch wie steht es um Bemühungen, rassistischen Strukturen entgegenzuwirken? Reichen dafür wohlklingende Worte und ein engagiertes "Diversity-Management"? Welche Rolle spielt die selbstreflexive Diskussion "Weißer" Privilegien? Und welchen Raum bekommen die Erfahrungen von Wissenschaftler*innen of Color? Wie können koloniale Hierarchisierungen in der westlichen Wissenschaft abgebaut und dekoloniales Wissen stärker verankert werden?

Wir wollen mit diesem Heft dazu beitragen, die Diskussion um eine Dekolonisierung der Hochschulen weiterzuentwickeln und freuen uns über Rückmeldungen dazu.

Wir laden alle Interessierten zum gemeinsamen Austausch darüber ein: am 5. Juli wollen wir im Rahmen unserer digitalen Veranstaltungsreihe "BdWi-Mittwoch" dieses Heft vorstellen.

Aus dem Inhalt:

Rassismus und Postkolonialismus

• Rassismus beim Namen nennen
  
Warum "Diversity-Strategien" unzureichend sind, erläutert Karima Popal-Akhzarati

• Dekolonisierung der Hochschule
  
Fabricio Rodríguez und Cita Wetterich skizzieren die Dekolonisierung von Forschung und Lehre in den Internationalen Beziehungen

• Dekolonisierung
  
Eine strukturelle Dekolonisierung akademischer Institutionen fordern Christiane Bürger und Sahra Rausch

• Wenn People of Color die Hochschule verlassen
  
Vildan Aytekin untersucht die Perspektiven von Wissenschaftler*innen of Color im deutschen Hochschulsystem

• Weiße Privilegien in der Hochschule
  
Jule Bönkost stellt eine Privilegienliste zur Sensibilisierung für eine rassismuskritische Praxis vor

• Beyond amnesia
  
Christina Haritos considers how the term "amnesia" has been used to delimit the genocide

• Multidirektionale Erinnerungskonflikte
  
Julia Greim lotet Möglichkeiten und Problemfelder der Erinnerungskultur in Deutschland aus

• De-fetishizing restitutions!
  
Korassi Téwéché discusses the ethical contours of the restitutions debate

• Rasse oder Klasse
  
Die ideologische Wirkung rassistischer Zuschreibungen untersuchen Daniel Lieb, Sophia Schorr und Anna Kamenik

• Dekoloniales Wissen und
koloniale Hierarchisierungen
Wie Wissen artikuliert werden muss, um gehört zu werden, fragt Diren Yeşil

Bildung und Wissenschaft

• Quo vadis,WissZeitVG?
  
Christiane Fuchs resümiert die aktuellen Auseinandersetzungen um das WissenschaftsZeitvertragsGesetz

• Dauerstellen für Daueraufgaben
  
Die GEW plädiert für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz

• WissZeitVG
  
Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft schildert seine Forderungen an die geplante Reform

Geschichtspolitik

• Hungerkatastrophe als Genozid?
  
Maxi Schneider skizziert Problemlagen und mögliche Folgen der politischen Einstufung des "Holodomor"

Die Printversion kann hier bestellt werden.