Forum Wissenschaft 4/2020
10.12.2020: Renaissance der Mythen? Verschwörungsdenken und Wissenschaft
Forum Wissenschaft 4/2020; Foto: Axel Bueckert / shutterstock.com |
Unter dem Eindruck der anhaltenden Pandemiekrise sind Verschwörungsideologien - so scheint es - massiv auf dem Vormarsch. Aktuelle Untersuchungen stellen bei etwa einem Drittel der Bevölkerung eine mehr oder weniger große Offenheit für Verschwörungserzählungen fest. Dabei mögen einzelne Gespräche über die "inszenierte Mondlandung", über "Chemtrails" oder die Theorie der "Flachen Erde" wie Begegnungen mit harmlosen, verwirrten Spinnern wirken. Gefährlich wird es dann, wenn Verschwörungsglauben zur Grundlage politischen Handelns wird. Und das ist kein neues Phänomen: Antijüdische Pogrome etwa werden seit dem Mittelalter mit Verschwörungserzählungen legitimiert. Gleiches gilt für die Terroranschläge rechtsextremer Täter der Gegenwart - in Oslo, Christchurch, Halle oder Hanau.
Auch die aktuellen Protestaktionen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sind stark von Verschwörungsmythen geprägt. Dass diese sich zum Teil widersprechen (so ist Covid-19 mal gar nicht existent, dann wieder eine Züchtung aus irgendwelchen geheimen Labors), tut der gemeinsamen Bewegung keinen Abbruch. Wissenschaftler*innen und ihre Erkenntnisse gehören zu den bevorzugten Feindbildern verschwörungsideologisch geprägter Gruppierungen. "Denialismus" - also das systematische Bestreiten unliebsamer Evidenz - gehört zum zentralen Kern verschwörungstheoretischer Weltbilder. Das betrifft Erkenntnisse der Evolutionsbiologie, den wissenschaftlichen Konsens zur globalen Klimaerwärmung oder auch den Virologen Christian Drosten.
Die Blockade gegenüber der Anerkennung offensichtlicher und wissenschaftlich bestätigter Fakten trägt zu den Schwierigkeiten bei, Verschwörungsmythen erfolgreich zu bekämpfen. Trotzdem liegt eine Aufgabe für Wissenschaftler*innen darin, ihre Erkenntnisse im Sinne der Aufklärung aktiv zu verbreiten. Dazu möchte Forum Wissenschaft mit dieser Ausgabe beitragen. Es geht uns um eine Klärung des Begriffs "Verschwörungsideologie" und die Abgrenzung von sachlich-kritischen Analysen gesellschaftlicher Interessens- und Machtverhältnisse demgegenüber (die abgedruckten Fotos dienen der beispielhaften Illustration). Zudem schauen wir auf sozialpsychologische Hintergründe und suchen nach Motiven für die Übernahme von Verschwörungsvorstellungen. Und bei der Frage "Was tun?" analysieren wir auch die Potentiale der Wissenschaftskommunikation.
Inhalt:
Verschwörungsmythen und Wissenschaftskommunikation
Joseph Kuhn: Annäherungen an eine nötige Differenzierung
Michael Zander: Krise und Realitätsverlust
Ingar Solty: Wer glaubt warum an Verschwörungstheorien?
Daniel Keil: Fakten, Mythen, Meinungskorridore
Martina Franzen: Unter dem Brennglas
Frank Eckerle, Adrian Rothers und J. Christopher Cohrs: Verschwörungsbewegungen
Carsten von Wissel: Die Wiederkehr des Verdrängten
Florian Hessel: Moderne Mythen
Bildung und Wissenschaft
Andreas Keller: Dauerstellen für Daueraufgaben
Christiane Fuchs und Patrick Weißler: "It‘s the economy, stupid!"
Gesellschaft
Mirjana Mitrovic:Europäischer Mauerfall
Georg Auernheimer: Identität in der Ideologie der Neuen Rechten
Dietrch Heither: Teil der akademischen Mittelschichten
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