BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Wissenschaftssystem inklusiver gestalten?

04.01.2024: Einblicke in Theorie und Praxis

  
 

Forum Wissenschaft 4/2023; Foto: Ground Picture / shutterstock.com

Anlässlich eines Vortrags in der Ringvorlesung des Hamburger Zentrums für Disability Studies (ZeDiSplus) im Wintersemester 2022/23 hat sich Miriam Block die Frage gestellt: "Wie gestalten wir das Wissenschaftssystem inklusiver?" und unterschiedliche Gedankenstränge ihrer politischen Arbeit der letzten Jahre zusammengeführt. Sie sucht nach Hebelpunkten für den Wandel und wie wir gesellschaftliche Mehrheiten erreichen können für ein inklusiveres Wissenschaftssystem und als Teil dessen eine Verankerung von kritisch-emanzipatorischer Lehr- und Forschungsbereichen.

Zunächst möchte ich meine Annahmen aus der Fragestellung transparent machen.

"Wir" - Damit meine ich uns als Gesellschaft, als Zusammenspiel von Wissenschaft, Zivilgesellschaft sowie Politik und als Teil von politischen Prozessen.

"Wissenschaftssystem" - Ich nutze den Begriff politisch als Oberbegriff, welcher sowohl alle Ebenen und Aufgaben von Hochschulen als auch außeruniversitären Forschungseinrichtungen umfasst. Ich betrachte die politische Rahmensetzung fürs Wissenschaftssystem in Deutschland, aber das System insgesamt ist natürlich global.

"inklusiver" - Angesichts der Kürze des Beitrags und meines politischen Verständnisses, dass dieses Themenfeld schrittweise bewegt werden kann, stelle ich die Frage nicht nach inklusiv, sondern inklusiver (als es jetzt ist). Ich lege in der Zieldefinition einen Inklusionsbegriff zu Grunde wie er von Sutterlütti und Meretz1 gefasst wird:

"In einer Inklusionsgesellschaft ist Inklusion nicht bloß eine ethisch-moralische Handlung, sondern wird von den gesellschaftlichen Strukturen nahegelegt. Es ist für mich subjektiv funktional, den strukturellen Nahelegungen zu folgen, weil ich auf diese Weise am besten meine Bedürfnisse befriedigen kann. Um dies zu erreichen, ist es notwendig und funktional, nicht nur die Bedürfnisse der Menschen in meinem interpersonal erreichbaren Nahumfeld einzubeziehen, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen, mit denen ich nur vermittelt verbunden bin. Damit wird der Bedürfnisbezug verallgemeinert, mein Handeln inkludiert die Bedürfnisse aller mit mir gesellschaftlich Verbundenen. Für diese allgemeine Inklusion benötigen wir eine kollektive Bedingungsverfügung und Menschen, die in ihrer Gesellschaft bewusst ihre Bedingungen gestalten. Diese Verfügung kann eine Inklusionsgesellschaft herstellen*, und dafür ist es nötig, dass wir uns die Auswirkungen unseres Handelns für andere bewusst machen können. Unsere Handlungsbedingungen werden in dem Maße kollektiv gestaltbar, wie wir sie denkend durchdringen und diese Erkenntnisse nutzen. Das verlangt, dass ich mein Bewusstsein über mein Nahumfeld hinaus auf gesellschaftliche Zusammenhänge zur Bewusstheit erweitere."

Diese Inklusion wird von Herrschaftsverhältnissen verhindert. Einerseits über personale Herrschaft, durch die Menschen anderen Menschen Gewalt androhen oder diese ausüben (physisch und/oder psychisch). Andererseits durch sachliche Herrschaft, die unabhängig von einer spezifischen Person ausgeübt werden kann und durch Strukturen aufrechterhalten wird. Es geht also unter anderem darum sowohl die zwischenmenschliche Abwertung von Menschen mit Behinderungen als auch die ableistischen Strukturen in der Gesellschaft als Teil unseres Wirtschaftssystems und gesellschaftlichen Zusammenlebens als Herrschaft zu betrachten und zu bekämpfen.

Wenn wir mit diesem Wissen einen Blick ins Wissenschaftssystem werfen, stellen wir fest, dass all die Bereiche, die diese Zusammenhänge aufdecken und gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten erforschen, marginalisiert sind. Die gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind institutionalisiert und reproduzieren sich in der Wissenschaft.

Ich spreche an dieser Stelle insbesondere aus einer Praxis-Perspektive und teilweise jahrelangen Erfahrungen/Beobachtungen im Umgang mit kritischer Psychologie, pluraler Ökonomik, Genderwissenschaften, Disability Studies, Black Studies, Indigenous Studies und emanzipatorischer Bildung für nachhaltige Entwicklung. All diese Disziplinen und Lehr-/Forschungsbereiche eint, dass sie kritisch-emanzipatorisch, wenig oder gar nicht verankert und wichtig sind. Dabei sollten sie ausgebaut werden.

Ein inklusiveres Wissenschaftssystem umfasst natürlich weit mehr als den Ausbau kritisch-emanzipatorischer Lehr- und Forschungsbereiche / Disziplinen. Die Zurückdrängung der Ökonomisierung von Wissenschaft und die vollständige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wären zum Beispiel ebenfalls nötig. Ich fokussiere im Beitrag auf den Lehr-/Forschungsbereich, auch wenn weitere Maßnahmen politisch nötig sind.

Problembereiche, die aus meiner Erfahrung einem Ausbau kritisch-emanzipatorischer Lehr- und Forschungsbereiche / Disziplinen im Weg stehen, sind:

  • Projekt statt Struktur

  • Fehlende einflussreiche hochschulinterne Verbündete

  • Konkurrenz und Exklusion statt Dauerstellen und Kooperation

  • Erschwerende Rahmenbedingungen für interdisziplinäre sowie hochschulübergreifende Zusammenarbeit und Team Teaching

  • Projekt statt Struktur

    Wenn das Ziel ist, eine Struktur aufzubauen, dann stößt die Methode ausschließlich projektgebundene finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, relativ schnell an ihre Grenze. Entweder wird von den Geldgeber*innen eine immer neue Geschichte/Begründung als Verkleidung erwartet oder die Ketten-Projekt-Förderung endet schlichtweg irgendwann, wenn andere politische Probleme ebenfalls nach kurzfristig verfügbarem Geld verlangen. Leider ist das Wissenschaftssystem und mit ihr die Hochschulfinanzierung in Deutschland so gewachsen bzw. gekürzt, dass Drittmittel strukturrelevant geworden sind. Und leider kommen viele dieser Projektförderungen auf Landes- und Bundesebene vom Staat, der stattdessen auch Struktur-Förderungen realisieren könnte. Gleichzeitig würden nach meiner Einschätzung momentan angesichts der Machtverhältnisse in der akademischen Selbstverwaltung diese Gelder zweckungebunden nur sehr unwahrscheinlich in den Ausbau herrschaftskritischer Lehr- und Forschungsbereiche fließen. Neben der Frage der Demokratisierung von Wissenschaft und Hochschule stehen alle Beteiligten also vor einer fast unmöglichen Aufgabe und wir können festhalten, dass eine wichtige Stellschraube Strukturförderung von kritisch-emanzipatorischen Lehr-/ Forschungsbereichen / Disziplinen ist. Ebenso wichtig ist die Strukturveränderung, damit es weniger individuelle Last gibt, die durch den Nachteilsausgleichs-Fokus entsteht. Zwischenschritte könnten sein: Fortbildungen für alle Lehrenden, leichter Zugriff auf Dolmetscher*innen-Budgets, kompetenter Umgang mit Barrierefreiheit als Einstellungskriterium. Außerdem ist die Anerkennung der Relevanz für die Gesellschaft auch von vermeintlich kleinen Zielgruppen nötig.

    In Hamburg befinden wir uns mitten in dem Prozess vom Projekt zur Struktur: Das ZeDiSplus ist momentan an der Evangelischen Hochschule verankert, seitdem der Uni Hamburg dies nicht mehr möglich war. Leider ist oft die Weiterfinanzierung unklar und es gibt deshalb Protest. Das ZeDiSplus leistet übergreifende Aufgaben und sollte an jeder Hochschule verankert sein. Politisch wurde deshalb als Überbrückung erneut eine Projektfinanzierung und gleichzeitig Weiterentwicklung beschlossen.

    Fehlende einflussreiche hochschulinterne Verbündete

    Wenn Stellenpläne und Ausschreibungen gemacht werden, wenn Prüfungsordnungen und Modulpläne verabschiedet werden - immer entscheiden Menschen, die im bestehenden System durchgekommen sind darüber, ob selbiges geöffnet wird für kritisch-emanzipatorische Perspektiven. Solange das Bundesverfassungsgericht die grundgesetzliche Wissenschaftsfreiheit so auslegt, dass Professor*innen mindestens in Forschungsfragen in der akademischen Selbstverwaltung eine Mehrheit haben, bleibt uns erstmal nur die aktive Suche nach hochschulinternen Verbündeten. Eine Möglichkeit ist dies über Bildungsprogramme für Menschen im bestehenden System anzugehen. Sehr wichtig finde ich dafür auch die Förderung studentischer Projekte. Aus Prozessen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung an Hochschulen wissen wir, dass studentische Projekte institutionelle Veränderungsprozesse anstoßen können2,3. Politisch arbeite ich mit den Begriffen "Wissenschaftsfreiheit in Verantwortung", um deutlich zu machen, dass Wissenschaftsfreiheit Grenzen hat (z.B. wenn gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reproduziert wird) und Wissenschaftsfreiheit erst da ist, wenn auch kritische Perspektiven nicht mehr marginalisiert sind. Vor diesem Hintergrund sind aus meiner Sicht drei weitere wichtige Stellschrauben Wissenschaftsfreiheit in Verantwortung, hochschulinterne Verbündete suchen und Förderung studentischer Projekte.

    Konkurrenz und Exklusion statt Dauerstellen und Kooperation

    Selbst wenn es keine Probleme damit gäbe Professuren mit kritisch-emanzipatorischer Denomination zu finanzieren sowie auszuschreiben, bräuchte es Menschen, die sich darauf bewerben. Angesichts von unter anderem kurzen Vertragslaufzeiten und Kettenbefristungen braucht es Sicherheiten wie eine Partnerperson mit sicherem Einkommen und/oder eine sehr große Menge Mut und Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit Unsicherheiten aushalten zu können). Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel die Schaffung von vielen Dauerstellen unterhalb der Professur, sind ein wichtiger Beitrag. Es ist aber nicht nur wichtig, dass Menschen sich auf entsprechende Stellen bewerben können, sondern auch eine realistische Chance haben sich durchsetzen zu können. Das momentane Auswahlsystem verkennt aus meiner Sicht, dass Kriterien wie Anzahl an (großen) Drittmittelprojekten und Anzahl an Publikationen mit hohem Impact-Faktor primär erreichbar sind für Menschen, die im Schwerpunkt systemimmanent arbeiten. Es findet Exklusion statt, auch vor dem Hintergrund von zum Beispiel Zugangsschwierigkeiten zu Auslandsaufenthalt unter anderem je nach gesundheitlicher und finanzieller Situation. Zwar gibt es z.B. extra finanzielle Förderung für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen für Erasmus+ Aufenthalte, jedoch erfordert auch dies mehr Aufwand und ist auch gesundheitlich nicht für alle möglich. Die Evaluation von kritisch-emanzipatorischer Lehre und Forschung ist wichtig für die Qualitätssicherung, gleichzeitig sind nicht alle bisher etablierten Indikatoren dafür passend. Generell ist es nötig den Leistungsbegriff so zu verändern, dass er gerecht und an Teilhabe orientiert ist oder die Orientierung daran grundsätzlich hinterfragt und zwar von Zugänglichkeit von Hochschulbildung über Studium/Prüfungen bis hin zu Einstellungsverfahren. Die Verfahren zu Auswahlkriterien und zur wissenschaftsinternen Qualitätssicherung weiterzuentwickeln sehe ich primär in wissenschaftsinterner Verantwortung.

    Einen weiteren wichtigen Aspekt sehe ich in der Kooperation, welche direkt vor einer großen Herausforderung steht: Wissenschaftler*innen, die sich jeweils auf unterschiedliche und spezifische Denkstile spezialisiert haben, können sich möglicherweise gegenseitig kaum verstehen, da die genutzten Begriffe unterschiedlich verstanden werden. Ihre gerichtete Wahrnehmung umfasst, was als Gegenstand bzw. Problem der passenden Methode und Evidenz gilt, und prägt eventuell auch den Schreibstil.4 Hinzu kommt, dass das Wissenschaftssystem in Deutschland zergliedert ist und den immer höheren Spezialisierungsgrad von Wissenschaftler*innen fordert sowie fördert.5 Vor diesem Hintergrund finde ich einerseits deutlich, dass Interdisziplinarität Strukturen aufbrechen kann und andererseits möglicherweise das Aufstellen einer eigenen interdisziplinären Disziplin besser in die bestehende Logik passt. In jedem Fall ist eine explizite Beschäftigung mit interdisziplinärer Zusammenarbeit und wie diese gefördert werden kann wichtig. Zusammenfassend zu diesem Punkt wären die nötigen Stellschrauben aus meiner Sicht also bessere Arbeitsbedingungen, die inklusive Weiterentwicklung wissenschaftsinterner Qualitätssicherung und die Förderung von Interdisziplinarität.

    Hemmnisse für die Zusammenarbeit

    Zu den bereits benannten Rahmenbedingungen kommt, dass viele der kritisch-emanzipatorischen Lehr-/ Forschungsbereiche interdisziplinär und hochschulübergreifend arbeiten. Da ist in den letzten Jahren einiges passiert, aber momentan bedeutet so zu arbeiten für Hochschulmitglieder noch Mehraufwand. Ein Beispiel: In der Verordnung, die in Hamburg regelt, wie viel Deputat pro Lehrveranstaltung angerechnet wird, wurde für interdisziplinäres Team Teaching über lange Zeit nur die Hälfte. Inzwischen steht dort "Lehrveranstaltungen, an denen zwei oder mehr Lehrpersonen beteiligt sind, werden diesen grundsätzlich entsprechend dem Maß ihrer Lehrbeteiligung anteilig angerechnet."6 Damit ist es eine Aushandlung mit den eigenen Vorgesetzten bzw. im eigenen Fachbereich, ob eine Lehrveranstaltung mit zwei Lehrenden voll auf das jeweilige Lehrdeputat angerechnet wird. Hinzu kommt, dass fakultätsübergreifende und insbesondere hochschulübergreifende Zusammenarbeit gar nicht berücksichtigt wird. Dabei ist es enorm aufwendig letztlich mit jedem einzelnen Studienbüro und jedem dafür zuständigen Hochschulgremium zu sprechen, ob eine Lehrveranstaltung dort verankert werden kann. Ich frage mich deshalb seit längerem, ob in jeder Hochschule ein Studienbüro für übergreifende Lehre (sowohl hochschulintern koordinierend als auch mit anderen Akteuer*innen in der Stadt) nötig wäre und aus Sicht der Hochschulmitglieder die Prozesse vereinfachen würde. Es müsste klar sein, dass es eine Zusatz-Unterstützung ist und nicht die Fachbereiche vor Ort einschränken soll in ihrer Handlungsfähigkeit. Möglicherweise wäre auch für die strukturelle Verankerung von kritisch-emanzipatorischen Lehr-/ Forschungsbereichen / Disziplinen wie zum Beispiel Gender Studies und Disability Studies ein Kooperationsvertrag mit möglichst allen Hochschulen in einem Bundesland und wo möglich auch eine Anbindung an einzelne außeruniversitäre Forschungseinrichtungen denkbar. Denn in den Verhandlungen so eines Kooperationsvertrags kämen sicherlich auch oben genannte Problembereiche wieder vor. Es könnte sein, dass das Kapazitätsrecht verändert werden müsste oder einzelnen Maßnahmen verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind. Wenn diese Lehre organisatorisch vereinfacht wurde, ist es nötig im Rahmen des Studienplans auch entsprechend Zeit der Studierenden dafür einzuteilen. An der Uni Hamburg habe ich die Bestrebungen für ein Studium Generale mitbegleitet und freue mich, dass es vorangeht. Mein Eindruck ist, dass an mehreren Hochschulen gerade Bewegung reinkommt. Nichtsdestotrotz bleibt ein ganz entscheidender Faktor die Diskussion in der Fachgesellschaft, was Teil des Kanonwissens ist und was davon in welchem Studienabschnitt für alle Studierenden des Studiengangs wichtig zu erlernen ist.

    Im Sinne der SDGs und auch im Sinne einer emanzipatorischen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)7 ist Inklusion ein wichtiger Aspekt von nachhaltiger Entwicklung. Hamburg hat den Nationalen Aktionsplan BNE in einen Hamburger Masterplan BNE8 übersetzt und mit etwas Geld hinterlegt. Dort arbeiten in verschiedenen Themengruppen Wissenschaftler*innen, Zivilgesellschaft, Schüler*innen, Studierende und Behördenmitarbeiter*innen an Maßnahmen und deren Umsetzung. Insofern könnte es sinnvoll sein die Verankerung von zum Beispiel Disability Studies in die Evaluation des Masterplan Bildung für nachhaltige Entwicklung einzubringen und in den Bundesländern ohne solche Pläne diese einzufordern.

    Meinen hochschulpolitischen Erfahrungen und Beobachtungen nach gibt es eine größere politische Bereitschaft (in der Wissenschaft und in der Politik) die Formen der Interdisziplinarität zu fördern, die Expertise auf Nachfrage zur Verfügung stellen oder ein gemeinsames Erarbeiten mit der Zivilgesellschaft bedeuten (Interdisziplinaritäts-Definition nach Potthast9). Gerade im Bereich Transfer werden zunehmend Förderprogramme aufgelegt, allerdings oft mit großer Nähe zur Wirtschaft: Es werden momentan politisch eher Zusammenarbeit mit und Gründung von StartUps gefördert als mit NGOs, Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen und nach Mit-Forscher*innen-Prinzip. Wenn durch dieses Transferverständnis eine Verstärkung der Ökonomisierung von Hochschulen entsteht, wäre es ein Rückschritt gegenüber dem zu Beginn eingeführten Inklusionsbegriff. In jedem Fall notwendig ist es die Bedeutung von Wissenschaft und kritisch-emanzipatorischer Perspektiven in der Gesellschaft zu stärken.

    Zusammenfassend würde ich als Stellschrauben für erleichternde Rahmenbedingungen für interdisziplinäre und hochschulübergreifende Zusammenarbeit benennen: Bedeutung von Wissenschaft stärken; Zusammendenken mit BNE, Zeitaufwand anerkennen und belohnen statt bestrafen; Vereinfachung der Verwaltungsprozesse und Kooperationsvertrag für übergreifende Lehre, Studium Generale fördern, Kanonwissen-Diskussionen beeinflussen, Ökonomisierung zurückdrängen und kritisch-emanzipatorische Perspektiven stärken.

    All die benannten Stellschrauben finde ich wichtig in unseren unterschiedlichen Rollen zu bearbeiten. Und falls Sie bisher noch nicht hochschulpolitisch aktiv sind, freue ich mich, wenn dieser Beitrag Motivation sein kann zum Fachschaftsrat, der Gewerkschaft, dem AStA, einem Gremium der akademischen Selbstverwaltung oder in politischen Organisationen aktiv zu werden.

    Anmerkungen

    1) Simon Sutterlütti / Stefan Meretz 2018: Kapitalismus aufheben, Hamburg.

    2) M. A. Drupp, et al. 2012: "Change from below - student initiatives for universities in sustainable development", in: In W. Leal Filho (Ed.): Sustainable development at universities: New horizons, Frankfurt.

    3) M. Block et al. 2016: "Dies Oecologicus - how to foster a whole institutional change with a student-led project as tipping point for sustainable development at universities", in: W. Leal & P. Pace (Eds.), Teaching education for sustainable development at university level (pp. 341-355). Hamburg.

    4) P. W. Balsiger 2005: Transdiziplinarität. Systemisch-vergleichende Untersuchung disziplinenübergreifender Wissenschaftspraxis, München.

    5) Lehrverpflichtungsverordnung Paragraph 7 www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/jlr-BerHSchulLVerpflVHApP7/part/S (zuletzt abgerufen am 28.11.2023)

    6) M. Rieckmann 2016: "Kompetenzentwicklungsprozesse in der Bildung für nachhaltige Entwicklung erfassen: Überblick über ein heterogenes Forschungsfeld", in: M. Barth & M. Rieckmann (Hg.): Empirische Forschung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung - Themen, Methoden und Trends (S. 89-109). Opladen, Berlin & Toronto.

    7) Mehr Informationen zum Masterplan BNE www.hamburger-klimaschutzstiftung.de/projekte/masterplan-bne/ (zuletzt abgerufen am 28.11.2023)

    8) Potthast (2010) unterscheidet inhaltlich zwischen a) Expertise auf Nachfrage geben b) nebeneinander arbeiten c) gemeinsames Erarbeiten d) zusammen mit Zivilgesellschaft arbeiten. Nebeneinander arbeiten ist häufig unter dem Begriff Multidisziplinarität sowie das Arbeiten mit der Zivilgesellschaft als Transdisziplinarität bekannt. T. Potthast 2010: "Epistemisch-moralische Hybride und das Problem interdisziplinärer Urteilsbildung", in: In M. Jungert et al. (Hg.): Interdisziplinarität. Theorie, Praxis, Probleme (S. 174-191). Darmstadt.

    9) s. Anm. 2.

    Miriam Block ist Psychologin / psychologisch-soziale Beraterin in einer Einrichtung für Erwerbslose und Geringverdienende sowie Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Sie ist Mitglied im Beirat des BdWi und hat ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich feministische Wissenschaftspolitik, Bildung für nachhaltige Entwicklung und Antifaschismus.

    Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion