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Negativbilanz eines Freilandversuchs

25.11.2010: Zur Geschichte der Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen

  
 

Forum Wissenschaft 4/2010; Foto: Thomas Plaßmann

Zu den zentralen Wahlkampfversprechen der neuen rotgrünen Landesregierung von NRW gehört die Abschaffung von Studiengebühren. Mit deren abrupter Einführung 2007 waren auf einen Schlag fast ein Drittel aller Studierenden in Deutschland diesem ,Experiment' ausgesetzt. Für Kurt Stiegler und Lea Hagedorn der Anlass, eine erste Bilanz zu ziehen.

Im April 2002 beschloss der deutsche Bundestag eine lang erwartete und hart umkämpfte Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG). Wesentlich in dieser war das Verbot von Studiengebühren im ersten berufsqualifizierenden Studium. Gerhard Schröder hatte die Novelle beim Regierungsantritt 1998 bereits versprochen. Edelgard Bulmahn, die damalige Bildungsministerin, konnte sich allerdings nur zum Teil durchsetzen, denn ein generelles Studiengebührenverbot scheiterte insbesondere am Widerstand der Länder. Thomas Oppermann, damals niedersächsischer Wissenschaftsminister der SPD, hatte schon nach dem Start der neuen Bundesregierung begonnen, Studiengebühren als positive Option zu diskutieren. Als Reaktion auf diesen politischen Umschwung wurde 1999 das ABS (Aktionsbündnis gegen Studiengebühren) gegründet. Die politische Konstellation der damaligen Zeit ist recht gut in dessen Gründungsurkunde, dem Krefelder Aufruf, beschrieben.1

Erste Testgruppe: Langzeitstudierende

Drei Wochen nach der HRG-Novelle 2002 sprachen sich der damalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, und sein Finanzminister Peer Steinbrück für die Einführung von Langzeitstudiengebühren in Höhe von 650 Euro pro Semester aus. Die Asten waren negativ überrascht. Niemand konnte so recht glauben, dass ausgerechnet die rot-grüne Landesregierung Langzeitstudiengebühren einführen wollte. Diese hatten auch überhaupt keinen bildungspolitischen Hintergrund - sie sollten lediglich ein Haushaltsloch von 137 Millionen Euro, welches vor allem infolge einer ,Reform' der Körperschaftssteuer durch die politisch gleichfarbige Bundesregierung entstanden war, durch kreative Mehreinnahmen stopfen.

Die rot-grüne Landesregierung hatte allerdings nicht mit den sehr starken Protesten gerechnet: Unter dem Motto "Wer jetzt nicht handelt, wird verkauft!" versammelten sich in Düsseldorf über 35.000 Studierende. Dies führte zunächst dazu, dass niemand mehr (bis auf den Finanzminister) Langzeitstudiengebühren öffentlich vertreten wollte.

Hiermit war die Diskussion allerdings noch nicht zu Ende. Insbesondere die Grünen setzten sich bald darauf für das Modell der Studienkonten ein. Dieses sah vor, dass Studierende ein Studienguthaben besitzen sollten, welches sie innerhalb der 1,5-fachen Regelstudienzeit zu verbrauchen hatten - danach waren 650 Euro Studiengebühren fällig. Darüber hinaus war vom Finanzminister eine Einschreibegebühr von 50 Euro vorgesehen sowie die Kürzung des allgemeinen Zuschusses bei den Studentenwerken.

In der Landtagsanhörung zum Studienkonten- und -finanzierungsgesetz wurde deutlich, dass die Einschreibegebühren von 50 Euro rechtlich nicht haltbar wären, da sie dem Aufwand der Einschreibung nicht entsprächen. Außerdem war aus rechtlicher Sicht die Einführung von Studiengebühren im Jahre 2003 nicht möglich, da diese mit dem Vertrauensschutz der Studierenden, die unter der Bedingung der Gebührenfreiheit ihr Studium aufgenommen hatten, nicht vereinbar sei. Nachdem Wolfgang Clement 2002 nach Berlin gegangen war, entschied sich der neue Ministerpräsident Steinbrück für die Einführung von Studienkonten im Jahr 2004.

Dieser Paradigmenwechsel fand in der rot-grünen Koalition damals breite Zustimmung. Sie verkaufte das Studienkontenmodell nicht als Kompromiss, sondern als sinnvollen Beitrag zur Hochschulfinanzierung, und verteidigte es hartnäckig. In gewisser Hinsicht war das Studienkontenmodell in NRW ein Dammbruch, denn es stellte die künstliche Verknappung von öffentlicher Bildung dar. Somit war der erste Schritt zur Einführung allgemeiner Studiengebühren getan.

Am 26.1.2005 entschied das Bundesverfassungsgericht auf Antrag einiger unionsgeführter Länder, dass die Bundesregierung den Ländern nicht verbieten könne, allgemeine Studiengebühren einzuführen. Damit war der Weg für ein gebührenpflichtiges Studium endgültig geebnet.

Die siegreichen Unionsländer interpretierten das Urteil am 19.3.2005 in einem Eckpunktepapier. Hiernach sollte die Obergrenze von Studiengebühren 500 Euro betragen, und sie sollten durch Darlehen abgefedert werden. Im Wesentlichen funktionieren auch heute noch alle existierenden Studiengebührenmodelle in Deutschland nach diesem Prinzip.

Wenn schon denn schon: allgemeine Studiengebühren

Als in Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal seit 1966 ab 2005 wieder eine schwarz-gelbe Koalition regierte, begann die Diskussion um allgemeine Studiengebühren konkret zu werden. Die FDP forderte mit ihrem neuen Innovationsminister, Andreas Pinkwart, sofort deren Einführung.

Die Vorstellung, der Staat habe seine Hochschulen ausreichend zu finanzieren, wich schnell dem Gedanken, dass Studierende Bildung als konsumierte Dienstleistung selber zahlen sollten. Damit wurde die Frage der Hochschulfinanzierung unmittelbar mit Studiengebühren verknüpft. Hochschulbildung hatte nun keinen gesamtgesellschaftlichen Wert mehr, sondern wurde zunehmend als private Investition in das eigene Humankapital, förderlich nur für die persönliche Karriere, propagiert. Somit erscheint es gerecht, wenn der einzelne Student anstelle des Staates für den Ausbildungsbetrieb Hochschule aufkommt.

Andreas Pinkwart verkaufte die allgemeinen Studiengebühren auf diese Weise als Verbesserung der Lehre.

Der Innovationsminister machte sich allerdings einen schlanken Fuß und überließ die Einführung und die damit zu erwartenden politischen und sozialen Auseinandersetzungen den einzelnen Hochschulen. Sein ,Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetz' (HFGG) regelte, dass jede einzelne Hochschule ,autonom' entscheiden könne, ob und in welcher Höhe bis maximal 500 Euro sie Studiengebühren erheben wolle. Die logische Konsequenz: Um einen (finanziellen) Wettbewerbsnachteil zu vermeiden führten fast alle Hochschulen Studiengebühren in Höhe von 500 Euro ein.

Während der Einführungsphase kam eine neue Aktionsform auf - die Rektoratsbesetzung. Zuerst erprobt in Köln, breitete sie sich rasch aus, und schnell verschärften sich die Proteste - so wurden Senatssitzungen der Universität Münster mehrfach "gesprengt", und in Bielefeld brannte bald darauf das Auto des Rektors.

Die Form der Einführung dividierte Studierende, Rektorate und Senate systematisch weiter auseinander. Studierendenproteste werden seitdem schnell als Angriff auf die öffentliche Ordnung wahrgenommen und im Zweifel mit Polizeigewalt bekämpft.

Erfolgloses Klagen

Klagen gegen Studiengebühren blieben weitgehend erfolglos. Die Studierenden stützten sich im Wesentlichen auf den UN-Sozialpakt, der eine "allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit der Hochschulbildung" verspricht. Bei der Auslegung streiten sich Juristen um die Frage, ob der Pakt nur programmatisch gemeint oder unmittelbar geltendes Bundesgesetz sei, aus dem sich ein Studiengebührenverbot ergibt. Bis jetzt ist die Meinung der Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht eindeutig zu ungunsten der Studierenden ausgefallen.

Auch bei der Einführung von allgemeinen Studiengebühren in NRW wurde während der Landtagsanhörung des HFGG über die Auslegung des Sozialpaktes debattiert. Prof. Pierot aus Münster vertrat die Auffassung, dass allgemeine Studiengebühren mit dem Pakt vereinbar seien, allerdings dürften die Zinsen für die Studiengebühren-Darlehen nicht zu hoch sein, da die Darlehensnehmer ansonsten gegenüber den direkt bezahlenden Studierenden benachteiligt wären. Dieses von der SPD in Auftrag gegebene Gutachten führte dazu, dass die SPD nicht wie versprochen vorm Landesverfassungsgericht gegen Studiengebühren klagte. Als Begründung gab man an, Studiengebühren nicht zementieren zu wollen, wie die damalige Oppositionsführerin Hannelore Kraft dem AStA der Uni Münster auf Anfrage mitteilte.

Die letzte Klage ist noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Wie sich aber in Hessen gezeigt hat, scheinen politische Proteste einen vielversprechenderen Weg zur Abschaffung allgemeiner Studiengebühren darzustellen als der alleinige juristische. Dort hatten Demonstrationen, Autobahnblockaden, Studiengebührenboykott und eine Popularklage letztlich einen erfolgreichen Druck auf die Parteien im Land ausgeübt.

Gebühren im hochschulpolitischen Alltag

Nach der Einführung von allgemeinen Studiengebühren entwickelten sich in den Hochschulen heftige Verteilungskonflikte. Der bereits bestehende Zwist zwischen so genannten "produktiven" und ob der benötigten Ausstattung teuren naturwissenschaftlichen Fächern, und den im Vergleich günstigeren, aber chronisch unterfinanzierten Geisteswissenschaften verschärfte sich weiter. Auch stand die Frage im Raum, wie man die Lehre effizient verbessern könnte, ohne ausreichend prüfungsberechtigtes wissenschaftliches Personal einzustellen, die für ein größeres Lehrangebot hätten Sorge tragen können. Die eigentlichen Probleme wie überfüllte Veranstaltungen und lange Wartezeiten bei wichtigen Prüfungen konnten im Rahmen des HFGG kaum gelöst werden, da neue Professorenstellen aufgrund der Kapazitätsverordnung nur im begrenzten Umfang eingerichtet werden durften. Außerdem war es wegen der nicht einplanbaren Höhe der Einnahmen durch Studiengebühren nicht möglich, reguläre Stellen einzurichten. Die aus Studiengebühren finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeiter arbeiteten überwiegend unter prekären Bedingungen. Man vergab die Mittel zu größeren Teilen für einmalige Anschaffungen, befristete Einstellungen von studentischen Hilfskräften und wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die Öffnungszeiten von Bibliotheken wurden verlängert, Institute mit neuen technischen Hilfsmitteln ausgestattet, Tutorien eingerichtet und diverse Einzelprojekte gefördert.

Die Verteilung der Gebühren spaltete aber auch die, ohnehin heterogene, Studierendenschaft bei der Frage, ob man sich in den entsprechenden Kommissionen beteiligen sollte, um die Vergabe mitbestimmen zu können, oder ob dies abzulehnen sei, um nicht mit den eigenen Zielen einer öffentlich finanzierten Hochschullandschaft in Konflikt zu geraten.

Als Resümee lässt sich sagen, dass Studiengebühren die strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen konserviert haben. In einzelnen Bereichen der Lehre wurden zwar Verbesserungen erreicht, die eigentlichen Probleme konnten aber nicht gelöst werden.

Auch der neoliberale Grundgedanke, dass ein Studium eine private Investition des Einzelnen in sein Humankapital darstelle und es somit ungerecht sei, wenn dies allein durch öffentliche Gelder finanziert werde - polemisiert in der Aussage, die Putzfrau bezahle mit ihren Steuern die Ausbildung des Arztsohnes -, wurde in letzter Konsequenz nicht umgesetzt. Denn bei dem aktuellen Gebührenmodell sieht die Verteilung vor, dass die kostenintensiveren Fächer einen größeren Teil zugewiesen bekommen als die geisteswissenschaftlichen. Die Folge ist etwa, dass ein Germanist dem Physiker mit seinen Gebühren das Studium mitfinanziert. Würde man hier konsequent sein wollen, müsste man die Gebühren an die Kosten des jeweiligen Studiengangs anpassen. So müsste ein Medizinstudium deutlich teurer sein als das Studium eines Historikers. Wenn auf diese Weise nur noch ein äußerst geringer Teil der Bevölkerung aufgrund enormer Kosten sich dazu entschließen würde, die Laufbahn eines Arztes, Ingenieurs etc. einzuschlagen, dürfte der gesamtgesellschaftliche Schaden gerade in Zeiten akuten Fachkräftemangels recht hoch ausfallen. Die volkswirtschaftliche Bilanz wäre auch unter finanziellen Gesichtpunkten wesentlich negativer und könnte mit kurzfristigen Entlastungseffekten öffentlicher Haushalte durch Studiengebühren nicht aufgewogen werden. Es scheint also doch so zu sein, dass es nicht nur im Interesse jedes einzelnen ist, eine Hochschule erfolgreich zu besuchen, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen zu erkennen ist; und somit ist die Forderung nach einer öffentlich finanzierten Hochschule ebenso berechtigt wie die nach Krankenhäusern, Schulen und einer sozialen Infrastruktur.

Die von dem Bildungsökonomen Dieter Dohmen erneut angestoßene Diskussion einer Akademikerabgabe (Spiegel-online 9.9.2010)2 ist aus dieser Perspektive völlig unverständlich. Wenn es tatsächlich so ist, dass Akademiker ein höheres Einkommen haben, dann müssten sie durch höhere Steuern bereits einen höheren Beitrag zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben leisten. Hochschulfinanzierung ist somit eigentlich ein Problem gerechter Steuerpolitik, nicht Aufgabe des Einzelnen.

Ende in Sicht?

Die neue Landesregierung möchte die Studiengebühren 2011/12 abschaffen. Die Gelder, die derzeit durch Studiengebühren an die Hochschulen fließen, sollen aus dem Haushalt des Landes kompensiert werden - und zwar mit einer Summe in Höhe von 249 Millionen Euro.

Jedoch üben die Hochschulleitungen extremen Druck auf die beteiligten Akteure aus und argumentieren, dass diese Summe nicht ausreichen würde und so bereits finanzierte Stellen abgebaut werden müssten. Hier werden prekarisierte Mitarbeiter und Studierende gegen die Abschaffung von Studiengebühren instrumentalisiert. Die Hochschulleitungen sind nicht in der Lage, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Hochschule zu erkennen und dementsprechend bildungspolitisch zu argumentieren. Bei der aktuellen Debatte verlieren alle Beteiligten die Frage nach einer ausreichenden Grundfinanzierung aus den Augen.

Die Erkenntnis, dass es notwendig ist, einer breiten Bevölkerungsschicht Hochschulbildung zu ermöglichen und die Bildungschancen von finanziell weniger privilegierten Gesellschaftsschichten zu fördern und nicht weiter zu behindern, hat sich noch nicht durchgesetzt. Dies lässt sich, an der halbherzigen Abschaffung der Studiengebühren durch die Landesregierung an Diskussionsbeiträgen über alternative Gebührenmodelle und die anhaltende Weigerung der Politik, Hochschulen ausreichend durch öffentliche Mittel zu finanzieren, festmachen. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es anscheinend weiteren politischen Druckes.

Anmerkungen

1) www.abs-bund.de/aktionsbuendnis/krefelder-aufruf/

2) www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,716157,00.html



Kurt Stiegler: Student (Politik) an der Universität Münster (Mitglied der Grünen) - Lea Hagedorn: Studentin (Kunstgeschichte) an der Universität Münster

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