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Klaus Holzkamp

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Kein Gnadenakt des Finanzamtes

13.04.2020: Gemeinnützigkeit ein Ergebnis demokratischen zivilgesellschaftlichem Engagements

  
 

Forum Wissenschaft 1/2020; Foto: Gorodenkoff / Shutterstock.com

Im vergangenen Jahr häuften sich die Fälle, in denen regierungskritischen, zum Teil linken, Organisationen von verschiedenen Finanzämtern die steuerliche Gemeinnützigkeit aberkannt oder dies angedroht wurde. Dies führte zu massiven zivilgesellschaftlichen Protestaktionen. Zugleich entstand damit aber auch der Bedarf nach einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte über den Reformbedarf des Gemeinnützigkeitsrechts. Andreas Fisahn und Thomas Schmidt skizzieren die wichtigsten Punkte.

Die bekanntesten Beispiele für die Angriffe der Finanzbehörden sind Attac, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die Kampagnen- und Petitionsplattformen change.org oder Campact sowie das Demokratische Zentrum, ein Verein für politische und kulturelle Bildung in Ludwigsburg/Baden-Württemberg. Auch am Frauenverband Courage e.V. versuchte sich das Finanzamt bereits 2010 und 2011, scheiterte damit aber jetzt vor dem Finanzgericht Düsseldorf. Der Versuch, der Deutschen Umwelthilfe das Recht auf Verbraucherschutzklagen zu entziehen, ist vor dem BGH gescheitert. Die CDU hat unverdrossen beschlossen, auch deren Gemeinnützigkeit überprüfen und sie nicht mehr mit Bundesmitteln fördern zu lassen.

Die steuerliche Gemeinnützigkeit dieser Organisationen war in den meisten Fällen schon seit vielen Jahren anerkannt.

Warum gerade jetzt?

Es kann kein Zufall sein, dass zeitgleich staatlicherseits versucht wird, aktiven Organisationen, die sich gegen Rassismus, für Rechte der Frauen, gegen neoliberale Politik und für soziale Ziele, für Umweltschutz einsetzen oder demokratische Bildungsarbeit leisten, die wirtschaftlichen Grundlagen für ihre Betätigung zu entziehen. Nachdem die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Attac jahrelang den alten Regeln gefolgt war, die vom Finanzgericht Kassel bestätigt worden waren, ist zu vermuten, dass nicht ein Finanzamtsdirektor plötzlich seinen Widerwillen gegen Attac entdeckte, sondern der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble. Ziel ist es offenbar, politisch unbequeme Organisationen wirtschaftlich zu schwächen. Lebendige Demokratie wird als Risikofaktor verstanden.

Gesellschaftspolitische und steuerrechtliche Gemeinnützigkeit

In der Darstellung dieser Fälle in den Medien wird oft nicht unterschieden zwischen gesellschaftspolitischer Gemeinnützigkeit und steuerrechtlich anerkannter Gemeinnützigkeit. Viele Vereine, die gesellschaftspolitisch gemeinnützig sind, haben nie die steuerrechtliche Anerkennung der Gemeinnützigkeit beantragt und deswegen auch nicht erhalten. Der Katalog von Aktivitäten in der Abgabenordnung, die aus Sicht des Gesetzgebers steuerrechtlich gemeinnützig sind, spiegelt eher den Versuch wider, bestimmte Wählergruppen steuerrechtlich zu privilegieren. Eine systematische Zusammenstellung gesellschaftspolitisch gemeinnütziger Aktivitäten findet sich in der Abgabenordnung nicht.

Begründungen für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit

Die Begründungen für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit sind bei den genannten Vereinen unterschiedlich.

Attac, gegründet im Jahr 2000, kämpft seit 2015 gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Das hessische Finanzgericht in Kassel hatte der Klage des globalisierungskritischen Netzwerks stattgegeben und Attac als gemeinnützig eingestuft. Dagegen ging das Finanzamt Frankfurt auf Veranlassung des Bundesfinanzministeriums erfolgreich in die Revision. Der Bundesfinanzhof entschied 2019: "Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck i.S. von §52AO." Liest man die Abgabenordnung, überrascht dieses Ergebnis: "Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern." Der Bundesfinanzhof wirft Attac vor, "politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen". Attac betreibe Tagespolitik und keine politische Bildung, der tagespolitische Einsatz könne aber die Gemeinnützigkeit nicht rechtfertigen, schließe sie vielmehr aus.1

Bei Campact führt das Finanzamt an, die Organisation sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig gewesen, die durchgeführten Kampagnen hätten keinem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden können.

Dem VVN-BdA-Dachverband in Berlin ist die steuerrechtliche Gemeinnützigkeit aberkannt worden, weil ihre bayerische Mitgliedsorganisation im Bayerischen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch beeinflusst erwähnt wird.

Bei change.org (Deutschland) lautet die Begründung des Finanzamtes, dass der Verein "überwiegend politische oder gar Einzelinteressen" verfolge.

Wirkung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit

Durch die Aberkennung der steuerlichen Gemeinnützigkeit werden die betroffenen Vereine bei entsprechend hohen Einnahmen körperschafts- und gewerbesteuerpflichtig und unterliegen einem erhöhten Umsatzsteuersatz. Dies gilt auch für die Vergangenheit. Sie verlieren das Recht Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden können dann nicht mehr in der Einkommensteuererklärung der Spender in Ansatz gebracht werden, was insbesondere für besser Verdienende die Spendenfreudigkeit vermindern kann.

Beim Entzug der Gemeinnützigkeit geht es aber nicht nur um den Verlust von Steuerprivilegien: Es geht auch um den dann möglichen Verlust öffentlicher und privater Fördermittel, um das Ansehen in der Öffentlichkeit.

Verstoß gegen Grundgesetz, Europarecht, Völkerrecht

Die Vereinigungsfreiheit und die damit verbundene Betätigungsfreiheit gehört zu den elementaren Grundrechten. Sie ist vom Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie diversen völkerrechtlichen Verträgen garantiert. Die Vereinigungsfreiheit ist ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie, indem sie den Bürgern neben der Teilnahme an Wahlen ermöglicht, am politischen Willensbildungsprozess teilzunehmen.

Auch wenn die Vereine nach der Aberkennung der Gemeinnützigkeit rechtlich fortbestehen können, beinhaltet die finanzielle Schädigung eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Betätigungsfreiheit. Nur wenn der Eingriff gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, darf er erfolgen. Daran bestehen aber in den genannten Fällen erhebliche Zweifel. Die Abgabenordnung ist zu unbestimmt und undifferenziert. Sie verstößt damit gegen den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz in Art.20Abs. 2GG. Vereine erhalten dadurch keine klare Vorgabe, um erkennen zu können, ob ihr Verhalten zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen kann. Dies gilt umso mehr, als die hier genannten Vereine jahrelang von den Finanzämtern unbehelligt ihre Aktivitäten verfolgen konnten und plötzlich und unerwartet durch eine Änderung des Anwendungserlasses ein Bewertungsumschwung erfolgte.

Der Katalog der von der Abgabenordnung als gemeinnützig anerkannten Betätigungen ist zufällig und willkürlich und verstößt damit gegen den Gleichheitsgrundsatz, ebenfalls ein fundamentales Grundrecht im Grundgesetz und zahlreichen europäischen und internationalen Verträgen.

Der Fall Attac

Das Urteil des BFH gegen Attac schafft mehr Unklarheiten, als dass es Rechtssicherheit in der Frage der Gemeinnützigkeit bringt. Politische Bildungsarbeit, die zur Gemeinnützigkeit führt, solle "objektiv und neutral" sein. Das sei, meinte der BFH, nicht der Fall. Nun lässt sich schon darüber streiten, ob der BFH nicht etwas Unmögliches verlangt, denn das hat sich inzwischen herumgesprochen: Wissenschaft ist niemals neutral und Bildungsarbeit auch nicht, vor allem ist sie schlecht, wenn sie neutral ist. Wichtiger ist aber, dass der BFH nicht sieht, dass in einer pluralistischen Demokratie nicht jedes einzelne Bildungsangebot neutral sein muss, sondern die Bürger ermächtigt werden, sich aus verschiedenen Quellen, die durchaus einen Standpunkt vertreten sollen, informieren zu können und sich aus den widersprechenden oder gegensätzlichen Angeboten ihre Meinung bilden zu können. Das ist der Sinn der Vereinigungsfreiheit im Grundgesetz (Art.9Abs.1) und in den europäischen und völkerrechtlichen Menschenrechtsverträgen (Art.12Abs.1GRC, Art.11EMRK) - die Demokratie wird gefördert, wenn zivilgesellschaftliche Vereinigungen ihre Meinung äußern und verbreiten können. Aus dieser Perspektive ist es schwer nachvollziehbar, dass die Abgabenordnung Karnevalsvereine oder einen Verein zur Förderung des Schießsports, solange nicht das Schießen auf Menschen simuliert wird (BFH mit Urteil v. 27.9.2018 (V R48/16)) als gemeinnützig anerkennt, nicht aber Vereine wie Attac, die politische Bildungsarbeit betreiben, die allerdings nicht neutral und objektiv ist und auch nicht sein sollte.

Ähnliches gilt für die Abgrenzung der politischen Tätigkeit von der "allgemeine[n] Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes." Letzteres ist nämlich nach § 52 Abs. 2 Nr 24 AO eine Voraussetzung für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Im Urteil des BFH wird nicht wirklich klar, ob nur die tagespolitische, oder schon die politische Tätigkeit an sich nicht unter die Nr. 24 AO fallen kann. Vor allem: Wie soll man sich eine "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens" vorstellen, die nicht politisch ist. Weil der BFH sich das wohl selbst gefragt hat, unterscheidet er - nicht durchgehend - zwischen tagespolitisch und allgemeinpolitisch. Aber wo verläuft die Grenze? Das Eintreten für Demokratie kann sehr tagespolitisch werden, wenn man beispielsweise an den Kampf gegen Faschisten in der AfD denkt - ist das eine allgemeinpolitische Stellungnahme für die Demokratie, solange sie auf der Ebene der Sonntagsreden bleibt und wird es tagespolitisch, wenn es praktisch und konkret wird, etwa wenn gegen einen NPD-Mann als Bürgermeister opponiert wird? Das ist ziemlicher Unsinn und verkennt die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für die Demokratie.

Der Fall VVN-BdA

Der VVN-BdA wird die Gemeinnützigkeit aberkannt, obwohl sie sich nachweislich gemeinnützig betätigt, indem sie das Andenken an die Verfolgten des Naziregimes pflegt und gegen das Wiedererstarken rechtsextremer Ideologie kämpft. Ihr wird vorgeworfen linksextremistisch beeinflusst zu sein.

Ein suspekter Verein wie Uniter, der nach fundierten Recherchen der taz in Verdacht steht, eng in Verbindung mit dem rechtsextremen "Hannibal"-Netzwerk zu stehen, erhält dagegen die steuerliche Gemeinnützigkeit zugesprochen.

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit auf den Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern zu stützen, kann nur dazu führen, dass man sich verwundert die Augen reibt. Ein Blick in die Abgabenordnung (§ 51 Abs. 3) zeigt dann aber, dass hier der Gesetzgeber des kalten Krieges am Werke war. Dort heißt es: Bei "Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen," dass sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgen und deshalb nicht gefördert werden dürfen.

Das Finanzamt hat zudem den Bericht des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz und den Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums nicht sorgfältig gelesen. Die VVN-BdA wird im Verfassungsschutzbericht als "linksextrem beeinflusst" bezeichnet. Der Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums vom 31.1.2019 legt unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil v. 11.04.2012 - I R 11/11 BStBl 2013 II: 146 fest, dass die Organisation "ausdrücklich als extremistisch eingestuft sein muss", damit die Aberkennung der Gemeinnützigkeit angeordnet werden kann.

Eine verfassungskonforme Auslegung muss zu dem Schluss kommen, dass "linksextrem" ein zu unbestimmter Begriff ist, um darauf Sanktionen zu stützen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher schon 2010 (allerdings zugunsten des Mitglieds einer rechtsextremen terroristischen Vereinigung) festgestellt: "Ob eine Position als rechtsextremistisch - möglicherweise in Abgrenzung zu ›rechtsradikal‹ oder ›rechtsreaktionär‹ - einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung." (BVerfG 8.12.2010 - 1 BvR 1106/08). Einem Landesamt für Verfassungsschutz über die Abgabenordnung finanzielle Sanktionsrechte einzuräumen überschreitet die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Geheimdiensten und Polizei (BVerfG, 28. Januar 1998 - 2 BvF 3/92).

Schlussfolgerungen

Zivilgesellschaftliche Organisationen nehmen eine wichtige Aufgabe in der politischen Willensbildung wahr, ohne politische Partei zu sein. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, den Kreis der Zwecke, die steuerlich begünstigt sein sollen, willkürlich einzuschränken. Der Wunsch von Bürgerinnen und Bürgern sich in Vereinsform am demokratischen Willensbildungsprozess aktiv zu beteiligen, sollte generell akzeptiert und gefördert und steuerlich begünstigt werden. Der Staat sollte zunächst ein Grundvertrauen darin zeigen, dass Organisationen, die nach ihrer Satzung die Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke anstreben, dafür die notwendigen Anstrengungen treffen werden.

<B>Ergänzung und Straffung der Liste gemeinnütziger Zwecke<W0>

Die Liste der als steuerlich gemeinnützig anerkannten Zwecke in §52 sollte systematisch und nachvollziehbar untergliedert werden, in soziale, humanitäre, wissenschaftliche, pädagogische, kulturelle und politische Zwecke. Es geht darum sowohl für interessierte Organisationen wie für die Finanzämter die notwendige Klarheit darüber unmissverständlich herzustellen, welche Zwecke als gemeinnützig anzusehen sind.

<B>Um folgende Zwecke sollte der Katalog in §52Abs.2 ergänzt werden<W0>

Förderung

  • Beteiligung an der allgemeinen politischen Diskussion
  • der Menschenrechte und Grundrechte,
  • des Friedens,
  • des Klimaschutzes,
  • der sozialen Gerechtigkeit,
  • der informationellen Selbstbestimmung
  • der Geschlechter-Gleichstellung
  • der historischen Forschung und Aufklärung auf dem Gebiet der Demokratie und Diktatur
  • des Kampfes gegen Rassismus und Antisemitismus
  • Es muss klargestellt werden, dass zu den Mitteln zur Verfolgung der Satzungszwecke im Rahmen allgemeiner Gesetze auch die Einwirkung auf die politische Willensbildung, auf die öffentliche Meinung, auf politische Parteien und staatliche Entscheidungen gehören.

    <B>Anerkennung der politischen Bildung, auch wenn sie einseitig ist<W0>

    In Folge des Attac-Urteils des Bundesfinanzhofes ist es offenbar nötig, gesetzlich oder im Anwendungserlass klarzustellen, dass politische Bildung für Demokratie und Menschenrechte nicht neutral und objektiv sein muss. Auch bei Einseitigkeit kann sie beitragen zum demokratischen Meinungsbildungsprozess. Die Einwirkung auf politische Parteien steht der Gemeinnützigkeit nicht entgegen.

    <B>Keine Einschränkung auf die in der Satzung eines Vereins genannten gemeinnützigen Zwecke<W0>

    Während bei der erstmaligen Beantragung der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit die Satzung der Organisation die notwendigen Anhaltspunkte für die Gemeinnützigkeit liefern muss, besteht keine Veranlassung anschließend die als gemeinnützig anerkannten Organisationen allein auf die gemeinnützigen Zwecke einzuschränken, die sie in ihrer Satzung genannt haben.

    <B>Kooperation zwischen gemeinnützigen Organisationen erleichtern<W0>

    Die Kooperation von verschiedenen gemeinnützigen Organisationen muss geduldet werden, mit der Option, dass eine gemeinnützige Organisation eine andere unterstützen kann, auch dann, wenn beide unterschiedliche gemeinnützige Zwecke verfolgen.

    <B>Beweislastumkehr für Verfassungstreue<W0>

    Die Berichte des Verfassungsschutzes können zwar als Informationsquelle genutzt werden. Die Erwähnung eines Vereins und die damit verbundenen Wertungen dürfen keinen Automatismus zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit auslösen. Der Verfassungsschutz verdient keinen Vertrauensbonus. Die im Grundgesetz und im Europarecht verankerte Unschuldsvermutung als eine Grundlage für ein faires Verfahren muss auch in der Abgabenordnung gelten.

    <B>Transparenzgebot<W0>

    Steuerlich als gemeinnützig anerkannte Organisationen müssen zur Transparenz verpflichtet werden: jährlich zu veröffentlichender Bericht über Tätigkeit, Finanzen, Mittelherkunft (ab einer gewissen Höhe), Mittelverwendung. Das Steuergeheimnis darf nicht als Vorwand dienen, die Abhängigkeit gemeinnütziger Organisationen von Großspendern zu verschleiern.

    <B>Abgestuftes Sanktionsverfahren<W0>

    Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit darf nur das letzte Mittel sein. Daneben muss ein abgestuftes Sanktionssystem zur Verfügung stehen, bei dem erst an letzter Stelle die Aberkennung der Gemeinnützigkeit steht. Bevor Sanktionen gegen einen gemeinnützigen Verein verhängt werden, muss unter angemessener Fristsetzung eine Abmahnung durch die Finanzbehörden erfolgen.

    <B>Vermeidung von Nachteilen für die Dauer des Verfahrens, keine generelle Rückwirkung<W0>

    Durch die Dauer des Verfahrens über die Aberkennung der Gemeinnützigkeit darf der Organisation kein zusätzlicher Schaden / Nachteil entstehen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren muss gegebenenfalls auf Antrag die Aussetzung von Sanktionen angeordnet werden. Die rückwirkende Aberkennung der Gemeinnützigkeit verbunden mit der Nachzahlung der Steuern darf nur angeordnet werden, wenn die Organisation frühzeitig auf dieses Risiko hingewiesen wurde und wenn sie vorsätzlich gegen die entsprechenden Vorschriften der Abgabenordnung verstoßen hat.

    <B>Zügige Gesetzesänderung<W0>

    Die Entscheidungsträger in den Finanzämtern und in den Gerichten benötigen unverzüglich klare Vorgaben, die nicht den Eindruck entstehen lassen dürfen, Entscheidungen der Finanzämter seien zufällig oder willkürlich gefallen. Regelungen, die verfassungsrechtlich fragwürdig oder sogar verfassungswidrig sind, müssen verfassungskonform geändert werden. Die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" hat hierfür weitere wichtige Hinweise geliefert. Durch eine Gesetzesänderung muss der Schaden behoben werden, welcher insbesondere im vergangenen Jahr der Zivilgesellschaft und den gemeinnützigen Organisationen zugefügt wurde. Die notwendige Reform des Gemeinnützigkeitsrechts darf nicht unter dem Einfluss unterschiedlicher Partei- und Lobbyinteressen weiter verzögert werden.

    Anmerkung

    1) Das Hessische Finanzgericht hat am 26. Februar die Klage von Attac gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Frankfurt abgewiesen. Attac will die Gemeinnützigkeit seines politischen Engagements durch alle Instanzen verteidigen und notfalls Verfassungsbeschwerde einlegen. [Anm. d. Red.]

    Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld, Öffentliches Recht, Umweltrecht und Rechtstheorie. Arbeitsschwerpunkte: Europäische Union, Demokratie, Materialistische Rechtstheorie, Mitglied im Bundesvorstand der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.. Thomas Schmidt, Rechtsanwalt und Dipl. Volkswirt, Generalsekretär der Europäischen Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt e.V. (EJDM), Mitglied im Bundesvorstand der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.

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