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Post-Keynesianische Ökonomik

  
 

Forum Wissenschaft 3/2019; Foto: Romario Ien / stock.adobe.com

Die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften ist geprägt von der zeitweiligen Dominanz bestimmter ökonomischer Theorien, etwa der klassischen Nationalökonomie im späten 18. und im 19. Jahrhundert, oder der Neoklassik und ihren modernen Ausprägungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Zugleich entwickelten sich aber auch alternative Denkschulen, wie der Marxismus oder seit den 1930er Jahren der Keynesianismus. Die theoretischen Modelle von dessen Begründer John Maynard Keynes werden - mittlerweile unter dem Begriff Post-Keynesianismus - bis heute aktualisiert und weiterentwickelt, wie Eckhard Hein und Marc Lavoie darstellen.1

Die Entwicklung der ökonomischen Schule, die dann zum Post-Keynesianismus wurde, durchlief seit den 1930er Jahren verschiedene Etappen, wie beispielsweise Fontana und Lavoie darstellen.2 Die Geschichte begann in den 1930er und 1940er Jahren mit Keynes‘ und Kaleckis3 Revolution der Makroökonomie durch die Einführung des Prinzips der effektiven Nachfrage. In dieser Zeit lag der Fokus vor allem auf der Analyse der Bestimmungsfaktoren von Output und Beschäftigung, von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und von konjunkturellen Schwankungen. In den 1950er und 1960er Jahren sah man die Erweiterung des Prinzips der effektiven Nachfrage von der kurzen auf die lange Frist im Rahmen der ersten Generation der post-keynesianischen Verteilungs- und Wachstumsmodelle von Kaldor, Pasinetti und Robinson. Dies war auch die Phase der sogenannten Cambridge Kapitalkontroverse mit der post-keynesianischen Kritik an der aggregierten neoklassischen Theorie. Die 1970er Jahre waren laut Fontana dann ein "Romantic Age" mit ersten Ansätzen einer Definition der Grundzüge eines neuen Paradigmas des Post-Keynesianismus in der VWL, insbesondere in den Beiträgen von Davidson sowie von Eichner und Kregel4. In dieser Phase erfolgte auch die Gründung der wichtigsten Journale für den Post-Keynesianismus, des Cambridge Journal of Economics (im Jahr 1977) und des Journal of Post Keynesian Economics (im Jahr 1978). Des Weiteren gab es in dieser Phase die ersten wichtigen Arbeiten zur post-keynesianischen Unternehmens- und Preistheorie. Die 1980er und 1990er Jahre waren für Post-Keynesianer hingegen ein "Age of Uncertainty"5 mit einem starken Fokus auf die Methodologie, die Theoriengeschichte und auf das, "was Keynes wirklich meinte". Wir sahen aber auch die Veröffentlichung wichtiger Lehrbücher zum Post-Keynesianismus, wie beispielsweise von Arestis, Lavoie und Palley.6 Außerdem wurden in dieser Phase zentrale Beiträge zur endogenen Geldtheorie und zur Finanzinstabilitätshypothese vorgelegt, sowie Verteilungs- und Wachstumsmodelle der zweiten Generation, basierend auf den Arbeiten von Kalecki und Steindl, publiziert. Die derzeitige Phase begann in den frühen 2000er Jahren. Sie ist charakterisiert durch die zunehmende Bedeutung von angewandten und ökonometrischen Arbeiten, makroökonomischen Politikanalysen und der Analyse von wirtschaftspolitischen Regimen. Es gab umfangreiche Forschungsarbeiten zu Finanzinstabilität, Internationalisierung und Globalisierung sowie spezifischere Arbeiten zur "Finanzialisierung", als einem neuen Entwicklungsstadium des modernen Kapitalismus. Im Rahmen dieser Forschungen wurden integrierte Analysen von Geld, Finanzwesen, Verteilungskonflikten, effektiver Nachfrage, Kapitalakkumulation und Wachstum, insbesondere durch Verwendung von Stock-Flow-konsistenten Modellen, vorgelegt.

Heterodoxe und post-keynesianische Ökonomik als Alternativen

Generell ist der Post-Keynesianismus Teil der heterodoxen Ökonomik, die Alternativen zum neoklassischen bzw. orthodoxen Ökonomieansatz des Mainstreams bietet. Lavoie7 folgend, können wir einige Grundannahmen herausstellen, die heterodoxe Ansätze gegenüber dem orthodoxen/neoklassischen Mainstream und dessen moderner Makroökonomie, repräsentiert durch neu-keynesianische und neu-klassische Modelle sowie Modelle realer Konjunkturzyklen, und der Synthese im Rahmen des "Neuen Konsens Modells" (NKM), gemeinsam haben.

1. Hinsichtlich der Epistemologie und Ontologie, also der Wissenschaft des Lernens und der grundlegenden Kategorien der wissenschaftlichen Systeme sowie deren Beziehungen, basiert die heterodoxe Ökonomie auf dem Prinzip des "Realismus". Die VWL soll relevante Geschichten erzählen und den Wirtschaftsablauf einer realen Welt, ausgehend von Kaldors "stilisierten Fakten", erklären. Hingegen basiert die orthodoxe Ökonomie auf dem Prinzip des "Instrumentalismus". Demnach werden ökonomische Annahmen als brauchbar erachtet, sollten diese zur Berechnung von Gleichgewichtspositionen führen und korrekte Vorhersagen ermöglichen, unabhängig vom Realismus dieser Annahmen.

2. In Bezug auf die angewendeten Methoden folgen heterodoxe Ansätze dem Prinzip des "Organizismus" und des "Holismus". Sie betrachten Individuen als soziale Wesen im Kontext ihrer Umwelt, welche durch Klasse, Gender, Kultur, Institution und Geschichte gegeben ist. Aus dieser Sicht können verschiedene Mikro-Makro-Paradoxien entstehen. Dies bedeutet, dass vernünftiges Verhalten auf der Mikro-Ebene nicht zwingenderweise die vorgesehenen Ergebnisse auf der Makro-Ebene erzeugt, wenn die Wechselbeziehungen zwischen individuellen Akteuren in Betracht gezogen werden ("Sparparadox", "Kostenparadox", "Schuldenparadox", "Liquiditätsparadox" usw.). Die orthodoxe Methode basiert hingegen auf dem Prinzip des "methodologischen Individualismus" und des "Atomismus". Die Analyse beginnt mit vor-sozialen Individuen und deren Präferenzen. Das Verhalten des oder der repräsentativen Agenten als Nutzen- und Profitmaximierer unter Beschränkungen stellt die Mikrofundierung der Makroökonomie (und der Institutionen) dar. Dementsprechend werden Mikro-Makro-Paradoxien konstruktionsbedingt ausgeschlossen.

3. Bezüglich des Rationalitätskonzeptes nehmen heterodoxe Ansätze "angemessene Rationalität" und "zielorientierte Agenten" ("satisficing agents") an. Es wird dabei davon ausgegangen, dass die Fähigkeit der Individuen, Wissen anzuhäufen und zu verarbeiten, eingeschränkt ist, insbesondere da bestimmte Informationen nicht vorhanden sein können und da kein "wahres Modell" vorliegt, um vorhandene Informationen zu verarbeiten. Zudem wird berücksichtigt, dass derzeitige Entscheidungen die Menge möglicher zukünftiger Zustände der Ökonomie verändern. Demnach basieren Erwartungen oftmals auf nicht reduzierbarer "fundamentaler Unsicherheit". Deshalb werden das Befolgen von Normen, Konventionen, Bräuchen und Faustregeln sowie die Bildung von Institutionen zur Reduktion von Unsicherheit als rationale bzw. angemessene Antworten angesehen. Hingegen nehmen orthodoxe Theorien "modellkonsistente Rationalität" sowie "optimierende Agenten" an. Individuen besitzen ein quasi unbegrenztes Wissen über die Gegenwart und die zukünftigen Zustände der Wirtschaft. Auch haben sie durch die Anwendung des "wahren Modelles" im Durchschnitt die Fähigkeit, wirtschaftliche Ergebnisse zu berechnen und zu prognostizieren und sich entsprechend zu verhalten. In diesem Sinne wird angenommen, dass Individuen über "perfekte Informationen" und "rationale Erwartungen" verfügen.

4. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Kernprozesse fokussieren heterodoxe Schulen auf "Produktion" und "Wachstum". Die klassischen Ökonomen und Marx befassten sich mit der Schaffung von Ressourcen mittels der (teilweisen) Akkumulation des gesellschaftlichen Überschusses (Surplus) und des technischen Fortschritts. Keynes konzentrierte sich auf die Auslastung von Ressourcen, da eine monetäre Produktionswirtschaft für gewöhnlich unterhalb der Vollbeschäftigungsgrenze operiert. Deshalb werden in heterodoxen Schulen auch Preise als (Re-)Produktionspreise betrachtet. Konträr dazu ist der Ausgangspunkt und Fokus orthodoxer Theorie auf "Tausch", "Allokation" und "Knappheit". Diesem Ansatz folgend konzentriert sich die VWL auf die effiziente Allokation von knappen Ressourcen. Es wird daher angenommen, dass Preise Knappheiten abbilden. Der Tausch ist der Ausgangspunkt ökonomischer Analysen. Demnach sind die Analyse von Produktion und Wachstum lediglich Erweiterungen dieser grundlegenden Perspektive.

5. Bezüglich des politischen Kerns verlangen heterodoxe Schulen "regulierte Märkte" und kontinuierliche staatliche Intervention in Wirtschaftsabläufe. Es wird angenommen, dass uneingeschränkte Märkte, unabhängig von Preisflexibilität oder -inflexibilität, Instabilitäten, nicht akzeptierbare Ungleichheiten und Ineffizienzen erzeugen. Die Idee absolut freier Märkte wird als Mythos angesehen, da es zu jeder Zeit institutionelle Rahmenbedingungen für Marktökonomien gab. Des Weiteren wird argumentiert, dass uneingeschränkter Wettbewerb die Tendenz zu Oligopol- und Monopolbildungen hat und sich damit selbst unterminiert. Aus diesem Grund werden die permanente Regulierung von Märkten sowie das Management der aggregierten Nachfrage durch den Staat gefordert. Dies widerspricht dem orthodoxen Standpunkt, der uneingeschränkte und freie Märkte als generell stabil erachtet und sie als Garanten für eine optimale Allokation bei Vollbeschäftigung ansieht. Staatsinterventionen generieren demnach Ineffizienzen. Daher sind diese für orthodoxe Ökonomen nur akzeptierbar, sollten Externalitäten oder der Missbrauch von Monopolmacht vorliegen.

Stränge des Post-Keynesianismus und deren Gemeinsamkeiten

Basierend auf den gemeinsamen generellen Annahmen der heterodoxen Schulen können nun verschiedene Entwicklungsstränge des Post-Keynesianismus unterschieden werden. In einer frühen Publikation haben Hamouda und Harcourt8 drei Stränge hervorgehoben, die amerikanischen Post-Keynesianer, die Neo-Ricardianer und die Kaleckianer. Jedoch hatten die Autoren Schwierigkeiten, herausragende Persönlichkeiten wie Kaldor, Goodwin, Pasinetti und Godley zu klassifizieren. Aus diesem Grund unterscheidet Lavoie9 fünf verschiedene Stränge des Post-Keynesianismus.

Der erste Strang wird durch die fundamentalistischen Keynesianer repräsentiert, die direkt von John Maynard Keynes, der älteren Joan Robinson sowie von Hyman Minsky, G.L.S. Shackle und Sydney Weintraub inspiriert wurden. Ihre Hauptthemen sind fundamentale Unsicherheit, finanzielle Instabilität, monetäre Produktionstheorie und methodologische Probleme. Die Kaleckianer repräsentieren den zweiten Strang. Sie beziehen sich auf die Arbeiten von Micha³ Kalecki, Josef Steindl und der jüngeren Joan Robinson. Hauptthemen sind kostenorientierte Preissetzung (Mark-up-Preissetzung), Klassenkonflikte, Determinanten von effektiver Nachfrage, Einkommensverteilung und Wachstum. Die Sraffianer oder Neo-Ricardianer konstituieren den dritten Strang. Dieser bezieht sich auf die Arbeiten von Piero Sraffa sowie Pierangelo Garegnani. Er fokussiert sich auf Themen wie relative Preise in multi-sektoralen Produktionssystemen, Wahl von Produktionstechniken, Kapitaltheorie und langfristige Gleichgewichtspositionen von Ökonomien. Der vierte Strang umfasst die Institutionalisten, die sich auf die Arbeiten von Thorstein Veblen, Gardiner Means, P.W.S Andrews, John Kenneth Galbraith, Abba Lerner und Alfred Eichner stützen. Themen sind unter anderem Preissetzung, Unternehmenstheorie, monetäre Institutionen, Verhaltensökonomie und Arbeitsmarktheorie. Der fünfte und letzte Strang besteht aus den Kaldorianern, deren Arbeiten auf den Beiträgen von Nicholas Kaldor, Roy Harrod, Richard Goodwin, John Cornwall und Wynne Godley basieren. Hauptthemen sind Wirtschaftswachstum, Produktivitätsregime, Wachstumsbeschränkungen offener Volkswirtschaften sowie der Nexus zwischen dem Produktions- und dem Finanzsystem.10

Beginnend mit Eichner und Kregel11 wurden mehrere Versuche unternommen herauszustellen, was diese verschiedenen post-keynesianischen Stränge gemein haben, sowie was den Post-Keynesianismus von der orthodoxen Lehre und auch anderen heterodoxen Traditionen unterscheidet. Es kann argumentiert werden, dass der Post-Keynesianismus sich generell an die fünf Grundannahmen der heterodoxen Wirtschaftslehre hält und sich von anderen heterodoxen Schulen durch die fünf folgenden Charakteristika unterscheidet:

  • der Fokus auf eine monetäre Produktionstheorie, nach der Geld kurz- und langfristig nicht neutral ist;
  • die kurz- und langfristige Dominanz des Prinzips der effektiven Nachfrage;
  • die Bedeutsamkeit des Konzepts fundamentaler Unsicherheit;
  • das Beharren darauf, dass ökonomische Prozesse in historischer, irreversibler Zeit geschehen und damit größtenteils pfadabhängig sind; und
  • die Bedeutung von Verteilungsfragen und -konflikten für ökonomische Ergebnisse.
  • Implikationen für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

    In Hinsicht auf makroökonomische Modellierungen implizieren diese Charakteristika, dass die "Hierarchie der Märkte" in der orthodoxen Makroökonomie und damit auch dem NKM umgekehrt werden muss. Während nach der orthodoxen Makroökonomie der Arbeitsmarkt ganz oben in der Hierarchie steht und andere makroökonomische Märkte, zumindest langfristig, dominiert, stehen im Post-Keynesianismus Geld-, Kredit- und Finanzmärkte an der Spitze. Anschließend folgt der Gütermärkt und der Arbeitsmarkt befindet sich in der Hierarchie ganz unten. Auf den Geld-, Kredit- und Finanzmärkten determiniert die Zentralbank den Basiszinssatz auf dem Geldmarkt und auf den Kredit- und Finanzmärkten bestimmen die Interaktionen zwischen der Zentralbank, den Geschäftsbanken, den Unternehmen und Haushalten sowie dem Staat die Struktur der Zinssätze. Diese Zinsstruktur ist exogen für den Einkommensbildungsprozess auf Gütermärkten, wohingegen Geldmenge und Kreditvolumen endogen sind. Veränderungen in den relevanten Zinssätzen haben Kosten- und Verteilungseffekte und damit eine Wirkung auf die aggregierte Nachfrage auf dem Gütermarkt, mit den Investitionen oder der externen Nachfrage als treibende Kräfte. Die letzteren beiden bestimmen anschließend das Output-, Einkommens- und Beschäftigungsniveau. Demnach hat der Arbeitsmarkt keine Wirkung auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, da die Arbeitsnachfrage auf dem Gütermarkt bestimmt wird und das kurzfristige Arbeitsangebot der Makroökonomie als exogen gegeben betrachtet werden kann. Der Arbeitsmarkt bestimmt alleine die Nominallöhne und damit die nominalen Lohnstückkosten, welche dann Wirkungen auf das Preisniveau und die Inflation haben und welche sich unter bestimmten Umständen auch auf die Reallöhne und die Einkommensverteilung auswirken. Die Preis- und Verteilungseffekte können dann Rückwirkungen auf die aggregierte Nachfrage auf dem Gütermarkt sowie auf die Zinssätze haben, die auf den Geld- und Kreditmärkten gesetzt werden.

    Auf Grundlage dieser generellen Überlegungen haben z.B. Arestis und Hein und Stockhammer12 vollständige post-keynesianische makroökonomische Modelle (PKM) vorgeschlagen. Auf Basis dieser Modelle kann ein konsistenter makroökonomischer Politik-Mix als Alternative zum NKM abgeleitet werden, wie in Tabelle1, basierend auf den makroökonomischen Implikationen von Hein und Stockhammer, dargestellt wird.

    Im orthodoxen NKM-Ansatz ist die inflationssteuernde Geldpolitik der Zentralbank das primäre und wichtigste Politikinstrument zur Stabilisierung der Wirtschaft. Das von der Zentralbank eingesetzte Zinsinstrument hat kurzfristige Effekte auf die Arbeitslosigkeit, aber beeinflusst langfristig lediglich die Inflationsrate. Die Fiskalpolitik soll die zinssteuernde Geldpolitik durch ausgeglichene öffentliche Haushalte im Durchschnitt über den Konjunkturzyklus unterstützen. Der Arbeitsmarkt, zusammen mit dem sozialen Sicherungssystem, bestimmt langfristig die gleichgewichtige Arbeitslosenquote bei konstanter Inflation, die NAIRU ("non-accelerating-inflation-rate-of-unemployment"), und kurzfristig die Anpassungsgeschwindigkeit an diese Quote. Da zumindest langfristig eine klare Arbeitsteilung zwischen den einzelnen wirtschaftspolitischen Akteuren besteht, ist eine Koordination nicht erforderlich - jeder Politikbereich soll die ihm zugeschriebenen Ziele erreichen.

    Der makroökonomische Politik-Mix des post-keynesianischen Modells erfordert eine kurz- und langfristige Koordinierung der verschiedenen makroökonomischen Politiken, da es keine klare Zuordnung von politischen Entscheidungsträgern und ihren Instrumenten zu den wirtschaftspolitischen Zielen gibt. Generell wird davon ausgegangen, dass die Zinspolitik der Zentralbank kurz- und langfristige reale Effekte hat. Zentralbanken sollten deshalb zum einen niedrige Zinssätze anvisieren, sowie zum anderen zur Stabilisierung des Geld-, Finanz- und Realsektors einer Wirtschaft beitragen. Die genaue zinspolitische Strategie, eine ›aktivistische‹ oder eine den Zinssatz ›parkende‹, ist jedoch Gegenstand kontroverser Diskussionen.13

    Die Fiskalpolitik hat wesentliche Einflüsse auf die ökonomische Aktivität und die Verteilung des verfügbaren Einkommens. Daher sollte sie aktiv für die kurz- und langfristige Stabilisierung der Realwirtschaft sorgen, mittels der Instrumente von Staatsausgaben und Steuern und ohne autonome Defizitziele. Potentielle Grenzen der Staatsverschuldung sind Gegenstand von Kontroversen in diesem Ansatz, insbesondere zwischen Sympathisanten des "Neo-Chartalismus" und der "Functional Finance" - heute als "Modern Money Theory" (MMT) bekannt14 - und Kritikern dieses Ansatzes15. Die Relevanz von Grenzen der Staatsverschuldung hängt dabei insbesondere von der institutionellen Verbindung von Regierung und Zentralbank, der internationalen Akzeptanz der nationalen Währung, sowie davon ab, ob öffentliche und private Schulden in der nationalen Währung denominiert sind.

    Zuletzt sollte die Lohn- und Einkommenspolitik sich auf die nominale Stabilisierung konzentrieren, was ein stabiles Wachstum der Lohnstückkosten entsprechend dem Inflationsziel oder leicht darüber bedeutet. Ob und in welchem Ausmaß die Lohnpolitik zu einer Umverteilung zu Gunsten der Lohnquote mit dem Ziel der Stimulierung der aggregierten Nachfrage beitragen kann und sollte, ist unter Post-Keynesianern umstritten und hängt von den spezifischen Umständen des betrachteten Landes bzw. der betrachteten Region ab, insbesondere vom Grad des internationalen Wettbewerbs sowie dem vorherrschenden Nachfrageregime.16 Im Vergleich zu dem breiten Konsens unter Post-Keynesianern über die grundlegenden Prinzipien der makroökonomischen Politik können die hier skizzierten Kontroversen jedoch als zweitranging betrachtet werden, da sie sich letztlich vor allem auf die konkreten historischen und institutionellen Umstände der Politikgestaltung beziehen.

    Anmerkungen

    1) Übersetzung von: Eckhard Hein, Marc Lavoie 2019: "Post-Keynesian economics", in: Robert W. Dimand, Harald Hagemann (eds.): The Elgar Companion to John Maynard Keynes, Cheltenham: 540-546. Wir danken Sophie-Dorothee Rotermund für die Unterstützung bei der Übersetzung. Verbliebene Fehler gehen selbstverständlich zu unseren Lasten.

    2) Giuseppe Fontana 2009: Money, Uncertainty and Time, Abingdon, Kapitel 2 und Marc Lavoie 2014: Post-Keynesian Economics: New Foundations, Cheltenham, UK and Northampton, MA, USA, Kapitel 1. Umfassendere Darstellungen der Geschichte des Post-Keynesianismus finden sich z.B. in Geoffrey C. Harcourt 2006: The Structure of Post-Keynesian Economics: The Core Contributions of the Pioneers, Cambridge, John E. King 2002: A History of Post Keynesian Economics Since 1936, Cheltenham, UK and Northampton, MA, USA, und Luigi L. Pasinetti 2007: Keynes and the Cambridge Keynesians: A ›Revolution in Economics‹ to be Accomplished, Cambridge.

    3) John M. Keynes 1936: The General Theory of Employment, Interest and Money, repr. 1973 in Donald Moggridge (ed.): The Collected Writings of J.M. Keynes, vol. VII, London und Michal Kalecki 1971: Selected Essays on the Dynamics of the Capitalist Economy, 1933-1970, Cambridge.

    4) Paul Davidson 1972: Money and the Real World, London, sowie Alfred S. Eichner and Jan A. Kregel 1975: "An essay on post-Keynesian theory: a new paradigm in economics", in: Journal of Economic Literature, 13 (4), 1293-1311.

    5) Giuseppe Fontana 2009, Kapitel 2 (siehe Fn. 2).

    6) Philip Arestis 1992: The Post-Keynesian Approach to Economics: An Alternative Analysis of Economic Theory and Policy, Aldershot, UK and Brookfield, VT, USA, Marc Lavoie 1992: Foundations of Post-Keynesian Economic Analysis, Cheltenham, UK and Northampton, MA, USA und Thomas I. Palley 1996: Post Keynesian Economics: Debt, Distribution and the Macro Economy, London.

    7) Marc Lavoie 2011: "History and methods of post-Keynesian economics", in: Eckhard Hein and Engelbert Stockhammer (eds): A Modern Guide to Keynesian Macroeconomics and Economic Policies, Cheltenham, UK and Northampton, MA, USA, und Marc Lavoie 2014, Kapitel 1 (siehe Fn. 2).

    8) Omar F. Hamouda and Geoffrey C. Harcourt 1988: "Post Keynesianism: from criticism to coherence?", in: Bulletin of Economic Research, 40 (1): 1-33.

    9) Marc Lavoie 2011; 2014, Kapitel 1 (siehe Fn. 7).

    10) In diesem Zusammenhang haben wir nur verschiedene Autoren genannt.

    11) Alfred S. Eichner and Jan A. Kregel 1975 (siehe Fn. 4).

    12) Philip Arestis 2013: "Economic theory and policy: a coherent post-Keynesian approach", in: European Journal of Economics and Economic Policies: Intervention, 10 (2), 24<$[Spazio +15>3-<$]Spazio +15>55, und Eckhard Hein and Engelbert Stockhammer 2011: "A post-Keynesian macroeconomic model of inflation, distribution and employment", in E. Hein and E. Stockhammer (eds) 2011 (siehe Fn. 7).

    13) L.-P. Rochon and M. Setterfield 2007: "Interest rates, income distribution and monetary dominance: post-Keynesians and the fair rate of interest", in: Journal of Post Keynesian Economics, 30 (1): 13-42.

    14) L. Randall Wray 2012: Modern Money Theory: A Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems, Basingstoke.

    15) Thomas I. Palley 2015: "Money, fiscal policy and interest rates: a critique of modern monetary theory", in: Review of Political Economy, 27 (1): 1-23.

    16) Eckhard Hein 2014: Distribution and Growth after Keynes: A Post-Keynesian Guide, Cheltenham, UK and Northampton, MA, USA, Kapitel 7.

    Eckhard Hein ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Marc Lavoie ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Ottawa und der Universität Paris 13.




    Tabelle 1: Makroökonomische Politikempfehlungen des Neuen Konsens Modells (NKM) und des post-keynesianischen Modells (PKM) im Vergleich

     

    NKM

    PKM

    Geldpolitik

    Inflationssteuerung mittels Zinspolitik, welche kurzfristig die Arbeitslosigkeit, aber langfristig nur die Infla­tion beeinflusst

    Anvisieren niedriger Zinssätze, welche hauptsächlich die Verteilung beeinflussen, und Stabilisierung des Geld-, Finanz-, und Realsektors durch die Anwendung anderer Instrumente (Kreditgeber der letzten ­Instanz, Kreditkontrollen, …)

    Fiskalpolitik

    Unterstützung der Geldpolitik in ihrem Ziel, Inflationsstabilität zu schaffen, durch ausgeglichene öffentliche Haushalte über den Konjunkturzyklus

    left

    Kurz- und langfristige reale Stabilisierung ohne autonome Defizitziele, ­Beeinflussung der Verteilung des verfügbaren Einkommens

    Arbeitsmarkt- und Lohn-/Einkommenspolitik

    Bestimmt die NAIRU auf lange Sicht und die Anpassungsgeschwindigkeit in der kurzen Frist; der Fokus sollte dabei auf flexiblen Nominal- und Reallöhnen liegen

    Beeinflusst das Preisniveau/die Inflation sowie die Verteilung; der Fokus sollte auf rigiden Nominallöhnen ­liegen, kontinuierlichem Wachstum der nominalen Lohnstückkosten und ­einer komprimierten Lohnstruktur

    Koordination

    Klare langfristige Aufgabenteilung, Koordination allenfalls in der kurzen Frist

    Keine klare Aufgabenteilung, kurz- und langfristige Koordinierung der Wirtschaftspolitik erforderlich

    Quelle: Basierend auf Eckhard Hein 2017: "Post-Keynesian macroeconomics since the mid-1990s - main developments", in: European Journal of Economics and Economic Policies: Intervention, 14 (2), 131-172; hier: 154.

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