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Klaus Holzkamp

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Rechtspopulisten "ante portas"

29.03.2017: Oder schon Entwarnung?

  
 

Forum Wissenschaft 1/2017; Ralf Geithe / fotolia.com

In den letzten Jahren hielten die Erfolge rechtspopulistischer Bewegungen die demokratische Öffentlichkeit in Atem. Unaufhaltsam erschien der populistische Durchmarsch, doch seit der österreichischen Präsidentschaftswahl im Herbst 2016 sind gelegentlich Deutungen zu vernehmen, die einen Rückgang der populistischen Mobilisierungserfolge erwarten. Ob diese Interpretation berechtigt ist, analysiert Richard Lauenstein.1

Bedeutet die Wahl Alexander Van der Bellens zum österreichischen Präsidenten bereits einen Wendepunkt, hat Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges Recht mit seiner Einschätzung in der Ausgabe vom 1.12.2016, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sei "der äußerste rechte Ausschlag des Pendels" gewesen und nun schwinge es zurück? Er selbst bewege es inzwischen in die andere Richtung.

Dass der deutschnationale Burschenschafter Norbert Hofer nicht österreichischer Präsident geworden ist, hat Frauke Petry, Marine Le Pen und Geert Wilders ohne Zweifel nicht gefallen, viele andere dagegen erfreut und erst einmal erleichtert. Entwarnung ist aber noch längst nicht angesagt. Hofers Partei, die FPÖ, könnte wahrscheinlich den Kanzler stellen, wenn sie bei der nächsten Parlamentswahl genauso viele Stimmen bekäme wie bei der Präsidentenwahl. Auf der Bundesebene gab es schon einmal eine ÖVP-FPÖ-Koalition, in den Bundesländern buhlen Konservative und Sozialdemokraten um die Gunst der FPÖ.

Weitere wichtige Wahlen stehen in Europa bevor, in denen Rechtspopulisten stärkste Kraft werden oder zumindest stark dazugewinnen können. Es ist auch nicht so, dass zwischen den etablierten Kräften des bürgerlich-liberalen Mainstreams und rechtspopulistischen Positionen immer eindeutig klare Trennlinien bestehen: "Brexit"-Befürworter fanden sich nicht nur in der UKIP, sondern eben auch bei Tories und sogar bei Labour; Trump war immerhin der Kandidat der Republikaner, einer Partei, die ursprünglich, im 19. Jahrhundert, einmal für unionsweite demokratisch-kapitalistische Modernisierung angetreten war, als ihr damaliger demokratischer Konterpart noch die Sklaverei verteidigte; rechtspopulistisch geprägte Parteien wie die ungarische Regierungspartei FIDESZ und die Berlusconi-Partei Forza Italia sind zusammen mit ÖVP, CDU und CSU in der Europäischen Volkspartei EVP; die CSU führt sich mitunter auf wie eine "AfD light", während schätzungsweise zwei Drittel der AfD-Anhängerschaft genauso gut stärker nationalkonservativ geprägten Unionsparteien folgen würden und ihre augenblickliche Präferenz eher damit begründen, dass diese leider nicht mehr so seien, wie sie eigentlich sein müssten. Mit ihren jüngsten Bundesparteitagsbeschlüssen zu Flüchtlingen und zur doppelten Staatsbürgerschaft hat sich die CDU im Grunde programmatisch inzwischen auf die AfD zubewegt.

Entwarnung ist indes nicht nur wegen solcher Berührungspunkte nicht angesagt. Die Probleme liegen tiefer. In allen Ländern, in denen rechtspopulistische Kräfte und Positionen aktuell Auftrieb erfahren, haben zuvor jahrzehntelange neoliberale Politiken der Entfesselung der Marktkräfte und der Umverteilung von unten nach oben wachsende soziale Spaltungen und Schieflagen befördert und so den Boden für rechte Stimmungslagen und -umschwünge bereitet. Inzwischen haben relevante Teile der unteren Mittelschichten und der prekarisierten Unterschichten manifeste Abstiegsängste oder sehen sich um ihre Zukunft betrogen. Sie fühlen sich vom offiziellen Politikbetrieb und ihren traditionellen politischen Vertretungen allein gelassen und sind dann für rechte Parolen empfänglich, wenn sie ihr Weltverständnis, weil sie es nicht anders gelernt haben, nicht nach historisch-analytischen Kriterien, sondern eher nach der Logik des äußeren Anscheins und des vermeintlich Nächstliegenden organisieren. Wer so orientiert ist, wendet sich regelmäßig nicht gegen die tatsächlichen ökonomischen und politischen Krisenursachen, sondern eher gegen nach der eigenen Wahrnehmung und Auffassung nicht Dazugehörige. Dass es in unseren Gesellschaften ein Unten und ein Oben gibt, blitzt in ihren Redereien über "korrupte Eliten" und "Bonzen" zwar noch auf, ist aber meilenweit entfernt von systematischem Klassenverständnis, geschweige denn Klassenbewusstsein. Verlangt werden meist einfache, "radikale" Lösungen und starke Führungsgestalten. Rechtsextreme und Rechtspopulisten greifen dies nur zu gern auf, wenn sie gegen "Überfremdung" durch Flüchtlinge und Muslime polemisieren und den "kleinen Leuten" weiszumachen versuchen, ihre schlechte Lage oder Perspektive habe nichts mit einer Umverteilung von unten nach oben zu tun, sondern gründe in einer wachsenden Umverteilung von innen nach außen. Linke, der Aufklärung verpflichtet, tun sich traditionell schwer damit, gegen solche Bewusstseinslagen effektiv anzuarbeiten. Schon vor Jahrzehnten wies Ernst Bloch darauf hin, Rechte verstünden sehr gut zu Menschen, Linke hingegen über Sachen zu reden. Es komme darauf an, dass Linke endlich lernten, mit den Menschen über deren eigene Sachen zu sprechen.

Wer die rechtspopulistischen Kräfte und Tendenzen stoppen will, muss sich nicht um die Drahtzieher, sondern um die Masse der einfachen Follower kümmern und für glaubwürdige demokratische Alternativen einstehen, insbesondere deutlich machen, wie abgrundtief falsch und inhuman es ist, verschiedene negativ Betroffene der bislang neoliberal-kapitalistisch betriebenen Globalisierung gegeneinander auszuspielen. Rechtspopulisten treiben den Neoliberalismus, das Projekt eines entfesselten, auf systematische Bereicherung weniger in allen Gesellschaftsbereichen abzielenden Kapitalismus, bei gleichzeitigem Abbau demokratischer politischer und kultureller Standards konzeptionell gewissermaßen auf die Spitze. Als rechtspopulistisch auftretender Wahlkämpfer will Trump einerseits ein riesiges Infrastrukturprogramm auflegen und andererseits den Reichen und Superreichen weiter die Steuern senken. Wie soll das funktionieren und zugleich die maroden Staatsfinanzen sanieren? Wahrscheinlich wird Trump als Präsident noch republikanisch eingehegt werden und von einigen seiner Versprechen praktisch Abstand nehmen. Er wird nicht herrschen, sondern regieren - in einem Land, in dem zum Glück noch nicht alle Gegenkräfte verschwunden sind.

Auf keinen Fall hilfreich ist eine Politik des "weiter so", wie sie im Zeichen der "schwarzen Null" bislang von Deutschland im Rahmen der EU betrieben wird. Sie verstärkt die innergesellschaftliche Ungleichheit, blockiert dadurch perspektivisch die eigene Prosperität und bereitet den schwächeren, weniger wettbewerbsfähigen Ökonomien im gemeinsamen Währungsraum weiter große Schwierigkeiten. Sollte es nicht gelingen, die Austeritätspolitik europaweit zu überwinden, größere öffentliche Investitionsprogramme aufzulegen, Arbeit umzuverteilen, insbesondere in Defizitbereichen für zusätzliche Arbeit zu sorgen, bessere Ausgleichsmechanismen zu etablieren, eine Besteuerung aller ohne Ausnahmen nach ihrem Leistungsvermögen und auch höhere Lohn- und Transfereinkommen durchzusetzen, wird die EU kaum zu konsolidieren sein. In den USA stand der Demokrat Bernie Sanders für Alternativen in diesem Sinne, in Großbritannien tritt der zweimal von der Mehrheit der Mitglieder im Amt bestätigte, von den neoliberalen "Blairisten" der eigenen Partei dagegen heftig bekämpfte Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn für entsprechende Veränderungen ein. In der Bundesrepublik Deutschland finden sich Ansätze dazu bei Teilen der SPD, der Grünen und der LINKEN. Ungeeignet und gescheitert ist dagegen der Versuch des italienischen Ministerpräsidenten Renzi, die Durchsetzung einer Austeritätspolitik nach deutschem Vorbild durch eine Entmachtung des Senats zu beschleunigen, gruselig auch das Konzept des neugekürten Kandidaten der französischen Republikaner Francois Fillon, dem Front National das Wasser mit einem Programm abgraben zu wollen, das dem der rechten Konkurrenz vielfach ähnelt.

Auch ein Revival des "kalten Krieges" spielt letztlich rechtspopulistischen Kräften - bei uns, insbesondere aber in einigen osteuropäischen Staaten - in die Hände. Es hat etwas Skurriles, wenn fast wie in alten Zeiten hinter jeder Panne als Drahtzieher immer gleich "die Russen" oder Putin vermutet und in der Konsequenz größere Rüstungsanstrengungen beschworen werden. Hilfreich wäre allerdings auch, wenn das im internationalen Vergleich eher defensive, bonapartistische Regime des russischen Staatskapitalismus westeuropäischen rechtspopulistischen Kräften weniger Anerkennung zukommen ließe. Deutlichere Kante hätten auch alle bürgerlich-demokratischen Kräfte gegenüber der Entwicklung in der Türkei zu zeigen. Nachdem sie bereits die alte kemalistische Militärbourgeoisie entmachtet hatte, hat die strikt neoliberale und zugleich islamistisch in der Tradition der Muslimbruderschaft geprägte AKP zusätzlich zur Kriegführung in den Kurdengebieten die Gunst der Stunde nach dem Putschversuch (wahrscheinlich anderer Islamisten) im Sommer 2016 genutzt, ein autoritäres, ganz auf ihren Präsidenten Erdogan zugeschnittenes Regime zu etablieren. Zigtausende öffentlich Beschäftigte, darunter auch 70.000 Lehrkräfte, wurden inzwischen verhaftet oder suspendiert, Zeitungen geschlossen, JournalistInnen, GewerkschafterInnen und OppostionspolitikerInnen festgenommen, eingesperrt, angeklagt. Angesichts dieser Ereignisse und der zur Anwendung gekommenen Mittel und Methoden fällt es historisch Versierten schwer, keine Vergleiche mit der Situation im Frühjahr 1933 in Deutschland oder zumindest mit dem Italien Mussolinis in den 1920er Jahren anzustellen. Falsche Rücksichtnahme aus welchen Gründen auch immer gegenüber der mindestens rechtspopulistischen türkischen Regierung trägt ebenfalls nicht dazu bei, Rechtspopulisten die rote Karte zu zeigen.

Anmerkungen

1) Der Beitrag erschien erstmals in E&W - Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Zeitschrift der GEW Niedersachsen 12/2016-1/2017: 8-9. Wir danken für die Genehmigung zum Abdruck.

Richard Lauenstein ist Geschäftsführer des GEW-Landesverbandes Niedersachsen und verantwortlicher Redakteur der E&W Niedersachsen.

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