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Klaus Holzkamp

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Jugendkult und Altersdiskriminierung in der deutschen Wissenschaft

15.05.2004: Normen, Gesetze, Werte und Stereotype

  
 

Forum Wissenschaft 2/2004; Titelbild und andere Bilder: Ch. Kurby, J. Schwertheim, J. Hartwig

Durchgängiges Merkmal hochschulrechtlicher Entwicklungen der letzten Jahre ist das Bestreben, in allen Phasen wissenschaftlicher Beschäftigung eine Beschleunigung und Verjüngung zu erreichen: das Studium soll verkürzt, Promotionszeiten sollen gesenkt werden, Einstellungen sehen ein Höchstalter vor. Derartigen Praktiken liegen implizite Annahmen über den Zusammenhang von Alter und »Leistungsfähigkeit« zugrunde, die selten oder nie thematisiert werden. Ulrich Oberdiek setzt sich in einer Studie, die demnächst im BdWi-Verlag erscheint, mit den zugrunde liegenden Stereotypen kritisch auseinander. Er stellt im Folgenden seinen zentralen Befunde vor.

Gibt es einen Jugendkult und eine (berufliche) Altersdiskriminierung im deutschen Hochschulbetrieb? Ja und nein - zu diesem Ergebnis wird man zwangsläufig kommen müssen, wenn man sich die Situation näher anschaut. Ja, weil es von außen, also aus dem nicht-wissenschaftlichen Bereich heraus, limitierende Altersregelungen des Zugangs und Verweilens gibt; grundsätzlich nein, weil man einen speziellen Jugendkult oder eine Altersdiskriminierung nicht primär und dominant bei Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen antrifft. Dabei gibt es aber durchaus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Personalentscheidungspositionen, die etwa altersdiskriminierende Beschlüsse fassen - ob dies nun aus einem persönlichen Welt- und Wertebild heraus geschieht oder über die bürokratischen Regeln verinnerlicht wird. Solche altersdiskriminierende Entscheidungsträger sind beispielsweise Personen, die in Stellenausschreibungen BewerberInnen unter 30 Jahren fordern, und von manchen ist bekannt, dass sie auf ein »jugendliches Team« Wert legen. Alle, die im »System« tätig sind, kennen solche Fälle. Andere Stellenausschreibungen

erwähnen das Alter überhaupt nicht - aber das sagt noch nichts darüber aus, wie die Entscheidungen hinter den Kulissen fallen. Und manchmal wird auch vermieden, eine Altersdiskriminierung bei Personalentscheidungen zuzugeben - besonders in schriftlichen Aussagen wird dies nicht getan, was auf eine gewisse Tabuisierung dieser Begründung hindeutet. Diese Beispiele zeigen etwa, wie schwierig es sein kann, eine berufliche Altersdiskriminierung tatsächlich nachzuweisen.

Dabei kann in Deutschland gegen berufliche Altersdiskriminierung formal überhaupt nichts eingewendet werden, denn sie ist legal und auch gewissermaßen legitim. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen dagegen. Anders ist dies im Fall von Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts, der Rasse, der Religion, die im Grundgesetz verboten sind. Dass das Alter in dem Zusammenhang nicht erwähnt wird, mag ein Grund sein, dass es hierzulande auch kein entwickeltes Problem- oder Unrechtsbewusstsein gibt: Es scheint völlig in Ordnung zu sein, 35-Jährige nicht mehr einzustellen; ganz zu schweigen von 50-Jährigen. Letzteres kommt spezifisch in der Wissenschaft besonders negativ zum Tragen, weil hier die beruflichen Werdegänge grundsätzlich wohl am längsten sind: das Brötchenbacken zu erlernen, geht schneller. Aus diesem einfachen Umstand folgt aber auch, dass die Einstellungsgrenzen für WissenschaftlerInnen entsprechend nach hinten verschoben werden müssten - wenn man denn meint, überhaupt solche Grenzen zu brauchen!

Vergleich Deutschland - USA

Es gibt eine Reihe von Ländern, wie Neuseeland, in denen berufliche Altersdiskriminierung ungesetzlich ist. In den USA beispielsweise entwickelte sich schon in den 1960er Jahren ein Problembewusstsein, welches zu einem gesetzlichen Verbot führte: dem "Age Discrimination in Employment Act" (ADEA - USA 1968)1. Zweck des Gesetzes war, den Faktor Alter bei der Entscheidungsfindung für eine berufliche Position außer Acht zu lassen. Dies ist auch Ergebnis einer jahrelangen gesellschaftlichen Diskussion und einer entsprechenden Literatur. In deren Rahmen ist oft der Zusammenhang von beruflicher Altersdiskriminierung als einer Form des Rassismus hergestellt worden, was sich im Englischen durch die Wortendungen anbietet: racism, sexism, ageism. So ist es auch zu erklären, dass man in den USA bei Bewerbungen das Geburtsdatum weglässt, um einer Altersdiskriminierung vorzubeugen. Dies ist natürlich allein keine Garantie, und informelle berufliche Altersdiskriminierung kommt auch in den USA vor. Aber es ist in diesem Land eines (zumindest ökonomisch) vergleichsweise fortgeschrittenen Individualismus mindestens ein politisches Problembewusstsein und eine gesetzliche Handhabe vorhanden.

In Deutschland lassen sich seit kurzer Zeit immerhin die Ansätze eines solchen Bewusstseins feststellen: etwa wenn der Bundesarbeitsminister fordert, Betriebe sollten doch auch 50-Jährige einstellen, weil sie erfahren und mit ihrem Können und Wissen sehr nützlich seien. Diese Äußerungen erfolgen allerdings nicht aus einer humanitären Haltung, die einer Einsicht in die Brutalität und Unmenschlichkeit der Job-Verweigerung Älteren gegenüber entsprechen würde, sondern sie lassen sich darauf zurück führen, dass die Rentenkassen leer sind und es aus finanziellen Gründen erforderlich ist, dass diese Menschen wieder mitarbeiten; nicht mitarbeiten »dürfen«, sondern - typisch deutsch - müssen! Nun soll die noch nicht sehr alte Regelung der Zwangspensionierung mit 65 Jahren plötzlich aufgehoben werden; nicht um diejenigen, die es wollen, weiter arbeiten zu lassen, sondern um alle dazu zu zwingen.

Für US-amerikanische Hochschulen ist die Zwangspensionierungsgrenze von 65 Jahren aufgehoben worden. In der Folge zeigte sich, dass die meisten Dozenten ohnehin vor dem siebzigsten Lebensjahr in den Ruhestand gehen; bisher wurden kaum Veränderungen der Personalstruktur registriert.2 Den wesentlichen Unterschied macht die »zivile« Kultur der freien Entscheidung aus. Die in deutschen Diskussionen angeführte vermeintliche sachliche Notwendigkeit strikter Gesetze und Zwangsmaßnahmen, kann also zumindest durch die bisherige US-amerikanische Erfahrung in Hochschulen entkräftet werden.

Gesetze, Tabus und Stereotypen

Bei der Altersdiskriminierung wirken zwei Ebene zusammen: einerseits Regelungen, Gesetze und Verordnungen, die - generell für den öffentlichen Dienst - klare Altersobergrenzen setzen; andererseits gibt es den grauen, schwer ergründbaren Bereich der »persönlichen Entscheidungen«, deren Trägerinnen und Träger sicher von den Regeln und den Gesetzen geprägt sind, aber auch von verinnerlichten Präferenzen und Werten. Letztere sind langlebige und über längere Zeiträume generierte kulturelle Gegebenheiten, die nicht zu den harten Fakten zählen. Deshalb ist das wissenschaftliche Dingfestmachen solcher Tatbestände wie Altersdiskriminierung nicht leicht möglich. Es hat in den Sozialwissenschaften Bemühungen gegeben, solche "inaccurate data"3 - Meinungen, die z. B. nicht offen vertreten werden, aber handlungsrelevant sind - festzustellen. Die Stereotyp-Forschung versucht, diese Dinge in den Griff zu bekommen. Dieser Umgang mit »heiklen« Tatbeständen, Tabus und Daten macht das Thema schwierig. Die Involvierung all dieser Faktoren und Ebenen verdeutlicht, dass eine eindimensionale - also etwa nur-politische, oder nur-juristische Betrachtung und Analyse - diesen Gesamtkomplex nicht erfassen kann und daher auch keine befriedigende Lösung ermöglichen würde.

Die Neuregelungen des Hochschulrechts Anfang 2002 (Hochschulrahmengesetz-Novelle, Dienstrechtsreform) und hier besonders die neuen restriktiven Zeitregelungen - maximale Beschäftigungsdauer von 12 Jahren4 in Universitäten, wenn keine Professur erreicht wurde, Höchsteinstellungsalter für Juniorprofessuren von 35 Jahren - waren für mich der Anlass, eine qualitative empirische Untersuchung5 zu diesem Thema in Angriff zu nehmen. Diese Neuregelungen tragen eine gehörige zusätzliche Dosis von Jugendkult - ich würde sagen: Jugendfetischismus6 - in das umkämpfte wissenschaftliche Feld hinein. Dabei wird hier ohnehin schon viel zu viel Energie und Zeit mit nicht-wissenschaftlichen Kämpfen zugebracht, von der Bürokratie bis zur Konkurrenz, so dass der verstärkte Jugendfetischismus die Situation noch weiter kontraproduktiv zum Nachteil der Wissenschaft verschärft. Sachlich sind diese Maßnahmen Unfug: "Spitzenforschung, die weltweit […] konkurriert, ist nicht allein mit wissenschaftlichen ‚Youngstern‘ durchzuführen."7 Und die Beteiligten können auch nicht immer jünger werden: Wenn sich in Fächern wie der Biologie oder Chemie die Quantität des Wissens alle drei oder fünf Jahre verdoppelt und gleichzeitig von politischer und ökonomischer Seite gefordert wird, die Studienzeiten sollen immer kürzer werden, fragt man fragt sich, ob die politischen und ökonomisch orientierten (Berater-)Akteure das wissenschaftliche System einfach nur zerstören wollen.

Im Rahmen meines Buchprojektes habe ich zwanzig betroffene Personen zur beruflichen Altersdiskriminierung in deutschen Hochschulen befragt. Davon werden zehn Fälle dokumentiert und ihre inhaltliche Problematik weiter ausgeführt. Diese Fälle zeigen Bedingungen, Entwicklungen und Entscheidungen von EntscheidungsträgerInnen, die in der Auswirkung eine Altersdiskriminierung für die Betroffenen sind.

Aus einer ethnologischen Perspektive sind die "kulturellen Logiken" das, was die Menschen zu ihrem Handeln antreibt: ihre Überzeugungen, Glaubenssätze, Werte, auch Stereotypen. Dieser zentrale ethnologische Untersuchungskomplex erfordert oft, dass die »ganze« Kultur, also ein umfassendes Feld, betrachtet wird, denn die besagten Überzeugungen und Ansichten speisen sich aus verschiedensten Herkunftsbereichen, sie haben verschiedene, auch sich widersprechende, Gründe und entstehen aus verschiedenen Notwendigkeiten. Deshalb ist es wesentlich, auch auf Faktoren und Inhalte einzugehen, die nicht vordergründig nur die Altersdiskriminierung betreffen. So sind die drei Neuerungsbereiche der HRG-Novelle und Dienstrechtsreform von 2002 (Befristungen, Juniorprofessur und Habilitation) logisch miteinander verbunden. Aus diesem Grund werden in der Altersdiskriminierungsstudie nicht nur die Befristungen von wissenschaftlichen Arbeitsverträgen behandelt, die möglicherweise einer strukturellen Modernisierungslogik folgen, sondern es wird auch ein Versuch unternommen, in die kulturellen, wertebezogenen »Tiefen« und Logiken der Habilitations-Institution zu tauchen. Schließlich berührt die Problematik der Befristungen auch zum Beispiel die von Bourdieu beschriebenen »Nachfolgeordnungen«, die in Deutschland vielfach über die - auch das Alter berührende - Habilitation »geregelt« werden.8

Zudem wird bei der (für höchstens sechs Jahre befristeten) Juniorprofessur primär auf die Zeit, das Alter abgehoben, und die Juniorprofessur ist wiederum nur im Zusammenhang der Habilitation verständlich. Wissenschaftlich arbeitende Personen, die dauerhaft ins System gelangen wollen, befinden sich also in einem komplexen Feld, in dem nach verschiedenen, teils heterogenen Logiken und Notwendigkeiten ausgewählt und ausgegrenzt, diskriminiert, gefördert oder verstoßen wird - und das Alter oder die Zeit sind hervorragende Mittel und Werkzeuge, um diese Logiken umzusetzen. Zeit und Alter eignen sich deshalb so gut als Machtmittel, weil sie ein scheinbar »objektives« Beurteilungsinstrument, aber zugleich auch werte- und stereotypbezogen aufgeladen sind. Anders formuliert: die Beurteilung über die Zeit oder das Alter beinhaltet immer auch eine gehörige Fracht von teils unbewußten Werten und Stereotypen, die mehr oder weniger von allen verinnerlicht worden sind und die deshalb - in Deutschland - eine sehr starke (erwünschte!) Wirkung haben.

Die Sekundärtugend (und natürlich auch der vermeintlich ökonomische Vorteil) des niedrigen Alters wird in den Vordergrund gerückt und zu einer Art Hauptsache einer Sache gemacht, die eigentlich gerade im Hochschulbereich nur in der Sach-Sache (Wissen, wissenschaftliche Fähigkeiten, Leistung …) liegen kann, nicht im chronologischen Alter, der Körpergröße, Muskelbelastbarkeit, der Haarfarbe oder ähnlichem.

Diese Forderung des möglichst niedrigen Alters seitens mancher Politiker geht auf ein einfaches Vergleichen des deutschen Hochschulabsolventenalters mit anderen europäischen Ländern zurück,9 ohne dass dabei auf Inhalte und Ergebnisse der unterschiedlich organisierten Studiengänge und -systeme geachtet wird. Hinzu kommen Ideen und davon abgeleitet Werte aus den Wirtschaftswissenschaften: Vorstellungen der größeren Effizienz von Jüngeren, die eigentlich auf einer sehr körperkraftbezogenen Ebene angesiedelt sind. Ein junger Bergarbeiter etwa bringt dem Unternehmer dann mehr Profit, wenn er vielleicht mehr und schneller schaufeln kann als ein alter. Aber auch die leichtere »Formbarkeit« junger Bewerberinnen und Bewerber für Firmenzwecke wird häufig angeführt. Gerade das letztgenannte Kriterium greift jedoch im Wissenschaftsbereich überhaupt nicht, weil es hier elementar auf kritisches, selbständiges Denken ankommt - es sei denn, man begreift das Wissenschaftssystem im oben genannten Bourdieuschen Sinn primär als eine Einübung in den Systemgehorsam.

Unzulässige Schlussfolgerungen

Filipp und Mayer10 berichten von verschiedenen Untersuchungen, nach denen Befragungen diverser Personenkreise das Vorhandensein von Stereotypen zeigten, die den Glauben an eine größere Leistungsfähigkeit von jüngeren Personen belegten. Während die Messbarkeit körperlicher Leistungsfähigkeit vergleichsweise eindeutig erscheint, ist dies bei geistiger Leistungsfähigkeit bisher nicht so leicht möglich. Knopf11 hat im Rahmen der entwicklungspsychologischen Intelligenzforschung experimentell zur Rolle des Wissens für das Gedächtnis älterer Menschen geforscht. Diese Forschungen haben ergeben, dass sich Wissen und wissensbezogene Fähigkeiten (kristallisierte Intelligenz) bis ins hohe Alter nicht verändern. Die bedeutende Rolle des Wissens für das Gedächtnis ist eindrucksvoll belegt worden. Knopf hat dabei die Aspekte des 1. taxonomischen und episodischen Wissens, 2. des fachspezifisches Expertenwissen und 3. des handlungsbezogenen Wissens »getestet« und kommt zu dem Schluss, dass bislang vorliegende Ergebnisse keine Generalisierungseffekte ergeben: Schlussfolgerungen auf mit dem Alter abnehmende geistige Leistungen sind unzulässig.

Eine andere Studie zur Abstraktionsfähigkeit bei zunehmendem Alter12 kommt zwar zu dem Schluss, dass ein generelles Abnehmen dieser Fähigkeit über die Jahrzehnte beobachtet wird, dass dieser Effekt aber durch individuelle Spezifik und Bedingungen wieder aufgehoben werden kann. Diese Ergebnisse sowie der m. E. gewichtige »Individualitätsfaktor« bei Hochschullehrerinnen und-lehrern - das heißt: ihr außerregulärer Werdegang und Tätigkeitsbereich - lassen eine Generalisierung abnehmender Leistung im Alter nicht zu.

Man kann schließlich der Frage nachgehen, ob die Ausgrenzung von Älteren und konkret der Ausschluss älterer Menschen von der aktiven Berufstätigkeit in »modernen« (oder postmodernen) Gesellschaften auch - wahrscheinlich nicht nur - eine Art Inversion der in traditionellen Gesellschaften relativ verbreiteten Gerontokratie darstellt. Dass »gerontokratische« Herrschaft auch in (post-) modernen Industriegesellschaften durchaus vorhanden ist, dürfte evident sein: An den Spitzen von Konzernen und auch in politischen Ämtern sind oft ältere Männer anzutreffen und in den Hochschulen bekleiden sie oft genug die entscheidenden Positionen, vom Ordinarius bis zum Rektor oder Präsidenten. So hat eine kurze von K. Rodham13 durchgeführte Studie über zwanzig jüngere Wissenschaftler (zwischen 27 und 36 Jahren) an einer (vermutlich) britischen Universität, die zu ihren Erfahrungen hinsichtlich Altersdiskriminierung befragt wurden, Wirkungsmechanismen des des »gerontokratischen« Machtprinzips verdeutlicht. Rodham analysierte diskriminierende informelle Aussagen (Ansichten, Stereotype, Werturteile) als Machtstrategien älterer Wissenschaftler, so etwa die Aussage, dass eine fünfundzwanzigjährige promovierte Person doch wohl kaum etwas wissen könne, oder dass ein junger Wissenschaftler für einen Lehrbeauftragten (lecturer) nicht »alt genug« aussehe.

Diesen und anderen Fragen geht meine Studie zur Altersdiskriminierung nach. Die dokumentierten Fälle belegen in unterschiedlicher Weise, wie solche Diskriminierungsprozesse ablaufen und wie unterschiedlich sie sein können. Diese Erscheinungen werden analysiert und interpretiert. Belegbar sind u. a. solche Phänomene wie die Förderung von Mittelmaß vor Exzellenz, die Benachteiligung untypischer Lebensläufe, geschlechtsspezifische Alterdiskriminierung, strukturelle Gewalt, verdeckte Strategien uneigentlicher Begründungen, Benachteiligung ostdeutscher Lebensläufe oder Verhinderung und Bestrafung von Interdisziplinarität, Kreativität und Exzellenz durch Verzögerung von Entscheidungen. Der fortgesetzte Schaden, welcher der Wissenschaft durch derartige Praktiken entsteht, wird sichtbarer.


Anmerkungen

1) Vgl. Fenske, A.: Das Verbot der Altersdiskriminierung im US-amerikanischen Arbeitsrecht. Berlin 1998

2) Burkhauser, R./ V./Joseph F. Quinn,: Changing policy signals. In: Riley, Mathilda White et al. (eds.): Age and structural lag. Society’s failure to provide meaningful opportunities in work, family, and leisure. New York 1994: 252

3) McNabb, S. L, 1990: The uses of ,inaccurate‘ data. In: American Anthropologist 92: 116-129

4) Die Dauer von 12 Jahren innerhalb eines Lebensalters betrifft natürlich auch das Alter der jeweiligen Person - damit ist es eine Diskriminierung auf Altersbasis gegeben. Und da man weiß, dass man damit Personen etwa zwischen 40 und 55 Jahren trifft, weiß man auch, was man damit verursacht.

5) Oberdiek, U.: Berufliche Altersdiskriminierung, [im Erscheinen], Marburg 2004

6) Folgende Definition möge genügen: "A fetish is an object which is believed to have spiritual power, such as a magical charm. […] Fetishization is the act of treating something as if it were a fetish. The term is often used to describe a process by which a culture or a social group irrationally overrates something […] In this sense, the object does not have to be material but may be, for example, a theoretical idea […]." In: Barnard A./J. Spencer (eds.): Encyclopedia of social and cultural anthropology. London 1996, S. 605

7) Krätzig, W. B.: Eliteuniversitäten - ein langer und steiniger Weg. In: Forschung und Lehre 3/2004, S. 139

8) Das formale universitätsspezifische Feld generiert aus sich heraus bestimmte altersrelevante Mechanismen: Die sozusagen auch biologischen Körper der Kandidaten und Bewerber für Hochschullehrerposten gehorchen diesen Regeln, einem diesem »Sozialkörper innewohnenden Gesetz«: "Ohne jede ausdrückliche Reglementierung und Aufforderung richten sich die Erwartungen und Ansprüche tendenziell nach der modalen, also für eine bestimmte Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt normalen Laufbahn aus." In: Bourdieu, P.: Homo academicus. Ffm. 1992, S. 232. (Hervorhebung durch U.O.) Dazu gehört das entsprechende Verhalten: "… Sie fühlen sich nicht berechtigt oder empfinden keine Neigung, sich um eine Stelle zu bewerben, wenn sie jünger - oder auch älter - sind als der Durchschnitt der Inhaber dieser Stellung mit gleichem Ausbildungsniveau. Ein guter Schüler ist, wer gemäß den Rhythmen des Systems weiß und spürt, wann er zurückliegt oder voraus ist, und entsprechend reagiert […] Ähnlich ist ein mustergültiger Professor der, der die Struktur des Normalalters verinnerlicht hat" (ebd. 232f; Hervorhebung durch U.O.) Entsprechend wird ein Missachten des Normalalters sanktioniert. Diese Normen sind jedoch soziale, macht- und fach-politische, keine wissenschaftlichen; letztere können nur zu einem »freien« Umgang mit dem Alter führen. Die herrschenden universitären Altersnormen jedoch stammen aus weitverbreiteten, vielleicht universell zu nennenden und archaischen quasi-biologischen Gegebenheiten, mit denen ebenso archaische Machtprioritäten fest verwoben sind. Da dies jedoch wissenschaftlichen Notwendigkeiten nicht gerecht wird, kann die archaische Altersnormativität als dysfunktional und daher schädlich verstanden werden.

9) Vgl. P. B. Baltes, der auf diesen Umstand eingeht und die gesamtgesellschaftliche Unbekömmlichkeit dieses Trends beschreibt. In: Die ZEIT vom 27. 3. 2002, S. 13

10) Filipp, S./A.-K. Mayer: Bilder des Alters. Altersstereotype und die Beziehungen zwischen den Generationen. Stuttgart 1999, S. 111ff.

11) Knopf, M.: Die Rolle des Wissens für das Gedächtnis älterer Menschen. In: Baltes, Margret M. et al. (Hg.): Erfolgreiches Altern. Bedingungen und Variationen. Bern 1989, S. 283-288

12) Lee, J. S.: Abstraction and aging. A social psychological analysis. New York 1991, S. 90f

13) Rodham, Karen (née Gadd): Ageism, young academics and the buffalo stance. In: Glover, Ian/M. Branine (eds.): Ageism in work and employment. Aldershot 2001, S. 175-184.


Dr. Ulrich Oberdiek ist Ethnologe und Privatdozent an der Universität Freiburg.

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