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Klaus Holzkamp

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Wie wissenschaftlich ist die Homöopathie?

Für Millionen Menschen trägt Homöopathie subjektiv zu ihrem Wohlbefinden bei. Mitunter wird der Heilkraft alternativer Methoden stark vertraut - bei gleichzeitigem Misstrauen gegenüber der Schulmedizin. Auch in der deutschen Gesundheitspolitik genießt Homöopathie hohes Ansehen. Homöopathische Leistungen können dadurch auch krankenkassenfinanziert werden. Doch gerade Letzteres ist aktuell stark umstritten, etwa innerhalb der Grünen, schließlich sei jenseits von Placebo-Effekten wissenschaftlich keinerlei Wirksamkeit nachweisbar. Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Homöopathie begründen auch Natalie Grams und Udo Endruscheit.

"Es wird übrigens für die Wissenschaften eine immer massivere Herausforderung, überzeugend die Grenze zu Nichtwissenschaft oder auch zu Pseudowissenschaft zu ziehen. Diese Frage gehört zu denjenigen, die mich am allermeisten interessieren." (Prof. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft 2014)

Die Homöopathie als "alternative Heilmethode" spielt eine große Rolle in der Medizin, der öffentlichen Wahrnehmung und ist im deutschen Gesundheitssystem rechtlich auf besondere Weise verankert. Ihre Sonderstellung ist jedoch historisch-soziologisch bedingt und hat keine haltbare medizinisch-wissenschaftliche Rechtfertigung. Es wird im Folgenden der Versuch unternommen, das "Phänomen Homöopathie" unter dieser Prämisse näher zu untersuchen.

Homöopathie ist ein hypothetisches Gedankengebäude aus der vorwissenschaftlichen Ära, das weder innere noch äußere Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) aufweist. Die Kritik daran bestreitet nicht Effekte einer homöopathischen "Behandlung", sehr wohl jedoch, dass es sich dabei um spezifische, der Methode eigene Phänomene handelt, die über die erwartbaren Kontexteffekte einer guten Behandlung hinausgehen. Medizin ist dadurch definiert, dass sie über Kontexteffekte hinausgehende Wirkungen von klinischer Relevanz, reproduzierbar nachgewiesen, erfordert. Deshalb qualifizieren Placebo und die anderen Kontexteffekte die Homöopathie nicht als Medizin. Die wohl ganz überwiegende Mehrzahl der homöopathischen Therapeuten hält jedoch daran fest, eine spezifisch wirksame Arzneimitteltherapie anzuwenden.

Wissenschaft als einheitlich grundgelegtes System - die innere Konsistenz

"Eine jede Lehre, wenn sie ein System, das ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes der Erkenntnis sein soll, heißt Wissenschaft." (Immanuel Kant: Vorrede zu den metaphysischen Anfangsgründen der Wissenschaft)

Schon in der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet Kant klar zwischen dem "bloßen Herumtappen" durch das mehr oder weniger unsystematische Anhäufen empirischer Daten und andererseits zwischen einem "sicheren Gang einer Wissenschaft" unter "systematischer Bearbeitung ihrer Erkenntnisse". Letztere zeichne sich dadurch aus, dass sie nicht gleich mit ihren Hypothesen "ins Stocken gerät" und zur Erhaltung ihres Gebäudes ständig revidiert und erweitert werden muss. Eine "sichere Wissenschaft" in Kants Sinne verzeichnet systematische Erkenntnisfortschritte. Sie muss sich "ihres Gegenstandes und der Prinzipien ihrer Erkenntnis sicher sein"1.

Nicht nur nach diesen Maßstäben scheitert die Homöopathie. Es fehlt ihr an der einheitlichen Grundlage, an Einhelligkeit. Die Homöopathie gibt es nicht. Die Homöopedia, das Online-Lexikon des Informationsnetzwerks Homöopathie, identifiziert mindestens 28 Varianten der Methode.2 Diese Varianten widersprechen sich teilweise in entscheidenden Punkten. Historisch betrachtet, ist der Weg der Homöopathie nicht der des Findens einer "einheitlichen Grundlage" von Erkenntnissen, die einen Beitrag zum Kanon wissenschaftlicher Erkenntnis leisten, sondern eine Aneinanderreihung von unbewiesenen, unbeweisbaren und widersprüchlichen Postulaten.

Ein gewisser Konsens der HomöopathInnen besteht allenfalls darin, Hahnemanns Organon der Heilkunst als Grundlage der Methode anzusehen. Samuel Hahnemann (1755-1843) war der deutsche Arzt und Apotheker, der die Homöopathie begründet hat. Sein Grundlagenwerk Organon ist sakrosankt, niemand hat sich jemals an eine Revision oder Überarbeitung des Textes begeben.3 Aber selbst dieser Konsens ist brüchig, zeigt doch die homöopathische Praxis teils gravierende Abweichungen von den Vorschriften Hahnemanns. Beispiele sind die verbreitete und populäre Komplexmittelhomöopathie (in der entgegen Hahnemanns Postulaten mehrere Substanzen in einem homöopathischen Mittel verbunden werden) und die Selbstmedikation (nach Hahnemann bedarf die Anwendung der homöopathischen Methode der Erfahrung des "ächten Heilkünstlers", der die homöopathische Anamnese und die darauf fußende Mittelfindung mit größter Sorgfalt und Erfahrung durchzuführen hat). Auch die homöopathische Behandlung auf der Grundlage von konkreten Krankheitsbildern gehört dazu, für Hahnemann gab es keine typisierenden Krankheiten, sondern nur individuelle Symptomkonstellationen. Die Liste der inneren Inkonsistenzen kann fortgesetzt werden, beispielsweise mit dem Ausufern von Konstitutions- und Typenlehre (entgegen dem zentralen individuellen Ansatz der Methode) oder mit der verbreiteten Tier- und sogar Pflanzenhomöopathie. Auch die so aktuelle Propagierung einer "komplementären" oder auch "integrativen" Medizin, worin ein fruchtbares Miteinander von Homöopathie und "Schulmedizin" beschworen wird, ist mit Hahnemanns Prämissen unvereinbar. Hahnemann verurteilte das Nebeneinander der beiden Methoden aufs Schärfste und verlangte ein klares "Entweder - Oder".

Die Inkonsistenz der Homöopathie bis in ihre ursprünglichen Grundlagen hinein ist deutlicher Beleg dafür, dass sie nicht unter den Kant’schen Wissenschaftsbegriff fallen kann. Sie ähnelt dem Wechselbild eines Kaleidoskops: Man sieht zwar ein Bild, aber jeder Perspektivenwechsel zeigt ein anderes.

Wissenschaftlichkeit als Baustein - die äußere Konsistenz

"Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustoßen." (Karl R. Popper: Logik der Forschung)

Das dem kritischen Rationalismus entspringende praktische Prinzip der Falsifikation, des Erkenntnisfortschritts durch Identifizierung von Irrtümern und ihr Ersetzen durch Besseres, ist die bestverfügbare Option, um die die bereits von Kant verfolgte Abgrenzung zu Beliebigkeit und Spekulation und einen gesicherten Erkenntnisfortschritt zu gewährleisten. Der Falsifikationismus kennt kein Erreichen einer absoluten Wahrheit, der Grad von Wahrheitsnähe einer Hypothese oder Theorie bestimmt sich nach dem Grad der Übereinstimmung mit der Realität, dem Weltbild auf der Grundlage bereits gesicherten Wissens (Korrespondenztheorie).

Betrachtet man die Prämissen der Homöopathie, wird deutlich, dass ihr die äußere Konsistenz, die Vereinbarkeit mit gesichertem Wissen, fehlt. Vor allem kollidiert die zentrale Grundannahme der Homöopathie, dass Mittel über eine immer weitere Verdünnung und eine leicht als Mystifizierung zu erkennende "Potenzierung" (ein rituelles Schütteln) stärker (wirksamer) werden, mit dem gültigen naturwissenschaftlichen Weltbild (und dem Alltagsverstand). Damit tritt die Homöopathie gegen eine der bewährtesten Beschreibungen naturgesetzlicher Axiome an, die wir besitzen: den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.

Das Ähnlichkeitsprinzip der Hahnemann´schen Lehre, das Grundpostulat, dass es Substanzen gebe, die einerseits Symptome beim Gesunden auslösen, andererseits solche beim Kranken zu beseitigen imstande sind, hat keiner Überprüfung standgehalten. Es spielt nicht die mindeste Rolle in der modernen Pharmazie. Seine Wurzeln hat es in überholten anthropozentrischen Vorstellungen, die durchaus auch in der Homöopathie mystisch überhöht wurden. In der Praxis, vor allem der homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden, äußert es sich in ausufernder Subjektivität.

Die Russische Akademie der Wissenschaften beschreibt in ihrem Memorandum Homöopathie ist Pseudomedizin (2016) dies als den "internen Szientismus" der Homöopathie:

"Die Gesamtschau der Fakten […] über die Ergebnisse der klinischen Studien bis zu den modernen wissenschaftlichen Vorstellungen über die Struktur der Materie, den chemischen Grundlagen der intermolekularen Wechselwirkungen und der menschlichen Physiologie - ermöglicht uns die Schlussfolgerung, dass die theoretischen Grundlagen der Homöopathie keinen wissenschaftlichen Sinn haben …"4

Folgerichtig lassen die homöopathischen Prämissen sich auch nicht durch das Experiment (klinische Studien und sogenannte homöopathische Grundlagenforschung) bestätigen. Die Homöopathie war in 200 Jahren nicht imstande, einen belastbaren experimentellen Nachweis für eine spezifische Wirksamkeit zu liefern. Wie angesichts der Probleme empirischer Untersuchungen und ihrer Interpretation erwartbar, existieren durchaus Studien und auch indikationsbezogene Reviews, die vordergründig eine Evidenz für die Methode aufzuweisen scheinen. Schaut man jedoch genauer hin, ist dies durchgängig bedingt durch methodische Unzulänglichkeiten in Studiendesign und -durchführung und Effekte aus Voreingenommenheit, die bei "Bestätigungsforschung" unvermeidbar sind. Keines der großen Reviews der letzten 30 Jahre kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die Studienlage einen Rückschluss auf belastbare Evidenz pro Homöopathie zulasse. Dies durch beständige Berufung auf einzelne Arbeiten, die systemisch keinen belastbaren Evidenznachweis erbringen können, gegenüber der Öffentlichkeit in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, gehört zur homöopathischen Öffentlichkeitsarbeit - und zeigt ihre Distanz zur Wissenschaftlichkeit.

Fazit

Homöopathie erfüllt entscheidende Kriterien für eine als wissenschaftlich anzusehende Methode nicht. Da sie gleichwohl einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, präsentiert sie sich mit einem scheinwissenschaftlichen Anstrich. Sie tut dies mit einer gewissen Virtuosität, was sich darin zeigt, dass einerseits die weltweite Wissenschaftsgemeinschaft sich über die wissenschaftliche Wertlosigkeit der Methode einig ist, andererseits jedoch die scheinwissenschaftliche Mimikry mit Forschung, Studien, Therapiemodellen, Pseudo-Qualifikationen, der Adaption wissenschaftlicher Terminologie und dergleichen ihren Eindruck auf das mit wissenschaftlichen Grundannahmen, ja dem Wissenschaftsbegriff selbst nicht vertraute Publikum nicht verfehlt.

Um die Prämissen der Homöopathie als falsch zu erkennen, bedarf es keiner Qualifikation über naturwissenschaftliches Grundwissen hinaus. Wie aber ist es dann erklärbar, dass die Homöopathie eine derzeit noch große Akzeptanz in der Bevölkerung genießt? Einer der Gründe liegt im Fehlen eines grundlegenden Verständnisses von Wissenschaft als Methode, ihrer Vorgehensweise und ihrem Selbstverständnis. Mag naturwissenschaftliches Faktenwissen noch in der schulischen Bildung vermittelt werden, so sieht es bei wissenschaftlicher Methodik und Grundlagen der Epistemologie weitaus trüber aus. Die Aufnahmebereitschaft breiter Kreise der Bevölkerung für pseudowissenschaftliche Thesen zeigt sich Tag für Tag, auch weil sie irrationale Hoffnung zu spenden vermag.

Und so kommt es zu den Irrtümern und Fehlannahmen, zur Ausbildung soziokultureller Memes an der Stelle belegten Wissens, eine Entwicklung, für die die Homöopathie mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit jedenfalls in den letzten 40 Jahren exemplarisch steht. Exemplarisch deshalb, weil das Phänomen Homöopathie, ihre falsche soziale Reputation, ihre Fehlwahrnehmung und ihre erfolgreiche Wissenschaftsmimikry ein Fanal für den Umgang mit Zukunftsproblemen (wie dem Klimawandel) bedeutet, deren Lösungen noch weit mehr auf Verständnis für Wissenschaft und Akzeptanz von Fakten in der Allgemeinheit angewiesen sein werden.

Schlussfrage

Warum aber ist die Homöopathie nicht dem Schicksal so vieler Ideen der vorwissenschaftlichen Zeit zum Opfer gefallen und als überholt erkannt worden, als die moderne Medizin mit ihren belegbaren und sich ständig erweiternden Erkenntnissen aufwuchs?

Vermutlich ist es eben nicht die wissenschaftliche Sicht auf die Homöopathie, die dabei entscheidend ist - die ist längst mit klarem Ergebnis abgeschlossen. Wer viel und oft mit VerteidigerInnen der Homöopathie, vor allem auf der PatientInnenseite, zu tun hat, der findet einen ganz anderen Aspekt: Gerade das Unbestimmte, nur Geahnte, das "zwischen Himmel und Erde muss doch…", das Spekulativ-Okkulte scheint Wesentliches der Grundfaszination der Homöopathie auszumachen. Dies mag seinerseits durchaus eine Reflexion menschlicher Grundbedürfnisse darstellen, rechtfertigt aber nicht, Pseudomedizin wie die Homöopathie zusätzlich mit einem scheinwissenschaftlichen Anstrich zu versehen und auf diese Weise die so notwendige Grenzziehung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft weiter zu verunklaren. Homöopathie zu verbieten wäre daher verfehlt - sie weiterhin in ihrer scheinwissenschaftlichen Sphäre zu belassen, jedoch ebenso.

Zugeständnisse, die der Gesetzgeber einer vermeintlich zu bewahrenden "Erfahrungsmedizin" in den späten 1970er Jahren machte, entfalten heute nur noch formale Legitimationswirkung. Die Homöopathie, insbesondere ihre Fortexistenz, erweist sich als soziokulturelles, nicht als medizinwissenschaftliches Phänomen, das seine Blütezeit in der Vergangenheit und aufgrund vieler Fehldeutungen und Missverständnisse hatte.

Anmerkungen

1) Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage, Kapitel 3.

2) www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Varianten_der_Hom%C3%B6opathie.

3) Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst, 6. Auflage, vollendet 1843, veröffentlicht 1921 von Richard Haehl.

4) "Homöopathie ist Pseudomedizin" klnran.ru/2017/02/memorandum02-homeopathy/ oder auf Deutsch: www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/homoeopathie-russland-lehnt-methode-als-pseudowissenschaft-ab-a-1133395.html.

Dr. med. Natalie Grams ist Ärztin, Autorin und ehemalige Homöopathin und heute Leiterin des kritischen Informationsnetzwerks Homöopathie sowie Kommunikationsmanagerin der GWUP. Udo Endruscheit ist pseudomedizin-kritischer Autor und Blogger. Er verantwortet die Webauftritte des Informationsnetzwerks Homöopathie redaktionell und ist selbst Autor zahlreicher Informationsartikel.

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