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Klaus Holzkamp

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21.03.2021: Studierende in Coronazeiten

  
 

Forum Wissenschaft 1/2021; Foto: Alberto Giuliani, CC BY-SA 4.0

Wissenschaft und Hochschulen bleiben vom Verlauf der Pandemie und den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung nicht unberührt. Der Lebens- und Arbeitsalltag von Beschäftigten und Studierenden hat sich massiv und dauerhaft verändert, die sozialen Folgen eines monatelangen Ausnahmezustandes für prekär Beschäftigte und sozial benachteiligte Studierende sind unübersehbar. Der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) hat schon frühzeitig Forderungen für solidarische Perspektiven eines Lehrbetriebs unter Pandemiebedingungen formuliert. Jonathan Dreusch zeichnet die Entwicklungen nach.

Wie ist es, während einer Pandemie an einer Hochschule zu studieren? Ich weiß es nicht und viele meiner Komilliton:innen wissen das vermutlich auch nicht so genau. Denn das Studium der Meisten findet seit März 2020 fast ausschließlich online statt, die Hörsäle haben viele schon lange nicht mehr von innen gesehen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gesellschaftsbereichen ist der Studienbetrieb an Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und anderen Hochschularten seit Beginn der Pandemie beinahe durchgehend im Lockdown. Zoom-Konferenzen statt Seminarraum, Youtube-Videos statt Vorlesungssaal und das eigene Schlafzimmer statt der Bibliothek. Viel bleibt nicht übrig vom Studium. Und auch drum herum wird es knapp mit den sozialen Kontakten: während viele Menschen wenigstens auf der Arbeit noch ein paar Menschen sehen, sind die meisten lohnarbeitenden Studierenden in Branchen beschäftigt, die lange geschlossen waren. Kneipen, Restaurants, Kinos, Messen und Einzelhandel bis auf ein paar Monate im Sommer und Herbst 2020 ist hier tote Hose. Während Bund und Länder sich noch nach einem Jahr um einen harten Shutdown in Industrie und Gewerbe drücken, ist er für Studierende seit einem Jahr Realität.

Die Lehre findet für die meisten vor dem Laptop statt, der seinen dauerhaften Platz in einem häufig viel zu kleinen Zimmer mit schlechter Internetverbindung finden musste. Von ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung wollen wir gar nicht reden. Wer das zweifelhafte Glück hat, nicht digitalisierbare Kurse belegen zu müssen, darf sich mit Maske, Abstand und einem mulmigen Gefühl ins Labor, den Sportkurs (draußen) oder den Proberaum begeben. Da die meisten Freizeitaktivitäten für uns alle ausfallen, bleibt dann noch genug Zeit, sich den Kopf über die unsichere finanzielle Situation zu zerbrechen. Toll!

Mitten in der Bildungskrise

Aber der Reihe nach. Lasst uns zunächst einen Blick auf die Lehre in diesen zwei außergewöhnlichen Semestern werfen. Als im März 2020 Online-Lehre unvermeidbar wurde, waren die Hochschulen kaum bis gar nicht darauf vorbereitet. Natürlich nicht, wie sollte man sich auch auf eine Pandemie diesen Ausmaßes vorbereiten, noch dazu als einzelne Hochschule. Nicht vorbereitet war man aber auch, weil Digitalisierung in den Köpfen der meisten Professor:innen immer noch eher was mit einem Sci-Fi-Roman zu tun hatte als mit ihrer Arbeit. Neuland eben. An meinem eigenen Institut hatte man beispielsweise 2015 für viel Geld ein paar Smart-Boards angeschafft, die bis heute höchstens mal als Magnettafel dienen. Von vollständiger Online-Lehre war da noch gar keine Rede. Solche desolaten Zustände waren keine Einzelfälle, ganz zu schweigen davon, dass selbst Hochschulen mit innovativeren Ansätzen oft einfach die Mittel fehlten. Besserung ist nicht in Sicht, das BMBF verwehrt sich weiterhin gegen einen Hochschuldigitalpakt. Und nebenbei: wie ernsthaft die Bemühung der Landeswissenschaftsministerien ist, ist ebenfalls fraglich. Solange der Bund sich nicht bewegt, kostet sie die Forderung nach dem Pakt ja nichts.

Trotzdem konnte man überall hören und lesen, dass die vollständige Umstellung auf Onlinebetrieb ziemlich gut lief. Hatten Bund, Länder und Hochschulleitung am Ende doch mehr richtig als falsch gemacht? Nein, sie hatten erfolgreich auf die Eigeninitiative (lies: Selbstausbeutung) der Lehrenden gesetzt. Mit großem persönlichen Einsatz haben die nämlich in kürzester Zeit umdisponiert. Das muss man anerkennen.

Das Problem bleibt aber, dass die größte Einzelanstrengung nicht ausreicht, um strukturelle Defizite auszugleichen, das didaktische Defizit zum Beispiel. Nicht nur, dass hochschuldidaktische Einrichtungen allerorten nicht genug Kapazität für die Fortbildung aller Lehrenden haben. Viele Lehrende - gerade Professor:innen - nehmen diese Angebote auch selten wahr. Man weiß ja, wie man eine Vorlesung hält. Was in Präsenz vielleicht halbwegs geklappt hat, ist digital plötzlich unbrauchbar. Es reicht eben nicht, eine Kamera vor sich aufzustellen. Digitale Formate müssen den fehlenden persönlichen Kontakt ausgleichen, brauchen mehr Beratungsangebote und eine gute Infrastruktur.

Womit wir beim nächsten Problem wären:

Die Rechenzentren der Hochschulen mussten in kürzester Zeit nicht nur bestehende Angebote ausbauen, sondern vieles völlig neu schaffen. Die fehlende Vorbereitung wollten die Präsidien und Rektorate natürlich sofort behoben sehen, also griff man auf große Anbieter, wie Zoom oder Microsoft Teams zurück. Datenschutz spielte dabei plötzlich kaum eine Rolle mehr. Mittlerweile wurde zwar stellenweise nachgebessert, von idealen Bedingungen kann aber immer noch keine Rede sein. Gleichzeitig gibt es immer noch eine unüberschaubare Vielfalt von Programmen. Ich selbst habe fünf verschiedene auf dem Laptop. Die Schuld für dieses Durcheinander tragen aber nicht nur die Hochschulen. Ein leistungsfähiges Angebot für Onlinelehre in diesem Maßstab muss von Bund und Ländern gemeinsam entwickelt werden. Sicher, niemand konnte wissen, dass so etwas ausgerechnet im März 2020 nötig wird. Die Grundlagen dafür hätten aber schon lange gelegt sein müssen. Es ist jetzt an der Zeit, gemeinsame, öffentlich betriebene und sichere Open-Source-Systeme zu entwickeln.

Finanzielle Sorgen

Seit Beginn der Pandemie beschäftigt uns alle die zentrale Frage: wie gehen wir mit der Wirtschaftskrise um. Auch Studierende sind natürlich betroffen. Über die Ursachen (Jobverlust, geringe BAföG-Quote, ..) wurde in letzter Zeit schon mehr als genug geschrieben. Trotzdem kann nicht oft genug die mangelnde Reaktion von BMBF und Landesministerien aufgezeigt werden. Die Länder, die sonst so gerne auf ihre Bildungshoheit pochen, konnten gar nicht schnell genug betonen, dass der Bund für Studienfinanzierung verantwortlich sei. Ein ziemlich erfolgreicher Schachzug. Plötzlich war der Ball beim BMBF und das unternahm: nichts.

Während überall Hilfsprogramme für Unternehmen aufgelegt wurden, gab es für Studierende das Angebot, einen KfW-Kredit aufzunehmen. Zinsfrei sei der. Diese Kommunikation des BMBF, ja das ganze Angebot, war und ist ein Skandal. Nicht genug damit, dass die einzige Hilfe für Studierende in der Aufnahme von Schulden bestand, Zinsfreiheit war überhaupt nicht vorgesehen. Bis April 2021, später bis Jahresende verlängert, übernimmt das BMBF die Zinsen: Ein Tropfen auf den heißen Stein. Der KfW-Studienkredit war aber wieder stärker nachgefragt, nachdem er über Jahre immer mehr zum Ladenhüter geworden war. Eine ministerial geförderte Marketingkampagne für die staatliche Bank.

Der fzs, das Deutsche Studentenwerk (sic!), die Hochschulrektorenkonferenz (sic!), Gewerkschaften und so ziemlich alle bildungspolitischen Akteur:innen forderten deshalb die Öffnung des BAföG. Für das BMBF stand fest, dass das viel zu lange dauern würde. Es legte deshalb eine Überbrückungshilfe auf. Und brauchte dafür vier Monate. Das Ministerium lenkte auch nicht ein, als klar wurde, dass etliche Antragsteller:innen zwar in einer Notlage waren, die aber nicht "pandemiebedingt" war. Denn eine Änderung würde bedeuten, das Scheitern der BAföG-Reform 2019 einzugestehen. Mehr noch, es würde bedeuten einzugestehen, dass die familienzentrierte Ausbildungsförderung unter massivem Realitätsverlust leidet. Denn die ideale konservative Familie, die ihre Kinder bei einem frei gewählten Bildungsweg unterstützt, existiert in vielen Fällen gar nicht.

Mit der Überbrückungshilfe wurde ohne Frage wenigstens einigen Studierenden in Notlagen geholfen. Trotzdem bleiben große Probleme: Die Ausfälle zwischendurch, etwa als das BMBF im September die Pandemie für beendet erklärte und die Hilfe einstellte - geschenkt. Für die dritte Runde ab April muss das Ministerium aber nachbessern. Verschlankte Richtlinien, einen höheren Maximalfördersatz in BAföG-Höhe und einfachere Folgeanträge könnten die Effektivität des Fonds steigern. Vor allem muss als Nachweis für die Notlage eine Selbsterklärung ausreichen. Das Geld dafür ist da, die BAföG-Töpfe sind schließlich randvoll.

Trennung von Arbeit und Privatem auf 1<$[Spazio +15>0<$]Spazio +15>m<^>2<^*>

Umfragen unter Studierenden haben immer wieder ergeben, dass trotz allem die meisten nicht in unmittelbarer Existenzangst leben. Die sozialen Auswirkungen der Online-Uni gehen aber weiter als das. Wo arbeitet man, wenn die Bibliothek, die Lernräume und das Institut geschlossen sind? Die Antwort ist meistens: im eigenen Schlafzimmer. Arbeitnehmer:innen, die ins Homeoffice geschickt werden stehen vor ähnlichen Problemen. Für Studierende, die regelmäßig in 10-1<$[Spazio +15>5<$]Spazio +15>m<^>2<^*>-kleinen Zimmern wohnen, ist die Vermischung von privatem Rückzugsraum und Arbeitsort oft noch schlimmer. Die schlechte Wohnsituation vieler Studierender wird jetzt zu einem noch größeren Problem. Die Antwort darauf sollte sein, Bibliotheken und leerstehende Seminarräume unter Sicherheitsvorkehrungen zu öffnen. Das kostet Geld, keine Frage. Aber was sind Luftfilter, Masken, Schnelltests und intelligente Leitsysteme gegen den Verlust einer angemessenen Lernumgebung?

Hinzu kommt, dass die Corona-Regeln häufig an der Realität in WGs und Wohnheimen vorbei gehen. In einem 15-Personen-Flur mit geteilter Küche kann nicht ernsthaft Abstand gehalten werden. Und wenn in meiner 6er-WG alle nur zwei Kontakte nach außen haben, bin ich indirekt zehn zusätzlichen Kontakten ausgesetzt. Klar, um das zu vermeiden, könnte man sich einschränken und stattdessen mit der WG Zeit verbringen. Legal war das zeitweise trotzdem nicht, weil maximal fünf Personen im gleichen Raum sein durften. Viele Komilliton:innen sind aus Platzmangel, finanziellen Gründen oder dem Verlangen nach einer vertrauten Kontaktgruppe zurück zu den Eltern gezogen. Gerade bei jüngeren Studierenden bedeutet das einen Rückfall in Unselbstständigkeit in einer Lebensphase, in der genau diese Selbstständigkeit eigentlich gefunden werden sollte. Die Hochschulen haben ihre soziale Verantwortung als Räume des Austauschs dabei vernachlässigt.

Viele Studierende haben Angst, dass sie durch die Onlinelehre nicht den gleichen Lernerfolg wie sonst mitnehmen. Darunter leidet auch die psychische Gesundheit. Die psycho-sozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke waren schon vor der Pandemie unterbesetzt, jetzt zeigt sich mehr denn je, welcher Mangel dort herrscht. Trotzdem wurden nirgendwo zusätzliche Mittel für die Studierendenwerke zur Verfügung gestellt. Das ist nicht nur unverantwortlich den Studierenden gegenüber, sondern könnte auch zu mehr Studienabbrüchen führen. Zusätzliche Stellen, an den Beratungsstellen wie auch in der Lehre, könnten auch jetzt noch die Effekte der Pandemie abmildern.

Die körperliche Gesundheit leidet ebenfalls unter der Pandemie. Die gesamte Gesellschaft ist von der Schließung des Breitensports betroffen. Unter Studierenden hat der Wegfall des Hochschulsports sicher auch negative Folgen. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass Mensaessen für einen nicht unerheblichen Teil der Studierenden einen wesentlichen Bestandteil ihrer Ernährung ausmacht. Teilweise sicherlich aus Desinteresse am Kochen, oft aber auch, weil es in ihrer Wohnung keine ordentliche Küche gibt oder Wissen darüber fehlt, wie man sich ausgewogen ernährt. Das klingt erstmal lustig. Trotzdem sollten die Studierendenwerke mehr auf To-Go-Angebote setzen (dürfen), um die Leerstelle wieder zu füllen.

Was muss jetzt passieren?

Bunderegierung, Landesregierungen und Hochschulen müssen aufhören, Normalität vorzuspielen. Was in den ersten Wochen der Pandemie eine verständliche Reaktion war, ist längst zur Farce geworden. Mit einer strikten Begrenzung der Kontakte durch solidarische Maßnahmen, wie sie zum Beispiel die Initiative #ZeroCovid fordert, könnte endlich Besserung in Sicht sein. Wir können uns nicht weiter von einem Lockdown light zum nächsten, von einer Überbrückungshilfe zur nächsten hangeln. Die Auswirkungen der Pandemie können nicht überall aufgehalten werden. Präsenzunterricht, wie ihn manche immer wieder fordern, ist eben keine Option. Aber wir können und müssen dafür sorgen, dass die negativen Konsequenzen dieser Realität begrenzt und ausgeglichen werden. Dafür braucht es für Studierende Investitionen in Schutztechnik, z.B. Luftfilter, mehr Mittel für psycho-soziale Beratung, Digitalisierung und eine ausreichende individuelle finanzielle Absicherung. Dazu gehört auch das Aussetzen aller Studiengebühren, insbesondere für internationale Studierende. Kostenarme Maßnahmen sind beispielsweise Freiversuche für Prüfungen, flächendeckende großzügige Verlängerung der Regelstudienzeiten und Prüfungsfristen und die Ermöglichung alternativer, kompetenzorientierter Prüfungsformate. Für das Sommersemester müssen Konzepte her, um die Bibliotheken wieder zu öffnen - und zwar sicher.

An den Hochschulen muss außerdem neu über Lehre nachgedacht werden. Es muss sichergestellt werden, dass Lehrende auch die nötigen didaktischen und pädagogischen Kompetenzen mitbringen können. Dafür benötigen wir einen Ausbau der Schulungsstrukturen und neue Anforderungen für die Lehrstellen. Es muss außerdem deutlich mehr Geld fließen für studentisches Wohnen, Lernräume und Hochschullehre. Die Lücken in der Finanzierung, auf die Studierendenvertretungen seit Jahren hinweisen, liegen offen. Sie müssen jetzt endlich gefüllt werden.

Jonathan Dreusch (24) ist Mitglied im Vorstand des freien zusammenschlusses von student*innenschaften (fzs) e.V., dem Dachverband deutscher Studierendenvertretungen. Er studiert Politikwissenschaft an der Universität Tübingen.

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