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Klaus Holzkamp

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Freiheit, Freiheit, Freiheit?

06.07.2018: Einschätzung und Bericht zur aktuellen Diskussion zum Hochschulgesetz in NRW

  
 

Forum Wissenschaft 2/2018; Foto: lassedesignen / fotolia.com

Derzeit plant die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung neben der Einführung von Studiengebühren in Höhe von 1.500Euro pro Semester für Nicht-EU-Studierende eine Novellierung des Hochschulgesetzes. Dabei geht es laut Landesregierung darum, "die Erfolge des Hochschulfreiheitsgesetzes zu würdigen, […] ministerielle Eingriffsbefugnisse [und] Zivilklauseln zurückzunehmen, die Eigenverantwortung der Hochschulen zu stärken und […] das starre Verbot von Anwesenheitspflichten aufzuheben"1. Doch was steckt dahinter und warum kommt die Debatte nur langsam in Gang? - Ein Bericht aus dem Handgemenge.

Als 2014, wenige Jahre nach der Abschaffung der Studiengebühren, die damalige Landesregierung aufgrund der Proteste der Studierendenschaft das Hochschulgesetz geändert hatte, stieß sie auf Protest von beiden Seiten. Einerseits waren die Änderungen den Studierendenvertretungen, der GEW, dem BdWi usw. nicht weitreichend genug, andererseits protestierte der von der Wirtschaft dominierte Hochschulrat. Umstritten waren damals die Einführung einer Zivilklausel und mehr Transparenz für Drittmittelprojekte sowie die Einschränkung der Macht von Hochschulräten.

Zahlreiche Zeitungsartikel berichteten über die Drohung von Wirtschaftsvertreter*innen, künftig in anderen Bundesländern zu forschen und warnten, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Wirtschaft sei ernsthaft gefährdet. Es wurde vorgerechnet, wie viel Geld den Hochschulen dadurch entginge. Tatsächlich hat sich die finanzielle Situation der Hochschulen seitdem jedoch erheblich verbessert2, da es gelungen ist, politisch davon zu überzeugen, dass Hochschulen eine relevante Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft spielen. So wurde nicht nur die Zahl der Studienplätze, größtenteils unterfüttert von Mitteln, um deren Verstetigung derzeit gerungen wird, drastisch erhöht. Vielmehr nennt z.B. der aktuelle Landeshochschulentwicklungsplan als eine von drei Herausforderungen, an denen sich die Gesamtentwicklungsplanung der NRW-Hochschulen orientieren soll, dass die Hochschulen verstärkt zur "Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit" beitragen sollen.3

Genau dies wurde zu ihrer Zeit an der Frage der Zivilklausel ausgefochten. So kritisierte der damalige Bundesvorsitzende des RCDS, Martin Röckert: "Die Zivilklausel schränkt die Freiheit von Forschung und Lehre ein und ist somit schlicht verfassungswidrig. Die vermeintliche ›Friedensklausel‹ und ihre Verankerung in den Grundordnungen in den Hochschulen ist daher abzulehnen, bzw. rückgängig zu machen."4 Solchen Argumenten stand gegenüber: "Was hier verteidigt wird, ist die Freiheit der Geldgeber und nicht die der Wissenschaft"5.

In der Tat hat sich seit der Verabschiedung des Gesetzes und der damit verbundenen landesweiten Einführung von Zivilklauseln das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft verändert. Das zeigt: Zivilklauseln wirken. So hat z.B. die RWTH Aachen, die traditionell eng mit der Rüstungsindustrie zusammenarbeitet, vor Kurzem eine Drittmittelkooperation abgebrochen, bei der es um eine Machbarkeitsstudie für ein Rüstungswerk in der Türkei ging. In der zugehörigen Pressemitteilung heißt es: "Die RWTH fühlt sich nicht nur im Sinne der Gesetzgebung der friedlichen Forschung verpflichtet und betreibt keine Rüstungsforschung."6

Rolle rückwärts?

Seit nun bald einem Jahr haben wir in NRW eine neue Regierung und einen neuen Ton in der Gesetzgebung. Nicht nur die Idee von Studiengebühren (diesmal nur für Nicht-EU-Ausländer*innen) und eine abwegige Verschärfung des Polizeigesetzes stehen auf der Agenda, sondern auch die Abschaffung der Zivilklausel, denn "die verankerte Pflicht zur Implementierung einer Zivilklausel stellt einen massiven Eingriff in die Lehr- und Forschungsfreiheit dar."7

Im Gegensatz zu sehr schnellen, gut fundierten und auch weitreichenden Protesten gegen die geplanten Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer*innen, ließ eine Reaktion auf die Hochschulgesetz-Novelle sehr lange auf sich warten, obwohl ein detailliertes Eckpunktepapier der Regierung seit November vorliegt. In den letzten Wochen haben sich einige Organisationen und Gruppen mit dem Thema auseinandergesetzt und so gab es in der ersten Maiwoche eine Podiumsdiskussion der Fachschaftenkonferenz der Universität zu Köln mit dem Titel "Brav oder was?" zu der Gebührenfrage und dem umfangreichen Eckpunktepapier.

"Brav…"

Grundlage der Vorstellung der Pläne der Landesregierung zur Hochschulgesetzänderung war die These, dass an den Hochschulen - teils vorsichtig, teils entschlossen - in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel weg von der unternehmerischen Ausrichtung der Hochschulen hin zu einer Allgemeinwohlorientierung eingeleitet wurde. Die 2014 ins Gesetz aufgenommene Aufgabe der Hochschulen, aktiv zu Frieden, Demokratie und Nachhaltigkeit beizutragen, stehe dafür pars pro toto. Dieser Paradigmenwechsel schränke schon jetzt die Marktkompatibilität der Hochschulen erheblich ein, wie z.B. die Analyse der Bundesregierung in ihrem "Strategiepapier zur zivilen Sicherheitsindustrie"8 2016 ergeben hat. Die derzeitigen Pläne der Landesregierung zielten darauf, reaktionären Kräften an den Hochschulen die Möglichkeit zu geben, Personen einzuschränken, "die sich nicht [brav] als Zahnrad einer unternehmerischen Hochschule verstehen."9

Vor allem sind geplant:

  • Streichung der Zivilklausel aus dem Hochschulgesetz

  • Weitreichende Einschnitte in die Hochschuldemokratie. Es "soll die Verpflichtung der Hochschule gestrichen werden, die Interessen der Mitglieder der nichtprofessoralen Gruppen […] angemessen sicherstellen zu müssen"10. Der Hochschulrat, der "intransparent, universitätsfremd, nicht demokratisch legitimiert, sich selbst reproduzierend und wirtschaftsdominiert" ist, soll wieder "in wesentlichen Punkten über anderen Gremien stehen." Die derzeit paritätische Besetzung der Senate (kann durch äquivalente Regelungen ersetzt werden) soll künftig optional sein. "Die Studienbeiräte, in denen die Studierenden erhebliche Mitspracherechte haben, dienen dazu, Probleme in den Studiengängen zu diskutieren" sollen optional werden, die Landeshochschulentwicklungspläne, die derzeit im Gegenstromverfahren entstehen, sollen abgeschafft und durch Hinterzimmerklüngel ersetzt werden.
  • Einschnitte bei Arbeitnehmer*innenrechten. Der "Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen", der der schrittweisen Verbesserung der Arbeitsbedingungen dient, soll nicht weiterentwickelt oder sogar außer Kraft gesetzt werden. Die SHK-Räte, eine Art Personalrat light für studentische Hilfskräfte, sollen ersatzlos gestrichen werden können.
  • Zwangsmaßnahmen gegen Studierende statt systematische Weiterentwicklung der Studiengänge. Die für die systematische Weiterentwicklung der Studiengänge zuständigen Studienbeiräte, "in denen die Studierenden erhebliche Mitspracherechte haben", sollen nur noch optional sein. Stattdessen sollen das allgemeine Verbot von Anwesenheitspflichten gestrichen, Studienverlaufsvereinbarungen eingeführt und damit etwaige Probleme individualisiert werden. "Studierende sollen genötigt werden können, individuelle Verträge über ihren Studienverlauf mit der Studienberatung zu unterschreiben, bei deren Nichteinhaltung im schlimmsten Fall eine Zwangsexmatrikulation droht."
  • "…oder was?"

    Bei der Veranstaltung sollte es ursprünglich darum gehen, die Pläne der Landesregierung gesellschaftlich einzuordnen, zu erarbeiten, was dagegen die eigenen Visionen sind, und zu diskutieren, was man selbst in der Hand hat. Es stellte sich aber schnell heraus, dass es zunächst einmal zu fassen galt, welche Bedeutung die geplanten Maßnahmen für die Praxis an den Hochschulen konkret haben.

    Die Gäste brachten sich mit persönlichen Statements in die Diskussion ein:

    Klaus Herrmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Personalrat und Gewerkschafter, ging der Frage nach, warum die jetzige Landesregierung so Zeitgemäßes in Frage stellt, anstatt offensichtliche Probleme der Hochschulen direkt anzugehen. Er berichtete über die Diskussionen, um wessen Freiheit es eigentlich gehe in der Kommission zur Einführung einer Zivilklausel an der Universität zu Köln und über seine Skepsis, ob die errungene Friedensklausel tatsächlich von Bedeutung sei. Schließlich sei sie kein hartes Verbot von Rüstungsforschung, sondern lediglich die etwas unkonkrete Aufgabenstellung an die Hochschulen, zu Frieden beizutragen. Sein Fazit: Wenn diese Friedensklausel so heftig von Konservativen bekämpft wird, habe man wohl mehr erreicht, als anfangs selbst angenommen.

    Daniel Gaittet, im Vorstand des BdWi, griff die Frage nach der Freiheit der Wissenschaft auf und arbeitete heraus, dass in der Auseinandersetzung um die Hochschulen seit dem Zweiten Weltkrieg ein verzerrter Begriff von Freiheit ein wiederkehrender Vorwand gegen Hochschuldemokratie und gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft gewesen sei und zwar über alle Phasen der Hochschulentwicklung hinweg. Er teilte die Analyse von Torsten Bultmann, die unternehmerische Hochschule sei "ideologisch erschöpft". Die Novellierung des Hochschulgesetzes in NRW sei 2014 bundesweit sehr genau beobachtet worden, weil dies die erste größere Hochschulgesetzänderung bundesweit gewesen sei, die die unternehmerische Ausrichtung nicht weiter beförderte, sondern an vielen Stellen andere Wege einschlug. Bis heute sei sie bundesweit ein wichtiger Bezugspunkt für fortschrittliche Kämpfe an den Hochschulen, deshalb sei schon etwas erreicht, wenn - angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Landesparlament - nicht allzu viel davon zurückgenommen werde.

    Letzterem widersprachen das Publikum und Agnes Kamerichs, die als hochschulpolitisch Aktive an der Universität zu Köln auf dem Podium saß, entschieden: Die Bewahrung des status quo sei nur realistisch, wenn man selbst die Richtung der Debatte vorgebe und dann gehe auch mehr. Von dort aus wandte sie sich vor allem gegen die Individualisierung, die Willkür und den Bravheitsdruck, der mit den Studienverlaufsvereinbarungen einher gehe, und kritisierte, dass durch die "rassistischen" Studiengebühren für internationale Studierende an rechte Klischees von der "gelben Gefahr" und die Ideologie schmarotzender Ausländer*innen angeknüpft werde, anstatt die Bemühungen der Hochschulen zur Lösung der weltweiten Herausforderungen, wie etwa die Notwendigkeit zur Beendigung von Kriegen und Hunger sowie die bemerkenswerten Solidaritätsaktionen zahlreicher Hochschulen, etwa mit Verfolgten in der Türkei, zu intensivieren.

    Dass die geplanten Studiengebühren rassistisch seien, war auch Teil der Stellungnahme der ausrichtenden Fachschaftenkonferenz und des Flyers zur Ankündigung der Veranstaltung. Dieser Einschätzung widersprach Joachim Hemberger, Physik-Professor an der Universität zu Köln und ebenfalls Podiumsgast, entschieden. Die Gebührenpläne seien falsch und national-egoistisch, aber nicht rassistisch, dies sei eine Verharmlosung des tatsächlichen Rassismus. Umgekehrt wurde von vielen der anwesenden Studierenden vertreten, dass die geplanten Gebühren ein Musterbeispiel für Alltagsrassismus in der Mitte der Gesellschaft seien, das man nicht verharmlosen dürfe. Dies wurde insbesondere an Statements der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer festgemacht, deren Gebührenmodell von der NRW-Regierung als Vorbild benannt wird.

    Vor allem aber wandte sich Joachim Hemberger gegen die Einschränkung der Mitbestimmung durch Mitarbeiter*innen und Studierende: Seine Erfahrung, z.B. mit dem gemeinsam von Studierenden und Dozierenden gestalteten Seminar Physik & Ethik11 sei, dass gute Lösungen nur dann zu Stande kämen, wenn alle als Teil einer Gemeinschaft von Lernenden sich auf Augenhöhe begegnen könnten. Deshalb sei es z.B. auch ein Problem, dass viele Mitarbeiter*innen nur Zeitverträge haben und sich deshalb zu wenig trauen, mitzureden.

    In der Diskussion wurde dies noch in zweierlei Hinsicht vertieft: Einerseits wurde herausgearbeitet, wem die geplante Einschränkung der Mitbestimmung letztlich diene: Studierende und Mitarbeiter*innen, so die These, würden dadurch noch mehr als jetzt schon abhängig von den Professor*innen, die von den Rektoraten abhängig seien, welche wiederum verstärkt den wirtschaftsdominierten Hochschulräten untergeordnet werden sollten.

    Mit der Hochschulgesetznovelle von 2014, so die Diskussion, seien an mehreren Stellen Gremien so konzipiert worden, dass niemand hätte übergangen werden können, sondern so lange Patt-Situationen herrschen würden, bis eine Lösung gefunden sei, mit der alle zumindest würden leben können. Dies sei tatsächlich wissenschaftsadäquat, weil dadurch die Macht des Arguments gegenüber Statusgruppe und Klüngel gestärkt werde. Diese Überlegung könne vielleicht richtungweisend für die Hochschulepoche nach der unternehmerischen werden: Hochschulen, die von einer demokratischen Kultur geprägt sind, die konsequent darauf zielt, sich Problemen zu stellen und sie kooperativ zu lösen, anstatt sie selbstherrlich zu übergehen oder zu individualisieren - sei es die nicht-bestandene Klausur, die Angst vor der nächsten Begutachtung des Sonderforschungsbereiches oder der Klimawandel.

    Was tun?

    Wie so häufig kam damit aber auch die Frage auf, wie man denn dahin kommt, warum trotz der Relevanz des Themas der Hörsaal nicht voll war und viele so in den Alltag verstrickt sind, dass sie auch von Veranstaltungen wie dieser nichts mitbekommen usw. Sie ließ sich nicht beantworten, aber ein paar Hinweise standen dennoch im Raum: Selbst bei der Französischen Revolution haben sich nicht alle beteiligt, die Mehrheit der Bevölkerung hat vielmehr erst nach deren Ende davon mitbekommen. Diese Veranstaltung konnte erst der Beginn sein. Und: Wo immer Stellungnahmen gegen die geplanten Studiengebühren in die Hochschulsenate eingebracht wurden, wurden sie auch beschlossen.12 Vielleicht kommt es vielmehr auf Beginner*innentum an als darauf, dass man erstmal viele Menschen sammeln muss.

    Anmerkungen

    1) Entschließungsantrag an den Landtag NRW, beschlossen am 21.3.2018, www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-2155.pdf.

    2) Grundfinanzierung und Programmmittel der NRW-Hochschulen sind allein zwischen 2010 und 2015 um fast 50% gestiegen, Quelle: Landeshochschulentwicklungsplan NRW von 2016: recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_show_pdf?p_id=26542.

    3) Abschnitt "2.2 Gesellschaftliche Herausforderungen" des Landeshochschulentwicklungsplanes NRW von 2016: recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_show_pdf?p_id=26542.

    4) Pressemitteilung des RCDS vom 27.3.2014, rcds.de/rcds-unterstuetzt-kritik-des-deutschen-hochschulverbandes-dhv-an-zivilklausel/.

    5) Bericht von Klaus Herrmann während der Podiumsdiskussion, siehe unten.

    6) www.rwth-aachen.de/cms/root/Die-RWTH/Aktuell/Pressemitteilungen/September-2017/~oktv/Statement-der-RWTH-Aachen-zur-Machbarkeit/.

    7) Entschließungsantrag an den Landtag NRW, beschlossen am 21.3.2018, www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-2155.pdf.

    8) www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2016/20161221-bundeskabinett-beschlie%C3%9Ft-strategiepapier-zur-staerkung-der-zivilen-sicherheitsindustrie-in-deutschland.html.

    9) Alle nicht explizit gekennzeichneten Zitate in diesem Abschnitt aus: Stellungnahme der Fachschaftenkonferenz der Universität zu Köln, fs-physik.uni-koeln.de/wordpress/wp-content/uploads/2018/04/Sch%C3%B6ne-neue-Freiheit_final_Layout-6.docx_17.4.2018.pdf.

    10) Eckpunktepapier des Ministeriums zur Hochschulgesetznovelle, www.mkw.nrw/fileadmin/Medien/Dokumente/Hochschule/Eckpunkte_HG.pdf.

    11) physik.uni-koeln.de/physikundethik.html.

    12) Eine Sammlung der Beschlüsse findet sich hier: gewstudisnrw.blogsport.de/2018/01/27/stellungnahmen-gegen-die-studiengebuehrenplaene-der-landesregierung/.

    Sven Kristkeitz und Stefan Brackertz studieren Physik an der Universität zu Köln. Hannah Weck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in Physikdidaktik und Sonderpädagogischen Grundlagen an der Universität zu Köln. Matthias Kröling hat Lehramt Sonderpädagogik an der Universität zu Köln studiert und ist dort nach wie vor unterwegs; er arbeitet zudem als Theaterpädagoge bei Schulprojekten. Die Autor*innen sind in verschiedenen Zusammenhängen hochschulpolitisch engagiert, u.a. in den Fachschaften Physik und Inklusion, im Wenderpunkt, einer links-sozialdemokratischen Hochschulgruppe an der Universität zu Köln, im Personalrat und der GEW.


    Auszug aus einem zur Mobilisierung an der Universität zu Köln geschriebenen Sketch zur Aushandlung von Studienverlaufsvereinbarungen

    […]

    Frau Pollon (Studentin): Was bedeutet das: "…vorläufige Aussetzung zur Anmeldung von Prüfungen" … Ich meine, ich verstehe das schon, ich kann mich nicht mehr zu Prüfungen anmelden. Aber ich verstehe nicht, weshalb? Warum kann ich mich nicht mehr zu Prüfungen anmelden?

    Herr Kowalczyk (Studienberater): Sie können es nicht, weil Sie es nicht mehr dürfen.

    P: Warum darf ich das nicht? Ich bin doch eingeschriebene Studentin, zahle immer pünktlich den immer größer werdenden Semesterbeitrag.

    Ko: Das würde die Kollegen in der Kasse freuen zu hören. Aber pünktlich Rechnungen zahlen und pünktlich zum Termin kommen reicht nicht mehr. Sie müssen auch pünktlicher sein im Studium.

    P: Wie jetzt?

    Ko: Naja. Frau Pollon, Sie sind nicht pünktlich genug mit Ihren Prüfungen. Also, nicht schnell genug. Sie sind hier bei mir, weil Sie zu langsam studieren.

    P: Aber was heißt das denn, langsam studieren. Ich bin hier doch nicht in der Schule. Wenn ich das Gefühl habe, ich packe eine Klausur in diesem Semester nicht, dann mache ich sie halt im nächsten.

    Ko: Ja, das ist schon vernünftig, wenn Sie vorbereitet in eine Klausur gehen. Und Sie können ja auch mal ein Semester warten, zur Not auch zwei. Aber irgendwann…

    P: …was? Irgendwann was?

    Ko: Nun ja, wissen Sie, irgendwann ist doch auch so ein Punkt erreicht, wo man…also SIE sich fragen müssten, ob das alles so noch passt.

    P: Was passt? Ich verstehe Sie nicht.

    […]

    Ko: Aber Bildung bedeutet doch auch, lernen zu wollen. Und das Gelernte anwenden zu wollen. Und dafür sind Klausuren doch da - zu zeigen, dass man…also SIE etwas gelernt haben.

    P: Ich schreibe die Klausuren ja auch, wenn ich Zeit dafür finde.

    Ko: Frau Pollon, verstehen Sie das bitte. Sie sind heute hier bei mir, weil Ihre Zeit quasi abläuft.

    P: Was soll das denn heißen?

    Ko: Naja, es geht vor allem darum, fertig zu werden. Wenn man…also SIE zu lange für ein Studium brauchen, dann sind Sie vielleicht einfach generell ungeeignet für ein Studium.

    P: Wer will das bitte schön denn entscheiden?

    Ko: Ich… also WIR. Laut Prüfungsordnung ist nun der nächste Schritt, dass ich… also WIR jetzt einen Plan machen, wie wir… also SIE wenigstens den Rest des Studiums halbwegs nach Plan über die Bühne bekommen.

    Ko: […] Wenn Sie das dann immer noch nicht schaffen…

    P:…dann werde ich exmatrikuliert. Ich hab davon gehört. Aber so etwas wie Regelstudienzeit ist doch auch völlig willkürlich festgelegt.

    Ko: Darüber möchte ich jetzt wirklich nicht mit Ihnen diskutieren.

    P: Aber Herr Kowalczyk, sehen Sie denn nicht, wohin so eine Regelung führt? Alle Studierenden sollen immer schön brav in Regelstudienzeit studieren. Sollen lernen bis zur Kotzgrenze für die Klausuren. Sollen ihr Studium als genormte und abgezählte Arbeitszeit begreifen. Sollen sich selbst als Arbeitnehmer und Investition begreifen, dass sich irgendwann "im späteren Leben" dann auszahlen wird. Das ist doch kein Studium, das ist doch kein Leben! Das Leben ist außerdem nicht "irgendwann später", Leben ist doch jetzt schon!

    Ko: Kein System ist perfekt!

    […]

    P: (ist resigniert) Na gut. Dann bis morgen. (will gehen)

    Ko: (ruft ihr hinterher)

    Ko: Äh, Frau Pollon? Sie rauchen doch oder?

    P: Ja? Warum? Und woher wissen Sie das überhaupt?

    Ko: Nun ja, da könnte man ja einiges an Geld sparen, weniger arbeiten und doch noch ein paar Stunden [für anderes] abzwacken.

    P: Bitte was?

    Ko: Kleiner Spaß. Schauen Sie, bis morgen früh überleg ich mir ne kölsche Lösung für Sie. Und dann treffen wir uns auch besser nicht hier, sondern am Aschenbecher vor der Mensa, wo wir, also ich ja schon lange nicht mehr immer Flyer verteilen. Aber das bleibt unter uns, hören Sie?

    […]

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