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Klaus Holzkamp

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Ideologiepolitische und bildungsökonomische Funktion des Elitenmotivs

03.07.2004: Vortrag auf der Tagung des Projektes Konservatismusforschung e.V. "(R)Echte Eliten" 3.Juli 2004 in Marburg

Referent: Torsten Bultmann (Bundesgeschäftsführer des BdWi)

Liebe KollegInnen

Mir geht es im folgenden nicht so sehr - oder nicht allein - um die Funktion des "Elitemotivs" in der konservativen Denktradition allgemein, sondern vor allem um die Spezifik der aktuellen Elitendebatte des Jahres 2004 bzw. der mit dieser transportierten bildungspolitischen Überlegungen im Speziellen. Meine Meinung dazu habe ich in eine Vorbemerkung und vier Thesen gegliedert.

Vorbemerkung: Die Forderung nach "Mehr Elitenförderung!" in der Bildungspolitik ist keine Novität. Periodisch aufbrandende Elitendiskussion sind vielmehr ein ständiges Begleitmoment des Ausbaus der Hochschulen seit ca. Mitte der 60er Jahre und der dadurch bewirkten - relativen! - sozialen Erweiterung des Hochschulzugangs. Diese immer nach dem gleichen Muster ablaufenden Diskussionsoffensiven erfüllen alle Merkmale von Kampagnenpolitik: Sie werden von Think Tanks und Spin Doctors, die bestimmten politisch-wissenschaftlich-journalistischen Seilschaften entsprechen, eingefädelt; das Thema "Elite" wird anschließen über spektakuläre Kongresse und gezielte Medienarbeit gefeatured, um mehrere Monate Schlagzeilen zu machen und anschließend, mehr oder weniger ergebnislos, zu verebben. Gefordert wird dabei in der Regel eine stärkere Selektion des Zugangs zur Hochschule, vor allem jedoch eine innere hierarchische Differenzierung des Hochschulsystems selbst. Gemessen an diesen unmittelbaren operativen Zielen gingen alle diese Kampagnen aus wie das Hornberger Schießen. Schwieriger messbar jedoch ist ihr langfristiger Effekt auf das gesellschaftliche Meinungsklima. Alle Elitendebatten zielen ideologisch auf die Dekonstruktion von bildungspolitischen Leitbegriffen wie "Chancengleichheit", "Bildung für alle!" oder "soziale Öffnung der Hochschulen", die im Resultat der Ersten Bildungsreform in der öffentlichen Meinung mehrheitlich positiv besetzt waren (oder eventuell noch sind?). Diese Dekonstruktion erfolgt in der Weise, dass ein sich ausschließender Gegensatz zwischen "Gleichheit" und "Leistung" behauptet wird. Auf einen Nenner gebracht bringen Pro-Eliten-Kampagnen den Widerstand konservativer Kreise gegen die gesellschaftliche Öffnung der Hochschulen und die mit dieser verbundene Politisierung des Hochschulsystems zum Ausdruck. Diese historische Kontrastfolie bringt plastisch das Neue der aktuellen Elitendebatte von 2004 zum Ausdruck: 1. Es handelt sich um die erste ihrer Art, die aus dem Parteizentrum der SPD losgetreten wurde. 2. Man kann jetzt bereits sagen, dass sie im Unterschied zu ihren Vorgängern nicht ergebnislos enden, sondern in (finanz-) technokratische und hochschulrechtliche Vereinbarungen münden wird, die Konsequenzen für das ganze Hochschulsystem haben werden.

1. These: Das politische Motiv einen stärkeren institutionellen Eliteförderung innerhalb der Hochschulen ist gleichbedeutend mit Aufkündigung des Konzeptes "Massenuniversität" (bzw. "Massenhochschule"), welches ein wesentliches Resultat der Hochschulreform war und prototypisch in den juristisch-technokratischen Regelmechanismen des 1. Hochschulrahmengesetzes (HRG) von 1976 zum Ausdruck kommt. Das Konzept "Massenhochschule" bzw. die Entwicklung der traditionellen Ordinarienuniversitäten, die noch Anfang der 50er Jahre lediglich 5% eines Altersjahrganges qualifizierten, zu Einrichtungen der wissenschaftlichen Berufsausbildung für immer mehr gesellschaftliche Praxisfelder, war zweifellos in sich nie widerspruchsfrei und stimmig, anders gesagt: die strukturellen Konsequenzen waren politisch immer umstritten. Dessen ungeachtet beruht es auf einem technokratischen Konsens aller hochschulpolitischen Akteure, für wachsende Teile eines Altersjahrganges - im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Bundesregierung ist von 40% die Rede, was im internationalen Vergleich noch wenig ist - eine Ausbildung auf formal hohem wissenschaftlichen Niveau zu ermöglichen, und zwar unter vergleichsweise gleichwertigen Bedingen. Der Anspruch der "Gleichwertigkeit" ist hier das Entscheidende! Kein Verfechter von Elite- oder Exzellenzförderkonzepten vertritt aktuell die Position, dass die Studierendenzahlen in Deutschland gesenkt werden sollen. Allerdings sind derartige Ansätze ausnahmslos dadurch charakterisiert, dass eine administrative Absenkung des Ausbildungsniveaus der Masse die Kehrseite einer besseren Förderung der "Elite" ist.

2. These: Elitepolitik ziel daher immer auf eine vorgebliche Leistungssteigerung durch Schaffung bzw. institutionelle Ermöglichung ungleicher Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Dem liegt im Regelfall die bildungsökonomische These zugrunde, dass eine hohe Förderung weniger (nach spezifischen Kriterien "auserlesener") Studierender im Resultat einen höheren gesellschaftlichen Nutzen ergeben würde als eine gleichwertige und relativ hohe Finanzierung vieler Studienplätze. Diese These ist nicht beweisbar. Sie ist dennoch, wie sich denken lässt, gerade in Zeiten "knapper Kassen" verlockend und suggestiv. Dies ist vermutlich mit der Hintergrund dafür, dass aktuell die politische Positionierung zum Thema "Elitenförderung" nicht mehr der herkömmlichen Rechts-Links-Polarisierung traditioneller hochschulpolitischer Strömungen entspricht. Auffallend viele "68er"-Professoren aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, die eher für ein aufklärerisches Wissenschaftsverständnis stehen, haben sich positiv darauf bezogen: wahrscheinlich deswegen, weil sie meinen, ein von ihnen repräsentiertes fachliches Niveau nur unter Ausnahme- und Sonderstellungsbedingungen einer Entlastung von den Lehrverpflichtungen der "Massenuniversität" aufrecht erhalten zu können. Diese Erwartung dürfte allerdings auf Sand gebaut sein, da etwa mit einer Aufwertung der Soziologie, Politikwissenschaft oder Philosophie im Kontext der aktuell diskutierten Elite- und Exzellenzfördermechanismen kaum zu rechnen ist. Der Schröderschen "Innovationsoffensive", in welche diese sich einordnen, liegt ein vollständig technisch-ökonomisch reduzierter Begriff von "Leistung" und "Innovation" zu Grunde. Der entscheidende Hebel um aktuell eine stärkere hierarchische Differenzierung des deutschen Hochschulsystems in "Elite" und "Masse" herbei zu führen, ist eine schärfere Selektion des Hochschulzugangs. Sog. Eliteuniversitäten wie Oxford oder Harvard haben eine Stellung, die etwa mit generellen rechtlichen Regelungen, wie sie für alle deutschen Hochschulen derzeit gelten, unvereinbar sind. Notwendige (allerdings nicht hinreichende) Bedingung ist, dass sich Eliteeinrichtungen a) ihre Studierenden selbst auswählen und b) auch eigenständig über das Niveau ihrer Auslastung bestimmen. In Deutschland ist die Studienaufnahme als individuelles Recht geregelt, welches durch die sog. "Hochschulreife" als Anspruch auf einen Studienplatz eigener Wahl gegeben ist . Erst bei spezifischen Überlastbedingungen können "sekundäre" Auswahl- und Verteilungskriterien (Notendurchschnitt, Wartezeit) greifen; allerdings auch erst dann, wenn die Hochschulen ihre Kapazitäten voll ausgelastet haben. All dies ist etwa eine Folge des "Numerus-Clausus"-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1972. So ist es etwa aktuell nicht möglich, dass ein Fachbereich XY entscheidet, im nächsten Wintersemester bei gleich bleibendem Personalbestand nur 30% seiner Studienplätze zu besetzen, um auf diese Weise von den Betreuungsrelationen her eine Eliteeinrichtung zu werden. Daher verwundert es nicht, dass Heerscharen von Juristen im Hintergrund der Bund-Länder-Hochschulplanung aktuell damit beschäftigt sind, hier tragfähige und wasserdichte hochschulrechtliche "Lösungen" zu generieren, die darauf zielen, a) die Hochschulreife durch ein generelles institutionelles Auswahlrecht der Hochschulen zu ersetzen und b) Kriterien zu finden, bestimmte Fachbereich vom allgemeinen Kapazitätsrecht auszunehmen.

3. These: Der Elitebegriff tritt heutzutage ausschließlich - wie bereits gesagt - in Kombination mit dem Leistungsbegriff auf Eliteförderpolitik rechtfertigt sich generell durch das Ziel der Leistungssteigerung, womit zugleich ein gesamtgesellschaftliches Interesse an einer solchen Politik beschworen und der Widerspruch, dass diese nur auf eine Besserstellung von Minderheiten zielt, rhetorisch "aufgehoben" wird. In Wirklichkeit jedoch ist der Elitebegriff kein Leistungsbegriff sondern ein "sozialer Begriff" (Michael Hartmann); in meinen Worten: ein Herrschaftsbegriff. Sein primäres Ziel ist nicht Leistungssteigerung im Sinne der Ermöglichung eines - wie auch immer politisch definierten - größeren gesellschaftlichen Nutzens, sondern Auslese im Sinne der institutionellen Aufteilung bzw. Zuweisung ungleicher Chancen. Auf diese Weise produziert Eliteförderpolitik selbst die Bedingungen, durch welche sie sich rechtfertigt. Es macht etwa einen gewichtigen Unterschied, ob das Verhältnis Studierende zu wissenschaftlichem Personal bei 5:1 liegt, womit ich ungefähr an die Proportionen von Harvard oder Stanford gelange, oder bei über 40:1 wie aktuell im deutschen Hochschulsystem. Unter den erstgenannten Bedingungen werden zweifelsfrei mehr quantitativ erfassbare "Leistungen" produziert. Dass also in diesen privilegierten Sektoren "mehr" geleistet wird, ist Realität und keineswegs nur Ideologie. Ideologie ist allerdings, die Rechtfertigung solcher Umstände durch naturalistische pädagogische Konzepte "ungleicher" Begabungen, die in der Regel Elitepolitik legitimatorisch begleiten. Schließlich liegt derartigen Verhältnissen eine soziale Konstruktion von Leistungsabständen zugrunde, die absolut nichts mit unterschiedlichen Fähigkeiten und intellektuellen Ressourcen, der zuvor in "Elite" und "Masse" aufgeteilten Personen zu tun haben. Mehr noch: Potentielle gesellschaftlich relevante Fähigkeiten der Nicht-Elite, also der "Masse", werden unter solchen institutionellen Umständen eher nicht abgefragt, nicht entwickelt, nicht gefördert, demotiviert und still gestellt. Folglich läßt sich anstelle der Annahme einer Leistungssteigerung wesentlich plausibler die These vertreten, dass durch Eliteförderpolitik ein möglicher gesellschaftlicher Nutzen von Bildung und Wissenschaft eher eingeschränkt - also keineswegs gesteigert! - wird.

4. These: Die Elitedebatte ist nicht nur von bildungspolitischer Relevanz. Sie transportiert auch gesellschaftliche Konzepte, in denen sog. "Experten" eine herausragende Rolle spielen. Eliteförderpolitik erscheint manchmal als conditio sine qua non, um über das Bildungssystem jenen "Sachverstand" zu produzieren, welcher angeblich für die Bewältigung wesentlicher Zukunftsfragen unabdingbar sei. Das ist gleichbedeutend mit einer Personifizierung struktureller gesellschaftlicher Probleme, deren Lösung in diesem Kontext nicht mehr durch eine Änderung der sie verursachenden sozialen und ökonomischen Strukturen angestrebt wird, sondern statt dessen durch eine Zuweisung an wissenschaftliche Spezialisten. Das "System Schröder" mit seinen diversen Kommissionen (Hartz, Rürup) hat diesen Politikstil zu einer vorher nicht gekannten Entfaltung gebracht. Gegen wissenschaftliche Politikberatung "an sich" spricht natürlich erst einmal nichts. Es spricht allerdings einiges dagegen, dass Wissenschaft im Rahmen einer technokratischen Ideologie eine gesellschaftliche Stellung erhält, die ihr nicht zusteht. Die Nicht-Lösung des gesellschaftlichen Problems struktureller Massenarbeitslosigkeit etwa ist keine Frage fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse - Motto: irgendwann fällt einer Expertenkommission mal was Zündendes ein und dann haben wir´s! - , sondern zuallererst eine politische Frage; ebenso wie die vom Erkenntnisstand her mögliche Lösung des Problems davon abhängt, auf den Standpunkt welcher gesellschaftlicher Interessen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger stellen. Von Teilen der SPD-Linken wurde daher zu Recht die von der eigenen Partei los getretene Elitendebatte als sinnfälliger Ausdruck von deren programmatischer Entleerung interpretiert; anders gesagt: als Beleg eines entpolitisierten und technikdeterministischen Konzeptes von "sozialer Innovation".

Mein Fazit: Elitepolitik löst keinerlei Probleme. Sie schafft vielmehr neue und zusätzliche Probleme für die Mehrheit der Bevölkerung. Daher ist Elitepolitik auch nicht reformierbar oder demokratisierbar, sondern sollte in ihren Grundannahmen politisch zurück gewiesen und bekämpft werden.

Personen:
>Torsten Bultmann

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