Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt
10.05.2000: Schriftliche Stellungnahme zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt für die Anhörung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft des Landtags von Sachsen-Anhalt am 10.5.2000 - von PD Dr. Alex Demirovic
Sie werden verstehen, daß ich vor dem Hintergrund meiner fachlichen Kompetenzen nicht die juristischen Sachverhalte bewerten kann, sondern mich in meiner Eigenschaft als Soziologe und Politikwissenschaftler äußere, der sich seit längerem mit der Entwicklung der Hochschulen und der Bildung in der Bundesrepublik Deutschland wissenschaftlich beschäftigt.
Da immer wieder Meinungsdifferenzen schon über die Grundfragen bestehen, lassen Sie mich festhalten, daß ich der Überzeugung bin, daß die wissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten den Studierenden die Kompetenz zu wissenschaftlichem Arbeiten und Denken auf dem jeweiligen Sachgebiet vermitteln müssen. Das primäre Ziel ist also nicht die Berufsausbildung - etwa so, wie man eine Bäckerlehre macht. Gerade die generalisierte Ausbildung an einer Hochschule befähigt zu dem, was so häufig gefordert wird, also zur Fähigkeit, sich flexibel auf neue Problemlagen einzustellen, kritisch und eigenständig zu denken, kompetent zu entscheiden, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und angemessene Fragen aufzuwerfen sowie - und vor allem -, lebenslang immer von neuem zu lernen. Es handelt sich also um die Fähigkeit, lernen zu lernen, zu wissen, wie zu lernen ist, ja selbst eingeschliffene Lernpfade aufgrund von Einsicht zu verlassen und neue Wege zu gehen. Allein diese Fähigkeiten machen es möglich, daß Hochschulabsolventen in vielen Berufen tätig werden können. Nur auf diese Weise ist es möglich, den kurzfristigen Trends zu entgehen, die der Arbeitsmarkt mit sich bringt und die - wie die Erfahrung lehrt - ein prozyklisches Verhalten der Studierenden, der Berufsberatung und zahlreicher Hochschullehrer stimulieren. Auf diese Weise sind Fehlentwicklungen fast zwangsläufig. Nicht kurzfristige Anpassung an den Arbeitsmarkt, sondern allein Befähigung zur langfristigen, vorausdenkenden, verantwortlichen, wissenschaftlich informierten Gestaltung und Kreativität ist die Aufgabe der wissenschaftlichen Ausbildung.
Um das Ziel universeller Schlüsselkompetenzen zu erreichen, bedarf es der Autonomie der Wissenschaft. Autonomie heißt, daß die Hochschulen ihrem Zweck nachgehen: Forschung, Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und wissenschaftliche Ausbildung derjenigen, die in gesellschaftlichen Bereichen wie Verwaltung, Wirtschaft oder Schulen verantwortliche Berufspositionen einnehmen werden. Diese drei Aufgaben der Hochschulen zu vereinbaren verlangt eine komplizierte Balance von Forschung und Lehre, langfristigen Forschungs- und Lehrprogrammen einerseits und aktualitätsbezogenen Veränderungen in der wissensgesellschaftlichen Situation einer sich rasch verändernden Berufsstruktur, einer starken Zunahme der Wissensbestände und dem beschleunigten Veralten bekannten Wissens sowie schließlich sehr knapper Mittel. Waren die Hochschulen immer wieder einseitig zu sehr auf Forschung festgelegt, so wird diese gegenwärtig durch die Lehr- und Ausbildungsverpflichtung eingeschränkt, die sich aus dem ungünstigen Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden ergibt.
Institutionell ist die Autonomie dreistufig angelegt. Erstens muß die Wissenschaftspolitik Autonomie gegenüber arbeitsmarktpolitischen, finanzpolitischen oder gar betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten haben. Bei wissenschaftlicher Ausbildung handelt es sich um langfristige Investitionen, deren unmittelbarer Kasseneffekt eben nicht jeweils sofort zu erkennen ist. Betriebswirtschaftliche Effizienz ist eine Schimäre. Wenn selbst Unternehmen erkannt haben, daß sie ihren Beschäftigten von den Forschungsabteilungen bis zur Fertigung die Möglichkeit kreativer Selbstgestaltung der Arbeitsabläufe überlassen sollten - um wieviel mehr muß das für die Universitäten gelten? Zweitens muß die Hochschule autonom gegenüber der Politik und der Wissenschaftsverwaltung sein. Drittens schließlich muß es auch eine Autonomoie der einzelnen Wissenschafterinnen und Wissenschaftler gegenüber der Hochschulleitung und der hochschulinternen Verwaltung geben.
Die finanziellen Ressourcen für wissenschaftliche Forschung und Ausbildung sind gegenwärtig - und ich betone das, weil es zu häufig beschönigt und als Problem klein geredet wird - aufgrund langfristig ausgebildeter politischer Präferenzen und angesichts der Entwicklung der Wissensgesellschaft viel zu knapp. Viele der notwendigen und sinnvollen Reformen werden ergebnislos bleiben oder die Lage nur noch verschlimmern, wenn sie nicht getragen sind von einer gesellschaftlichen und politischen Bereitschaft, die Gesamtlage der wissenschaftlichen Ausbildung insgesamt zu verbessern. Selbst wenn es in den ostdeutschen Bundesländern vorübergehend zu geringeren Abiturientenzahlen kommen sollte, wird dennoch die Zahl der Studierenden in Deutschland insgesamt weiter ansteigen. Darüber hinaus müssen sich die Hochschulen für Berufstätige öffnen, um wissenschaftliche Fortbildung zu ermöglichen. Die föderale Politikverflechtung kann in diesem Fall ungünstige Folgen haben, da jedes Bundesland die Kosten der notwendigen Bildung auf die anderen abwälzt, so daß am Ende keines der Länder angemessen zu den Bildungskosten beiträgt.
Zu den vier Fragen des Ausschusses im einzelnen:
"1. Wie beurteilen Sie die Notwendigkeit und Perspektiven von Zielvereinbarungen als neues Steuerungsinstrument im Verhältnis von Staat und Hochschulen?"
Empirische Erfahrungen gibt es mit dem Instrument an deutschen Hochschulen bislang so wenige, daß eine angemessene Bewertung kaum möglich ist (die Vereinbarungen zwischen Hansestadt Hamburg und Hochschulen liegen ein Jahr zurück). Ohne Zweifel erlauben sie, in den Absprachen zwischen den Beteiligten örtlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und realistische Zielgrößen zu formulieren. Dies kann den Hochschulen und den Wissenschaften mehr Autonomie und eine finanzielle Planungssicherheit geben, während gleichzeitig immer noch die öffentliche Kontrolle durch demokratisch gewählte Institutionen gewährleistet ist. Darüber hinaus erlauben die Vereinbarungen, flexibel und unbürokratisch auf veränderte Situationen zu reagieren. Im günstigen Fall kann dies zu Entlastungen, zur Verkürzung von Amtswegen, zur Beschleunigung von Entscheidungen, zu mehr Eigeninitiative der Hochschulen und zu einer sachangemessenen wissenschaftlichen Strukturplanung führen. Möglich ist auch, daß der Spielraum der Hochschulen sich vergrößert, neue Forschungsschwerpunkte zu schaffen, Initiativen sich entwickeln zu lassen, Curricula zu modizifizieren. So könnten die Studiengänge ebenso wie die Professuren aktualitätsbezogener und problembewußter werden.
Zielvereinbarungen sind allerdings ein ambivalentes Steuerungsinstrument. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß aus ihnen Probleme entstehen können, die den erklärten Zielen entgegenlaufen:
a) In einigen Hinsichten schreiben Zielvereinbarungen nur noch einmal fest, was ohnehin allgemein als Aufgaben der Hochschulen gilt und legen symbolisch nahe, die Hochschulen hätten ihre Aufgaben in der Vergangenheit gar nicht erfüllt. Einem solchen Eindruck, der in den Medien öffentlich gepflegt wird, sollte entgegengetreten werden, weil er nicht den Tatsachen entspricht. Es ist bekannt, daß sich seit Mitte der siebziger Jahre ein enormes Mißverhältnis zwischen der Zahl der Lehrenden und Studierenden entwickelt hat. Darunter leiden sowohl Forschung wie Lehre, und allein didaktische oder organisatorische Maßnahmen werden daran nur wenig ändern.
In der Regel werden der Gegenstand einer Zielvereinbarung quantitativ leicht meßbare Parameter sein: Zahl der Studierenden, Absolventen, Doktoranden, effiziente Studienorganisation, Drittmitel, Zahl der Publikationen. Über die Qualität der Ausbildung und Forschung besagt all dies offenkundig wenig. Einige dieser Maßstäbe führen mit ihrem Ziel der Effizienz und Beschleunigung - wie auch die Erfahrungen schon vor Einführung der Zielvereinbarungen lehren - zu einer erheblichen Verregelung des Studienalltags für Studierende und aufgrund enger Curricula zu einer faktischen Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit sowohl der Studierenden wie der Lehrenden. Denn anders als zu erwarten wäre, sorgen die vielen Regelungen nicht für Überschaubarkeit der Studienorganisation, sondern eher für Ängste und Unsicherheiten. Studierende dürfen bestimmte Seminare oder Vorlesungen nicht verpassen, weil sie dann gleich mehrere Semester verlieren könnten. Der Informationsaufwand wird sehr groß - und um so mehr, wenn an den Hochschulen, wie häufig der Fall, mehrere Prüfungsordnungen gleichzeitig und an verschiedenen Hochschulen verschiedene Prüfungsordnungen gelten. Ein sachlich-inhaltliches Studium, bestimmt von wissenschaftlichen Erkenntniszielen der Studierenden, gar die Entwicklung einer eigenständigen intellektuellen und forscherischen Initiative, ist so kaum möglich. Kritisches Denken wird kaum gefördert. Die Ruhe und die Muße, die für ein sinnvolles Studium notwendig wären, um den Stoff aufzuarbeiten, darüber nachzudenken, Arbeitsgruppen mit Kommilitonen durchzuführen, gehen verloren. Es kommt eine Haltung der Geschäftigkeit, Umtriebigkeit und Cleverness in den Studienalltag; diese Haltung schlägt bis auf das Mikroklima der Seminare durch. Eine pragmatische, häufig desinteressierte, manchmal unterwürfige, gleichzeitig wissenschaftsfeindliche Haltung macht sich unter den Studierenden breit, die die wissenschaftliche Ausbildung nicht als eigenen Wert, sondern nur als Berufsausbildung verstehen. Nicht selten werden wissenschaftliche Diskussionen von Studierenden mit der Frage unterbrochen, ob sie für die Prüfung und den zukünftigen Beruf wichtig sind. Die hektische Stimmungslage wird noch gesteigert, wenn Studierende öffentliche Förderung erfahren und ihr Studium nach einer eng gefassten Semesterzahl abschließen oder wenn sie neben dem Studium erwerbstätig sein und mit Sanktionen im Fall eines zu langen Studium rechnen müssen.
b) Zielvereinbarungen stellen auch dann ein Problem dar, wenn sie zu Instrumenten der Profilbildung und des Wettbewerbs der Hochschulen werden. Wettbewerb und Profilbildung sind gegenwärtig politisch beliebte Maßstäbe für die Reform der Hochschulen. Doch Markt, Wettbewerb, Profil sind mit Wissenschaft unverträgliche Prinzipien, da Wissenschaft auf freier, kooperativer Diskussion beruht, deren Ergebnisse der Allgemeinheit zugute kommen sollen. Der Wettbewerb verlangt hingegen, Wissen zu monopolisieren, um anderen voraus zu sein und es schnell und möglichst vorteilhaft vermarkten zu können. Viele Fächer können jedoch nicht sinnvoll in einen Wettbewerb eintreten: die Philosophie mit der Informatik, die Judaistik mit Betriebswirtschaftslehre - wie soll das gehen? Manchmal hängt der Ruf einer Universität und ihre Attraktivität an einem offenen Diskussionsklima, an spezifischen lokalen städtischen oder regionalen Bedingungen, die von der Hochschule nur in geringem Maße beeinflusst werden können, oder an zwei, drei oder vier Hochschullehrern, von denen manche sogar in marginalen Fächern wie der frühneuzeitlichen Geschichte, der evangelischen Theologie oder der Altphilologie arbeiten. Auch viele gute Hochschullehrer an einem Ort müssen nicht notwendig gut zusammenarbeiten, sondern können sich wechselseitig lähmen, weil der Wettbewerbsdruck sie Diskussion und Austausch eher vermeiden läßt. Eine gute Konstellation kommt durch glückliche Umstände oder durch eine langfristige Berufungspolitik zustande. Und dann: Wie können kleine und vielleicht neue mit großen und traditionsreichen Hochschulen konkurrieren? Es ist bekannt, daß Forschungsmittel nicht allgemein streuen, sondern sich regional und auf bestimmte Fachgebiete konzentrieren. Schnell kann unter der Verzahnung von Wettbewerb und Profil die Zielvereinbarung auch darauf hinaus laufen, bestimmte arbeitsmarktrelevante Fachgebiete mit großen Absolventenzahlen wie VWL, BWL, Rechtswissenschaften zu fördern und andere Fachgebiete - kleine Fächer, solche, die gerade keine Mode sind - oder Ausbildungsgänge fallen zu lassen. Profilbildung kann zum Instrument der Engstirnigkeit in der Berufungspolitik werden. Denn innovative Wissenschaftler werden mit dem Hinweis blockiert, daß sie nicht zum Profil einer Hochschule oder eines Fachbereichs passen.
Auch die Zahl der Absolventen kann nicht unbedingt ein Gesichtspunkt für den Erfolg sein. So machen sich viele Hochschullehrer ernste Sorgen über den Verfall der fachlichen Leistung unter Studierenden und versuchen, dem durch rigidere Standards in Seminaren oder bei Prüfungen entgegenzusteuern, sie gehen über zu mehr Vorlesungen, weil die Studierenden ohnehin so wenig eigenständig arbeiten. Gleichzeitig werden die Universitäten aufgefordert, in kürzerer Zeit mehr Absolventen hervorzubringen und mehr Promotionen durchzuführen. Beide Ziele - Qualität der Ausbildung und Zahl der Absolventen - widersprechen sich, wenn nicht die Relation zwischen Dozenten und Studierenden entscheidend vergrößert wird.
c) Häufig werden die neuen Instrumente als solche der Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung angesehen. Dies ist, wie der Blick in die Niederlande oder nach England zeigt, keineswegs sicher. Denn es entwickelt sich durchaus eine Form der die Effizienz planenden, überwachenden und kontrollierenden Bürokratie. Der Versuch, Mittel einzusparen und zu entbürokratisieren, wird teuer, ineffizient und bürokratisch.
d) Werden die wissenschaftlichen Ergebnisse nach Gesichtspunkten der Publikationshäufigkeit bemessen, dann liegt auf der Hand, daß langfristig angelegte Forschung, mit der sich die flotte Publikation von vielen Einzelaufsätzen nicht verträgt, auf der Strecke bleiben kann. Darüber hinaus werden in einer Vielzahl von Veröffentlichungen die immer gleichen Thesen vertreten. Wissenschaftler müssen Evaluierungspunkte sammeln. Dies führt zu leerlaufender Betriebsamkeit.
e) Die industriesoziologische Forschung zu Zielvereinbarungen in Unternehmen zeigt, daß die zu erreichenden Ziele von Unternehmensstäben festgelegt werden, die von den einzelnen Abteilungen zu erfüllen sind. Die Unternehmenszentralen vergleichen die Kostenstruktur, Arbeitsabläufe und Leistung auch mit unternehmensexternen Anbietern und versuchen, die Ergebnisse der einzelnen Abteilungen durch Vermarktlichung zu verbessern. Auf die Beschäftigten kann ein erheblicher Leistungsdruck zukommen, den sie unter den Bedingungen einer flachen Hierarchie wechselseitig aufeinander ausüben. Die langfristigen Folgen sind noch wenig untersucht.
Im Fall der Universitäten gibt es keine marktbestimmten, sondern politische Vorgaben des Ministeriums, die sich aus historischen Erfahrungen, empirischen Prognosen, politischen Präferenzen und finanzpolitischen Spielräumen ergeben. Die Zielvorgabe ist ein mehr oder weniger einseitiges Lenkungsinstrument, da die Hochschulen Planungssicherheit nur erhalten, wenn sie sich der Vorgabe fügen, weitere Kürzungen eigenverantwortlich zu realisieren. Selbstverständlich ist es besser, wenn Kürzungen in der Universität selbst entschieden werden, weil dort im Sinne von Subsidiarität die Kenntnisse über Spielräume größer sind. Gleichwohl bleibt als Grundproblem die weitere Einengung der Spielräume. Die Zielvereinbarung kann faktisch zu einem sehr engen Korsett werden, das im Namen der Autonomie - ähnlich wie in vielen Unternehmen - nichts anderes darstellt, als mit geringeren Mitteln und weniger Personal noch größere Leistungen zu erbringen. Eine große Wissenschaftsoffensive wird davon nicht ausgehen, da sich für die Beteiligten in den Hochschulen die Bedingungen eher verschlechtern. Die Verschlechterung von Forschung und Lehre wäre dann legitim, wenn es der öffentliche und politische Konsens wäre und eine politische Entscheidung gewollt ist, sich der Entwicklung der Wissensgesellschaft entgegenzustellen. Da die meisten politischen Bekundungen anders lauten, müßte auch entsprechend gehandelt werden. Gegenwärtig jedoch wird dem Bildungsbereich eine Verantwortung aufgewälzt, die er - schlecht ausgestattet - nicht erfüllen kann, so daß am Ende in der Öffentlichkeit nur weitere Vorwürfe gegen das öffentliche Bildungssystem laut werden dürften (die sogenannte Faulheit der Lehrenden und ihr Wille zur konservativen Beharrung) und eine weitere Privatisierung der Bildungsbiographien auch in Deutschland die Folge sein wird.
e) Zielvereinbarungen lösen die staatliche Detailsteuerung ab zugunsten der Selbstbestimmung der Hochschule. Dies bedeutet aber auch, daß das Parlament einen Kontrollverlust erfährt, da es den Haushalt nicht mehr im einzelnen bewilligt. Der Selbstbestimmung der Hochschulen entspricht aber nicht unbedingt ein Mehr an Demokratie in der Hochschule. Denn in demokratietheoretischer Hinsicht wird nun von entscheidender Bedeutung die Frage, wer über die Zielvereinbarungen entscheidet. Vielfach wird beklagt, daß Hochschullehrer sich an den zeitaufwendigen Selbstverwaltungsgremien nicht mehr engagieren wollen. Mittelbau und Studierende spielen in der Willensbildung über Zielvereinbarung und ihre Umsetzung ohnehin nur eine marginale Rolle. Die Gefahr ist nicht gering, daß die Entscheidungen über die Strukturpolitik, die nun an die Hochschulen übergehen soll, in starkem Maße von starken Rektoren oder einzelnen starken Dekanen bestimmt wird, die öffentlich kaum mehr kontrolliert sind. Häufig gibt es in den Hochschulen keine Transparenz mit Blick auf den Haushalt und die Ausgabenplanungen der Hochschulleitung. Autonomie der Hochschule ist - wie die wissenschaftspolitischen und -theoretischen politischen Debatten gelehrt haben, die zur Hochschulreform Mitte der sechziger Jahre führten - eine zweischneidige Angelegenheit und kann auch zur undemokratischen Dynamik eines gestärkten Korporationsbewußtseins führen, das die Bildung starker Seilschaften und Cliquen an den Hochschulen begünstigt.
"2. Wie schätzen Sie die in den §§ 41 Abs. 4 und 55 Abs. 3 des Gesetzesentwurfs enthaltenen Abordnungs- und Versetzungsmöglichkeiten für Professoren und anderes Personal an Hochschulen [...] ein?"
Im Prinzip ist die Möglichkeit einer Abordnungs- und Versetzungsmöglichkeit nicht zu beanstanden und mag in Einzelfällen sinnvoll sein. Zu überprüfen wäre, wieweit die entsprechenden Gesetzesvorschriften mit den aktuellen bundespolitischen Planungen zu einem neuen Dienstrecht in Einklang stehen. Gleichwohl ist ein kritischer Hinweis angebracht. Abordnungen und Versetzungen, die im Einklang mit wissenschaftlicher Arbeit und Forschung stehen, werden bei den betroffenen Hochschullehrern sicherlich anders aufgenommen werden als solche, die Ergebnis der Verlagerung eines Fachgebiets an eine andere Hochschule sind, wie sie im Zuge der Profilbildung und des Rückzugs auf Kernkompetenzen der Hochschulen beobachtet werden können. Wenn eine solche Verlagerung einer Professur zustande kommt, weil die Hochschulleitung oder das Ministerium verwaltungstechnisch und finanziell motiviert der Ansicht ist, das Fachgebiet sei eigentlich überflüssig und es müsse keine Rücksicht auf die betroffenen Wissenschaftler genommen werden, die evt. nicht einmal mehr gehört werden und deren Einfluß wahrscheinlich auch sehr gering ist, kann nachhaltiger Schaden für die wissenschaftliche Forschung weit über das betroffene Gebiet entstehen, weil die wissenschaftlichen Disziplinen vielfach miteinander verbunden und vernetzt sind, es kollegialen Austausch gibt und eine allgemeine Entmotivierung in bestimmten Fachgruppen nicht unwahrscheinlich ist. In den Hochschulen entsteht zwangsläufig eine ungute und die wissenschaftliche Produktivität hemmende Stimmung.
"3. Äußern Sie bitte Ihre Meinung zu der im § 43 Abs. 2 Satz 3 neu eingefügten Regelung sowie dem im § 66 Abs. 4 des Gesetzesentwurfs enthaltenen Stufenverfahren im Hinblick auf den Aspekt der Hochschulautonomie einerseits und staatlicher Eingriffsmöglichkeiten andererseits!"
Heikel ist wahrscheinlich nicht, daß die Ausschreibung und die Festlegung des fachlichen Profils einer Professur im Benehmen mit dem Ministerium erfolgt, wie es § 43 Abs. 2 Satz 3 vorsieht. Auf diese Weise ist ein Minimum der Koordination auf Landesebene gewährleistet. In manchen Fächern wird diese Koordinationsfunktion heute zu wenig wahrgenommen. Die Frage ist, wieweit die Absprache geht und die Hochschulautonomie eingeschränkt wird. Dafür ist die neue Ergänzung von § 66, Abs. 4 einschlägig. Hier ist vorgesehen, daß im Falle, daß Zielvereinbarungen, für verbindlich erklärte Empfehlungen oder vom Ministerium bestätigte Entwicklungsplanungen nicht vorliegen, das Ministerium anordnen kann, daß die "Verteilung der der Hochschule zugewiesenen Stellen und Mittel, die Ausschreibung, die Festlegung des fachlichen Profils und die Besetzung von Stellen sowie die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen und Hochschuleinrichtungen einer Genehmigung des Ministeriums bedürfen. Diese kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit versagt werden, wenn dies zur Wahrung staatlicher Belange erforderlich ist." Diese Formulierungen werfen ein erhebliches Problem auf und weisen auf oben schon angesprochene Ambivalenzen des Steuerungsinstruments Zielvereinbarung hin. Die Möglichkeiten der Hochschulen, die Zustimmung der staatlichen Akteure zu einer bestimmten Zielvereinbarung zu erzwingen, die sachlichen Interessen der Hochschulen entspräche, sind sehr gering. Umgekehrt kann der Staat in Gestalt des Ministeriums sich einer Zielvereinbarung verweigern, wenn diese bestimmten Anforderungen nicht genügt. Mit § 66 droht nun, daß im Fall, eine der Hochschulen verweigerte sich einer ihr wenig attraktiven Zielvereinbarung (z.B. Stellenkürzungen und Betreuung einer größeren Zahl von Studierenden, Verlagerung von Fachgebieten an andere Hochschulen), das Ministerium auf die Detailsteuerung auch der Kernbereiche der Hochschulen zurückgreift. Da dies bislang nicht galt, stellt der neu vorgelegte Gesetzesentwurf eine Verschlechterung für die Autonomie der Hochschulen dar, die nämlich nur so lange gewährt wird, wie sie eine Politik vollzieht, die den Zielen des Ministeriums entspricht.
Adresse: Dr. Alex Demirovic, Institut für Sozialforschung