Erklärung des BdWi-Bundesvorstandes zu den Terroranschlägen in den USA
Bei den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington als Symbolen der ökonomischen und militärischen Macht der USA vom 11. September 2001 wurden über 5000 Menschen getötet. Dieser Massenmord wird von uns entschieden verurteilt. Diese Anschläge haben Entsetzen und Trauer hervorgerufen, teilweise auch Hilflosigkeit und Verunsicherung, da traditionelle "Sicherheitspolitik" und politische Handlungskonzepte gründlich in Frage gestellt wurden. Die Ursachen und Konsequenzen dieser Anschläge werden die öffentliche Debatte noch lange beschäftigen. Diese notwendige Auseinandersetzung kann nur dann angemessen geführt werden, wenn Informationspolitik nicht der Militärpolitik untergeordnet und Kontroversen nicht unter dem Druck bedingungsloser "uneingeschränkter" Solidaritätsverpflichtungen für militärische Maßnahmen unbekannten Ausmaßes erstickt werden. Die Grundlagen für eine offene Debatte immer wieder herzustellen, liegt gerade in der Verantwortung demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Der Terrorismus ist ein spezifisches globales Problem mit einer eigenen logistischen Infrastruktur, die polizeilich ermittelt und zerschlagen werden muss, ebenso wie Verantwortliche und dingfest gemachte Täter vor Gericht gestellt und bestraft werden müssen. Der jetzt begonnene "lange Feldzug" nimmt jedoch ganze Staaten und Völker in Haftung für die Taten von Terroristen, trifft Unschuldige in großer Zahl und kalkuliert eine weitere militärische Eskalation bewusst ein. Er verschärft damit all jene globalen Krisenerscheinungen wie Hunger, Elend und soziale Entwurzelung, aus denen der Terrorismus zwar nicht unmittelbar entsteht, aber teilweise politische Legitimation und Unterstützung bezieht.
Wir wenden uns gegen eine Militarisierung des Denkens, die in der These von der "Kriegserklärung an die zivilisierte Welt", in der Formel vom "Kampf der Kulturen" oder im orakelhaften Geraune von einer "Zeitenwende" zum Ausdruck kommt. Dem liegt der Versuch zugrunde, der Welt nach Ende des Kalten Krieges ein neues bipolares Schema zu verordnen und Bemühungen internationaler ziviler Krisenbewältigung und Konfliktlösung zu vereiteln. Konsequenz dieses Schemas ist die Konstruktion von Feindbildern aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, die in der innenpolitischen Aufrüstung des Sicherheitsstaates ihre Entsprechung findet.
Wir wenden uns gegen den gegenwärtig im Windschatten der Ereignisse des 11. Septembers massiv betriebenen Abbau demokratischer Grundrechte, der die George-Bush-Formel "Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für die Terroristen!" in die Innenpolitik verlängert: Verschärfungen von Einwanderungsbestimmungen, Abschiebungen "auf Verdacht", "Regelanfrage" beim Verfassungsschutz, Planungen für einen inneren Einsatz der Bundeswehr, Außerkraftsetzung des Datenschutzes und pauschale Durchleuchtung ausländischer Studierender haben nicht einmal in einem funktional-technokratischen Sinne mit der Terrorismusbekämpfung zu tun. Geschaffen wird so ein Klima, das den Blick auf nationale und internationale Widersprüche verstellt und gesellschaftliche Auseinandersetzungen über die Ursachen und eine effektive Bekämpfung der Wurzeln des Terrorismus unter dem Mantel vermeintlicher "innerer Sicherheit" verhindert.
Das Unwort von den Universitäten als "Ruheraum" für Terroristen wurde gezielt öffentlich lanciert. Die Hochschulrektorenkonferenz berichtet von anonymen Drohungen gegen Hochschulleitungen, an deren Einrichtungen mutmaßliche Täter studiert haben. Verfassungsschutzämter fordern eine pauschale Auswertung personenbezogener Daten ausländischer Studierender und Präsidenten und Rektoren kommen dieser Forderung geflissentlich nach. Es zeichnet sich ab, dass die Attacken auf Institutionen akademischer und politischer Selbstverwaltung ausgedehnt werden. So stellen etwa jungkonservative Nachwuchsorganisationen einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen 68er-Bewegung, linker AStA-Politik und den New Yorker Attentaten her.
Sorgen wir dafür, dass ein solches Klima nicht um sich greift!
Lassen wir nicht zu, dass an den Hochschulen die öffentliche Diskussion durch eine Atmosphäre des Verdachtes, der Denktabus und der Denunziationen ersetzt wird!
Die Hochschulen müssen sich gerade aktuell als Orte der Toleranz, der Verständigung und des freien Gedankenaustausches erweisen!
Die demokratische Verantwortung von WissenschaftlerInnen ist es, zur Aufklärung der gegenwärtigen internationalen Situation und zur Friedenssicherung ihren Beitrag zu leisten.