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No Way Left? - Kritik - Analysen - Perspektiven linker Hochschulpolitik

13.08.2007: Eröffnungsbeitrag von Torsten Bultmann auf der Podiumsdiskussion zur "Perspektive, Sinnhaftigkeit und Form einer Organisierung linker Hochschulpolitik ..." (11. August, Universität Marburg)

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Zunächst eine Vorbemerkung: Thema dieser Diskussion ist offenbar das, was man in traditioneller Weise die "Organisationsfrage" nennt. In der Eingangsmoderation wurde das Spektrum von (Selbst-) Organisation an der Hochschule in der Spannweite zwischen Parteiverband, parteiunabhängiger linker Strömung und studentischer Selbstverwaltung komplett aufgefächert. Ich möchte dazu sagen, dass ich die genannten Momente von Organisation, die uns auf absehbarer Zeit auch an der Hochschule begegnen werden, nicht im Sinne einer Gegenüberstellung, d.h. von sich ausschließenden Alternativen diskutieren kann. So ist etwa bezogen auf die ganze Gesellschaft die Frage etwa, ob mensch sich in einer Partei oder gewerkschaftlich organisiert, auch keine echte Alternative: es handelt sich um unterschiedliche Ansätze, im Sinne der eigenen Interessen auf politische Entwicklungen Einfluss zu nehmen und handlungsfähig zu werden, die individuellen Kräfte, die dafür allein niemals ausreichen, zu potenzieren. Das ganze Thema wird dann noch einmal überwölbt von der Debatte um die Zukunft des studentischen Dachverbandes, welcher offenbar durch politisch zu verantwortende Handlungen in die Krise gebracht wurde.

Zweitens eine ganz grundsätzliche Eingangsbemerkung: Interessen, die im Kapitalismus nicht politisch repräsentiert sind, werden öffentlich nicht wahrgenommen und sind damit de facto politisch nicht "vorhanden"; so, als gäbe es sie gesellschaftlich auch nicht! Natürlich gibt es sie gesellschaftlich trotzdem, aber lediglich in individualisierter und marginalisierter, kurz: in politisch irrelevanter, Form. Über die Politik, die offiziell und "im Großen" hierzulande durchgesetzt wird, lassen sich etwa wissenschaftliche Analysen anstellen, die leicht zu dem Befund kommen, dass von dieser Politik nur die Interessen privilegierter sozialer Minderheiten bedient werden. Dass diese Politik - etwa verkürzt als "Neoliberalismus" bezeichnet - trotzdem durchsetzbar ist, hängt schlicht damit zusammen, dass die Interessen subalterner gesellschaftlicher Mehrheiten politisch nicht handlungsmächtig sind, was auch eine Folge mangelnder politischer Repräsentation ist.

An den Hochschulen widerspiegelt sich diese seltsame Situation noch einmal ganz spezifisch. Wer beeinflusst eigentlich die aktuelle Hochschulpolitik im maßgebenden Sinne? Um ein Beispiel zu nennen: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) beansprucht etwa ganz offiziell, nicht nur die Interessen der Rektoren, sondern der Hochschulen in ihrer Gesamtheit, also auch aller Mitgliedergruppen der Hochschulen, zu vertreten! Solange noch die traditionelle Rektoratsverfassung bestand, in welcher der Rektor ein von der Professorenschaft getragener primus inter pares war, vertrat die HRK vor allen Dingen die Interessen der Professoren. Nun kritisieren aber konservative Professorenverbände die HRK schon seit längerem mit der Aussage, diese würde nur noch die Interessen eines Teils der Hochschulverwaltungen vertreten, vor allen Dingen der neuen "starken" Präsidenten, die - eng beraten von Consulting-Agenturen wie dem Bertelsmann-CHE - die wettbewerbspolitische "Modernisierung" der Hochschulen betreiben. An dieser Aussage ist durchaus etwas dran, selbst wenn uns ihre politische Quelle nicht sympathisch ist. Ihre Stoßrichtung ist aber die Erwartung, die HRK möge wieder in den Schoß traditioneller universitärer Standespolitik zurückkehren. Diese Position ist dann wiederum im Ganzen in einem emanzipatorischen Interesse politisch nicht bündnisfähig - selbst wenn sie im Einzelnen früher dazu geführt hat, dass die HRK oder ihr Vorläufer WRK gemeinsam mit den vereinigten deutschen studentenschaften (vds) oder dem späteren fzs nachdrückliche Forderungen nach einer Erhöhung der staatlichen Grundfinanzierung der Hochschulen gestellt hat, was durchaus richtig war!

An dieser Stelle eine aktueller Einschub. Während etwa die WRK früher - trotz genannter partieller Gemeinsamkeiten - tendenziell eher geneigt war, die vds als "linksradikale" illegitime Vereinigung einzustufen, d. h. auf Konfrontation zu gehen, wächst nach meiner Feststellung in den letzten Jahren die Bereitschaft der HRK, sich gemeinsam politisch mit dem fzs, etwa in Form von Presseerklärungen, öffentlich zu zeigen. Das hängt m. E. damit zusammen, dass die HRK, genauer: das HRK-Präsidium, merkt, dass die soziale Basis ihrer Politik an den Hochschulen zunehmend "enger" wird und sie auf dies Weise ihre formale Legitimation ausbauen will. Diese Kooperationsbereitschaft des fzs wird nun vom einigen hessischen ASten scharf kritisiert. Ich würde das Problem aber etwas anders fassen. Ausschlaggebend ist nicht die moralische Frage "Darf man mit der HRK zusammen arbeiten oder nicht?" (eine Politik mit einschüchternden Verbotstafeln bzw. formalen Kontaktverboten führt in der Regel nicht weit). Die Frage ist doch eher, ob im konkreten Fall einer solchen Kooperation etwas in Richtung autonom formulierter studentischer Interessen herauskommt und wie man in derartigen Konstellationen zumindest Teilerfolge erzielen kann. Niemand ist allein dadurch politisch "wichtig" und mächtig, dass er von der HRK zum Gespräch oder zum Buffet - oder von Anette Schavan zum Kaffeetrinken - eingeladen wird. Dieser durch den gesamten parlamentarischen Mechanismus begünstigten "optischen Täuschung" unterliegen politische Funktionsinhaber zuweilen. Ob sich aus gegensätzlichen Interessen eine gemeinsame Schnittmenge bzw. Konzessionen ergeben, hängt vor allem davon ab, wer von den Beteiligten auf eine entsprechende (Gegen-) Öffentlichkeit und potentielle politische Mobilisierungsfähigkeit zurück greifen kann, zumal dann, wenn er selbst nicht über "Macht" im traditionellen Verständnis verfügt. Die in hochschulpolitischen Milieus häufig anzutreffende Polarisierung "Lobbyarbeit" versus "sozialer Bewegungsansatz" ist nicht zwangsläufig ein Gegensatz. Ein intelligenter Politikansatz muss versuchen, auf beiden Klaviaturen zu spielen - und - um im Bild zu bleiben - die Melodien aufeinander zu beziehen.

Zurück zur Frage der Beeinflussbarkeit der Hochschulpolitik. Eine der gravierendsten Repräsentationslücken in diesem Bereich besteht aktuell darin, dass die größte Gruppe des gesamten wissenschaftlichen Personals, das ist der sog. akademische Mittelbau, über keine politische Vertretung auf Bundesebene verfügt (und auch kaum noch auf Landesebene), obwohl ca. zwei Drittel des Arbeitsaufwandes in Forschung und Lehre von dieser Gruppe gestemmt wird. Damit ist sie faktisch von Entscheidungsprozessen, obwohl sie aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus zur Frage der Hochschulreform sehr viel beizutragen hätte, komplett ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund ist aber die Frage, ob die größte Mitgliedergruppe der Hochschulen, die Studierenden, eine eigene Bundesvertretung braucht, eigentlich keine reale Frage mehr! Sie beantwortet sich von selbst. Ein Verzicht auf eine eigene politische Interessenvertretung führt zwangsläufig dazu, dass die Studierenden als soziale Gruppe nolens volens die "Vertretung" ihrer Interessen an andere hochschulpolitische Akteure delegieren und damit auf Spielräume an politischer Autonomie verzichten.

Bis hierher habe ich immer mit dem Interessenbegriff operiert, ohne diesen näher zu erläutern. Politische Interessenvertretung ist natürlich nicht per se emanzipatorisch, sondern kann, zumal an den Hochschulen, auch in einem konservativ-standespolitischen Kontext begründet werden. Es gibt etwa Positionen, die Studiengebühren aus einem humankapitaltheoretischen Ansatz heraus ablehnen; Motto: die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standortes erfordert mehr Akademiker und Studiengebühren behindern diese Entwicklung! Nun sind Interessen aber keine "Eigenschaft" oder etwas statisch Fixiertes. Anders gesagt: Interessen "hat" man nicht, politische Interessen bilden und entwickeln sich - nicht zuletzt in Diskussionen, im Streit, in individueller Auseinandersetzung mit politisch angebotenen Interpretationen, Analysen und Deutungsmustern. Genau darin liegt die Verantwortung politischer Zusammenschlüsse, nicht zuletzt eines studentischen Dachverbandes, solche Diskussionen, ein derartiges Ringen um Meinungen und Positionen zu organisieren und zu gewährleisten, was im Erfolgsfall dazu führt, dass studentische Interessen tendenziell mehrheitsfähig in einem emanzipatorischen Kontext politisch interpretiert werden. Daraus ergibt sich zwingend, dass ein Dachverband intern pluralistisch ausgerichtet sein muss und ganz gewiss nicht im Sinne (partei-)politischer Homogenität funktionieren kann. Wäre letzteres der Fall würden nicht nur die notwendigen Diskussionen verhindert, welche eine Voraussetzung politischer Klarheit sind, sondern auch die Basis der eigenen politischen Wirkung und öffentlichen Legitimation sukzessive abgebaut, quasi eine politische Selbstamputation.

Alle politischen Strömungen und ideellen Tendenzen, die es in der Gesellschaft gibt, finden auch an der Hochschule in der studentischen Willensbildung ihren Ausdruck - mit einer wichtigen Nuance: seit 1967/1968 ist von einer strukturellen linken Mehrheitsfähigkeit in den Studierendenvertretungen die Rede. Nun ist offenbar umstritten, inwieweit das heute noch gilt. Ungeachtet dessen ist diese politische Willensbildung in der aktuellen Dachverbandskonstellation (noch) möglich und sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Das heißt weder zwangsläufig "Minimalkonsens" noch "Einheit um jeden Preis", es schließt auch keineswegs politische Mehrheitsentscheidungen und scharfen Streit aus. In grundlegenden Fragen der Zusammenarbeit und der Repräsentation eines solchen Verbandes sollte aber eine politische Kultur und Praxis der gleichberechtigten Zusammenarbeit und des Kompromisses zwischen verschiedenen politischen Strömungen herrschen. Andernfalls wäre das Projekt Dachverband gescheitert.

Dieses ist vermutlich nicht der Fall, weil sich sowohl KritikerInnen als auch politische RepräsentantInnen des aktuellen fzs grundsätzlich positiv auf die Notwendigkeit eines studentischen Dachverbandes beziehen. Die ergibt sich schon daraus, dass man auch in der dezentralen hochschulpolitischen Alltagspraxis immer wieder mit der Erfordernis einer bundespolitischen Präsenz konfrontiert sein wird, weil anders die Probleme nicht lösbar sind. Anders gesagt: das Problem "Dachverband" holt einen immer wieder ein, selbst wenn man sich von diesem formal verabschiedet hat. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Situation bestenfalls als eine Übergangskonstellation zu begreifen, die weitere politische Schritte von allen Beteiligten drinnen und draußen, d.h. von allen Seiten der Barrikade, erfordert.

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