Bonner Thesen
25.10.2008: Abschlusserklärung des Kongresses "Die unternommene Hochschule"
Bonner Thesen
Jonas Bens (RLS NRW), Torsten Bultmann (BdWi), Martin Commentz (AStA Bonn), Karl-Heinz Heinemann (Bildungsjournalist), Bianka Hilfrich (fzs), Clemens Knobloch (RLS NRW), Uwe Söhngen (VDJ), Katrin Schäfgen (Studienwerk der RLS) und Jan Schröder (Studentinnen und Studenten in der GEW)
aus Anlass des Kongresses "Die unternommene Hochschule: Studium, Lehre und Forschung als Ware" am 25. Oktober 2008 in der Universität Bonn, veranstaltet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, dem AStA der Universität Bonn, dem Bund Demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), dem Freien Zusammenschluss von StudentInnenenschaften (fzs), den Studentinnen und Studenten in der GEW und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ).
Die Hochschulen sind im Umbruch:
1. Neue Studienstrukturen sind überfällig: wissenschaftliche Qualifikation statt Verunsicherung und Verschulung
Neue Studienstrukturen sollen das Studium planbarer und übersichtlicher machen. Studierende sollen "beschäftigungsfähig", Studienzeiten verkürzt, Studienabbrüche reduziert, die Mobilität der Studierenden erhöht werden. Ziel ist es, in kürzerer Zeit mehr junge Leute akademisch zu qualifizieren. Tatsächlich wird bisher keines dieser Ziele erreicht - im Gegenteil: Studierende und Unternehmen sind unsicher, welche Fähigkeiten das Studium wirklich vermittelt und welche Berufsperspektiven es eröffnet. Die Hochschulen haben sich vom Ideal der "Bildung durch Wissenschaft" verabschiedet, ohne es durch ein anderes, möglicherweise modernes Konzept einer wissenschaftlichen Berufsausbildung zu ersetzen. Studium und Wissenschaft dienen nicht unmittelbar der Berufsausbildung, sondern über den Erwerb wissenschaftlicher Methoden und Inhalte vermitteln sie die Fähigkeit zu Distanz und Kritik und tragen zur Entwicklung der Persönlichkeit bei. Das wird in der aktuellen Debatte um "Beschäftigungsfähigkeit" übersehen. Notwendig wäre es, eine breite Mehrheit jedes Altersjahrgangs akademisch zu qualifizieren. Davon sind wir noch weit entfernt! Selbst wenn wir eine Studierendenquote von 40 Prozent eines Altersjahrgangs erreichen würden, läge dies weit hinter dem OECD-Durchschnitt. Von der Spitzengruppen bliebe man utopisch weit entfernt. Notwendig wäre es, alle Kraft der Hochschulen auf diesen Umbruchprozess zu konzentrieren, also auf die Entwicklung neuer Formen des Studierens - mit wissenschaftlichem Arbeiten in kleinen Gruppen von Beginn des Studiums an, mit einer breiten wissenschaftlichen Grundausbildung, die vielfältige Wege in den Beruf eröffnet.
2. Wir fordern: Demokratisch legitimierte Strukturen statt einer unternehmensförmigen Organisation
Die Hochschulen werden neu organisiert als Quasi-Unternehmen, ihre Organisationsstrukturen betriebswirtschaftlich umgestaltet. Autonomie heißt nicht mehr ein gesicherter Freiraum des Forschens und Lehrens, sondern die unternehmerische "Freiheit", die bewusst knapp gehaltenen Mittel rationell und an hohem "Output" orientiert einzusetzen. Der Staat erscheint nicht mehr als Garant der Freiheit von Forschung und Lehre - er überlässt die Hochschulen sich selbst, mit Globalhaushalten und neuen Formen autokratischer Steuerung. Damit wird auch die demokratisch legitimierte Kontrolle über das öffentliche Hochschulsystem aufgegeben. An deren Stelle treten Hochschulräte ohne demokratische Legitimation und Rechenschaftspflicht. Systeme der Qualitätssicherung und Akkreditierung von Studiengängen verselbständigen sich. Sie schaffen neue Bürokratien und fördern eine an Plankennziffern orientierte Tonnenideologie statt die Selbstverantwortung der Lernenden, Lehrenden und Forschenden. Wissenschaft braucht Freiraum und demokratische Verantwortung. Am besten kann das durch die aufgeklärte Gemeinschaft der Lernenden und Lehrenden gewährleistet werden. Hochschulen brauchen Mitbestimmung aller Gruppen. Qualitätssicherung darf nicht bürokratischen Apparaten übertragen werden, sondern muss die Diskussion und das Qualitätsbewusstsein, die gesellschaftliche Verantwortung der wissenschaftlichen Akteure fördern.
3. Die Gesellschaft braucht den Wettbewerb der Ideen statt Profilbildung und Konkurrenz
Die "unternehmerische Hochschule" ist kein Ort des Wettbewerbs und freien Austauschs von Ideen und Erkenntnissen, sondern sie unterwirft sich den Gesetzen eines vermeintlichen Marktes, schottet sich von der Gesellschaft ab, wird steril. Nicht mehr der öffentliche Wettbewerb von Ideen wird gefördert, sondern die Abschottung vor der Konkurrenz durch die Monopolisierung und Patentierung von Forschungsleistungen. So wird wissenschaftlicher Innovation der Boden entzogen. Gute Lehre erscheint als zusätzliche Belastung, die eine erfolgsorientierte Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler vermeidet, um stattdessen den eigenen Forschungsoutput in Form von Veröffentlichungen, Patenten und vor allem Drittmitteln zu optimieren. Durch den Exzellenzwettbewerb werden die für die Verbesserung des Studiums dringend notwendigen Kräfte abgezogen und auf einzelne Projekte sog. Spitzenforschung konzentriert. Die knappen Finanzmittel werden auch noch umverteilt von den vermeintlich Schwachen zu den Starken. So öffnet sich die Schere bei den Studien-, Forschungs- und Arbeitsbedingungen immer weiter. Erforderlich sind vielmehr gleiche Bedingungen für alle in einem fairen Wettbewerb - um die besten Studiengänge, um gesellschaftliche Problemlösungen, um die besten Ideen und Forschungsergebnisse. Die Hochschulen dürfen sich nicht den Interessen privater Geldgeber ausliefern. Der Staat muss den Freiraum der Hochschulen garantieren, durch angemessene Finanzierung und eine parlamentarisch-politisch legitimierte Aufsicht und Kontrolle von außen sowie eine gleichberechtigte Mitbestimmung aller Statusgruppen im Inneren.
4. Demokratie bedeutet: Soziale Öffnung der Hochschulen statt neuer Zugangshürden
Die berufliche Bildung stellt immer höhere Anforderungen. Unternehmensverbände und Gewerkschaften fordern daher nicht nur mehr Studierende, sondern auch, dass sich die Hochschulen Berufstätigen öffnen. Stattdessen schotten sie sich weiter ab. Mit den neuen Studienstrukturen werden die Studienplätze knapper. Studiengebühren, hochschulinterne Auswahlverfahren, ein Chaos bei den marktförmig organisierten Einschreibeverfahren legen die Hürden zum Studium höher. Dessen Verschulung und administrative Verkürzung benachteiligt Menschen, die ihren Lebensunterhalt neben dem Studium selbst finanzieren müssen. Infolge der Föderalismusreform werden die Hochschulzugangsbedingungen noch unübersichtlicher und chaotischer. Das wirkt vor allem für Studierwillige aus nichtakademischen Familien abschreckend. Nicht nur im Berufsleben, in allen gesellschaftlichen Bereichen ist wissenschaftliches Denken und Arbeiten gefordert. Nur zu berechtigt sind daher die Forderungen nach gebührenfreiem Studium, Abbau der Barrieren für Berufstätige, Teilzeitstudium, Stipendien und bundesweit einheitlichen Zulassungsverfahren.
5. Wir brauchen Hochschulen als Räume des Denkens, Forschens, des Lehrens und Lernens frei von Zwängen der Marktlogik,
wir brauchen freien Zugang zu wissenschaftlicher Bildung,
wir brauchen tragfähige Konzepte einer wissenschaftlichen Qualifizierung,
wir brauchen eine selbstbestimmte, kritische Qualitätsdiskussion,
wir brauchen ausreichende öffentliche Investitionen in die Hochschulen und die Bildung
Wir brauchen eine Alternative zur unternehmerischen Hochschule!