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»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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"Elitenausbildung für alle!"

14.10.2005: Ein Interview mit Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Der Soziologe Michael Hartmann hat in seinem Buch "Der Mythos von den Leistungseliten" nachgewiesen, dass der Begriff der gesellschaftlichen Elite wieder en vogue wird. Der Kniff dabei: Mit dem Begriff der Leistung wird unterstellt, dass all jene, die ihre Leistung erbringen, unabhängig von Herkunft und Stand zur Elite aufsteigen können. Hartmann zeigt aber, dass das nicht stimmt. Unklar bleibt, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte. Wie sehen Sie als Hochschulforscher diese Entwicklung, wann hat sie eingesetzt und was würden Sie als ihre Gründe anführen?

Es handelt sich nicht um eine spezifische Entwicklung, die irgendwann "eingesetzt" hätte, sondern um ein Charakteristikum einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Ursprünglich bekämpfte das Bürgertum den Adel, indem es tatsächlich beanspruchte, das "Leistungsprinzip" an die Stelle des Geburtsprivilegs zu setzten. In gewisser - relativer! - Weise geschah dies dann auch. Allerdings wurde damit zugleich ein wesentlich effizienterer Mechanismus sozialer Privilegierung etabliert: nämlich der einer Allianz von "Bildung und Besitz". Wer über solche familiären Ressourcen verfügt, ist in der sozialen Konkurrenz von vornherein begünstigt. Dies beeinflusst nicht zuletzt die Besetzung der ganz hohen sozialen Ränge, welche im wesentlichem dem Matthäus-Prinzip entspricht. Das ganze wird natürlich durch spezifische Mechanismen symbolisch-kultureller Reproduktion von Hierarchien noch einmal abgestützt. Michael Hartmann hat - empirisch gut belegt - diese völlig leistungsindifferenten Machtaufteilungsmechanismen verdeutlicht - und damit an einem Tabu gekratzt; ähnlich wie Pierre Bourdieu dies für Frankreich nachgewiesen hat.

Funktioniert die Elitenförderung einzig über die Einrichtung sog. "Elite-Universitäten" oder greifen die Selektionsmechanismen - Stichwort Numerus Clausus - bereits auf einem viel unscheinbareren und allgemein verbindlicherem Niveau?

Soziale Selektion - vordergründig gerechtfertigt als "Leistungsdifferenzierung" - findet in allen biografischen Bildungsphasen statt. Die Weichen dafür, dass etwa in Deutschland 88 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien, aber nur 13% aus Arbeiterfamilien (2004) überhaupt an eine Hochschule gelangen, werden bereits durch das sog. Dreigliedrige Schulsystem gestellt, d.h. bereits am Ende der Grundschule über die Empfehlungen für eine weiterführende Schulform. Wenn jemand nun für die Hochschulen zusätzliche "Elitefördermechanismen" fordert, sagt er damit im Grunde, dass all dies, was vorher stattgefunden hat, noch nicht ausreichend war und dass eine Art "Nachsortierung" erforderlich ist, weil die Bildungsspitze immer noch zu "breit" ist.

Als Kontrastbegriff zur "Elite" wird häufig die "Masse" ins Feld geführt. Ist die "Verblödung der Masse" Ziel oder auch nur Voraussetzung von Elitenförderung?

Der Begriff "Verblödung" ist zu krass und moralisch! Zunächst: Beide Begriffe funktionieren nur als Einheit. Wer eine spezielle "Eliteförderung" politisch fordert, zielt damit immer auf eine zunächst relativ homogene Gruppe: etwa alle heutigen Studierenden. Für einen Teil dieser Gruppe sollen nun Sonderbedingungen geschaffen werden, die ihn künftig vom "Rest", der "Masse" abheben. Dies bedeutet zwangsläufig eine Schlechterstellung der "Masse" im Verhältnis zum Zustand vorher. Unter Bedingungen konstanter staatlicher Hochschulfinanzierung bedeutet dies automatisch eine Verschlechterung der materiellen Ausbildungsbedingungen in der Breite. Doch selbst bei proportionalen finanziellen Zuwächsen wäre der "Massenabschluss" bildungsökonomisch, d.h. auch arbeitsmarktpolitisch, abgewertet. In den 80er Jahren forderten sozialistische Studierendenverbände in Westdeutschland etwa "Elitenausbildung für alle!", um damit genau dieses duale Schema ad absurdum zu führen.

Rekurriert Elitenförderung zwangsläufig auf naturalisierende Konzepte wie "(ungleiche) Begabung", "Talent" usw.?

Erstens: Es gibt überhaupt keine einheitliche Verwendung des Elitenbegriffes! In den Sozialwissenschaften - und insbesondere noch mal im angelsächsischen Raum - wird "Elite" überwiegend rein funktional verwandt: etwa als Beschreibung des Sachverhaltes, dass es in jeder arbeitsteiligen Gesellschaft soziale Positionen mit unterschiedlicher Verantwortung, einschließlich Führungsaufgaben, gibt. Dieses Argument wurde auch in der deutschen Elitenkampagne des Jahres 2004 ständig ins Feld geführt, um den Begriff endlich "einzubürgern". Allerdings wurde dabei nicht erwähnt, dass es keinen logisch zwingenden Zusammenhang zwischen der Feststellung dieser - an sich banalen - Tatsache einer sozialen Arbeitsteilung einerseits und der Notwendigkeit einer zusätzlichen Eliteförderung an Hochschulen andererseits gibt. Die gesellschaftliche Auswahl für verantwortliche Positionen kann ebenso gut aus einem hohen Qualifikationsniveau in der sozialen Breite erfolgen und/oder in Form einer demokratischen Mandatierung auf Zeit. Zweitens: Charakteristisch für den deutschen Kulturraum ist, dass hier der Elitebegriff seit dem späten 19. Jahrhundert und unisono mit einer biologistischen Abwertung der Massen - des Pöbels, des Proletariats - nahezu immer naturalisierend konnotiert war und in der Folgezeit wahnwitzige Konzepte von "Auslese" und "Menschenzucht" transportierte. Weswegen sich für mich eine affirmative Verwendung des Begriffs verbietet.

Kommt dem Bildungssystem in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften nicht zwangsläufig die Funktion der Stabilisierung und Reproduktion sozialer (Ungleichheits-)Verhältnisse zu und inwiefern vermochten die von der StudentInnenbewegung der 60er und 70er Jahre erkämpften Reformen daran überhaupt etwas zu ändern?

Ich sagte bereits, dass die Reproduktion von Hierarchien entsprechend der sozialen Herkunft quasi der "Normalfall" im Kapitalismus ist. Dieser ist natürlich auch wesentlich geschmeidiger und flexibler als alle Gesellschaften vorher: D.h. er ermöglicht in gewissem Umfang individuelle Aufstiege und soziale Durchlässigkeit. So war etwa die soziale Öffnung der Hochschule seit Mitte der 60er Jahre eine blanke ökonomische Notwendigkeit aus der - unbefriedigten - Nachfrage nach akademischen Arbeitskräften. Ein solche Dynamik kann aus herrschender Perspektive jedoch auch außer Kontrolle geraten, wenn sich massenhafter sozialer Bildungsaufstieg mit einem politischen Demokratisierungsdruck im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse verbindet. Dies war in Westdeutschland die politische Konstellation 1968 folgende ... Erst vor diesem Hintergrund wurden aus konservativen Zirkeln in den 70er Jahren politische "Elitenkampagnen" inszeniert, weil die Zugehörigkeit zu hohen sozialen Positionen eben nicht mehr "normal" und politisch unangefochten war! Damals wollten diese Kampagnen die neuartige "Massenuniversität" wieder beseitigen. Erst später - in den 80er Jahren - kam der Gedanke einer speziellen Eliteförderung innerhalb des Hochschulsystems auf. Dass all dies bis heute nicht gelungen ist, ist auch eine Nachwirkung der Hochschulreform, die also durchaus etwas "geändert" hat.

Der Begriff der Bildung ist im deutschsprachigen Raum besonders konnotiert: Schon vor mehr als 100 Jahren sah die deutsche Bildungselite einen Verfall der Bildung voraus. Bildung steht dabei für mehr als nur praktisches Wissen; es ist ein Ausweis besonderer Fähigkeiten, der nicht nur zur Abgrenzung gegen angloamerikanische Education steht, sondern auch für eine, überspitzt gesagt, "deutsche Besonderheit". In Zeiten der Ökonomisierung der Bildung wird gerade auch von der Linken auf die "Bildung" insistiert, weil dadurch gegen die ökonomische Verwertbarkeit ein Surplus an Gesellschaftskritik übrig bleiben könnte - aber macht das Sinn?

Nicht im geringsten! Jedenfalls dann nicht, wenn ein idealistischer Bildungsbegriff dadurch definiert ist, dass er ökonomischen Zwecken abstrakt entgegengesetzt ist, also deren bloßes Gegenteil. Dann überlasse ich nämlich die Definitionsmacht über die Ökonomie, also eine konstitutive gesellschaftliche Tatsache, den Neoliberalen. Wobei natürlich nichts gegen "Gesellschaftskritik" spricht. Aber dies Kriterium muss spezifiziert werden. Gesellschaftskritik "an sich" kann an den Hochschulen nicht studiert werden. Jeder studiert ein bestimmtes Fach, welches auf eine künftige berufliche Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese ist das Kriterium von Kritik- und Reflexionsfähigkeit. Der Unterschied besteht also darin, ob ich in bestimmten Berufsrollen nur "funktioniere", wie es extern gewünscht ist, oder ob ich über den gesellschaftlichen Sinn der ausgeübten Tätigkeit und ihre mögliche Veränderung nachzudenken in der Lage bin. Dann ist das Feld der politischen Auseinandersetzung - und der Entwicklung von Alternativen - jedoch die Praxisorientierung der jeweiligen Wissenschaft. Darin ist auch die Denkmöglichkeit einer anderen Ökonomie enthalten! Diese Auseinandersetzung kann ich nicht führen, wenn ich, orientiert an einem bestimmten Bildungsbegriff, bereits die Anforderung, gesellschaftlich nützlich zu sein, als Zumutung zurückweise, wie dies etwa viele deutsche Linke tun.

Interview: Thomas König und Markus Griesser.

Quelle: www.malmoe.org/artikel/regieren/1012

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