Wissenschaftsfreiheit verteidigen - Verfassungsschutz auflösen!
08.06.2021: Erklärung des Vorstands des BdWi
Im Mai 2021 beantwortete die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag zur Überwachung der Tageszeitung junge welt durch den Verfassungsschutz. Darin werden zunächst die "marxistische Grundüberzeugung" der Zeitung und deren "sozialistische Zielsetzung" erwähnt, was beides weder verboten noch "verfassungswidrig" ist. Laut BMI "widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln."
Zu diesem Vorgang hat der Vorstand des BdWi Stellung bezogen: Die herangezogene Argumentation eignet sich zur Verfolgung linker Politik genauso wie zur Diskreditierung eines Großteils der modernen Sozialwissenschaften.
Wird die Antwort des BMI und die Lesart des Verfassungsschutzes beim Wort genommen, sind von dieser merkwürdigen "Gesellschaftstheorie" keineswegs nur die unterschiedlichen marxistischen Denktraditionen betroffen. Ein Großteil der modernen Sozialwissenschaften, insofern diese objektivierbare soziale Strukturen kritisch analysieren, fielen unter das Verdikt der Freiheitseinschränkung. Das gleiche gilt für jede Form der Erforschung von spezifischen Ungleichheitsbedingungen (zum Beispiel Rassismus und Geschlechtsverhältnisse), welche soziale Klassenverhältnisse überlagern und prägen. Diesem Verdikt folgend, wäre wissenschaftlich nichts mehr erkennbar und politisch nichts veränderbar.
Der BdWi hält diese Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit für nicht hinnehmbar. Das ist kein Schutz der Verfassung, sondern deren perspektivische Abschaffung. Der Vorgang belegt ein weiteres Mal, dass der Verfassungsschutz nicht reformierbar ist, sondern aufgelöst werden muss.
Die Erklärung im Wortlaut (siehe beigefügte pdf):