Politische Interessenvertretung im Hochschulsektor
08.04.2001: Bericht vom 7. "Münsteraner Seminar"
Vom 06.- 08. April 2001 fand das mittlerweile 7. "Münsteraner Seminar", eine von der Beteiligung her relativ erfolgreiche Serie hochschulpolitischer Fachtagungen, statt, das in Kooperation zwischen der Heinrich-Böll-Stiftung NRW und dem BdWi Bonn durchgeführt werden. Die aktuelle Tagung wurde zudem vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) und dem AStA der Universität Münster mit getragen.
Für das aktuelle Thema interessierten sich zudem wesentlich mehr als die 44 TeilnehmerInnen, fast alles gewählte StudierendenvertreterInnen, die sich noch gerade rechtzeitig angemeldet hatten (ein erheblicher Teil musste wegen Platzmangels abgewiesen werden). Die Fragestellungen des Seminars gingen schließlich von einer Krise studentischer Interessenvertretung aus. Im Programm widerspiegelte sich die Meinung der Vorbereitungsgruppe, dass es einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Deregulierung (Abbau von Sozial- und Beschäftigungsstandards; Privatisierung von sozialen Risiken) im allgemeinen und den konkreten Schwierigkeiten etwa von ASten und Fachschaften im besonderen gibt. Die Wahrnehmung der eigenen (studentischen) Interessen und damit die Erreichbarkeit für Politikangebote mit dem Anspruch auf Interessenvertretung entwickelt sich im Spannungsfeld von Wissenschaft und Gesellschaft oder, spezieller ausgedrückt, von Studium und Beruf. Auf dem Seminar herrschte die Auffassung vor, dass eine konzeptionelle Erneuerung studentischer Politik auch innerhalb dieses Spannungsfeldes bestimmt werden muss, dass folglich Ansprüche auf Beschäftigungschancen ("Karriereorientierung"), die das Studienverhalten zunehmend prägen und die häufig im Gegensatz zu politischem Engagement betrachtet werden, nicht per se denunziert werden dürfen.
Zwei Referenten führten aus unterschiedlichen Blickwinkeln in die Problematik ein. Sehr fruchtbar war das Gespräch mit Bernd Kaßebaum vom IG Metall-Hauptvorstand (Abteilung Bildung) am Freitagabend. Er informierte über die schwierigen Erfahrungen der Gewerkschaft mit Phänomenen der "neuen Selbständigkeit" und deregulierter Selbstausbeutung ("Arbeiten ohne Ende") gerade in den Innovationsbranchen. Es wurde deutlich, dass diese Tendenzen keineswegs das Ende von Interessenvertretung - höchstens in ihrer paternalistischen Form von Stellvertreterpolitik - bedeuten; dass vielmehr die spezifischen individuellen Autonomiebedürfnisse in entgrenzten Arbeitsverhältnissen auch spezifische kollektivrechtliche Regelungen (Qualifikationsansprüche, Arbeitszeitkonten etc.) erfordern, für deren Durchsetzung die Beschäftigten prinzipiell gewinnbar sind. Morus Markard (FU Berlin) referierte aus Sicht der Kritischen Psychologie über die strukturellen Bedingungen der "Selbsttäuschung" über die eigenen Interessen, wie sie in einer privaten Ökonomie vorherrschend sind, und über die prinzipiell vorhandenen Möglichkeiten der Aufhebung dieser Verkennungsmechanismen. Olaf Bartz (ABS) präsentierte eine Analyse von Professionalitätsdefiziten in der Arbeit herkömmlicher AStEn und Fachschaften.
In zwei Arbeitsgruppen kristallisierte sich als Kernproblem das Auseinanderfallen von (fachlichen) Studieninteressen und allgemeiner Hochschulpolitik heraus. Wie man dem entgegenwirken kann, wurde etwa anhand der aktuellen Bachelor/Master-Einführung zumindest andiskutiert. Alle TeilnehmerInnen waren sich darüber einig, dass das Seminar ein erster Problemaufriß einer längerfristigen politischen Thematik war. Ein Folgeseminar soll u.a. klären, wie die (individualisierten) Verberuflichungsstrategien von StudentInnen und die Herausarbeitung der darin liegenden Widersprüche konkreter zum Ansatzpunkt von Politik gemacht werden können.
Die GEW NRW plant eine Dokumentation der Tagung.
Torsten Bultmann