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Klaus Holzkamp

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40 Jahre BAföG: Fachtagung in Berlin

11.10.2011: Zum 40. Geburtstag des Bundesausbildungsförderungsgesetzes führten BdWi und GEW am 8.10.2011 eine Fachtagung zur Studienfinanzierung in Berlin durch. Ein Tagungsbericht von Torsten Bultmann:

  
 

Andreas Keller führt in die Thematik ein

Knapp 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten am 8.10.2011 im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin mit den ReferentInnen Dr. Andreas Keller (GEW), Jochen Dahm und Christin Eisenbrandt (fzs) sowie den TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion: Prof. Dr. Klaus Meschkat (1957 AStA-Vorsitzender FU Berlin, SDS, 1958-59 Vorsitzender des Verbandes Deutscher Studentenschaften - VDS), Georg Frankl (Aktivist des Bildungsstreiks), Sonja Staack (BdWi), Dr. Andreas Keller (GEW), Moderation: Karl-Heinz Heinemann (Bildungsjournalist).

Die Tagung wurde durch Andreas Keller (Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der GEW für den Verantwortungsbereich Hochschule und Forschung) eröffnet. Er spannte historisch den Bogen vom ursprünglichen Versprechen des BAföG (›soziale Öffnung der Hochschulen‹), über seine relative Erfolgsgeschichte bis hin zu seinen Stagnationen und Unvollkommenheiten (starke Eltern- und Familienabhängigkeit junger Erwachsener), um dies zum Anlass zu nehmen, über eine grundlegende strukturelle Reform der individuellen Bildungsfinanzierung insgesamt nachzudenken. Die GEW ist etwa für den Aufbau eines elternunabhängigen Sockelbetrages für alle Studierenden, finanziert aus der Umverteilung des sog. Familienlastenausgleiches (Steuerbefreiungen und Kindergeld für Eltern von ›Kindern in der Ausbildung‹) im Umfang von ca. 6-7 Mrd. Euro. Dieser Sockel solle perspektivisch zu einem lebenshaltungskostendeckenden Studienhonorar - anknüpfend an die Forderung des historischen SDS - ausgebaut werden. Dies gelänge nur in Verbindung mit einer ›großen‹ Steuerreform und einer Reform des Familienrechtes (Elternunabhängigkeit und generelle staatliche Unterstützung von Bildungszeiten ab dem 18. Lebensjahr). Mit diesem Ansatz waren auch die wesentlichen Diskussions- und Streitpunkte der gesamten Tagung gesetzt.
Vortrag von Andreas Keller nachhören

Jochen Dahm, ehemaliger Geschäftsführer des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), verglich systematisch die europäischen Studienfinanzierungsmodelle und unterschied dabei vier Typen. Erstens die Behandlung von Studierenden als "eigenverantwortliche BürgerInnen", deren Ausbildung vollständig wie in den skandinavischen Ländern durch staatliche Transfers und subventionierte Kredite elternunabhängig gestützt würde. Zweitens das Mischmodelle "Heranwachsende Auszubildende" (etwa Deutschland, Frankreich oder Österreich) als Kombination von Sozialtransfers an bedürftige Auszubildende und finanzielle Entlastung der Familien. Drittens die völlige Elternabhängigkeit wie in den südeuropäischen Ländern. Viertens das Modell "InvestorInnen in den Beruf" (Niederlande, Großbritannien): geringe staatliche Verantwortung, keine Unterstützung der Eltern, Studienfinanzierung über den ›Markt‹, d.h. überwiegend über Kredite und Stipendien. Das Konzept des Studienhonorars würde demnach auf eine auch vom Referenten befürwortete Annäherung an das skandinavische Modell hinaus laufen. Allerdings bezweifelte er, dass, wenn - wie mehrfach modellhaft durchgerechnet - im Falle einer großen Steuerreform 14 Mrd. Euro erwirtschaftet werden, ein Bildungsgeld (für Studienhonorar und andere Ausbildungsformen) gegen die Konkurrenz anderer sozial bedürftiger Gruppen politisch legitimiert werden könnte.
Vortrag von Jochen Dahm nachhören

Christin Eisenbrandt vom Vorstand des freien zusammenschlusses der studentInnenschaften (fzs) beschäftigte sich mit der Frage, ob Stipendien eine Alternative zum BAföG seien? Die Frage ist schon deswegen berechtigt, weil es eine erklärte Zielsetzung des Bundesbildungsministeriums (BMBF) ist, das Stipendienwesen erheblich auszubauen und das BAföG auf dem gegenwärtigen Niveau eingefroren zu lassen. Alle empirischen Untersuchungen zur Praxis der Stipendienvergabe belegen aber, dass überwiegend Bewerber aus einkommensstarken und bildungsnahen Familien in den Genuss dieser Förderungsart kämen, die schon deswegen mit dem Gedanken einer sozialen Studienfinanzierung unvereinbar ist. Das Problem dabei sind aber nicht die gegenwärtig nur ca. 3 Prozent StipendiatInnen unter allen Studierenden, das Problem ist vor allem der Ansatz des BMBF und vor allem von Anette Schavan, wenn sie etwa ständig von einem "Dreiklang" der individuellen Studienfinanzierung (BaföG, Studienkredite, Stipendien) redet, die Förderformen für äquivalent und folglich austauschbar zu halten und dabei den Schwerpunkt auf den Ausbau der Stipendienförderung zu legen.
Vortrag von Christin Eisenbrandt nachhören

Im sehr lebendigen Abschlusspodium kamen alle Streitpunkte und offenen Fragen noch einmal auf den Tisch. Umstritten war etwa, ob die Profilierung einer langfristigen politischen Vision wie des Studienhonorars nicht einer kurzfristigen BAföG-Novelle (Erhöhung der Fördersätze und Freibeträge) entgegenstünde - oder ob das eine die Bedingung des anderen sei. Schließlich könne auch in einer ›kleinen‹ Novelle etwa in Verbindung mit einem Ausbau elternunabhängiger Förderungselemente - wofür Mitte der 90er Jahre schon einmal die KMK eingetreten ist - eine Richtung künftiger Reformen deutlich werden. Das Thema Elternunabhängigkeit ist über das Technokratische hinaus zudem eine grundsätzliche politische Vision, die potentiell größere Bevölkerungsteile zu mobilisieren vermag. Hinzu kommt, dass die Debatte um künftige Bildungsfinanzierung nicht über abstrakte Modelle in einem gesellschaftlichen Vakuum stattfindet, sondern im Übergang von der kapitalistischen Industriegesellschaft zu einer hochtechnologisch basierten Produktionsweise (›Wissensgesellschaft‹), in der die wesentlichen gesellschaftlichen Qualifikationen wissenschaftsbasiert sind und folglich für die Hochschulen ein neuer sozialer Öffnungsschub erforderlich ist. Gerade weil die politisch Verantwortlichen für diese Situation über keinerlei Konzept künftiger individueller Bildungsfinanzierung verfügen, kann auch potentiell die öffentliche Resonanzfähigkeit für strategische Innovationen steigen. Podiumsdiskussion nachhören

Siehe auch den Bericht auf vorwaerts.de: Er- und umstritten: Alles Gute BAföG!


Weitere Bilder

     
 

Jochen Dahm

 
     
 

Christin Eisenbrandt (fzs)

 
     
 

Podium zu "Alternativen in der Diskussion"

 

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