BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Tagungsbericht: Digitalisierung und Demokratie - Herausforderungen für Hochschulpolitik

27.09.2023: Herbstakademie von BdWi, FIB, fzs, ÖH und RLS, 14.09. - 17.09.2023

Unter dem Leitthema "Digitalisierung und Demokratie - Herausforderungen für Hochschulpolitik" fand die diesjährige Herbstakademie des Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) und der Österreichischen Hochschüler*innenschaft (ÖH) vom 14. bis 17. September statt. Wie bereits in den Vorjahren wurde die Veranstaltung auch von der Forschungs- und Informationsstelle beim BdWi (FIB) und der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) unterstützt. Die erstmalige Kooperation mit der ÖH im Rahmen der Herbstakademie führte zu einem neuen Veranstaltungsort: Anders als in früheren Jahren fand die Herbstakademie dieses Jahr nicht im Brandenburgischen Werftpfuhl, sondern im deutlich südlicher gelegenen Regensburg statt.

Eröffnet wurde die Tagung von Timo Daum mit dem Vortrag Politische Ökonomie der Digitalisierung: Zwischen Creative Commons und IT-Monopolismus, in dem er darlegte, dass wir längst im Zeitalter der Daten angekommen und KI-Technologien in unserem Alltag mittlerweile breit verankert sind. Am Beispiel der KI-Technologie GitHub Copilot zeichnete er nach, wie Tech-Konzerne im Digitalkapitalismus frei zugängliche Daten zu kommerziellen Produkten verarbeiten. In Anbetracht der Marktmacht dieser Konzerne gerät die Open Source-Bewegung zunehmend an ihre Grenzen bzw. spielt Digitalkonzernen unfreiwillig in die Hände. Auch Ansätze wie die Zerschlagung oder stärkeren Regulierung der Konzerne lösen das Grundproblem der Kapitalisierung frei verfügbarer Daten nicht. Stattdessen müsse über eine Vergesellschaftung von Digitalkonzernen nachgedacht werden.

Christian Meyer plädierte mit seinem Referat Versprechen, Risiken, Machtverhältnisse. Die politische Ebene der Digitalisierung dafür, nicht nur die Folgen, sondern auch die Bedingungen von Digitalisierung in den Blick zu nehmen, um damit verbundene Interessen und Akteur*innen sichtbar zu machen. Am Beispiel der gesellschaftlichen Teilbereiche Arbeit - Wirtschaft - Produktivität, innere Sicherheit und der "Faschisierung" von Social Media zeigte er auf, dass Technologien keine nutzungsoffenen, neutralen Werkzeuge sind. Die kritischen Potentiale von Digitalisierung sollten daher nicht überschätzt werden, denn die mit der Digitalisierung verbundenen Widersprüche können nur aufgehoben werden, indem die dahinterstehenden Machtverhältnisse gekippt werden.

Mit ihrer Präsentation Überwachung, Datenschutz und Datensicherheit gab Anne Roth einen Überblick über nationale wie internationale Entwicklungen im Bereich (staatlicher) Überwachung. Am Beispiel der Datenschutzgrundverordnung der EU zeichnete sie nach, inwiefern die Wahrnehmung von Datenschutz auch eine Frage des sozialen und ökonomischen Kapitals ist. Im dritten Teil ihres Vortrags warf sie einen kritischen Blick auf bestehende IT-Sicherheitslücken (öffentlicher) Institutionen wie Hochschulen, Krankenhäusern und Kommunen und monierte deren Individualisierung des Risikos zulasten der einzelnen Beschäftigten. Zugleich kritisierte sie auch die von der IT-Community oft transportierte Haltung, dass sich Nutzer*innen zu IT-Expert*innen entwickeln müssten, als hohe Barriere und Verstärkung bestehender Machtasymmetrien.

Mirjana Mitrović führte in ihrem Input zu Feministischem Netzaktivismus in Mexiko und Deutschland durch die multimedialen Elemente der von ihr und Jan Holger-Hennies konzipierten Ausstellung "Wir sind vernetzt. Estamos conectadas"1. Anhand feministischen Hashtags wie #MiPrimerAcoso, #NiUnaMenos und #wegmit219a sowie Memes zeigte sie, wie Symbole aus dem virtuellen Raum den Weg auf die Straße finden und umgekehrt (lokale) feministische Proteste Reaktionen im digitalen Raum hervorrufen.

Michael Achmann-Denkler gab mit seinem Werkstattbericht Automatisierte Wahlkampfanalyse mit GPT einen Einblick in seine aktuelle Forschungsarbeit und erläuterte, wie KI-Instrumente in der Wissenschaft eingesetzt werden können. Am Beispiel der Analyse von Instagram-Posts und -Storys verschiedener Parteien zur Landtagswahl 2023 in Bayern zeigte er auf, wie der Chat-Bot ChatGPT von Forscher*innen genutzt werden kann, um Methoden zu einer zielgerichteten Analyse großer Datenmengen zu entwickeln.

Sebastian Kubon stellte in seinem Online-Vortrag Chancen und Grenzen des Netzwerkaktivismus am Beispiel von #IchBinHanna die digitalen Ursprünge und den Verlauf der #IchBinHanna-Proteste vor. Neben Chancen wie Bewusstseinsbildung, niedrigschwelligen Vernetzungsoptionen für prekär beschäftigte Wissenschaftler*innen und die Möglichkeit für punktuelles Engagement benannte er mit der mangelnden Institutionalisierung, ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit und die Findung gemeinsamer Positionen auch die Grenzen der #IchBinHanna-Proteste im Netz. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sei es zudem schwierig, das Thema online am Leben zu halten. Der Umzug vieler Wissenschaftler*innen von X (vormals Twitter) auf unterschiedliche alternative Social Media-Plattformen stellt außerdem eine weitere Hürde dar, auch künftig eine große Zahl von Betroffenen erreichen und mobilisieren zu können.

Aufbauend auf die Erfahrungen der Tagungsteilnehmer*innen mit digitaler Lehre und anhand dreier Positivbeispiele von Blended-Learning-Formaten stellte Leonie Ackermann mit dem Workshop Bildung und Digitalisierung im Hochschulbereich Bedingungen für gute digitale Hochschullehre vor. Ackermann betonte, dass Digitalisierung an der Hochschule kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug sei und die Gestaltung der (digitalen) Lehre der Zukunft ganz wesentlich von den angestrebten Zielen (z.B. Förderung der Autonomie der Lernenden, stärke Partizipation der Studierenden, Erhebung von individuellen Lernständen etc.) abhänge.

Mit dem Beitrag Chancen und Risiken von KI in der Hochschule gab Leonie Ackermann zunächst einen Überblick zur historischen Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und ihrem Einsatz im Bereich der (Hochschul-)Bildung. Auf Basis von Textarbeit diskutierte die Referent*in mit den Teilnehmenden den aktuellen Stand hochschulischer Regelungen zur Verwendung von ChatGPT durch Studierende und die Gefahren einer umfassenden Vermessung, Überwachung und Steuerung von Studierenden bzw. Lernenden allgemein durch den Einsatz von Learning Analytics im Bildungsbereich.

Daniel Guagnin warnte in seinem Input Digitaler Faschismus oder Digitale Demokratie — auch eine Frage der technischen Gestaltung: Open Source als Alternative? vor dem Kontroll- und Manipulationspotential von IT-Technologien und warb für ein Verständnis von Datenschutz als Grundrechtsschutz und für eine demokratische Technikgestaltung im Sinne der Menschen. Um Unabhängigkeit, Flexibilität und Datenhoheit für Nutzer*innen zu garantieren, sollten Open Source-Technologien statt IT-Produkte profitorientierter Digitalkonzerne, die zu Monopolisierung und Datenverwertung neigen, genutzt werden.

Die Tagung endete mit einer Abschlussdiskussion, die noch offene Fragen aufgriff. Mit Blick auf die (mangelhafte) IT-Sicherheit an Hochschulen wünschten sich die Diskutant*innen, dass Hochschulangehörige zwar einerseits stärker sensibilisiert werden für Datenschutz und die Nutzung datensparsamer und transparenter Open Source-Produkte, aber andererseits das Risiko und die Verantwortung für IT-Sicherheit nicht individualisiert werden. IT-Sicherheit muss als wichtiger Bestandteil der Hochschulinfrastruktur begriffen und staatlicherseits ausreichend finanziert werden. Der Einsatz von KI zur Kontrolle von Hate Speech in Sozialen Netzwerken und die Potentiale einer Abwanderung auf kleinere, durch die Community moderierte Plattformen als Lösung wurde hingegen kontroverser diskutiert. Allgemein stellt sich die Frage, wie Open Source-Technologien und alternative Plattformen zugänglicher gestaltet werden können, um auch Personen mit geringen IT-Kenntnissen zu erreichen. Als Lösung wurde aus dem Kreis der Teilnehmer*innen angeregt, dass ein aktiver Wissensaustausch und eine bessere Vernetzung zwischen IT- und Datenschutz-affinen Akteur*innen und emanzipatorischen Gruppen mit politischen Schwerpunkten abseits von Netzpolitik stattfinden müsse.

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