BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Tagungsbericht: Klimakrise und Wissenschaft.

28.10.2022: Herbstakademie (Digital) von BdWi, FIB, fzs und RLS, 30.09.-2.10.2022

Vom 30. September bis 2. Oktober 2022 fand die gemeinsame Herbstakademie des Bunds demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), der Forschungs- und Informationsstelle beim BdWi (FIB), dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) und der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) statt. Das Leitthema der diesjährigen Veranstaltung war "Klimakrise und Wissenschaft". Die Veranstaltung fand im Online-Format statt und widmete sich Fragestellungen aus Themenbereichen der politischen Ökonomie der Klimakrise, der Klimagerechtigkeit, der Rolle von Hochschule und Wissenschaft in der Klimakrise sowie der Klimabewegung. Wie bereits in den Vorjahren spielte die Verbindung von Theorie und Praxis auch dieses Jahr wieder eine zentrale Rolle: profunde wissenschaftliche Analysen zur Klimakrise wurden mit Diskussionen über politische Praxen zur Bekämpfung ebendieser Krise komplementiert.

Jürgen Scheffran gab mit einem Eröffnungsvortrag "Theoretische Grundlagen und historische Entwicklung des wissenschaftlichen und politischen Diskurses" einen Überblick über historische Debatten zu Ressourcenknappheit und menschlicher Rohstoffausbeutung und führte aus, dass die sich zuspitzende Klimakrise zunehmend zum geopolitischen Sicherheitsfaktor wird und neue Konfliktherde hervorbringt. Dabei muss die Klimakrise auch als eine Krise des Kapitalismus begriffen werden. Trotz der sich zuspitzende Lage sieht Scheffran weiterhin Handlungsoptionen für eine soziale und ökologische Transformation, zu deren Gelingen die Zivilgesellschaft wesentlich beizutragen kann.

Unter dem Titel "Der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage" erörterte Hans Rackwitz, dass die ökologische Krise in all ihren Facetten - in ihrem Ursprung wie in ihren Auswirkungen - eine Klassenfrage ist. Anhand der französischen Gelb-Westen-Bewegung sowie Lausitzer Kohlearbeiter*innen führte er aus, dass diese ökologischer Politik nicht per se feindlich gesinnt sind, jedoch eine klassenignorante Politik zulasten der Arbeiter*innen ablehnen. Folglich bedarf es einer ökosozialistischen Klassenpolitik, um zu verhindern, dass die Lastenverteilung eines ökologischen Umbaus die soziale Frage verschärfen und rechte Gruppierungen politisch stärken.

Philipp Schepelmann analysierte in seinem Beitrag "Green New Deal - Technische Innovation als Ausweg aus der Klimakrise?" die Klimaschutzbestrebungen der EU im Rahmen des European Green New Deal (EGD). Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist der EGD in ideeller, politischer und gesetzgeberischer Hinsicht bahnbrechend, wenngleich er unter ökologischen Gesichtspunkten mit seinem Festhalten an (grünem) Wachstum und mangelnden Antworten auf das globale Bevölkerungswachstum unzureichend ist. In Anbetracht eines Zeitfensters von weniger als 25 Jahren zur Eindämmung der Klimakrise plädierte Schepelmann zudem für ein fundamentales Umdenken in Wissenschaft und Hochschule, um Studierende adäquat auf künftige Transformationsanforderungen zur Klimakrisenbekämpfung vorzubereiten.

Mit seinem Referat "Gewerkschaftliche Perspektiven und sozial-ökologische Transformation -Anforderungen und Erwartungen an die demokratische Wissenschaft" skizzierte Stephan Krull am Beispiel der Automobilindustrie linke und gewerkschaftliche Dilemmata sowie Anforderungen an eine sozial-ökologische Transformation. Er hob hervor, dass ein solcher Prozess mithilfe regionaler Transformationsräte demokratisch gestaltet werden muss und diejenigen einzubeziehen hat, die davon zum Teil existenziell davon betroffen sind. Abschließend formulierte Krull Forderungen an kritische Wissenschaften: neben fachlicher Expertise sollten diese die politische Linke und die Gewerkschaften auch mit solidarischer Kritik im anstehenden Transformationsprozess unterstützen.

Mit ihrer Präsentation "Der Gender-Klima-Nexus und seine verschiedenen Dimensionen" lenkte Anja Zürn den Blick auf die Vergeschlechtlichung von Klimadiskursen. An ökofeministische Ansätze anknüpfend, die Genderstrukturen als dichotomisierte Machtstrukturen analysieren, arbeitete sie heraus, dass Frauen häufiger Opfer von Klimakatastrophen werden als Männer. Zürn betonte, dass nicht nur die Folgen der Klimakrise Geschlechterungleichheiten (re-)produzieren, sondern auch die politischen Antworten auf den Umgang mit der Klimakrise vergeschlechtlicht sind: Statt - eher feminisierte - Degrowth-Ansätze zu verfolgen, zielt Klimapolitik meistens auf - männlich konnotierte - technologische Lösungswege ab.

Mit ihrem Vortrag "Klimakrise und soziale Ungleichheit: Warum es für Klimagerechtigkeit eines sozial-ökologischen Umbaus bedarf" erläuterte Nina Treu, weshalb unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem nicht nur für die Klimakrise ursächlich ist, sondern zudem undemokratisch ist und zu sozialer Ungleichheit führt. Das Modell des "grünen Wachstums" ist keine Lösung zur Bekämpfung der Klimakrise, da die absolute Entkopplung von (unbegrenztem) Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nicht funktionieren kann. Die Lösung liegt stattdessen in Degrowth-Ansätzen, in deren Zentrum das Wohlergehen aller und der Erhalt ökologischer Lebensgrundlagen steht.

Mit "Wege zur klimagerechten Hochschule: Green offices als Lösung?" legte Marco Lange dar, wie im Zuge des "Green Office Movements" an der Universität Göttingen ein Green Office (GO) gegründet wurde. Neben der Präsentation der vielfältigen Tätigkeiten des Göttinger GO stellte Lange auch die Bedeutung des fachlichen Austauschs mit den Green Offices der Göttinger Partnerhochschulen heraus. In der anschließenden Debatte wurden neben den Chancen der GO auch dessen Grenzen und die Gefahr eines "Greenwashings" durch Hochschulleitungen diskutiert.

Endre Borbáth ordnete mit seiner Präsentation "Engagement on the environment: protest and institutional forms" verschiedene Formen sowie die Radikalität von Umweltprotesten im Zeitverlauf und in unterschiedlichen Ländern politikwissenschaftlich ein. Dabei benannte er mit politischen Parteien und sozialen Bewegungen zwei wesentliche Plattformen zur Mobilisierung von Umweltprotesten: Während Parteien zu graduellen Reformen tendieren, fordern soziale Bewegungen häufiger einen radikaleren Systemwechsel. Wie Borbáth herausarbeitete, erreichte der Zulauf zu Umwelt- und Klimaprotesten seine bisherigen Höhepunkte in den 1980er Jahren und in der unmittelbaren Zeit vor der Corona-Pandemie. Die in der öffentlichen Debatte häufig konstatierte Zunahme gewaltsamer Klimaproteste kann er mit Verweis auf seine Forschungsergebnisse hingegen nicht bestätigen.

Die Abschlussdiskussion "Perspektiven des Klimaaktivismus" wurde mit einem Input von Indigo, Aktivistin im Hambacher Forst, eingeleitet, welche die Entwicklungen der Klimabewegung der letzten Jahre aus aktivischer Sicht resümierte: nach anfänglichem Enthusiasmus und beeindruckenden Mobilisierungserfolgen - nicht nur, aber auch im Vorfeld der zur "Klimawahl" deklarierten Bundestagswahl 2021 - setzte sich in jüngster Zeit in immer breiteren Teilen der Bewegung die Erkenntnis durch, dass eine Abwendung des Klimakollapses im Kapitalismus nicht funktionieren kann. Infolgedessen hat sich ein Teil der Aktivist*innen aus der Bewegung zurückgezogen, während sich andere verstärkt der Basisarbeit zuwenden oder eine Verbindung von Klimaanliegen mit anderen Protesten wie beispielsweise antirassistischen, antisexistischen oder Klassenkämpfen suchen.

In der anschließenden Diskussion wurde das Dilemma der Fridays for Future-Bewegung betont, dass sie zwar einerseits den Klimadiskurs nachhaltig geprägt und für ein breites Klimabewusstsein in Politik und Wirtschaft gesorgt haben, andererseits aber faktisch keine Kehrtwende in puncto CO2-Emissionen erreichen konnte. Zudem wurde noch einmal die bereits bei vorangehenden Vorträgen thematisierte Problematik besprochen, dass das Fernziel einer Überwindung des klimaschädlichen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems mit dem immer kleiner werdenden Zeitfenster zur Einleitung effektiver Klimaschutzmaßnahmen kollidiert. Die Frage nach einer breiteren Wirksamkeit von Klimaprotesten aufgreifend, hob einer der Teilnehmer hervor, dass die Organisation von Arbeit ein zentraler Hebel zur Mobilisierung für eine sozial-ökologische Transformation bilden könne. Mit Blick auf die Arbeitsfelder von BdWi und fzs wurde außerdem angemerkt, dass die Verantwortung der Wissenschaft für den Transformationsprozess stärker künftig stärker herausgestellt werden muss.

Tagungsprogramm:

Freitag, 30.09.
14:00 - 14:30 Uhr: Begrüßung, Vorstellung, Einstieg in die Thematik
14.30 - 16.00 Uhr: Eröffnungsvortrag: Prof. Dr. Jürgen Scheffran (Redaktion Wissenschaft & Frieden): Theoretische Grundlagen und historische Entwicklung des wissenschaftlichen und politischen Diskurses
16.15 - 17.45 Uhr: Hans Rackwitz (FSU Jena): Der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage

Samstag, 01.10.2022
09.15 - 10.45 Uhr: Prof. Dr.-Ing. Philipp Schepelmann (Wuppertal-Institut): Green New Deal - Technische Innovation als Ausweg aus der Klimakrise?
11.00 - 12.30 Uhr: Stephan Krull (Rosa-Luxemburg-Stiftung): Gewerkschaftliche Perspektiven und sozial-ökologische Transformation - Anforderungen und Erwartungen an die demokratische Wissenschaft
14.15 - 15.45 Uhr: Anja Zürn (BdWi): Der Gender-Klima-Nexus und seine verschiedenen Dimensionen
Das Interview Intersectional Perspectives - climate, racism and other intersecting injustices von Nadja Charaby (Rosa-Luxemburg-Stiftung) mit Isadora Cardoso (Black Earth Collective) entfiel leider kurzfristig.

Sonntag, 02.10.2022
09.15 - 10.45 Uhr: Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie): Klimakrise und soziale Ungleichheit: Warum es für Klimagerechtigkeit eines sozial-ökologischen Umbaus bedarf
11.00 - 12.30 Uhr: Marco Lange (Green Office der Universität Göttingen): Wege zur klimagerechten Hochschule: Green offices als Lösung?
14.15 - 15.45 Uhr: Dr. Endre Borbáth (WZ Berlin): Engagement on the environment: protest and institutional forms
16.00 - 17.30 Uhr: Abschlussdiskussion mit Input von Indigo (Aktivistin im Hambacher Forst): Perspektiven des Klimaaktivismus

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