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Klaus Holzkamp

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Was heißt hier noch Studium?

19.03.2015: Zwischen Beruf und Wissenschaft

  
 

Forum Wissenschaft 1/2015; Foto: Sönke Rahn / Wikimedia Commons

Im Jahr 1915 schrieb Walter Benjamin: "Die unkritische und widerstandslose Ergebung in diesen Zustand ist ein wesentlicher Zug im Studentenleben". Fast 100 Jahre später macht eine Autorin mit ihrem Buch "Warum unsere Studenten so angepasst sind"1 Schlagzeilen. Die Autorin Christiane Florin ist seit über zehn Jahren Lehrbeauftragte am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität in Bonn. Und Journalistin. Daniel Gaittet kommentiert ihre publizistischen Analysen.

Es führt zu nichts Gutem, wenn Institute, wo Titel, Berechtigungen, Lebens- und Berufsmöglichkeiten erworben werden dürfen, sich Stätten der Wissenschaft nennen2 - Walter Benjamin, 1915

Bereits im Jahr 2012 meldete sich Christiane Florin zu Wort. Auf ZEIT ONLINE veröffentlichte sie einen Text mit dem Titel: "Ihr wollt nicht hören, sondern fühlen". Sie schreibt von Student*innen, die sich hinter Wasserflaschen verstecken. Die nur so viele Seiten lesen, wie für die Prüfungsvorbereitung empfohlen wird. Die die Liste der "Kanzler" - an deren Ende nun eine Frau regiert - nicht in die richtige Reihenfolge bringen können.

Was Florin beobachtet und ausführlich beschreibt, nennt Benjamin den "Gegenwille[n] sich einem Prinzip zu unterwerfen, mit der Idee sich zu durchdringen". Einem Prinzip wie der Wissenschaft. Warum das so ist? Die Antwort folgt wenige Zeilen später: "[...]für die allermeisten Studenten [ist] die Wissenschaft Berufsschule". Nicht erst seit der Bologna-Reform sind das die Verhältnisse an den Hochschulen und Universitäten.

Fast alle Studiengänge wollen heute berufsqualifizierend sein; Wissenschaft steht schon lange nicht mehr im Zentrum dessen, was immer noch als Studium bezeichnet wird. Benjamin schreibt: "Der Beruf folgt so wenig aus der Wissenschaft, daß sie ihn sogar ausschließen kann." Das gilt auch umgekehrt. Und das wissen auch die Student*innen, die mehrheitlich den Weg in den Beruf und nicht in die Wissenschaft anstreben. Wenn sie es nicht wissen, spüren sie es zumindest.

In den Seminarräumen stehen sich also grundsätzlich unterschiedliche Erwartungen gegenüber: Student*innen, die mehrheitlich nicht nach Wissenschaft, sondern nach dem Beruf streben und Lehrende, die in der Regel deshalb Lehrende sind, weil sie als Student*innen nach der Wissenschaft und nicht nach dem Beruf strebten. Was heißt hier noch Studium, in diesem unauflösbar erscheinenden Widerspruch?

Eine Gemeinschaft von Erkennenden

Doch der Widerspruch beginnt nicht erst im Seminarraum. Er besteht mindestens auch im Verhältnis der Hochschulen und Universitäten zum bestehenden Staat, der sogar in seiner Verfassung die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre festschreibt und doch - um es mit den Worten von Benjamin zu sagen - "mit brutaler Selbstverständlichkeit erwartet" Student*innen zum Berufe zu führen. Dieser brutalen Selbstverständlichkeit geht die Ratlosigkeit voraus, wie, wenn nicht so, der Staat zu seinen Lehrer*innen, Mediziner*innen, Ingenieur*innen usw. kommen soll. Für Benjamin beweist das nichts. Dekaden vor der Bologna-Reform entgegnet er: Der Einwand "zeigt nur die umwälzende Größe der Aufgabe: eine Gemeinschaft von Erkennenden zu gründen an Stelle der Korporation von Beamteten und Studierten. Er zeigt nur, bis zu welchem Grade die heutigen Wissenschaften in der Entwicklung ihres Berufsapparates (durch Wissen und Fertigkeiten) von ihrem einheitlichen Ursprung in der Idee des Wissens abgedrängt sind, der ihnen ein Geheimnis, wenn nicht eine Fiktion geworden ist."

Florin zeigt mit dem Finger auf die Student*innen und trifft damit einen Nerv. Auch, weil sie eine bequeme Lösung anbietet. Dass Student*innen nicht so wie sie sind vom Himmel fallen, sondern Ergebnis eines Selektionsprozesses sind, der genau das fördert, was jetzt kritisiert wird: Sich anpassen können, ist nicht bewusst oder wird bewusst verschwiegen. In letzter Konsequenz wird genau dadurch die Debatte um unpolitische und angepasste Student*innen von der politischen Frage nach den Umständen von Wissenschaft und Studium gelöst. Und damit der Versuch einer Lösung zum Teil des Problems.

Was nun?

Hinter dem, was Florin beobachtet, steht ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Wer sich auf die Beobachtung von Student*innen beschränkt, verliert das leicht aus den Augen. Florins Buch verpasst eine weitergehende Analyse. In der ein oder anderen Bibliothek findet sich aber sicher noch Benjamins Aufsatz von 1915.

Anmerkungen

1) Christiane Florin 2014: Warum unsere Studenten so angepasst sind, Reinbek.

2) Dieses und die folgenden Zitate stammen aus: Walter Benjamin 1915: "Das Leben der Studenten", in: Der Neue Merkur 2: 727-737, München und Berlin. Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite: Benjamin_Das_Leben_der_Studenten.djvu/11&oldid=1394547 (Version vom 2.1.2011).


Daniel Gaittet studiert in Regensburg und ist im Vorstand des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs).

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