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Nicht neu, aber wenig erfreulich

15.01.2003: Erster europäischer Sozialbericht über Studierende

  
 

Forum Wissenschaft 1/2003; Titelbild: E. Schmidt

Von der ersten europäischen Sozialerhebung über Studierende, die vor allem den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung untersuchte, ist zumindestens von offizieller Seite erst spät und auch wenig zu hören gewesen. Die Gründe sind naheliegend: Erstens gab es nichts überraschendes und schon gar nichts erfreuliches über die Lage der Studierenden in Deutschland zu berichten, und zweitens wollte man nach PISA und der OECD-Studie nicht schon wieder im europäischen Vergleich schlecht aussehen. Ein Kommentar von Sabine Kiel.

Kurz vor der Bundestagswahl im September 2002 sorgte die Studie Euro Student Report1 für Wirbel und vor allem Unmut bei der zuständigen Ministerin Edelgard Bulmahn. Auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hatte das Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) erstmals eine Europäische Sozialerhebung erstellt, die die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Belgien, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich und Deutschland verglich, wobei einige Länder, z.B. England, ihre Teilnahme verweigert hatten. Als die Studie dann im Sommer 2002 fertig war und der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte, tauchte das BMBF ab: Eine Pressekonferenz wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgesagt. Doch die Studie war (fach-)öffentlich bekannt und so wurde in den Medien darüber berichtet. Erst nach der Bundestagswahl entschloss sich das Ministerium, die Ergebnisse zu bewerten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das erneut schlechte Abschneiden Deutschlands lieber unter den Teppich gekehrt worden wäre.

Studieren in Deutschland

Zum Zeitpunkt der Erhebung (2000) nahmen in Deutschland nur 31% eines Altersjahrganges ein Studium auf, in Finnland waren es mehr als zwei Drittel der Jugendlichen. Schlusslichter bezüglich des Hochschulzugangs waren Österreich mit 29% und Belgien mit 30%. Bei allen untersuchten Ländern zeigt sich die Unterrepräsentanz von Arbeiterkindern in den Hochschulen. In Finnland und Irland kamen immerhin ein knappes Drittel der Studierenden aus Arbeiterfamilien, während in Deutschland der Anteil bei knapp 20% lag - trotz staatlicher Förderung und dem Anspruch der rot-grünen Regierung, allen die gleiche Chance auf Bildung einzuräumen.

Bei der finanziellen Förderung der Studierenden - allerdings nur innerhalb der Regelstudienzeit - gehört Deutschland mit durchschnittlich 326 Euro zur Spitze, nur in Österreich erhalten die Studierenden derzeit monatlich 29 Euro mehr. Den niedrigsten Förderbetrag bekommen Studierende in Holland mit durchschnittlich 188 Euro. Gegenüber den finnischen Studierenden bekommen die deutschen Studierenden neun Euro mehr an staatlicher Förderung. Allerdings werden in Finnland 83% der Studierenden staatlich unterstützt, das sind mehr als vier mal so viele wie in Deutschland mit 21%. An der Spitze liegt hier die Niederlande mit 90%, während die Quote der staatlichen Förderung in Italien mit 12% sehr gering ausfiel.

Trotz aller Unterschiede bei der staatlichen Förderung bessern in allen an der Studie beteiligten Ländern die Studierenden ihre Einnahmen neben der elterlichen Unterstützung und der staatlichen Förderung mit Einkünften aus Erwerbstätigkeit auf. In Belgien, Italien und Deutschland übernahmen die Eltern den größten Anteil der Lebenshaltungskosten der Studierenden. In diesen Staaten lag der Anteil des Elternbeitrags zum Lebensunterhalt zwischen rund 59 (Belgien) und 41% (Deutschland). In den anderen Staaten, vor allem den südlichen, trugen die Eltern zum Teil erheblich weniger als die Nebenjobs zum Einkommen der Studierenden bei. Der Anteil der Nebeneinkünfte durch Jobs, den Europas Studierende brauchen, liegt zwischen 35 und 51%. Nur in Belgien und Österreich jobben künftige Akademiker wenig. Die geringste Erwerbstätigkeitsrate gab es mit knapp unter 50% in Finnland und Frankreich. Den höchsten Anteil der jobbenden Studierenden verzeichnen mit 74 und 77% Österreich und die Niederlande. Deutschland lag mit 66% auf einem Mittelplatz. Insgesamt ist die Abhängigkeit von Erwerbstätigkeit zur Finanzierung des Studiums erschreckend hoch. Mehr als ein Drittel des Lebensunterhalts wird in Europa durchschnittlich durch eigene Erwerbstätigkeit erwirtschaftet.

Bei den monatlichen Lebenshaltungskosten muss berücksichtigt werden, dass es teilweise zu großen Schwankungen innerhalb der einzelnen europäischen Länder kommt. Insbesondere im Hinblick auf die Wohnkosten je nach Studienort (Metropole vs. nicht Metropole), Wohnart (elternabhängig vs. elternunabhängig) sowie nach biographischer Lebenssituation (kinderlos vs. mit Kindern). Durchschnittlich betrachtet umfassen die Wohnkosten in Europa ein Drittel der monatlichen Lebenshaltungskosten.

"Tendenziell gilt, dass in den nordeuropäischen Ländern die Beihilfen für den Lebensunterhalt einen sehr viel größeren Teil der Lebenshaltungskosten decken als in südeuropäischen Ländern. Anderseits werden indirekte staatliche Beihilfen (Mensen, Wohnheimkosten etc.) in geringerem Umfang von nordeuropäischen Staaten übernommen als von südeuropäischen Staaten. In mittel- und westeuropäischen Staaten bestehen bezüglich der direkten und indirekten staatlichen Studienfinanzierung Mischsysteme, die nicht klar voneinander getrennt sind."2

No wind of change

Erneut hat Deutschland keine gute Figur beim Thema Bildung und Hochschule gemacht. Diesmal bei einer vergleichenden Untersuchung der Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung von acht europäischen Staaten. Erneut zeigt sich - was bereits seit den Ergebnissen aus der Pisa- und OECD-Studie bekannt ist -, dass vor allem in Deutschland im Bildungssektor nach Einkommen selektiert wird. Daran hat auch nichts geändert, dass in Deutschland durch die rot-grüne Regierung wieder mehr staatliches Geld in Bildung investiert wurde. Doch eine Verbesserung des BAföGs allein reicht nicht. Die rot-grüne Bundesregierung drückt sich vor grundlegenden Reformen. Die Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem wurden nicht aufgebrochen.

Auf den Weg zur Harmonisierung der europäischen Hochschulsysteme wird es mehr denn je notwendig sein, dass grundsätzlich vergleichbare soziale Bedingungen für das Studium geschaffen werden. Dabei muss das große Nebeneinander von verschiedenen ordnungspolitischen Vorstellungen, vor allem bei den Studiensystemen, überwunden werden. "So werden in den nordeuropäischen Ländern Studierende als verantwortliche junge Erwachsene in einem Lernprozess betrachtet, denen die Gesellschaft gewöhnlich die Lebenshaltungskosten sichert - ähnlich wie in Deutschland den Auszubildenden die Lebenshaltung durch die Unternehmen gesichert wird. In den südeuropäischen Ländern dominiert das Verständnis, dass die Familie für die Versorgung zuständig ist und der Staat nur einer kleinen Minderheit hilft. Mittel- und westeuropäische Länder ordnen sich dazwischen ein."3

So muss in Deutschland intensiv darüber diskutiert werden, inwieweit an einer elternbetonten Studienfinanzierung festgehalten wird. Zeigen doch die verschiedenen Untersuchungen, dass hierdurch die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen, die sog. soziale Mobilität, stark eingeschränkt sind. Ist das staatliche Engagement bei der Studienfinanzierung hoch, werden sowohl die geografische als auch die soziale Mobilität der Studierenden gestärkt.

Anmerkungen

1) Die Studie kann als PDF-Datei unter der Internet-Adresse www.his.de/Eurostudent/download/eurostudent2000.pdf geladen werden und ist als Broschüre (einschließlich CD mit den nationalen Erhebungsdaten) zu beziehen bei der W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, Postfach 10 06 33, D-33506 Bielefeld, Telefon: +49-(0)5 21/ 9 11 01- 11, Telefax: +49-(0)5 21/ 9 11 01- 19, service@wbv.de, Internet: www.wbv.de, Bestell-Nr. 60.01.375

2) Stefanie Schwarz/Meike Rehburg: Studienkosten und Studienfinanzierung in Europa, Verlag Peter Lang, 2002. S.206

3) Ebd., S. 215


Sabine Kiel arbeitet beim Studentenwerk Hannover und ist Mitglied im BdWi-Vorstand

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