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Klaus Holzkamp

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Noch mal zum Bildungsstreik

17.07.2010: Wie er zum Erfolg werden könnte

  
 

Forum Wissenschaft 2/2010; Foto: Manfred Vollmer

Zwar sind die besetzten Hörsäle geräumt, doch die Stille täuscht. Kultusministerkonferenz (KMK) sowie Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben Papiere vorgelegt, welche die protestierenden Studierenden beruhigen sollen, und einige Bildungsgipfel angesetzt. Aber richtige Verhandlungen zwischen Studierenden, SchülerInnen und der Politik kommen nicht in Gang. Peter Grottian, Michael Kolain und Jörg Rostek benennen noch Fehlendes.

Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, haben Schüler und Studierende deshalb für das Sommersemester 2010 einen dritten Bildungsstreik beschlossen. Es sieht nicht so aus, als ob er für die Politik handzahmer werden wird als die zwei Vorläufer. Für einen Bildungsgipfel, der für den 17. Mai angesetzt ist, trafen Bildungsministerin Schavan und die Kultusminister der Länder die Studierenden im Februar zu vorbereitenden Gesprächen.

Das Kalkül der Politiker war eindeutig. Mit eher kosmetischen Korrekturen beim Bachelor und beim Master, mit BAFöG-Erhöhungen, einem leistungsbezogenen Stipendienprogramm und ein paar tausend neuen Stellen will die Politik die SchülerInnen und Studierenden auf ihre Seite ziehen. Doch diese Strategie wird scheitern. Denn für echte Reformen, die über vage Absichtserklärungen hinausgehen, hat die Politik kein Konzept.

Weiterhin Probleme

Vor allem die Studierenden haben allen Grund, misstrauisch zu sein. Wer zehn Milliarden Euro für Bildungs-Konjunkturprogramme in die Hand nimmt, aber damit mehr die Handwerkerverdienste fördert als die konkreten Lehr-Lern-Verhältnisse verbessert, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wer jetzt unausgegorene Stipendienprogramme, zweifelhafte Bildungsgutscheine für Kinder und vage verkürzten Modulstress vorschlägt, aber sonst nichts tun will, erntet nur noch mehr Wut. Kurz: Die Politik muß endlich etwas anbieten, das den Namen Reform verdient.

Der angesetzte Bildungsgipfel könnte aber auch an den Studierenden und SchülerInnen scheitern. Die SchülerInnen haben bislang nur einen mageren Katalog mit wenig konkreten Forderungen vorgelegt. Und die Studierenden können ihre Kritik am Bologna-Prozess, dem Bachelor- und Master-System und der sozialen Selektion an den Hochschulen zwar gut formulieren, aber nur in Ansätzen Alternativen aufzeigen. Studierende und SchülerInnen sollten sich deshalb schon aus eigenem Interesse nur gut vorbereitet und auf gleicher Augenhöhe auf den Bildungsgipfel einlassen.

So sehr der Bildungsstreik auch nach einem guten Ende schreit, so sind die bestehenden Probleme doch nicht einfach wegzugipfeln - schon gar nicht, wenn beide Seiten offenkundig so schlecht vorbereitet sind wie jetzt. Studierende und SchülerInnen sollten ihre Forderungen daher erst einmal auf zwei bis drei bundesweiten Treffen konkretisieren, um sie zu Beginn des Sommersemesters zur Fortsetzung des Bildungsstreiks präsentieren zu können. Sie brauchen auch noch Zeit, um die studentischen Verbände in eine längerfristige Strategie einzubinden und das Spektrum ihrer Unterstützer - aus Gewerkschaften, Elternverbänden und sozialen Bewegungen - systematisch zu erweitern. Sie können sich nur auf den Bildungsgipfel einlassen, wenn sie die Straße und gute Argumente gleichzeitig mobilisieren. Das bedeutet, ihren für den Juni geplanten Streik auf Mai vorzuziehen.

Arbeit in Richtung Gipfel

Beide Seiten sollten die Zeit bis zum Gipfel für eine vertrauensbildende Vorbereitung nutzen. Es gibt schließlich viel zu verhandeln. Über ein fünfjähriges Studium neuen Typs zum Beispiel. Über Lehr-Lern-Prozesse, die diesen Namen verdienen. Über massive Personalverstärkungen bei den Tutorien. Über bessere Bezahlung für Lehrbeauftragte, mehr wissenschaftliche Mitarbeiter und Teilzeit-Professuren für 2.000 Privatdozenten. Über die Neueinstellung von 8.000 bis 10.000 Hochschullehrer. Oder über Stipendien, die keine FDP-Pinkwart-Luftschlösser sind, sondern den Studierenden wirklich helfen.

Da kann es schnell um Summen von 30 bis 40 Milliarden Euro gehen, die es trotz Finanz- und Haushaltskrise aufzubringen gilt. Deshalb müssen die Finanzminister im Mai auch mit am Tisch des Bildungsgipfels sitzen. Es muss aber auch um die scheinbar festgezurrten Bildungsdogmen gehen - etwa um die völlig verfehlte Vorstellung vom kurzen, raschen Studieren oder die falsche Fixierung auf Praxisorientierung und Arbeitsmarkt, die auf die intellektuelle Brenndauer einer guten Bildung verzichtet. Es muss auch um die grundsätzliche Selbstbestimmung im Studium gehen, um das forschende Lernen in Theorie und Praxis und das, was in eigenen Projekttutorien ausprobiert werden kann. Aber auch die Schulprobleme, bisher beharrlich ignoriert, gehören auf die Tagesordnung des Bildungsgipfels. Das Themenfeld der Verhandlungen in diesem Sinne zu erweitern sollte bis April 2010 möglich sein. Der Bildungsgipfel ist eine Chance zur Mobilisierung. Mehr nicht.

Wichtig ist auch, dass ein solcher Gipfel eine besondere Transparenz benötigt. Das klassische Verfahren, nach dem eine kleine Delegation von SchülerInnen und Studierenden hinter verschlossenen Türen mit den Minister/inne/n verhandelt, taugt dazu nicht. Beide Seiten sollten sich einer sehr interessierten Öffentlichkeit stellen: Warum nicht vor großem Publikum verhandeln, möglicherweise in einer gut besuchten O2-World und mit einer Live-Übertragung auf Phoenix? Keine Angst, da würden weder Tomaten noch Stinkbomben fliegen. Eher schon dürfte es ein mäuschenstilles Auditorium geben, das den Verhandlungen aufmerksam folgt und dabei mehr als anderswo über Politik und Demokratie lernt. Das wäre demokratische Transparenz.

Beide Seiten wären gut beraten, sich darauf einzulassen. Denn beide Seiten brauchen einen wirklichen Erfolg. Ein Anlauf für einen vierten Bildungsstreik wird schwierig. Und die Politik muss sich von dem Makel befreien, viel von Bildung zu reden, aber in EURheit doch wenig zu tun.


Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Seine Arbeitsgebiete sind v.a. Staats- u. Verwaltungsforschung und Neue soziale Bewegungen. - Jörg Rostek ist ausgebildeter Buchhändler und studiert an der Uni Münster Politikwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte und Wirtschaftspolitik. - Michael Kolain ist Student der Rechtswissenschaft an der Uni Heidelberg. Er war dort einer der Koordinatoren des Bildungsstreiks.

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