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Klaus Holzkamp

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Artenschutz?

15.06.2007: Biologische Vielfalt und Eigentumskonflikte

  
 

Forum Wissenschaft 2/2007; Foto: Reinhard Keller

Wissen und Information haben in der heutigen postindustriellen Gesellschaft einen wesentlich bedeutenderen Stellenwert in der ökonomischen Entwicklung als noch vor einigen Jahrzehnten. Unter den Bedingungen der so genannten digitalen Revolution rufen viele AutorInnen bereits seit Jahren die Wissens- bzw. Informationsgesellschaft aus. Gregor Kaiser sieht sich Erscheinungen und Folgen auf einem Gebiet an, mit dem sich auch die G8 befasst.



Diese Aus- und Anrufung hat aber nur insofern eine Berechtigung, als anerkannt wird, dass Wissen um Produktionszusammenhänge und in ihnen (sowie auch darüber hinaus) schon immer bedeutsam gewesen ist und heute nur eine veränderte Rolle konstatiert werden kann: Wissen, besonders das vor kostenloser Nutzung durch Dritte geschützte Wissen, ist eine bedeutende Profitquelle geworden. Individuelle Gewinnmaximierung ist das Ziel des Wirtschaftens mit Wissen, nicht solidarischer Austausch und gegenseitiges Voneinander-Lernen. Dies gilt auch für die Landwirtschaft - ebenso wie für die Computer- und Softwareindustrie. In der Landwirtschaft materialisiert sich Wissen im Kontext von Saatgut auf der einen Seite im konkreten Gegenstand, im Saatkorn, durch Jahrtausende lange Züchtung, und auf der anderen Seite im Prozesswissen, nämlich der Aufbewahrung, Weiterentwicklung und Auswahl von Saatgut.

Saatgut, biologische Vielfalt, Pflanzen, Tiere und vor allem ihre genetischen Ressourcen geraten immer mehr in das Zentrum politischer Auseinandersetzungen, denn sie bilden die Grundlagen für die Medizin und die "Zukunftstechnologie Biotechnologie". Seit Beginn der 90er Jahre wird vom grünen Gold der Gene gesprochen, kürzlich hat sogar Bundesumweltminister Gabriel den Schatz der biologischen Vielfalt als fundamental für die Wirtschaft bezeichnet.1 Seit 1995 das TRIPS-Abkommen2 der Welthandelsorganisation in Kraft getreten ist, welches weltweite Mindeststandards für geistige Eigentumsrechte (Patente, Copyright, Markenschutz u.a.) setzt, hat die Debatte zur Privatisierung von und Eigentum an Wissen - Prozesswissen und auch vergegenständlichtem Wissen - stark zugenommen, da v.a. der Nord-Süd-Gegensatz die Ungerechtigkeiten dieses Umgangs mit Wissen im Kontext biologischer Vielfalt verdeutlicht hat. Patente und andere geistige Eigentumsrechte gefährden schon heute den freien Wissenstransfer in den Bereichen Saatgut, Medikamente und Software in mehrfacher Hinsicht: Vandana Shiva spricht von einer neuen Form des Kolonialismus, einer neuen Ausbeutung des Südens durch den Norden.3

Diese Gefährdungen sollen kurz skizziert werden, bevor auf die rechtlichen und politischen Strukturen eingegangen wird, die seit gut zwei Jahrzehnten die Basis legen für die staatlich abgesicherte Kommodifizierung des Wissens. Zum Abschluss werde ich verdeutlichen, welche Rolle der G8-Gipfel in Heiligendamm im Hinblick auf geistiges Eigentum spielt und wie die emanzipatorische Zivilgesellschaft darauf reagieren kann.

Eigentumsrechte - Wirkungen …

Wissen ist normalerweise das, was Ökonomen ein öffentliches Gut nennen. Es ist nicht-rivalisierend im Konsum, und niemand kann von der Nutzung ausgeschlossen werden.4 Die Vergabe geistiger Eigentumsrechte (IPR - Intellectual Property Rights), der Versuch, Wissen zu einem "normalen" Gut zu machen, Knappheit zu erzeugen, Nutzungsrechte bzw. Ausschließungsrechte zu vergeben, hat vielfältige Auswirkungen individueller oder gesellschaftlicher Natur; vier will ich an dieser Stelle nennen.5

Erstens wird durch geistige Eigentumsrechte eine Kontrollfunktion ausgeübt. Neue Wissensproduktion wird verhindert bzw. eingeschränkt, und durch die Notwendigkeit der Erteilung von Lizenzen zur Nutzung geschützten Wissens können Rechteinhaber ganze Forschungsbereiche gegenüber Dritten abschotten. Saatgut als Gegenstand kann dann nicht mehr für weitere Züchtungsarbeit eingesetzt werden, Pflanzen selbst und das Wissen um sie werden zum Privateigentum. Immer häufiger wird zusätzlich zur rechtlichen Regulierung auf technische Kontrolle gesetzt. Die sog. Terminatortechnologie (steriles Saatgut, vgl. www.freie-saat.de ) ist ein prominentes Beispiel dafür. So wird z.B. Ernährungssouveränität gefährdet, wenn nur noch die gentechnisch veränderte, standardisierte Massenware Saatgut angeboten und keine Rücksicht mehr genommen wird auf lokale Umweltbedingungen und kulturelle Hintergründe.

Zweitens findet weltweit ein Ausschluss von der Nutzung statt sowie eine Umverteilung von Reich zu Arm. So lässt sich zeigen, dass im Jahr 2002 die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen netto ca. 9 Mrd. US-Dollar an Lizenzgebühren an die Länder des Nordens gezahlt haben. Nach Schätzungen von Weltbank-Experten kommen auf die Entwicklungsländer durch die TRIPS-Umsetzung (s.u.) Mehrzahlungen für Lizenzgebühren in Höhe von rund 60 Mrd. US-Dollar jährlich zu. Andere Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass die sechs größten Industrieländer in Zukunft jährliche Mehreinnahmen aus TRIPS von ca. 41 Mrd. US-Dollar verbuchen können - die USA 19 Mrd. US-Dollar und Deutschland 6,8 Mrd. US-Dollar.6 Diese Dominanz verfestigt sich noch, wenn man sich ansieht, wo die Patentinhaber ihren Firmensitz haben. Von den 312.000 Patenten, die 2002 vergeben wurden, gingen 81 Prozent nach Japan, Nordamerika und Westeuropa. Deutlich mehr Patente - auch im Saatgutbereich - sind in den Händen der Industrieländern. Die Folge ist, dass die weniger entwickelten Länder dauerhaft auf Abstand gehalten werden können, ihre ökonomische Entwicklung gebremst werden kann. So ist z.B. mit Eigentumsrechten belegte Software, proprietäre Software, häufig teurer als Freie Software - in Entwicklungsländern könnte die Nutzung Freier Software dazu beitragen, zum Beispiel mehr Ressourcen für Bildung oder Gesundheitsvorsorge bereitzustellen.7

Drittens geht mit der Privatisierung des Wissens auch ein Verlust von vergegenständlichtem und Prozesswissen einher. In Indien wurden z.B. vor rund 50 Jahren noch bis zu 50.000 Reissorten angebaut. Im Verlauf der Grünen Revolution und der Industrialisierung der Landwirtschaft sank die Anzahl auf mehrere Hundert. Das traditionelle Wissen um die Aussaat, Aufbewahrung und Erhaltung dieser nun z.T. ausgestorbenen Sorten ist mit der Zeit ebenfalls verloren gegangen. Ähnliches in Deutschland: Die Einführung des Sortenschutzes und Saatgutverkehrsgesetzes in Deutschland in den 1940er Jahren führte zum Verlust Dutzender Ackerfrüchte und des Wissens darum, da sie nicht mehr gehandelt werden durften.8

Viertens und eng verknüpft mit der Privatisierung von Wissen im Kontext biologischer Vielfalt und vielfach nur durchführbar mit Hilfe geistiger Eigentumsrechte (v.a. Patente, Sorten- und Markenschutz) ist die Inwertsetzung der genetischen Ressourcen9 - ein Prozess, der häufig als Biopiraterie bezeichnet wird.10 Darunter versteht man die Aneignung genetischer Ressourcen (von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen, Menschen), die zumeist in den Zentren biologischer Vielfalt eingesammelt werden, und des Wissens der lokalen Bevölkerung zur Nutzung eben dieser Vielfalt durch Forschungseinrichtungen und Unternehmen v.a. aus den Industrieländern. Die Struktur dieser erweiterten Form des Kapitalismus, des Kolonialismus im 21. Jahrhundert, wird besonders deutlich an den Patenterteilungen in der Biotechnologie bereits Mitte der 1990er Jahre: Knapp 95 Prozent der Patente in der Biotechnologie waren bereits vor rund 10 Jahren in den Händen von Unternehmen und Forschungseinrichtungen in den USA, Japan und Europa. Basis dieser Patente ist jedoch häufig die sich v.a. in den Ländern des globalen Südens konzentrierende biologische Vielfalt - u.a. in Mexiko, Brasilien, Indonesien etc.

… in der Globalisierung

Geistige Eigentumsrechte an Pflanzen können bereits auf eine knapp 90jährige Geschichte zurückblicken. Bereits seit den 1920er Jahren können in den USA Patente auf sich vegetativ vermehrende Pflanzen erteilt werden; in Europa erlangte der pflanzliche Sortenschutz in den 1960er Jahren seinen Durchbruch. Im Laufe der Jahre wurden diese Gesetzgebungen laufend den technischen und veränderten politischen Gegebenheiten angepasst, Patente auf Medikamente eingeführt und seitens der Patentämter in den USA und Europa die bestehende Rechtslage großzügig interpretiert und immer häufiger Patente auf Gene erteilt. Richtungsweisend war das Urteil im sog. Chakrabarthy-Fall 1980 in den USA - es ging um gentechnisch veränderte, ölabbauende Bakterien -, wo das Oberste Gericht zu dem Schluss kam, dass das gewährte Patent rechtens sei, denn alles von Menschenhand Geschaffene "unter der Sonne" sei patentierbar. Durch die verstärkt aufkommenden Informations- und Kommunikationstechnologien, die Gentechnologie sowie eine Sättigung der Märkte in den Industrieländern bei konventionellen Industrieprodukten verstärkte sich die Debatte um den Schutz des geistigen Eigentums Ende der 1980er Jahre immer mehr. Im Rahmen der 1986 begonnenen Welthandelsrunde (Uruguay-Runde) sah nun v.a. die amerikanische Pharmaindustrie die Chance, weltweite Mindeststandards für geistige Eigentumsrechte durchzusetzen, und in einer beispiellosen Lobbykampagne gelang es, amerikanische, japanische und europäische Regierungen von der Wichtigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen und im Rahmen der dann neu geschaffenen Welthandelsorganisation (WTO) gegen den Widerstand vieler Entwicklungsländer das TRIPS-Abkommen aus der Taufe zu heben.11 Zentrales Element des Abkommens ist die Verpflichtung für alle Mitgliedsländer der WTO, bis zu einem festgelegten Zeitpunkt eine nationale Patent- bzw. geistige Eigentumsgesetzgebung (u.a. Copyright, Markenschutz, geographische Herkunftsangaben) zu schaffen und auch für die entsprechenden Durchsetzungsmechanismen zu sorgen. Besonders umstritten ist der §27 des TRIPS-Abkommens, der lautet: "Subject to the provisions of paragraphs 2 and 3, patents shall be available for any inventions, whether products or processes, in all fields of technology, provided that they are new, involve an inventive step and are capable of industrial application." Alles, Wissen, Pflanzen, Gene, Software etc. muss patentierbar sein können; ob die genannten Bedingungen erfüllt sind, ist bei den schwammigen Begriffsbedeutungen quasi Ermessenssache der nationalen Patentämter. Von dieser Regel können Ausnahmen gemacht werden (Abs. 2 und 3), wenn Fragen der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit oder Moral betroffen sind oder wenn es sich um Tiere oder Pflanzen handelt; Mikroorganismen müssen aber patentiert werden können. Um die Bedeutung all dieser Begriffe (Mikroorganismen, Gesundheit, Moral etc.) gibt es erbitterten Streit und keine internationale Einigkeit. Der bekannteste Konflikt ist sicherlich der um AIDS-Medikamente. Patentierte Medikamente sind wesentliche teurer als sogenannte Generika (Nachahmerprodukte), so dass sich in den Entwicklungsländern viele Menschen die bis zu 10.000 Euro teure Therapie nicht leisten können. Südafrika wollte 2001 die Ausnahmeklausel des TRIPS in Anspruch nehmen und erntete heftigste Widersprüche der großen Pharmaunternehmen, die erst auf weltweiten öffentlichen Druck einem Kompromiss zustimmten. Die Konflikte um den kostenlosen bzw. kostengünstigen Zugang zu Medikamenten sind in der WTO bis heute noch nicht gelöst, auch wenn Unternehmen und westliche Regierungen einen 2003 gefassten Kompromiss öffentlichkeitswirksam als die Lösung des Problems bezeichneten. Dieser ist jedoch so komplex, dass in den fast vier Jahren seiner Existenz noch kein Entwicklungsland darauf zurückgegriffen hat - und das, obwohl die Medikamentenversorgung immer noch nicht gewährleistet ist.

Auch Pflanzensorten können von der Patentierbarkeit ausgenommen werden, dann muss aber ein Schutzsystem eigener Art (sui generis), häufig ein Sortenschutzsystem, geschaffen werden. Für viele Länder, v.a. Entwicklungsländer, die u.a. aus Gründen der Ernährungssicherung lange versucht haben, das TRIPS-Abkommen zu verhindern, bedeutet dies die Wahl zwischen Pest und Cholera, da sich nach 1995 schnell herausstellte, dass die WTO, die Industrieländer und andere Organisationen, die sich mit geistigen Eigentumsrechten beschäftigen, wie die World Intellectual Property Organization (WIPO) oder die Union Internationale pour la Protection des Obtentions Vegetales (UPOV), nur ein sui generis-System akzeptieren werden, das dem Patentrecht sehr weit angenähert ist. Da es jedoch in den meisten Entwicklungsländern, im Gegensatz zu den Industrienationen, keine kommerziellen Märkte für Saatgut gibt, sondern dieses von den BäuerInnen (weiter)entwickelt, getauscht und aufbewahrt wird, bedeutet die durch die WTO erzwungene Umstellung auf Sorten- bzw. Patentschutz das Ende dieser kleinbäuerlichen (und ernährungssichernden) Praxis, da die Tausenden Landsorten, die die BäuerInnen nutzen und weiterzüchten, die festgelegten Standardisierungsansprüche nicht erfüllen. So werden Tür und Tor geöffnet für die multinationalen Saatgutunternehmen, deren größte zehn bereits 2005 knapp 50 Prozent des auf ca. 21 Mrd. US-Dollar geschätzten kommerziellen Saatguthandels kontrollierten.

G8 und geistiges Eigentum

Genau dies ist aber gemeint, wenn im Rahmen der derzeitigen G8-Präsidentschaft Bundeskanzlerin Merkel oder andere Vertreter der Bundesregierung von Investitionssicherheit sprechen. "Wir brauchen den Schutz geistigen Eigentums. Wenn wir vom kreativen Imperativ sprechen, dann ist es natürlich von allergrößter Bedeutung, dass es uns gelingt, geistige Innovation auch wirklich vor Piraterie zu schützen. Außerdem brauchen wir nach meiner festen Überzeugung - dafür wird sich Deutschland im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft einsetzen - hierfür auch mehr Regelungen", so Frau Merkel bereits 2006 in Davos. Es soll nun "einen strukturierten Dialog mit den Schwellenländern" geben, um Defizite der vorhandenen internationalen Rechtslage zum geistigen Eigentum zu identifizieren und "ggf. neue internationale Vereinbarungen" in den "Blick" zu nehmen.12 Dass diese neuen Regelungen nicht im Sinne der Millionen von Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch nicht im Interesse von Verbrauchern und Verbraucherinnen in den Industrieländern sind, ist deutlich erkennbar an den Entwicklungen der letzten 20 Jahre. "Patente auf Leben" werden nicht nur von einer großen Zahl an VerbraucherInnen abgelehnt, auch die damalige Organisation Afrikanischer Staaten (OAU), heute die Afrikanische Union, brachte bereits 1999 einen Vorschlag zur Umsetzung des TRIPS-Abkommens in Afrika in die laufenden Diskussionen im sogenannten TRIPS-Council ein, der ein Verbot von Patenten auf Leben vorsah. Dieser Vorschlag wurde von der WIPO und der UPOV, beide damals von den Industrieländern dominiert, direkt als nicht-WTO-konform abqualifiziert. Der Vorschlag ist somit bisher auch kaum in afrikanischen Ländern weiter diskutiert oder in die nationale Gesetzgebung übernommen worden.

Neben diesen die Existenz von Millionen KleinbäuerInnen gefährdenden Entwicklungen im Kontext der landwirtschaftlichen Pflanzenvielfalt (Agrobiodiversität) widersprechen geistige Eigentumsrechte an Heilpflanzen oder anderen Komponenten der wilden biologischen Vielfalt den Naturverhältnissen und Nutzungsvereinbarungen vieler indigener Völker und lokaler Gemeinschaften. Die Bedeutung des Wissens dieser Gruppen um die Nutzung der wilden Vielfalt wird weithin akzeptiert - und es wird versucht, es sich zu Nutze zu machen. Die in der Natur vorkommenden Pflanzen, Tiere und Gene werden als das "grüne Gold" oder als "Schatz der Natur" angesehen und auf bedeutende Inhaltsstoffe oder Wirkungen untersucht. Minister Gabriel: "The global value of plant-derived pharmaceuticals products is more than $500 bn in industrialized countries." Und das bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem wahrscheinlich erst ca. 10 Prozent der auf der Erde lebenden Tier- und Pflanzenarten wissenschaftlich erforscht sind. Es wird noch ein ungeheures Potenzial in den Tiefen der Ozeane, der Höhe der Tropenbäume etc. vermutet, das durch Bioprospekting ausfindig gemacht werden soll. Dieses Schürfen der biologischen Artenvielfalt, die Erforschung der kommerziell wertvollen genetischen und biochemischen Schätze (World Resource Institute) weckt Assoziationen, dass es sich um etwas bis dato Unbekanntes handelt, das zu Tage gefördert wird, um die Gene in den Dienst der Menschheit zu stellen. Doch ein solches Naturverständnis negiert die Nutzung biologischer Vielfalt durch indigene Gemeinschaften seit Jahrhunderten. Es negiert, dass jegliche terrestrische biologische Vielfalt bereits kulturell überformt ist und Menschen seit Jahrtausenden und Jahrhunderten Natur gestalten, Wissen über Natur gewinnen und es weiterentwickeln. Wissen und Natur werden in indigenen Gemeinschaften gemeinschaftlich genutzt, private Verfügungsrechte widersprechen kulturellen, spirituellen und ökologischen Vorstellungen. Dennoch gehen mit der Jahrhunderte langen Nutzung biologischer Vielfalt Rechte einher, die durch individuelle Verfügungsrechte über gewonnene "neue" Erkenntnisse multinationaler Konzerne im Anschluss an ein Bioprospektingvorhaben negiert werden.13 Alternative Wissens-, Wert- und Wirtschaftssysteme werden zerstört, wenn geistige Eigentumsrechte auf natürliche Ressourcen angewandt werden, um die Innovationssicherheit von Unternehmen in der globalisierten Welt zu stärken.

"Haltet den Dieb!"

In Heiligendamm werden die G8 die Piraten jedoch nicht unter sich, sondern in anderen Ländern suchen. Ihre Verantwortung für die Kommodifizierung des Lebens und für Biopiraterie wird nicht thematisiert werden, sondern China, Indien und andere sollen dafür sorgen, dass die Produktion von kopierten, billigeren Schuhen, CDs oder Medikamenten eingestellt und Produktpiraterie wirksam verhindert wird. Die Werbetrommel wird gleichsam für den einfachen Zugang der multinationalen Unternehmen zur biologischen Vielfalt gerührt werden, in der Hoffnung, dass neue Medikamente, verbessertes Saatgut oder neue Kosmetika, basierend auf den genetischen Ressourcen und dem Wissen der einheimischen Bevölkerung, die Absatzmärkte für heimische Unternehmen verbessern und Arbeitsplätze erhalten.

Emanzipativen Bewegungen gibt jedoch die Thematisierung geistiger Eigentumsrechte in Heiligendamm, diese Neujustierung des globalen Kapitalismus mit Hilfe des Instruments geistigen Eigentums, die Möglichkeit, diese als Ganzes in Frage zu stellen und sich für einen offenen solidarischen Wissensaustausch einzusetzen. An Konzepten, für die es sich zu streiten lohnt bzw. die in die Diskussionen einbezogen und weiterentwickelt werden sollten, gibt es einige: Ernährungsouveränität, Farmer’s Rights, Open Source auch in der Landwirtschaft, bäuerliche Erhaltungszüchtung oder collective property rights sollen nur einige Schlaglichter sein, die herangezogen werden können. "Convergence of movements" gegen geistige Eigentumsrechte (GRAIN, www.grain.org), also das Zusammenbringen der Kritiken am geistigen Eigentum aus allen Bereichen (Saatgut, Software, Medikamente, aber auch Urheberrecht) ist eine zentrale Herausforderung für emanzipative Bewegungen, wenn der Kolonialismus des 21. Jahrhunderts wirksam in Frage gestellt werden soll.

Anmerkungen

1) Vgl. Sigmar Gabriel (2007): Biodiversity ‚fundamental‘ to economics; Viewpoint; BBC News 9. März 2007.

2) Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights.

3) Shiva, Vandana (2002): Biopiraterie - Kolonialismus im 21. Jahrhundert, Unrast-Verlag Münster.

4) Vgl. ausführlicher: Nuss, Sabine (2006): Copyright und Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im digitalen Kapitalismus, Westfälisches Dampfboot Münster.

5) Vgl. hierzu ausführlicher: Gerstetter, Christiane; Kaiser, Gregor (2006): Gemeinsam die Allmende verteidigen. In: Peripherie, 101/102, S.69-98.

6) Frein, Michael (2007) Globaler Patentschutz: Alles nur geklaut? In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/07.

7) May, Christopher (2006) Escaping the TRIPS’ Trap: The Political Economy of Free and Open Source Software in Africa. In: Political Studies, 34, S.123-146.

8) Vgl hierzu: Flitner, Michael (1995): Sammler, Räuber und Gelehrte. Pflanzengenetische Ressourcen zwischen deutscher Biopolitik und internationaler Entwicklung 1890-1994, Frankfurt/M./New York.

9) Zur Problematik des Ressourcenbegriffs in diesem Kontext siehe Gregor Kaiser: Wenn Leben zur Ressource wird. Der Wettlauf um die Gene. In: ila - Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika, Nr. 263, März 2003.

10) U.a. BUKO Kampagne gegen Biopiraterie (2005) Grüne Beute. Biopiraterie und Widerstand, Trotzdem-Verlagsgenossenschaft Frankfurt; Klaffenböck, G./Lachkovics, E./Südwind Agentur (2001): Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen genetischen Ressourcen? Frankfurt/M.; Ribeiro, Silvia (2002): Biopiraterie und geistiges Eigentum - Zur Privatisierung von gemeinschaftlichen Bereichen, in: Görg, C./ Brand, U. (Hrsg.): Mythen globalen Umweltmanagements: ‚Rio + 10‘ und die Sackgasse nachhaltiger Entwicklung, S.118-136.

11) Drahos, Peter, and Braithwaite, John (2002): Information Feudalism: who owns the knowledge economy? Earthscan London, Sterling.

12) Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Deutsche G8-Präsidentschaft - Unterrichtung des Unterausschusses Globalisierung und Außenwirtschaft am 17. Januar 2007, S.3, 15. Januar 2007.

13) Vgl. auch: Shiva, Vandana (1998): Biopiraterie "Schürf"-Rechte an pflanzlichen und kulturellen Ressourcen, in: Koechlin, Florianne (Hg.): Das patentierte Leben, Rotpunktverlag Zürich, S.76-85.


Gregor Kaiser, Sozialwissenschaftler und Biologe, promoviert an der Uni Kassel und am Wuppertal Institut zu Alternativen zu geistigen Eigentumsrechten. Er ist politisch aktiv in der BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie.

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