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Prekarität als Dauerthema

06.07.2018: Zur Situation der Lehrbeauftragten in Bayern

  
 

Forum Wissenschaft 2/2018; Foto: lassedesignen / fotolia.com

Eine besondere Stellung als Beschäftigte im Hochschulwesen nehmen die Lehrbeauftragten ein. Ursprünglich als ergänzendes Instrument eingerichtet, um mit Dozent*innen aus der beruflichen Praxis das Lehrangebot an den Hochschulen sinnvoll zu ergänzen, übernehmen Lehrbeauftragte schon seit Jahren einen erheblichen Teil der Lehrverpflichtungen an den Hochschulen. Ihre Arbeitsbedingungen sind dabei mehr als prekär, wie Eduard Meusel am Beispiel Bayerns darstellt.

Es ist nun ziemlich genau zehn Jahre her, dass an selber Stelle mein Kollege Magnus Treiber über seine damaligen Erfahrungen als Lehrbeauftragter und den von ihm mitinitiierten Lehrbeauftragtenstreik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) im Jahr 2006 berichtete.1 Er schilderte in seinem Artikel "Streik. Ein Lehrbeauftragter resümiert Erfahrungen" die Lage der Lehrbeauftragten am Institut für Ethnologie und Afrikanistik und thematisierte nicht nur die geringe Vergütung der Lehraufträge (damals 255 Euro pro Semester) bei einem gleichzeitig sehr hohen Arbeitsaufwand (etwa 90 Stunden), sondern ebenso die große Verantwortung, die Lehrbeauftragte schon damals für die Pflichtlehre und das Curriculum übernahmen.

Heute, mehr als zehn Jahre später, ist es in Bayern erneut zu einem Streik der Lehrbeauftragten gekommen. Dieses Mal fanden sich im November 2017 die Lehrbeauftragten der Musikhochschulen sowie der musikpädagogischen Institute der Universitäten zu einer Arbeitsniederlegung zusammen und protestierten lautstark gegen die Umstände, unter denen sie unterrichten. In einem musikalischen Tross zogen sie, im wahrsten Sinne des Wortes, mit Pauken und Trompeten vor die bayerische Staatskanzlei und machten dort die Staatsregierung auf ihre prekäre Lage aufmerksam, ehe sie in einen zweiwöchigen Arbeitsausstand traten.2 Doch sie waren nicht die einzigen, die ihre Stimme erhoben. Eine etwas andere Form des Protests wählten in etwa zur selben Zeit die Sprachlehrbeauftragten insbesondere der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Diese gründeten vor Ort Aktivengruppen und organisierten über mehrere Monate hinweg unterschiedliche Informationsveranstaltungen an der Universität sowie Informationsstände im öffentlichen Raum. Darüber hinaus sammelten sie unter den betroffenen Sprachlehrbeauftragten aller bayerischen Hochschulen Unterschriften für einen offenen Brief an die bayerische Wissenschaftsministerin sowie die Präsident*innen und Rektor*innen der bayerischen Hochschulen, der in Kürze übergeben werden soll. Unterstützung erfuhren sie, wie schon 2006 die Lehrbeauftragten an der LMU, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Bayern.

Man könnte meinen, diese Protestaktionen machten es bereits hinlänglich klar, wie kritisch es um die Lehrbeauftragten bestellt ist. Doch der Handlungsdruck scheint in der Politik noch nicht angekommen zu sein. Erst vor wenigen Wochen bezeichnete die neue bayerische Wissenschaftsministerin einen der wenigen Beschlüsse, zu dem sich der Bayerische Landtag durchringen konnte und durch den die bayerischen Hochschulen zu einer Aufwandsprüfung zur Feststellung einer angemessenen Vergütung von Lehraufträgen verpflichtet werden sollten (Landtagsdrucksache 17/20466), als "entbehrlich".3 Weitreichendere Anträge fanden in der jüngeren Vergangenheit in keinem einzigen Fall die Mehrheit im Parlament. Selbst das Lehrauftragshonorar wurde in den letzten Jahren nicht oder nur geringfügig erhöht. Man wäre daher geneigt, von einem Status quo auf sehr niedrigem Niveau zu sprechen.

Was hat sich also seit dem Beitrag meines Kollegen überhaupt verändert? Wie stellt sich die Situation der Lehrbeauftragten heute dar? Es ist Zeit für eine erneute Bestandsaufnahme. Am konkreten Beispiel Bayerns wird sich dabei zeigen, dass die Lage der Lehrbeauftragten immer noch höchst prekär ist und sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten sogar noch deutlich zugespitzt hat.

Entwicklung der Lehre und des Lehrpersonals seit 2000

Das liegt in erster Linie an der eklatant gestiegenen Anzahl der Studierenden, die mit dem Beginn des neuen Jahrtausends an die Hochschulen drängten. Heute studieren bundesweit deutlich über 50 Prozent mehr Personen als noch vor 17 Jahren. In Bayern ist der Anstieg sogar noch ausgeprägter: Er beträgt 77 Prozent. Wider Erwarten war in Bayern in den letzten Jahren nach dem doppelten Abiturjahrgang - in Folge der Umstellung des neun- auf das achtjährige Gymnasium - auch kein Abfall der Zahlen festzustellen. Man bewegt sich nach wie vor auf einem relativ stabilen Hochplateau.

Dieser Anstieg der Studierendenzahlen bedeutete nun natürlich einen erheblichen Mehrbedarf in der Lehre. Jedoch fanden sich in dieser Zeit keinerlei strukturelle Maßnahmen durchgeführt, um diesem Umstand beizukommen. Es mag zwar, wie Tab. 2 dies suggerieren könnte, auf den ersten Blick so aussehen, als wäre der Anstieg der Studierenden von einer entsprechenden Anhebung des wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen - bundesweit um 76 Prozent, in Bayern sogar um 86 Prozent - begleitet worden. Doch sind diese Zahlen bei genauerer Betrachtung trügerisch. Unberücksichtigt bleiben bei ihnen nämlich substantielle Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft, die sich in diesem Zeitraum vollzogen haben.

Hierzu zählt einerseits die starke Zunahme von befristeten Beschäftigungsverhältnissen: Wo im Jahr 2005 immerhin noch etwa jede/r fünfte hauptberufliche Wissenschaftler*in unbefristet beschäftigt war,4 ist dies heute nicht einmal mehr jede/r zehnte.5 Andererseits ist eine immense Zunahme der über Drittmittel finanzierten Forschung zu konstatieren, die ebenfalls dem Anstieg des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals zuspielt. Allerdings sind diese Kolleg*innen fast ausschließlich in der Forschung tätig und besitzen keine Lehrverpflichtung. Sie tragen somit nicht zur unmittelbaren Bewältigung der hochschulischen Lehre bei. Übersehen werden darf außerdem nicht, dass der Anstieg der Lehrbeauftragten selbst in nicht unerheblichen Maß für das Anwachsen der Zahlen verantwortlich ist (s. Tab. 3).

Einen besseren Marker, in welchem Umfang der Anstieg der Studierenden durch eine Aufstockung des regulär beschäftigten Personals aufgefangen wurde, liefert daher die Entwicklung der Zahl der Professor*innen. Im Jahr 2000 belief sich diese bundesweit auf 37.794. Bis ins Jahr 2016 ist sie bis auf 46.835 angewachsen. Dies entspricht einer Zunahme um 24 Prozent,6 welche mit dem gleichzeitigen Anstieg der Studierendenzahlen jedoch nicht annähernd Schritt hält. Der große Zustrom an Studierenden und der damit einhergehende Mehrbedarf in der Lehre wurde also nur zu einem geringen Teil vom regulär an den Hochschulen beschäftigten Personal getragen. Dass gleichzeitig aber die Zahl der Lehrbeauftragten im Bund um 88 Prozent und in Bayern um 66 Prozent zunahm, lässt darauf schließen, dass es just die Gruppe der Lehrbeauftragten ist, die maßgeblich diese Mehrbelastungen schultert.

Ganz offenkundig geht dies aus einem Bericht des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst an den Bayerischen Landtag vom 11.02.2016 hervor, in dem der von Lehrbeauftragten erbrachte Anteil an der Lehre an den unterschiedlichen Instituten aufgelistet wird. Es zeigt sich, dass dieser in vielen Fällen bei über 50 Prozent der Gesamtlehre liegt - in einzelnen Fällen wird sogar der gesamte Lehrbetrieb durch Lehrbeauftragte abgedeckt:

Folglich kann man kaum noch von einem "ergänzenden Charakter" der Lehraufträge sprechen, die diese per legem (Art. 31 BayHSchPG) grundsätzlich besitzen sollten. Besonders prekär ist die Situation hierbei speziell für die eingangs erwähnten Musik- und Sprachlehrbeauftragten. Denn deren Anteil an der Gesamtlehre ist an den einzelnen Hochschulen nicht nur überdurchschnittlich hoch. Für sie stellen die Lehraufträge darüber hinaus wenngleich nicht ihren alleinigen, so doch einen integralen Bestandteil ihres Hauptberufes dar - neben weiteren Einkünften wie aus Privatunterricht oder Auftrittsgagen.

Lehraufträge als Phänomen des Wirtschaftsliberalismus

Wieso aber hatte dieser Wandel der Lehre ausgerechnet einen massiven Rückgriff auf die Lehrbeauftragten zur Folge? Es macht an dieser Stelle Sinn, kurz einen Blick über die Wissenschaftswelt hinaus zu werfen. Die generelle Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahrzehnte zielte verstärkt darauf ab, die Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer*innen einzufordern. In der Folge konkurrierten nicht mehr etwa die Arbeitgeber*innen um die Produktivkraft der Arbeitnehmer*innen, sondern die Arbeitnehmer*innen um die von den Arbeitgeber*innen bereitgestellten Arbeitsplätze. Höchste Flexibilität sowie die Bereitschaft, mit dem Arbeitsplatz oder dessen Verlust verbundene Risiken individuell auf sich zu nehmen, wurden plötzlich zu den makabren Erfolgskriterien im Konkurrenzkampf unter den Arbeitnehmer*innen. Die Verpflichtung der Arbeitgeber*innen wurde hingegen soweit reduziert, dass man von ihnen lediglich noch erwartete, Profite und hohe Renditen zu erwirtschaften. Eine soziale Verantwortung kam ihnen kaum mehr zu. Konkret schlug sich ein solches Paradigma in Beschäftigungsformen wie der Leih- und Zeitarbeit oder der ominösen "Ich-AG" leidlich nieder.

Diesen wirtschaftsliberalen Geist atmen auch die Lehraufträge. Denn wie bei Leih- und Zeitarbeit oder "Ich-AG" handelt es sich bei den Lehrbeauftragten ebenso um eine höchst flexible Personalkategorie mit einer äußerst schwachen rechtlichen Stellung. Sie sind für die Hochschulen ohne größeres Risiko und mit einem sehr geringen Kostenaufwand einsetzbar. Die logische Konsequenz ist eine sich immer weiter verschärfende Konkurrenzsituation zwischen den an den Hochschulen beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen mit Lehrdeputat und den Lehrbeauftragten. Da Lehrbeauftragte im Bereich der Lehre letztlich die selben Tätigkeiten übernehmen, geraten die wesentlich "teureren" wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen zusehends unter Legimitationsdruck. Es zeichnet sich damit gleichermaßen im akademischen Bereich ab, was in der freien Wirtschaft schon lange gang und gäbe ist: Reguläre Beschäftigung wird mehr und mehr durch atypische und für die Arbeitnehmer*innen unsichere Beschäftigung ersetzt (- wobei es sich angesichts der Befristungsproblematik [s. Fn. 6] fast verbietet, im Fall der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen von "regulärer Beschäftigung" zu sprechen).

Schwache Rechtsstellung der Lehrbeauftragten in Bayern

Ausgangspunkt für diese schwache Stellung der Lehrbeauftragten ist die Tatsache, dass sie keinem zivilrechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis unterliegen, sondern in einem sogenannten "öffentlich-rechtlichen Verhältnis zum Freistaat Bayern" stehen (Art. 31 Abs. 1 Satz 3 BayHSchPG, §2 Abs. 2 Satz 1 LLHVV). Sie besitzen also keinen Arbeitsvertrag, sondern werden per Verwaltungsakt nur einseitig von den Hochschulen zur Lehre bestellt. Damit haben sie nicht nur keine Möglichkeit, gegen etwaige Rechtsverstöße zivil- oder arbeitsrechtlich vorzugehen; ihnen stehen noch nicht einmal die grundlegenden Arbeitnehmer*innenrechte wie etwa der Anspruch auf bezahlten Urlaub, ein Ausfallhonorar oder eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Findet der Unterricht aus welchen Gründen auch immer - selbst- oder fremdverschuldet - nicht statt, müssen die Lehrbeauftragten mit dem Wegfall ihres Honorars dafür geradestehen. Auch für die Beiträge zur Sozialversicherung müssen sie vollumfänglich alleine aufkommen. Der Arbeitgeber nimmt hieran keinen Anteil.

Nicht einmal den gesetzlichen Bestimmungen zum Mindestlohn unterliegen Lehrbeauftragte. Da nur die tatsächlich gehaltenen Unterrichtsstunden vergütet werden, nicht aber die Vor- und Nachbereitung sowie die seit dem Bologna-Prozess stetig anwachsenden Aufgaben in der Betreuung und Verwaltung der Studierenden sowie der Prüfungsabnahme, liegt die faktische Stundenvergütung selbst mit dem in §5 Abs. 2 Satz 1 LLHVV festgehaltenen Höchstsatz von 55 Euro pro gehaltener Unterrichtsstunde bei nur geringfügig mehr als 10 Euro. Wird hingegen, wie es üblich ist, nur ein Honorar im Bereich zwischen 20 und 30 Euro bezahlt, ist die Grenze zum Mindestlohn von aktuell 8,84 Euro meist schnell unterschritten.

Darüber hinaus besitzen Lehrbeauftragte so gut wie keine Mitbestimmungs- und Vertretungsrechte, durch die sie ihrer prekären Situation in irgendeiner Form Ausdruck verleihen könnten. Anders als in vielen Bundesländern sind Lehrbeauftragte in Bayern zwar Mitglieder der Hochschule (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG). Eine Mitbestimmungsmöglichkeit in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung ist ihnen jedoch nicht erlaubt, da in ihnen im selben Atemzug noch das aktive wie passive Wahlrecht dazu abgesprochen wird (Satz 3). Als unmittelbare Folge des Fehlens eines Arbeitsvertrags sind sie ferner ebenso von der Vertretung durch den Personalrat ausgeschlossen.

Besonders kritisch wird ihre Lage schließlich dadurch, dass ihre Lehrtätigkeit ihnen auch keinerlei Perspektiven für eine weitere akademische Karriere verschafft. Davon zeugt die schwindend geringe Anzahl von nur sieben Habilitationen, die im Jahr 2016 aus dem Kreis der Lehrbeauftragten (i.e.S.) hervorgegangen sind. Zum Vergleich: Bei den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter*innen waren es 844.7 Lehrbeauftragte stehen also klar abseits des etablierten akademischen Systems.

Lösungsansätze und Handlungsspielräume

Gleichwohl ist der Lehrauftrag als solcher elementarer Bestandteil dieses Systems. Immerhin leisten Lehrbeauftragte, wie weiter oben bereits festgestellt wurde, wesentliche Teile der Pflichtlehre. Es wäre auf lange Sicht daher nur konsequent, die Lehrbeauftragten entsprechend ihrer Verantwortung ganz in dieses System zu integrieren. Das meint konkret die Überführung derjenigen Lehrbeauftragten, die Pflichtlehre leisten, in reguläre Beschäftigungsverhältnisse, sei es als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) oder Lecturer, und die Ausstattung mit allen damit verbundenen Rechten - also letztlich: Dauerstellen für Daueraufgaben. Um eine solche Überführung überhaupt vollziehen zu können und den Betroffenen dadurch eine verlässliche Karriereplanung zu ermöglichen, müssten die Hochschulen gleichzeitig zu langfristigen Personalentwicklungsplänen verpflichtet werden. Nur so ist ein nachhaltiger Wandel möglich.

Bis es allerdings soweit kommt, müssten bereits kurzfristig durch Gesetzesänderungen am BayHSchG, BayHSchPG und dem BayPVG sowie der Vergabe von beiderseitigen Honorarverträgen die strukturellen Benachteiligungen der Lehrbeauftragten abgebaut werden. Auch die Lehrauftragsvergütung müsste sofort an einen an den TV-L angelehnten Betrag von rund 100 Euro angehoben werden.8

Dass dies finanziell durchaus im Bereich des Möglichen läge, macht eine einfache Rechnung deutlich: Die jährlichen Gesamtkosten sowohl für die Vergütung aller aktuell 12.255 Lehrbeauftragten in Bayern mit 100 Euro pro gehaltener Unterrichtsstunde als auch die Überführung der Lehraufträge in reguläre Beschäftigung würden sich auf etwa 60 Mio. Euro belaufen.9 Dies würde ausgehend vom Nachtragshaushalt 2018 rund 45 Mio. Euro Mehrkosten für den bayerischen Staatshaushalt bedeuten, was wiederum nicht einmal ein Promille des Gesamthaushalts (60,7 Mrd. Euro) und deutlich weniger als ein Prozent der Ausgaben für den Geschäftsbereich Wissenschaft und Kunst (6,8 Mrd. Euro) markiert.10 Auch wenn man in Bayern unter den aktuellen politischen Umständen wohl weit von der Umsetzung einer solchen Forderung entfernt ist, so illustrieren die Zahlen aber immerhin anschaulich, wie wirkungslos wohl jene 1,1 Mio. Euro bleiben werden, die der damalige bayerische Wissenschaftsminister in Reaktion auf die eingangs erwähnten Aktionen der Lehrbeauftragten als Soforthilfe auf den Weg gebracht hatte.

Sinnvolle Einsatzgebiete der Lehraufträge

Am Ende darf bei allen Problemen und der höchst prekären Lage vieler Lehrbeauftragter fairerweise der Hinweis nicht fehlen, dass das Instrument des Lehrauftrags durchaus auch Sinn machen kann und seine Berechtigung hat - dann nämlich, wenn es sich, so wie gesetzlich festgeschrieben, bei den Lehraufträgen tatsächlich um ergänzende Angebote handelt. Dies ist in Fachbereichen wie Jura oder der Pädagogik gut vorstellbar, wo beispielsweise Anwälte oder Lehrer*innen Erfahrungen aus ihrer hauptberuflichen Praxis an die Hochschulen bringen können. Ganz generell trifft dies natürlich auch für die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) zu. Wenn aber der Anteil an von Lehrbeauftragten geleisteter Lehre in den Geisteswissenschaften ähnlich hoch oder teilweise sogar noch höher ist als an den HAWs (s. Tab. 4), muss die Frage gestattet sein, worin denn ausgerechnet dort der Praxistransfer bestehen soll, wenn doch immer wieder thematisiert wird, dass es außerhalb des akademischen Bereichs ohnehin kaum einen Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler*innen gibt. Es liegt daher nahe, dass hier ein systematischer Missbrauch vorliegt. Diesen gilt es zum Wohle der Kolleg*innen mit aller Macht zu bekämpfen und für faire und existenzsichernde Beschäftigungsmöglichkeiten einzutreten. Denn nur so kann letztlich die hochschulische Lehre wieder einen höheren Stellenwert erlangen, was sie selbst nach Ansicht des Wissenschaftsrats11 bitter nötig hat.

Anmerkungen

1) Siehe Forum Wissenschaft 25, 2 (2008): 29-31.

2) Siehe. z.B. SZ v. 14.11.2017.

3) Siehe die PM der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen v. 04.04.2018 sowie die PM 08/2018 der GEW Bayern.

4) Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.4: Personal an Hochschulen; eigene Berechnungen.

5) Nach dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) 2017 sind 93% der hauptberuflich an Hochschulen tätigen Wissenschaftler*innen unter 45 Jahren und ohne Professur befristet beschäftigt. Für Bayern lässt sich das exemplarisch am Rückbau der Dozent*innen- und Assistent*innen-Stellen im Beamtenverhältnis zeigen. Bei diesen ist ein Rückgang von 3.145 im Jahr 2003 auf nurmehr 879 im Jahr 2016 zu beobachten (Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.4: Personal an Hochschulen).

6) Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.4: Personal an Hochschulen.

7) Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.4: Personal an Hochschulen.

8) Ausgegangen wird dabei von der Tätigkeit einer LfbA mit einem Lehrdeputat von 18 SWS und einer jährlichen Unterrichtszeit von 30 Wochen, also einer jährlichen Gesamtunterrichtszeit von 540 Unterrichtsstunden. Desweiteren wird das Einstiegsgehalt einer LfbA in der Entgeltgruppe TV-L E13, Stufe 1 zu Grunde gelegt. Aus dem Arbeitgeberbruttoentgelt von ca. 4.400 Euro ergibt sich so ein Unterrichtsstundenentgelt von etwa 100 Euro (4.400 Euro / 45 Unterrichtsstunden = 97,78 Euro).

9) Dies gilt für den vereinfachten Fall, dass auf eine*n Lehrbeauftragte*n je ein Lehrauftrag kommt.

10) Selbst von den 1,5 Mrd. Euro, die Bayern 2018 in die Schuldentilgung steckt, wären es nur etwa drei Prozent.

11) Siehe Strategien für die Hochschullehre. Halle a. d. Saale 2017.

Eduard Meusel, promovierter Indogermanist und Klassischer Philologe, arbeitet aktuell als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und ist Sprecher der Landesfachgruppe Hochschule und Forschung der GEW Bayern. Zur prekären Situation der Lehrbeauftragten sprach er vergangenes Jahr als Sachverständiger vor dem Wissenschaftsausschuss des Bayerischen Landtags.

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