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Klaus Holzkamp

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Die Ambivalenz der "Ökonomisierung"

09.01.2013: Hochschulen aus Sicht der institutionalisierten Gleichstellungspolitik

  
 

Forum Wissenschaft 4/2012; Foto: Fotolia.com – alphaspirit

Die heute in deutschen Hochschulen nahezu flächendeckend verankerte Gleichstellungspolitik ist das Ergebnis von Frauenbewegungskämpfen, die inzwischen mehr als 30 Jahre zurückliegen. Dass dieser Ursprung vielen gar nicht mehr bewusst ist, liegt auch daran, dass sich die Ziele und die Praxis der Gleichstellungsarbeit grundlegend verändert haben, seit Ende der 1980er Jahre die ersten Stellen für hauptberuflich arbeitende Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte an Hochschulen1 eingerichtet wurden. Einen Überblick über die Entwicklung bietet Sünne Andresen.

Wie Gisela Notz rückblickend feststellt, waren die "Rahmenbedingungen für eine wirksame Frauenförderungspolitik" seit Beginn der Institutionalisierung schlecht. Es gab zwar seit Mitte 1985 erstmals rechtsverbindliche Vorgaben, die die Hochschulen dazu aufforderten, sich aktiv für die Beseitigung der "für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile" (HRG Novelle von 1985) einzusetzen2. Es fehlte aber an klaren Zielvorgaben und Sanktionsmöglichkeiten. So blieb Gleichstellung eine Aufgabe, die den mit wenig Macht ausgestatteten Frauenbeauftragten überlassen wurde und sie vor das Problem stellte, weitgehend allein und durch individuelle Durchsetzungsfähigkeit ihren Hochschulen Maßnahmen und Ressourcen für Frauenförderung abzuringen. Dies war (und ist) eine vielfach frustrierende Ausgangssituation, die auf Seiten der Amtsinhaberinnen das Begehren nach Anerkennung geschürt und seit Anbeginn die Suche nach Strategien befördert hat, mit denen Frauenförderung und Gleichstellung vom Rand in das Zentrum des Hochschulgeschehens geholt und mit mehr Bedeutung versehen werden könnten.

Hochschulgovernance, Ökonomisierung, Unternehmerisierung...

Mit den neuen Hochschulgovernanceformen, die seit der Jahrtausendwende im Zuge der angeblichen Ökonomisierung der Hochschulen umgesetzt werden, ist Bewegung auch in das Feld der Gleichstellungspolitik gekommen. Diese neuen Formen integrieren Gleichstellung nicht nur als Leistungsziel, sondern werten sie außerdem mit finanziellen Anreizen auf und versehen sie damit auch mit Sanktionsmöglichkeiten. Und doch bleibt zu fragen, ob sich damit die Ausgangsbedingungen für hochschulische Gleichstellungspolitik verbessert haben oder ob sich die Widersprüche gar verschärfen, in denen sich Gleichstellungsakteur_innen bewegen müssen, wenn sie das Ziel verfolgen, Frauen den gleichen Zugang zu allen Positionen in Wissenschaft und Hochschule zu ermöglichen wie Männern.

Mein Anspruch ist es nicht, diese Fragen letztendlich zu beantworten. Wie sich zeigen wird, fehlt es dazu auch an empirisch gesichertem Wissen zu den tatsächlichen Folgen der aktuellen Reform der Hochschulsteuerung. Es scheint mir aber wichtig - nicht zuletzt mit Blick auf die Handlungsfähigkeit als Frauenbeauftragte - einen Reflexionsprozess zum noch kaum geklärten Verhältnis von hochschulischer Gleichstellungspolitik und neuer Hochschulgovernance in Gang zu setzen.

...was verändert sich und mit welchen Folgen?

Um die Folgen der veränderten Formen der Hochschulgovernance abschätzen zu können, geht es als erstes darum, nicht nur einzelne Stellschrauben der Reform zu benennen, sondern die Gesamtlinie in den Blick zu bekommen, die den Veränderungen zugrunde liegt. Als solche wird in der einschlägigen Literatur (vgl. Lange 2008) mehrheitlich das New Public Management (NPM) bzw. sein deutsches Pendant: das Neue Steuerungsmodell (NSM) gesehen, das zu Beginn der 1990er Jahre zur Reformierung der öffentlichen Verwaltung entwickelt wurde. Grundgedanke dieses Modells ist es, bisher staatlich regulierte und bis ins Detail durch Gesetze gesteuerte Behörden in eigenverantwortliche, betriebswirtschaftlich denkende und handelnde Dienstleistungsunternehmen zu verwandeln. Dabei ging und geht es vor allem darum, die Dienstleistungen "mit Blick auf die Arbeitsorganisation effizienter, hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses ökonomischer und mit Blick auf die gesellschaftlichen Wirkungen effektiver"3 zu erbringen. Mit anderen Worten: gefordert war bessere Leistung für möglichst weniger Geld. Um dies zu erreichen, wurden die Verwaltungsorganisationen nach folgenden Grundsätzen umgebaut: 1. wurde eine unternehmensähnliche Führungs- und Organisationsstruktur mit dezentraler Verantwortung in den Unterbereichen, zentraler Steuerung und Controlling sowie einem Kontraktmanagement geschaffen, 2. wurden leistungs- bzw. ergebnisorientierte Verfahren eingeführt und 3. diese neue Struktur durch Wettbewerb aktiviert4.

Was schon bei der Reform der öffentlichen Verwaltung kritisiert wurde, dass dem Umbau keine Analyse der Ausgangssituation vorausgegangen war, sondern die Reformschritte aus einem Modell abgeleitet wurden, wiederholte sich beim Umbau der Hochschulsteuerung. Nahezu unverändert wurde das NSM bei der Einführung einer neuen Hochschulgovernance übertragen: 1. Die alte Form der Steuerung, d.h. die von der Statusgruppe der mehrheitlich männlichen Professoren dominierte Selbstverwaltung, wurde durch die Stärkung eines hierarchischen Hochschulmanagements zu entmachten versucht. 2. Vertragsverhandlungen zwischen Staat und Hochschulen sowie innerhalb der Hochschulen zwischen zentraler Hochschulleitung und den Bereichen wurden eingeführt. 3. Die finanziellen Mittel vom Staat an die Hochschulen sowie innerhalb der Hochschulen sollten sukzessive nach Leistung und Wettbewerb verteilt werden.

Angetrieben wurde dieser Governance-Umbau in den Hochschulen durch die Schaffung von Quasi-Märkten. Konkret bedeutete dies, dass den überlasteten und finanziell unter Druck stehenden Hochschulen5 die Grundfinanzierung weiter gekürzt, zugleich aber zugesagt wurde, dass sie im Rahmen von Globalhaushalten bei nachgewiesener Erreichung der mit der Politik vereinbarten Ziele weitere Finanzmittel erhalten würden. Für die Akzeptanz dieses Modells wurde den Hochschulen im Gegenzug mehr Autonomie und weniger direkte staatliche Kontrolle zugesagt.

Um kontrollieren und nachweisen zu können, dass die vereinbarten Leistungen erbracht worden sind, wurde ein Indikatorenmodell entwickelt, das die Messung der Leistungen ermöglichen soll. Als Indikator für eine qualitativ hochwertige Lehre werden z.B. die Auslastung der Studienangebote (Nachfrage der Studierenden/"Kunden") und die Zahl der Absolvent_innen in der Regelstudienzeit herangezogen. Für die Forschung werden als Messgrößen die Zahl der Publikationen pro Wissenschaftler_in und die Höhe der eingeworbenen Drittmittel zugrunde gelegt. Darüber hinaus sind weitere Zielgrößen denkbar, die mit den Hochschulen verhandelt werden, darunter auch direkte finanzielle Einnahmen, die die Hochschulen z.B. über kostenpflichtige Studienangebote, Lizenzerträge aus Patenten, Spenden, Sponsoring- oder Werbeverträge erwirtschaften6. Dabei stehen die verschiedenen Hochschulen miteinander im Wettbewerb um die finanziellen Mittel.

Mittlerweile erfolgt die Finanzierung der Hochschulen in allen Bundesländern auf der Grundlage solcher Vertragsmodelle, bei denen die finanziellen Mittel ganz oder teilweise leistungsbasiert vergeben werden. Und in allen Bundesländern gehört - neben Lehre und Forschung - Gleichstellung der Geschlechter zu den von den Hochschulen zu erbringenden und abzurechnenden Leistungszielen.7 Indikator ist in Anlehnung an das sogenannte Kaskadenmodell hier meistens der Frauenanteil bei den Professuren, bei den Neuberufenen, bei den Promotionen sowie den Absolvent_innen.8

Soweit in groben Zügen die Grundausrichtung des neuen "Regimes universitärer Governance"9. Unklar und noch kaum empirisch erforscht ist allerdings, wie weit dieses Modell die innere Organisation der Hochschulen tatsächlich verändert hat und welche Wirkungen es auf den verschiedenen Handlungsebenen (Verwaltung, Lehre und Studium, Forschung) bisher hatte bzw. noch haben wird. Dabei ist zu bedenken, dass das NSM zwar einen neuen Rahmen schafft, "in dem Akteure handeln, ihre spezifischen Handlungsorientierungen bilden, die Handlungssituation wahrnehmen", dass "die gesetzlichen Regelungen aber keinesfalls handlungsdeterminierend"10 sind. Dies dürfte in besonderer Weise für die Hochschulen gelten, die organisationssoziologisch als "Expertenorganisationen" klassifiziert werden, d.h. als Organisationen, "in denen es gleichsam zum Professionsverständnis der Akteure gehört, sich in den eigenen Weltbildern und Wahrnehmungsmustern nicht irritieren zu lassen und sich möglichst von organisationalen Zielen zu befreien"11. D.h. die Umsetzung der Reform erfolgt in Aushandlungsprozessen, an deren Ende meist Zugeständnisse und Kompromisse stehen. Ein Ergebnis solcher Aushandlungen zwischen Politik und Hochschulen ist im Land Berlin z.B. die Tatsache, dass es für die Nichterbringung von Leistungen zwar Sanktionen in der Form der Kürzung der finanziellen Zuwendungen gibt, dass hierbei aber vereinbarte Kappungsgrenzen von 5% berücksichtigt werden. Auf Seiten der Politik wirkt hier das Interesse, die Unterschiede zwischen den Hochschulen in einem Land nicht dadurch zu groß werden zu lassen, dass sich das Matthäusprinzip - "wer da hat, dem wird gegeben" - immer ungebremster durchsetzen kann.

Einen Vorgriff darauf, wie die Ziele der neuen Steuerungsformen innerhalb der Hochschulen durch die Hochschulmitglieder konterkariert werden können, ermöglicht Michael Power (2008) in seiner Kritik an der "Audit Society". Vertraut werde den Ergebnissen der Audits, den Leistungskennziffern und Indikatoren, die allesamt vor allem auf der Quantifizierung von Leistungen basieren. Diese böten aber nur ein Bild dessen, was mit ihnen gemessen werden soll. So sei es zwar möglich, die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit der internen Ressourcenverwendung von Organisationen zu quantifizieren, bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Maßnahmen und der langfristigen Zielerreichung sei dies jedoch viel schwieriger. Hinzu komme der Opportunismus der handelnden Individuen und Organisationen, die sich auf die stetige Vermessung ihrer Leistungen einstellen und danach streben, "gemäß den Images der Indikatoren als erfolgreich und unterstützenswert dazustehen"12. So werde das Mittel der Kontrolle zum Ziel des Handelns und es entstehe eine "Indikatorenkultur", bei der sich die Leistungen auf das schnelle Erreichen der Indikatoren konzentrieren, während die langfristige Planung aus dem Blick gerät. Mit der Kritik an der Orientierung an Imaginationen wird ein wichtiger Effekt der neuen Steuerungsformen thematisiert, der auch im Feld der institutionalisierten Gleichstellung beobachtet werden kann.

Chancen für Gleichstellung?

Die Frage der Wirkungen der neuen Hochschulgovernance auf Gleichstellungspolitik wird in der hochschulbezogenen Geschlechter- und Gleichstellungsforschung13 widersprüchlich beantwortet. Einerseits wird darin eine Chance, andererseits aber auch eine Gefahr gesehen. Dieses "Einerseits-andererseits" klärt sich auf, wenn danach differenziert wird, welche Ebene von Gleichstellung bzw. Hochschulsteuerung in den Blick genommen wird. Klare Chancen werden gesehen, wenn es um die Möglichkeit der Nutzung der neuen Steuerungsformen für die breitere Implementierung von Gleichstellungsmaßnahmen und -politiken geht. Zweifelnder und pessimistischer fallen die Antworten aus, wenn die Gesamtlinie der Steuerungsreform und die Veränderungen in den Hochschulen, zu denen es infolge der Absenkung der Grundfinanzierung kommt, danach befragt werden, wie sie die tatsächlichen Bedingungen für Gleichstellung und die Einflussmöglichkeiten durch Gleichstellungspolitik verändern.

In den 1990er Jahren galten Frauenförderung und Gleichstellung noch wesentlich als Aufgabe der Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten, die diese durch die Beteiligung an Stellenbesetzungsverfahren oder die Umsetzung von Sonderprogrammen zur Förderung von Wissenschaftlerinnen umzusetzen hätten. Ab der Jahrtausendwende wurde dann mit dem Konzept "Gender Mainstreaming" zunehmend thematisiert, dass Gleichstellung eine Querschnittsaufgabe der gesamten Hochschule sei, die in allen Handlungsfeldern berücksichtigt werden müsse. Die tatsächliche Umsetzung dieses Konzepts ließ allerdings auf sich warten. Heute haben wir die Situation, dass sich alle wissenschaftspolitisch relevanten Akteure - von der DFG über die HRK, den Wissenschaftsrat und die Allianz der Forschungsgemeinschaften (MPGs, Leibnitz-Gemeinschaft) - zur Wichtigkeit der Gleichstellung von Frauen bekannt und auch Vorschläge dazu gemacht haben, wie dieses Ziel rational anzugehen sei. Das sind zwar zunächst nur Verpflichtungserklärungen und ist noch keine wirkliche Gleichstellung, aber - wie Susanne Baer herausstellt - sogar eine Offensive, "die keine tatkräftige Offensive nach sich zieht, hat symbolische Wirkung. Erklärungen verschieben Bedeutungen und Erwartungen. Diese Erklärungen verändern insbesondere die Möglichkeiten, Akteure zur Verantwortung zu ziehen."14 Und von dieser Möglichkeit haben viele frauen- und gleichstellungspolitische Akteur_innen auf verschiedenen politischen Ebenen (Bund, Land, Hochschule) in den letzten Jahren erfolgreich Gebrauch gemacht und dabei die neuen Steuerungsformen nutzen können, um in die Breite der Hochschulen Gleichstellung und neue Gleichstellungsprogramme zu implementieren. Zwei Strategien können hier unterschieden werden:

1. Die Integration des Zieles der Gleichstellung der Möglichkeit nach in alle Steuerungsinstrumente, die die Hochschulen in den letzten Jahren implementiert haben (interne Zielvereinbarungen, transparente Berufungsverfahren, Qualitätsmanagement, Evaluationen, Gleichstellungscontrolling u.a.m.) sowie in alle Wettbewerbe (z.B. Exzellenzinitiative), Auditierungen/Zertifizierungen und Rankings, an denen sie sich beteiligen. Durch beharrliches Engagement und strategische Koalitionen konnte hier viel für Gleichstellung durchgesetzt werden. Dass beim "Qualitätspakt Lehre" des BMBF auf Programmebene "vergessen" worden ist, Gleichstellung und Geschlechterforschung zu berücksichtigen, verweist allerdings darauf, dass der Zustand selbstverständlicher Berücksichtigung dieses Aspekts noch lange nicht erreicht ist.

Kennzeichen der 2. Strategie ist, dass Wettbewerb und die leistungsorientierte Mittelvergabe für das Ziel der Gleichstellung eingespannt werden. Wie dies geschieht, lässt sich exemplarisch am Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder ablesen: Der finanzielle Anreiz dieses Programms bestand darin, dass die Hochschulen über fünf Jahre lang das Geld für bis zu drei Professuren erhalten konnten, wenn sie diese unbefristet mit Wissenschaftlerinnen besetzten. Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Programm war, dass die Hochschulen ein Gleichstellungskonzept einreichten, das Auskunft über die Ausgangssituation zur Gleichstellung gab und u.a. anhand von Daten zur Unterrepräsentanz von Frauen begründete, für welche Fächer die Professuren beantragt werden sollten.

Zwar war dieses Programm mit 150 Mio. Euro im Vergleich mit anderen Gleichstellungsmaßnahmen außerordentlich gut ausgestattet. Dennoch reichten die Mittel selbstverständlich nicht aus, um alle Hochschulen zu bedienen. Gefördert wurde nach dem Windhundprinzip, d.h. wer mit seinem Antrag zu spät kam, ging leer aus. Die gleichstellungspolitische Wirkung dieses Programms besteht nicht nur darin, dass damit in den Jahren zwischen 2008 und 2014 bundesweit 264 Professuren mit Frauen besetzt worden sind. Darüber hinaus hat es durch die Anforderung, ein Gleichstellungskonzept zu entwerfen, viele Hochschulen erstmals dazu gebracht, Gleichstellung in einer systematischen Perspektive zu betrachten. Außerdem hat es in vielen Hochschulen zu einer Umverteilung von Mitteln zugunsten von Gleichstellungsmaßnahmen geführt. Dies war dann der Fall, wenn die Förderung für eine Regelprofessur beantragt wurde, die ohne die Programmgelder aus dem laufenden Haushalt der Hochschule hätte finanziert werden müssen. Hier gab das Programm vor, dass die Hälfte der dadurch frei werdenden Mittel für zusätzliche Gleichstellungsmaßnamen aufzuwenden seien. In vielen Hochschulen sind mit diesen Geldern z.B. Qualifizierungsstellen für Wissenschaftlerinnen, Mentoring-Programme oder auch Serviceeinrichtungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf/Studium mit Familie (Familienbüros) geschaffen worden.

Neben den beschriebenen Gewinnen haben solche Programme aber auch widersprüchliche Effekte. Einer besteht in dem, was ich in Anlehnung an Power als geschönte Berichterstattung bezeichnen möchte. Dies betrifft das Gleichstellungskonzept selbst wie überhaupt alle Berichte, die zum Nachweis der zweckmäßigen Verwendung von zusätzlichen Programm- oder Fördergeldern für Gleichstellung abzufassen sind. Da Erfolge in der Regel die Voraussetzung für weitere Anträge sind, wird mit der Schere im Kopf geschrieben und Missstände oder ausbleibende Gleichstellungswirkungen werden heruntergespielt. Dies bringt die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, die diese Berichte mitzeichnen oder häufig gar selbst verfassen, in den Widerspruch, auch dann ein überwiegend positives Bild ihrer Hochschule zu zeichnen, wenn dies ihren alltäglichen Erfahrungen widerspricht. Power hatte dies als Gefahr der Orientierung an Bildern, statt an der Realität kritisiert.

Ein grundsätzlicheres Problem solcher Programme liegt darüber hinaus darin, dass sie mit Geldern finanziert werden, die bei der Grundfinanzierung der Hochschulen abgezogen wurden.

Risiken

"Die Grundfinanzierung ist das größte Problem der Hochschulen. Sie reicht nicht aus und ist seit vielen Jahren rückläufig."15 Mit dieser Aussage in einem Interview mit der GEW bringt Horst Hippler, neuer Präsident der HRK, auf den Punkt, was in den Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen mittlerweile breiter Konsens ist. Seit 1977 - Stichwort "Öffnungsbeschluss" - arbeiten die deutschen Hochschulen bei gleichbleibendem Budget und stagnierenden Zahlen des Lehrpersonals mit einer ›Überlast‹ an Studierenden.

Eine Folge der Unterfinanzierung sind einschneidende strukturelle Reformen insbesondere im Bereich des Personals in den Hochschulen. Diese Veränderungen gehen zwar nicht ursächlich auf die neuen Steuerungsformen zurück, sie bilden aber den Kontext, in dem diese wirken. Eine weitere - und, wie wir in der Auseinandersetzung mit dem Grundkonzept des NSM gesehen haben, durchaus gewollte - Folge der Kürzung der Grundfinanzierung ist, dass die Hochschulen durch die Beteiligung an Wettbewerben, die Einwerbung von Drittmitteln u.a. bemüht sein müssen, die fehlenden Mittel zu kompensieren. Dies hat nicht nur zu einer Verdichtung der Arbeit der Wissenschaftler_innen, sondern auch zu einem Anstieg befristeter Drittmittelbeschäftigungen und wegen der kürzeren Planbarkeit insgesamt zur Verkürzung der Dauer von Verträgen geführt. Wie die HIS-Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (Jongmanns 2011) belegt, sind Verträge mit einer Dauer von einem halben Jahr keine Seltenheit, von einem Jahr Standard an vielen Hochschulen.16

Wie sich diese Kürzungen auf Gleichstellung auswirken, ist bislang kaum erforscht. Allerdings ist bei allem, was wir über Vergeschlechtlichungsprozesse wissen, anzunehmen, dass diese Einschnitte die Hierarchie zwischen den Geschlechtern in der Wissenschaft eher verschärfen werden. So können z.B. die Verhandlungen über Leistungszulagen als ein "neues Hintertürchen für ein gender-pay-gap im Wissenschaftsbereich"17 genutzt oder Frauen überproportional mit den wenig attraktiven neuen Lehrprofessuren oder besonders kurz befristeten Verträgen aus Drittmitteln abgespeist werden.18

Was das Thema Familienfreundlichkeit angeht, so wissen wir aus verschiedenen Untersuchungen, dass es vor allem die unsicheren Arbeitsverhältnisse und Karriereaussichten sind, die junge Wissenschaftler_innen davon abhalten, ihren Kinderwunsch zu realisieren. An dieser Prekarität des wissenschaftlichen Aufstiegswegs richten die Familienservice-Einrichtungen an Hochschulen ihr spezifisches Beratungsangebot aus, grundlegend geändert werden diese dadurch aber nicht.

Fazit - Was tun?

Meine Ausführungen haben gezeigt, dass die neue Hochschulgovernance durchaus Chancen für die weitere Verankerung von Gleichstellung in der Perspektive des Konzepts von Gender Mainstreaming bietet. Sie haben aber auch deutlich gemacht, dass die Kehrseite der an Wettbewerb ausgerichteten Hochschulfinanzierung die Kürzung der Grundfinanzierung ist, als deren Folge es in der jüngeren Vergangenheit zu einer Verschlechterung der grundlegenden Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft gekommen ist, was wiederum erwarten lässt, dass die Hierarchie zwischen den Geschlechtern in den Hochschulen eher reproduziert als abgebaut werden wird.

Was folgt aus diesen Ergebnissen für die Handlungsfähigkeit und das Agieren als Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte? Ich denke, wir brauchen eine Doppelstrategie: Einerseits muss es, wie bisher, darum gehen, Gleichstellung in die neuen Formen von Governance an Hochschulen einzuschreiben bzw. diese für Gleichstellung zu nutzen, wo immer dies durchsetzbar ist. Gleichzeitig muss eine kritische Aufmerksamkeit für die Widersprüche und die größeren Wirkungen der "Ökonomisierung" entwickelt werden. D.h. es müssen immer auch die allgemeinen Handlungsbedingungen an den Hochschulen einbezogen und wo dies möglich ist, der Versuch gemacht werden, diese gemeinsam mit den entsprechenden Bündnispartner_innen im Sinne der Gleichstellung zu gestalten.

Anmerkungen

1) Bis heute sind die Arbeitsbedingungen der Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen und die Ausstattungen ihrer Büros sehr ungleich. Nicht überall gibt es genügend personelle und sachliche Mittel, um eine gute Arbeit zu machen. Die großen Unterschiede stellen ein Konfliktpotential dar, das die Arbeit in der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF) seit Anbeginn begleitet. Vieles deutet darauf hin, dass die veränderten Modi der Finanzierung von Hochschulen zu einer Verschärfung dieser Ungleichheiten führen werden.

2) Vgl. als knappen Überblick über die Geschichte der Frauenförderung im Wissenschaftsbetrieb Sünne Andresen 2001: Der Preis der Anerkennung. Frauenforscherinnen im Konkurrenzfeld Hochschule, Münster: 116ff.

3) Stefan Lange 2008: "New Public Management und die Governance der Universitäten. Literaturbericht", in: der moderne staat - ZS f. Public Policy, Recht und Management, H. 1/2008: 235-248, hier: 239.

4) Vgl. hierzu Christoph Kimmerle 2003: "Die Reform der öffentlichen Verwaltung: Modernisierung als Chance für Enthierarchisierung?" in: Sünne Andresen, Irene Dölling, Christoph Kimmerle: Verwaltungsmodernisierung als soziale Praxis, Opladen: 15-31, hier: 18ff.

5) Vgl. Ingrid Lohmann, Sinah Mielich, Florian Muhl, Karl-Josef Pazzini, Laura Rieger und Eva Wilhelm 2011: "Einleitung", in: Dies. (Hg.): Schöne neue Bildung? Zur Kritik der Universität der Gegenwart, Bielefeld: 7-14, hier: 10.

6) Vgl. Lange 2008: 247.

7) Seit einigen Jahren wird neben Gleichstellung auch Diversity Management aufgenommen. Aber das ist eine ganz andere Diskussion, die ich an dieser Stelle nicht vertiefen kann.

8) Ich beziehe mich hier exemplarisch auf den Vertrag für die Jahre 2010 bis 2013 gemäß Artikel II des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 zwischen dem Land Berlin, vertreten durch den Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, und den Berliner Hochschulen.

9) Rolf von Lüde 2010: "Neue Governance der Wissenschaft", in: Ders. (Hg.): Neue Wege der Hochschulgovernance, Hamburg: 9-21, hier: 11.

10) Ebd.: 18.

11) Ebd.: 11; vgl. auch Klaus Dörre und Matthias Neis 2010: Das Dilemma der unternehmerischen Universität, Berlin.

12) Lange 2008: 241.

13) Vgl. Birgit Riegraf und Lena Weber 2010: "Hochschulautonomie und neue Steuerungsmodelle. Chancen oder Gefahr für die Gleichstellung der Geschlechter?", in: news, Frauenpolitisches Forum an der TU Berlin, hrsg. v. der Zentralen Frauenbeauftragten der TU Berlin: 7-10; Ilse Costas 2010: "Auf dem Weg nach oben? Geschlechterperspektive in Wissenschaftskarrieren vor dem Hintergrund der Reformen in der Hochschul- und Forschungslandschaft", in: news, Frauenpolitisches Forum an der TU Berlin, hrsg. v. der Zentralen Frauenbeauftragten der TU Berlin: 4-6; Stephanie Zuber 2010: "Die Reformziele und die Frauen. Hochschulreform und Frauen am Beispiel Internationalisierung und Exzellenzinitiative", in: news, Frauenpolitisches Forum an der TU Berlin, hrsg. v. der Zentralen Frauenbeauftragten der TU Berlin: 10-13.

14) Susanne Baer 2010: "Interventionen in der Akademie: Gleichstellung in der Wissenschaft im 21. Jahrhundert", in: Ulrike Auga / Claudia Bruns / Levke Harders / Gabriele Jähnert (Hg.): Das Geschlecht der Wissenschaften. Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/ New York: 91-109, hier: 95.

15) Horst Hippler 2012: "Die Grundfinanzierung ist das größte Problem", in: Erziehung und Wissenschaft 10/2012: 22-23, hier: 23.

16) Georg Jongmanns 2011: "Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)", in: HIS: Forum Hochschule Nr. F04/2011

17) Zuber 2010: 10.

18) Empirische Ergebnisse zu dieser Frage sind vom Forschungsprojekt ›Männliche‹ Forschung - ›weibliche‹ Lehre? - Konsequenzen der Föderalismusreform für Personalstruktur und Besoldung am Arbeitsplatz Universität zu erwarten, das derzeit am Hochschulforschungszentrum (HoF) in Wittenberg bearbeitet wird.


Sünne Andresen ist Soziologin, promovierte mit einer Arbeit zu Frauenforscherinnen im Konkurrenzfeld Hochschule, langjährige Erfahrung in der hochschulischen Gleichstellungspolitik, Aufbau und Leitung des Familienbüros der FU Berlin, seit Dezember 2011 hauptamtliche Frauenbeauftragte der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin.

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