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Klaus Holzkamp

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Sporttourismus

15.04.2002: Zwischen Globalisierung und regionaler Bewegungskultur

  
 

Forum Wissenschaft 2/2002; Titelbild: B. Froomer

Sport treiben und reisen sind Aktivitäten, denen gemeinhin ein Bildungseffekt ebenso wie ein Persönlichkeitsbildungseffekt nachgesagt wird, da die Individuen mit neuen Eindrücken, Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert sind, sei es durch körperliche und soziale Anforderungen beim Sport oder durch die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und Lebensweisen bei der Reise in ferne Länder. Beides zusammen, also das Feld des Sporttourismus, lässt einen verdoppelten Effekt erwarten und trägt sicher zum positiven Image dieser Branche bei. Bei näherer Betrachtung kann der Sporttourismus allerdings nicht mehr in einem so günstigen Licht gesehen werden, wie Jürgen Schwark feststellt.

So sind weltweit die als Reisende am grenzüberschreitenden Tourismus Beteiligten nahezu ausschließlich weiß und kommen aus den westlichen Industrienationen, stellen also max. 3,5% der Weltbevölkerung dar. Auch bezüglich der Zielländer besucht sich der "Westen" überwiegend selbst und beschäftigt sich mit sich selbst. Unter den den zehn beliebtesten Reisezielen der Welt befinden sich fünf westeuropäische Länder sowie die USA und Kanada. Lediglich mit China ist ein einziges Land außerhalb des Westens in dieser Spitzengruppe vertreten. Aber auch bei Reisen zu Destinationen außerhalb des eigenen Kulturkreises erweisen sich die von der Tourismusindustrie und den Medien inszenierten Bilder und Wunschvorstellungen zumindest für den Massentourismus überwiegend als eine Reise in die eigene Kultur.

Diese Analyse gilt gleichermaßen für das Feld des Sporttourismus. Hier stellt sich die Frage, ob bei Reisen zu "exotischen" Destinationen zum Zweck des Sporttreibens tatsächlich Zugänge zu regionaler Sport- und Bewegungskultur entwickelt werden oder ob nicht ledigliche eine globalisierte Sportkultur dorthin exportiert wird, um unter besseren klimatischen Bedingungen in westlich eingerichteten Inseln letztlich dasselbe zu tun wie zuhause.

Geschichte und Definition

Der englische Wettkampfsport als die zentrale Säule des modernen westlichen Sports (neben dem Deutschen Turnen und der Schwedischen Gymnastik) entwickelt ab Mitte des 19. Jahrhunderts erste Verbindungen von Sport und Tourismus, die sich im damaligen kolonialen Eroberungsgedanken des Alpinismus dokumentieren: Wer erobert und besetzt als erster den fremden Raum. Dass zwei gesellschaftliche Teilbereiche wie Sport und Tourismus Gemeinsamkeiten in ihrem Ursprung sowie ihrem ideologischen Hintergrund aufweisen und ihrer konkret von den Individuen ausgeübten Praxis ähnliche Motive zugrundeliegen, begründet jedoch noch nicht die Eigenständigkeit eines Feldes "Sporttourismus". Das Eigenständige, Genuine dieses Bereichs bedarf einer besonderen Begründung. Standeven und de Knop1 formulieren in Anlehnung an bestehende formale Tourismusdefinitionen:

"All forms of active and passive involvement in sporting activity, participated in casually or in organized way for noncommercial or business/commercial reasons, that necessitate travel away from home and work locality."2

Derartige Definitionen verbleiben an der Oberfläche. Weder mit der Entfernung noch mit der an quantitativen Maßstäben festgelegten Verweildauer lassen sich Qualitätsmerkmale festmachen. Vielmehr handelt es sich um eine pragmatische, durchaus willkürliche Festlegung, was denn als Sporttourismus zu gelten habe.3 Das Tennisspiel in der nach außen abgegrenzten Clubanlage irgendwo im wärmeren Teil der Welt kann für die Subjekte sicherlich angenehm sein, strukturell unterscheidet sich dies (von den klimatischen Verhältnissen abgesehen) jedoch nicht von der alltagskulturellen Sportpraxis im Herkunftsland der UrlauberInnen.

Dagegen wäre ein eigenständig begründeter Bereich des Sporttourismus als Nachvollzug und (Teil-)Aneignung regionalspezifischer Bewegungs- und Sportkultur oder auch internationalisierter Bewegungs- und Sportkultur mit regionaler Spezifik in Form von praktisch angeeigneter Tätigkeit zu formulieren. Darin eingeschlossen ist die Auseinandersetzung mit den jeweils vorhandenen spezifischen Haltungen, Einstellungen, Positionen, gesellschaftlichen Bedeutungen und Sinnstrukturen zu Körper, Bewegung und Sport (Sporttourismus im engeren Sinne als Sportkulturreise).4Damit ginge es für die Individuen um die Erweiterung individueller Handlungsfähigkeit durch Kultur (Sport, Bewegung) und Umwelt (Sozialität, Natur) ohne dies, als moralisch-ethische Grundlage, auf Kosten der Kultur und Umwelt zu praktizieren.

Jenseits dieses Anspruchs, der sicher einen großen Teil des hohen Ansehens des Sporttourismus ausmacht, lassen sich insgesamt vier grundlegende institutionelle und subjektive Zugänge zum (Sport-)Tourismus mit je unterschiedlicher Reichweite beobachten:

  • Prinzip der (Ver-)Schließung. Institutioneller Ansatz: Prinzip der Enklave und des Touristengettos, asymmetrische Sozialbeziehungen, Erzeugung von Kunstlandschaften, Crowdingeffekte und damit verbundener hoher Ressourcenver-/missbrauch durch Masse und Anspruchsniveau. Subjektiver Zugang: Weit gehende Übernahme eigener kultureller Praxis im Urlaub - "Reisen in die eigene Kultur", Implantation von Kultur und Okkupation, asymmetrische Sozialbeziehungen.
  • Funktionale Nutzung. Institutioneller Ansatz: Spezifische Dienstleistungsorientierung und zielgruppenspezifische Ansprache stehen im Vordergrund, Destination wird als Rahmenbedingung zur Verfügung gestellt. Subjektiver Zugang: Ansatz der "Ich-Zentrierung", vorher festgelegte Ziele zur Erholung oder Selbsterfahrung, Benutzung von Umwelt bis hin zur Schädigung und Okkupation.
  • Beliebige Offenheit. Institutioneller Ansatz: Positionierungswettstreit um Marktanteile erzeugt immer kürzere Produktzyklen und zunehmend artifizielle Konsumangebote. Nachhaltigkeit steht nicht im Focus der Bemühungen und realisiert sich allenfalls als Marketingetikett. Subjektiver Zugang: Ansatz der Ichbezüglichkeit durch Erlebnisfixierung und allenfalls Deuten von Umwelt durch Oberflächenerfahrungen. Zugang zu Sport und Umwelt vermittelt sich durch distanzierte, entfremdende Angebote globalisierter Sportkultur in Kulissenräumen oder Kunstlandschaften. Hohes Maß an sinnlich-vitalen Befriedigungen.
  • Strukturierte Offenheit. Institutioneller Ansatz: Prinzip der Bildungs- bzw. Kulturreise. Durch die Intensität des Zugangs sind zahlen- und verhaltensmäßige Begrenzungen notwendig. Subjektiver Zugang: Ansatz der Außen-Zentrierung, Erfahren und Erkennen von kultureller und natürlicher Umwelt, Zugang zu regionalspezifischer Sport- und Bewegungskultur, Erweiterung individueller Handlungsfähigkeit durch gezielte und bewusste Aneignung und Genussfähigkeit.

Es wird wenig überraschen, dass in der globalen Realität weniger dieser hohe Anspruch als vielmehr Profit und/oder individuelle Motive der hedonistischen Gesellschaft die Angebote dominieren und hinter den viel beschworenen Vorteilen dieses Dienstleistungssektors vielfältige soziale, kulturelle und ökologische Probleme für die Zielländer zutage treten.

Kulturexport

Die Möglichkeiten des Kulturaustausches in Sport und Tourismus werden zudem zunehmend durch eine sich abzeichnende globale Weltkultur5 in Frage gestellt werden. Aus der Vielfalt der bestehenden Teil-Sportkulturen werden nur die Bereiche exportiert, die von den Medien, der Sportartikel- und Tourismusindustrie, den Sportverbänden und der staatlichen "Entwicklungshilfe" entweder als vermarktbar eingeschätzt oder mit ideologischer Wertschätzung belegt werden. Exportiert werden überwiegend westlich geprägte Vorstellungen und Werte wie Leistung, Individualisierung (nicht Individualität), Schnelligkeit, Rauschhaftigkeit, Hedonismus, Selbstbezüglichkeit. Allerdings wird der symbolische Code des sportkulturellen Transfers kaum als identische Kopie gelesen und verinnerlicht, da die gesellschaftlich-historischen Bedingungen zur Genese der intendierten Normen und Werte nicht gleichzeitig mitgeliefert werden.6

Für eine verantwortungsvolle Tourismusindustrie ergäbe sich somit die Frage, welche Formen und Angebote der "eigenen" Sport- und Bewegungskultur(en) für die Reisenden/TouristInnen in den jeweiligen Destinationen implementiert werden sollen. Zudem ginge es darum sich auf dem Kontinuum Selbst-Anderer anzunähern, um den Anspruch des Kulturaustausches ein Stück weit einzulösen.7 Für einen genuinen Sporttourismus hieße das also, nicht nur die ökonomisch ausgeloteten, machbaren Formen als Dienstleistungen und Waren anzubieten, sondern auch symbolische Zugänge und Dechiffrierungen zu schaffen, um Sinn- und Bedeutungsstrukturen vermitteln zu helfen. Ein derart gestaltetes Angebot würde dem "Chic des Exotischen" zu deutlich mehr Substanz verhelfen.

Doch genau hier muss deutlicher gefragt werden, welche Formen des globalen Kulturtransfers und sozialen Wandels sich im Sport-Tourismus derzeit tatsächlich abspielen. In den seltensten Fällen handelt es sich tatsächlich um einen Austausch, um gegenseitige Partizipation auf der Basis Gleicher unter Gleichen (Beispiele sind z.B. der deutsch-französische Jugendaustausch oder Städtepartnerschaften). In den weitaus meisten Situationen hat man es mit einer - oder einer Mischung aus mehreren - der folgenden Formen und strukturellen Merkmale zu tun:

  • Parallelkultur: implantierte Touristengettos, weitgehend ohne Bezug zur Kultur der Destination (Clubanlagen, Golfplatzanlagen);
  • Transformation: Übertragung eines kulturellen (Teil-)Systems (z.B. Amerikanisierung der japanischen Sportkultur, Sportsystem der alten BRD auf Neue Bundesländer);
  • "Modernisierung": Begriff, der nur für sog. Dritte-Welt-Länder benutzt wird, die dem Vorbild der "Ersten Welt" nacheifern (sollen) (z.B. Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit EU-Afrika);
  • Hegemonie: Vorherrschaft auf der Basis prinzipiell eher Gleicher (Verbreitung des amerikanischen Sportmodells im Westen);
  • Herrschaft: asymmetrische kulturelle Machtausübung (Globalisierung des westlichen Sportmodells);
  • Gewalt: Formen von Neokolonialismus, Enteignung, Vertreibung (z.B. Expansion der US-amerikanischen und japanischen Golfindustrie in Südostasien).

Einflüsse aus der "Peripherie" auf die Industriestaaten finden sich dagegen nur in einzelnen Bereichen, z.B. im Bereich der ostasiatischen Bewegungskultur oder div. Tänzen aus verschiedenen Kontinenten. Diese Einflüsse sind vom vermeintlichen Zentrum, wie sich der Westen selbst sieht, adaptiert und kulturspezifisch umgeformt worden. Aus Wellenreiten wird Surfen, aus Turmspringen wird Bungee. Letztere Arten von "Sport"8 werden wiederum global re-exportiert, diesmal allerdings zusammen mit den westlichen Sinn- und Bedeutungsstrukturen. Dominant bleibt jedenfalls der Export der innerhalb des Zentrums entwickelten Sportkultur, im Wesentlichen Fußball, Golf, Tennis und Motorsport.

Nahezu unabhängig vom Reiseziel finden TouristInnen aus den Industriestaaten fast überall schon ihre eigene Kultur wieder. Hotelanlagen ähneln sich ebenso wie die importierten Nahrungsmittel im "All-inclusive"-Angebot und der Zuschnitt der Swimmingpools. Golfplätze werden am Reißbrett nach traditionell britischem Muster entworfen und Fitnessstudios, künstliche Kletterwände oder Tennisplätze finden als vorgefertigte Räume ebenfalls weltweite Verbreitung. Im Miniaturformat finden sich u.a. Golf"plätze", Kletterwände und sogar Eislaufhallen auch auf Kreuzfahrtschiffen wieder (Bsp. Royal Caribbean). So hat zwar z.B. Malaysia für die weitere Tourismusentwicklung den Slogan "Malaysia - Truly Asia" als "neues" Image kreiert, jedoch profitiert der dortige Tourismussektor im Wesentlichen von zwei "außerasiatischen" Faktoren. Zum einen hat die malaysische Regierung die einheimische Währung an den US-Dollar gekoppelt und damit ausländischen BesucherInnen einen Kaufkraftgewinn beschert und zum anderen profitiert die Branche von bedeutenden internationalen Veranstaltungen wie Formel-I-Rennen oder dem Weltgolfturnier.9

Im Gegensatz zum Herrschafts- und Unterdrückungssystem des Kolonialismus verlaufen die kulturellen Transformationsprozesse der Globalisierung subtiler und vermittelter. Die mediale und warenförmige Absatzmarktpolitik der Kulturindustrie bedient sich zumindest keiner bewussten und direkten Zerstörung der jeweiligen einheimischen Werte und Normen. In den meisten Fällen kann unterstellt werden, dass dies auch nicht beabsichtigt ist. Die Konsequenzen und Folgen der Globalisierung können jedoch mit denen der Kolonialzeit verglichen werden. Kulturelle Globalisierung ist eine spezifische neo-koloniale Form auf der Basis eines vereinheitlichten und vereinheitlichenden symbolischen Codes der über ideologisch-mediale Kanäle transportiert wird und den sich die Subjekte scheinbar freiwillig inkorporieren. Auf der anderen Seite bieten die technischen und informatorischen Momente der Globalisierung zumindestens theoretisch auch erweiterte Möglichkeiten lokaler Selbstreflexion, des Kulturaustauschs und der eigenen Weiterentwicklung. Mit der Bezeichnung der beiden Seiten einer Medaille ist jedoch noch nichts über die realen Verhältnisse gesagt. Den Milliardengeldern für Werbung, zunehmend angereichert mit Elementen der Unterhaltung, und den oligopolen Medienstrukturen stehen eher vereinzelte, wenig vernetzte lokale und regionale Projekte gegenüber.

Golfsport und Tourismus

Golfsport ist "kulturelles Outsourcing", da in den touristischen Quellgebieten, den Ursprungsländern dieser Sportart, die erzeugten Begehrlichkeiten in dem inzwischen erreichten Ausmaß kaum noch zu befriedigen sind. Da der Zugang zum "richtigen", d.h. exklusiven Golf qua Definition auf Wenige begrenzt sein muss, wird der "profane" Golfsport auf die öffentlichen Plätze und auf touristische Auslandsangebote mit Schnupperniveau verlagert. Die Symbolik des Golfsports wird räumlich transferiert, ohne jedoch in der jeweiligen Destination (Spanien, Portugal, Nordafrika, Südostasien) ein direkter Kulturexport zu sein, da die Angebote nahezu ausschließlich für TouristInnen konzipiert sind. Einheimische sind mangels ökonomischer Ressourcen und Affinität zur spezifischen kulturellen Logik kaum beteiligt.10 Golf als ein Beispiel für touristische Expansion und Globalisierung ist demnach weniger ein Kulturexport, sondern eher ein Kulturimplantat durch Raumaneignung bzw. Inbesitznahme.

Anders stellt sich die Lage in den Ländern dar, in denen ein signifikanter Anteil der Bevölkerung (> 2 %) traditionsgemäß diesem Sport nachgeht, wie z.B. Großbritannien, Irland, Australien, Kanada, USA und Schweden. Hier werden begrenzte Expansionsmöglichkeiten im eigenen Land zunehmend auf die jeweiligen Destinationen verlagert. Damit gehen auch die Folgekosten zu Lasten der Destination und stellen eine "moderne" Form der Eroberung und Besetzung dar. In Regionen, die ohnehin schon von Wasserknappheit betroffen sind (z.B. Südspanien, Mallorca, Nordafrika), führt die intensive Bewässerung von Golfplätzen zu einem weiteren Absinken des Grundwasserspiegels. Die einheimische Bevölkerung ist in ihrem Alltag wie auch im Bereich der Landwirtschaft in ihrer Wasserversorgung durch den Golftourismus bedroht. Für Simbabwe führt Platt11 die Problematik besonders eindrücklich aus: "Dort werden vor den Toren der Hauptstadt Harare die Golfanlagen bewässert, während kaum 400 Kilometer weiter in Bulawayo Menschen verdursten." Ökologisch problematisch sind auch der für die Herstellung der künstlichen Grünflächen erforderliche Pestizid- und Fungizideintrag sowie die Transformation von Flächen mit hoher Biodiversität in eine artifizielle Monokultur. Durch den zunehmenden Anteil von ungeübten GolferInnen, die durch touristische Angebote zu dieser Sportart animiert werden, und einen größeren Anteil an Zuschauern bei Wettkämpfen, ergeben sich zusätzlich Veränderungen hinsichtlich der Strukturierung und des Flächenverbrauchs der Spielanlagen. So werden die natürlichen Zonen entlang der Bahnen (Roughs) weiter verringert zugunsten der Verbreiterung der intensiv zu pflegenden Spielbahnen, die sich von traditionell 30-50 Metern auf mittlerweile bis zu 90 Meter ausdehnen.12

Insbesondere im südostasiatischen Raum verdrängt der Bau von Golfanlagen zunehmend die kleinbäuerliche Bevölkerung. In Malaysia und Indonesien kommt es bspw. zu Zwangsumsiedlungen. Unter dem Deckmantel des Ökotourismus werden unter Federführung der Asiatischen Entwicklungsbank derzeit in der Mekong-Region massentouristische Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt, die zu einer Umsiedlung von Millionen Menschen führen.13 Den Betroffenen wird i.d.R. kein adäquater Ersatz zur Verfügung gestellt. LandwirtInnen, die über mehrere Jahrzehnte ihren Boden kultiviert haben, werden mit unfruchtbare(re)n Flächen abgespeist. Die monokulturelle Begrünung von ehemals produktiven Reisflächen für Golfplätze entzieht der einheimischen Bevölkerung somit ihre Nahrungsgrundlage. Die potenziell zu erwartenden Deviseneinnahmen wecken massive Begehrlichkeiten, was z.B. nach einem Bericht des Global Anti Golf Movement (GAGM) in Java dazu führte, dass auf Anordnung der staatlichen Behörden Soldaten gegen einheimische Bauern, die ihr Land nicht verlassen wollten, eingesetzt wurden. "Vor allem die Japaner, denen ihr eigenes Land zu teuer geworden ist, investieren weltweit in den Bau neuer Golfplätze."14

Asymmetrie und Widerstand

Zusammenfassend können drei Formen der asymmetrischen "Einflussnahme" des Westens (als vermeintliches Zentrum) benannt werden:

Erstens: Direkte und offen zu Tage tretende physische Gewalt wurde während der Phase der Kolonialisierung ausgeübt. Heutige neo-koloniale Praxen werden weit gehend durch formal-juristische Verträge legitimiert und verdecken damit ihren wahren Charakter. Anzuführen ist hier die Entwicklung im Mekong-Delta, in dem die amerikanischen und japanischen Investoren einen Quasi-Besatzerstatus erlangten. In Burma werden aufgrund der erhofften touristischen Perspektiven Einheimische zu Sklavenarbeit herangezogen.

Zweitens können wir aufgrund der vorhandenen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten Formen der strukturellen Gewalt erkennen. Sowohl im Sport (Afrika als Talentreservoir für den europäischen Fußballbetrieb), im Tourismus (Infrastrukturmaßnahmen, Bereitstellung von Grund und Boden, Umsiedlungen einheimischer Bevölkerung) als auch im Sporttourismus (eine weltweit agierende Golfsportindustrie) finden sich Belege für diese Entwicklung.

Drittens haben die transportierten Normen und Werte des Westens samt des entwickelten Reichtums mit seinen Waren und Dienstleistungen eine symbolische Kraft entfaltet (nicht in allen Kulturkreisen), die mit Hilfe einer global operierenden Kulturindustrie (Freizeit, Sport und Tourismus inbegriffen) und entsprechender medialer bzw. werbewirtschaftlicher Vermittlung Formen auch von symbolischer Hegemonie und Gewalt annimmt. Die negativen und positiven Prozessformen der "Verarbeitung" lassen verschiedene Muster erkennen: Verlust der traditionellen Sportkultur - Teilmodifizierung "neu" eingeführter Sportarten durch traditionelle Sinn- und Bedeutungsmuster - "neue" Sportarten als Grundlage für weiter gehende Entwicklungen - Rückbesinnung, Konservierung, Musealisierung traditioneller Sportarten - Modernisierung, Weiterentwicklung traditioneller Sportarten durch Kultureinflüsse.

Soziale Gegenbewegungen im internationalen Maßstab existieren z.B. mit dem Global Anti Golf Movement (GAGM). GAGM versteht sich als politische Organisation mit konkret formulierten Zielen gegen eine ungehemmt expandierende Golfsportindustrie. Gegen Praxen der Ausbeutung im Trekking-Tourismus hat sich 1997 die International Porters Protection Group (IPPG) gegründet. Regionaler Widerstand von autochthonen Völkern, deren Gebiete von touristischen Großanlagen bedroht sind, führt gelegentlich auch zu entsprechenden (Verteidigungs-)Erfolgen. So ist es den Kanaka Maoi auf Hawaii und den Mohawk-Indianern in Kanada gelungen, Planungen für Golfanlagen auf ihren Grabstätten zu stoppen.15

Eine vertretbare, positive Perspektive im (Sport-)Tourismus besteht darin, lokale Kulturen bzw. Gemeinschaften darin zu unterstützen, nicht mehr nur LieferantInnen, sondern Akteure und VeranstalterInnen zu werden und die Art und Weise des touristischen Charakters (vom Verzicht bis zum Ausbau) selbst zu bestimmen. Erst dann entwickelt sich auch eine gleichrangige Kommunikation und Interaktion. Im Rahmen der marokkanisch-französischen Entwicklungszusammenarbeit wird z.B. seit Mitte der 1980er Jahre unter Beteiligung der Regionsbevölkerung erfolgreich Trekking-Tourismus im Hohen-Atlas-Gebirge unter Kriterien des "nachhaltigen" Tourismus entwickelt.16 Mit dem Projekt "Fair unterwegs" wirkt der Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung17 darauf hin, dass Reise- und Ferienangebote in der Schweiz und in Deutschland buchbar sind, die zu einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung beitragen und der breiten Bevölkerung des Reisezielortes eine maßgebliche Beteiligung am Entscheid über die Tourismusentwicklung und am Ertrag aus dem Tourismus garantieren.

Darüber hinaus haben innerhalb der touristischen Dienstleister die "VermittlerInnen" (Reiseleitungen, Animateure, FreizeitpädagogInnen, GästebetreuerInnen) eine zentrale Aufgabe, je nach andragogischem Konzept in Anknüpfung an oder in Überwindung von affirmativen Amüsements, schlichter Unterhaltung und Warenförmigkeit auf einer eigentätigkeits- bzw. aneignungsbezogenen Ebene zu wirken. Das mag (kognitiv) anstrengender sein als der innerzirkuläre lustbetonte "All-Inclusive"-Urlaub, eröffnet jedoch eine sowohl genussvollere als auch bereicherndere Perspektive.


Anmerkungen

1) Standeven, J./de Knop, P.: SportTourism, Champaign/IL 1999

2) ebd., S.12

3) Die jährlich durchgeführte Reiseanalyse weist kontinuierlich 6-8 % Reisende aus, die angeben, dass Sport treiben das Hauptmotiv ihres Urlaubs darstellt. Aktivitäten wie schwimmen/baden, wandern/spazieren gehen sowie Rad fahren kommen zwar auf über 70% der Nennungen, sind aber überwiegend auf dem Niveau von Alltagsmotorik angesiedelt. Demnach sind als Hauptsportbereiche sog. Natursportarten mit Geräteeinsatz, Gymnastik i.w.S. sowie Rückschlagspiele auszuweisen. Detaillierter s. Schwark, Jürgen: Sporttourismus zwischen Kultur und Ökonomie, Münster 2002

4) In der Diskussion um Sporttourismus wird auch der Bereich des passiven Sportkonsums angeführt, wie z.B. Reisen zu Sportgroßveranstaltungen, insbesondere Olympische Spiele, (Fußball)-Weltmeisterschaften, ATP-Tennis-Turniere, Formel-I-Rennen, internationale Golfturniere u.ä., deren Austragungsorte ebenfalls überwiegend in den westlichen Industrienationen liegen.

5) Darüber hinaus ist ebenso zu konzedieren, dass die vorherrschende, sich globalisierende Sport- und Bewegungskultur kein einheitliches, statisches System darstellt, sondern als kultureller Teilbereich selbst aus unterschiedlichen Teilkulturen besteht und Prozesscharakter besitzt. Siehe hierzu auch Eichberg , H.: Modernisierung - Modernisierungen - Transmoderne? Ein dritter Weg des Sports. Dänische Erfahrungen, S.119-139, in: Hinschin, J.; Borkenhagen, F. (Hrsg.): Modernisierung und Sport, Sankt Augustin 1995

6) Interessant sind hier die Ausführungen von Digel zur Entwicklungshilfe in Afrika, Mählmann für die koloniale und postkoloniale Phase in Kenia, de Lorenz für den europäisierten Tango und Neuber für die Veränderungen des indischen Tanzes während der Kolonialzeit. Digel, H., Entwicklungszusammenarbeit im Sport - Fremdes verstehen, voneinander lernen, S. 203-216, in: Andresen, R. et al. (Hrsg.): Beiträge zur Zusammenarbeit im Sport mit der Dritten Welt, Schorndorf 1989; Mählmann, P.: Traditionelle Bewegungs- und moderne Sportkultur in ihrem gesellschaftlichen Kontext in Kenia, Bd. I/II, Nairobi 1990; De Lozenz, M.: Europäischer Tango versus Tango argentino oder: Ein Mißverständnis, das man tanzt, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Stuttgart 2/1991, S. 239-249; Neuber, E.: Bharatanatyam - der klassische indische Tanz im Spannungsfeld sozialen Wandels, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (MAGW), Band 129, Wien 1999, S.59-173

7) Palm hat deutlich gemacht, warum eine globalisierte und standardisierte Einheits-Sportkultur als Verlust zu bewerten ist und demgegenüber die Begegnung von traditionellen und regionalen Sportkulturen bereichernd und perspektivenreich ist. Palm, J.: Renaissance der traditionellen und regionalen Vielfalt, S. 12-17, in: hochschulsport, Darmstadt Nr. 1/1995

8) Bei Bungeespringen wie auch bei anderen Modeerscheinungen, z.B. Zorbing, ist der Sportbegriff nicht haltbar, da die Eigenaktivität weit gehend ausgeschlossen ist. Wir haben es hier überwiegend mit Fremdbewegung ohne individuelle Einflussnahme zu tun. In der medialen Berichterstattung werden derartige "Fun- oder Trendangebote" jedoch (unzulässig) unter Sport subsumiert.

9) Siehe fvw-international, Nr. 8/01, S.82

10) Nach Angaben des Deutschen Golfsport Verbandes spielten 1999 bspw. in Spanien 0,38% der dortigen Bevölkerung Golf. Demgegenüber lag der Anteil in Kanada bei 17,2% und in den USA bei 9,7%.

11) Platt, A., Golfplätze: Giftiges Grün, in: www.auf.uni-rostock.de/~oekotext/oekotext/ar03geog.htm

12) ebd.

13) Siehe dazu auch Groth, A., Vorreiter für die Massen. Wie nachhaltig ist Ökotourismus wirklich?, in: Südwind. Das Magazin für Entwicklungspolitik, Wien 0/2001, S. 30/31

14) McClellan, A., Golfsport. Luxustourismus auf Kosten der Armen, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Stuttgart 1/2000, S. 50

15) Weiter gehende Autonomie-Erfolge haben inzwischen die Kuna-Indianer in Panama erreichen können. Sie kontrollieren inzwischen die touristischen Investitionen und können damit die Konsequenzen und Folgen eigenverantwortlich steuern.

16) S. hierzu auch Kagermeier, A./Popp, H.: Strukturen und Perspektiven der Tourismuswirtschaft im Mittelmeerraum, in: Petermanns Geographische Mitteilungen, Nr. 6/2000,S. 64-77

17) www.akte.ch


Prof. Dr. Jürgen Schwark lehrt Tourismuswirtschaft an der Fachhochschule Gelsenkirchen

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