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Frauen an die Spitze

15.04.2002: Forschungsteam analysiert die Führungsgremien im deutschen Sport

  
 

Forum Wissenschaft 2/2002; Titelbild: B. Froomer

Frauen sind auch im Leistungssport mittlerweile eher in der Über- als in der Minderzahl gegenüber den männlichen Sportlern, es gibt kaum eine Sportart, die nicht auch von Frauen ausgeübt wird. In den verschiedenen Verbänden stellen sie auf der Mitgliederebene oft den größeren Anteil, aber in den prestigeträchtigen Ämtern der Vereine und Verbände finden sie sich eher selten. Die Ursachen hierfür bedürfen einer komplexen Analyse, wie Gertrud Pfister und Sabine Meck darlegen.

"Frauen an die Spitze - Aktionsbündnis zur Steigerung des Frauenanteils in den Führungspositionen des Sports" sind der Titel und das Ziel eines Forschungsprojekts an der Freien Universität Berlin unter Leitung der Professorinnen Dr. Dr. Gertrud Pfister und Dr. Gudrun Doll-Tepper. Das Gesamtprojekt, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, gliedert sich in den wissenschaftlichen Part sowie den Praxisteil, der beim Nationalen Olympischen Komitee (NOK) in Frankfurt/Main angesiedelt ist. Gemeinsam will man dazu beitragen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen des deutschen Sports zu analysieren und zu erhöhen.

Das Thema "Frauen in Führungspositionen" ist Politikum und von breitem gesellschaftlichem wie wissenschaftlichem Interesse, nicht zuletzt, weil Führungspositionen nach wie vor fest in Männerhand sind. Zwar scheinen in einigen Bereichen Frauen rein quantitativ "aufgeholt" zu haben, wie die steigende Anzahl an Politikerinnen und Journalistinnen suggeriert, doch verschiebt sich auch dort in den Top-Positionen, die mit höheren Gehältern und mehr Machtbefugnissen ausgestattet sind, die Relation stark zugunsten der Männer. So liegt der Anteil der Journalistinnen in der Berufsgruppe bei insgesamt ca. 38%, in den Führungsetagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aber bei ca. zwei Prozent.1 Auch in der Politik nimmt bei einer Quote von inzwischen 31,5% Frauen im Deutschen Bundestag dieser Anteil ab, je höher der politische Rang angesiedelt ist.2 Im universitären Bereich besetzen Frauen bei insgesamt steigenden Studentinnen- und Hochschulabsolventinnenzahlen, die grob dem Frauenanteil an der Gesamtbevölkerung (51%) entsprechen, nur ca. 10,5% der Professuren. Die Promotionen stiegen von 1998 31,1% auf 1999 33,4%, die der Habilitationen in demselben Zeitraum von 15,3% auf 17,7%. Aber auch in der Wissenschaft gilt, dass mit steigender Qualifikationsstufe die Frauenquote abnimmt.3 Eine Schere findet sich weiterhin in der Finanzwelt, wo Frauen zwar die Hälfte der Angestellten stellen, aber nicht in den Vorständen auftauchen.4

Im Sport ist das Thema ebenfalls zu einem Politikum geworden. Frauen sind in Führungspositionen des Sports in allen Bereichen und auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Daher beschloss das Internationale Olympische Komitee (IOK) Ende der 90er Jahre, seine Mitgliedsorganisationen aufzufordern, den Frauenanteil in Entscheidungsgremien bis 2005 auf 20 % zu steigern. Im Juli 2000 befasste sich dann auch der Deutsche Bundestag mit der Diskriminierung von Frauen im Sport. Das NOK reagierte darauf, indem es am 4.11.2000 einen Aktionsplan zur Förderung von Frauen im Sport verabschiedete, in dem diese Anhebung des Frauenanteils noch einmal festgelegt und ein Maßnahmenkatalog zur Erreichung des Ziels aufgestellt wurde.5

Forschungsstand und Theorie

Die bisher vorliegenden Arbeiten und Daten zu Frauen in Führungspositionen des Sports liefern kein klares und auch nur annähernd vollständiges Bild der Situation. Neben den Daten über Führungsgremien des Deutschen Sportbundes (DSB) und einiger Spitzenfachverbände liegen eine Reihe von Examensarbeiten und Pilotstudien vor, die aber wegen der unterschiedlichen Methoden und Vorgehensweisen sowie der kleinen Stichproben nicht sehr aussagefähig sind.6 In der Mehrzahl der Studien wurden Frauen in Führungspositionen befragt. Auf diese Weise konnten zwar einige Bedingungen und Zusammenhänge identifiziert werden, die den Einstieg und den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen erleichterten; die Gründe, die zum Desinteresse an oder zum Ausstieg aus Führungsämtern führten, wurden allerdings nicht erfasst. Diese sind wesentlich komplexer als bislang angenommen. Unbewusste Entscheidungen, antizipierte Situationen und Werte spielen dabei eine bislang in ihrer Komplexität nicht beachtete Rolle. Mittlerweile gibt es jedoch zahlreiche Arbeiten über ehrenamtliche Strukturen auf dem sozialen und kulturellen Sektor sowie über Frauen in Führungspositionen in der Politik oder der Wirtschaft. Es ist sinnvoll, die dort vorgelegten Ergebnisse auf ihre Übertragbarkeit auf den Sport zu überprüfen.7 Zudem müssen die vorliegenden Studien über die Geschlechterhierarchien in den Führungsgremien des Sports aus anderen Ländern herangezogen werden.8

Das Fehlen von Frauen in Entscheidungsgremien hat vielfältige und sich gegenseitig beeinflussende Ursachen. Mit zu berücksichtigen ist die gesamtgesellschaftliche Ebene mit der Geschlechterordnung (Ideale und Normen, Strukturen, Anreizsysteme und Sanktionen) und dem geschlechtstypisch segregierten Arbeitsmarkt auf der einen Seite und die individuelle Ebene im Hinblick auf die Erfahrungen, Lebensziele und -prioritäten, Selbstkonzepte und Kompetenzen der Frauen (und auch der Männer) auf der anderen Seite. Untrennbar verflochten werden beide Bereiche durch das Feld der Handlungen und Interaktionen, wo Erwartungen ausgetauscht und verändert, Aktionen ausgehandelt, "Rollen" gespielt und Personen bzw. Identitäten inszeniert werden.

Die Komplexität des Themas erfordert, dass mehrere theoretische Konzepte gleichzeitig zur Erklärung herangezogen werden. Da das Geschlecht ein entscheidendes Kriterium für den Aufstieg in Führungspositionen ist, gehen wir von einem theoretischen Konzept der Geschlechterordnung aus, und zwar von Ansätzen, die Geschlecht als soziale Konstruktion verstehen.9

Die gesamtgesellschaftliche Geschlechterordnung wird wesentlich durch die Segregierung des Arbeitsmarktes und die Zuständigkeit der Frauen für die Familie bestimmt, die Frauen aus verschiedenen Gründen den Aufstieg in Führungspositionen erschweren. Diese Perspektive und die Ansätze der Arbeitsmarktforschung sind auch für Frauen in ehrenamtlichen Karrieren interessant. Da Organisationen wie die Sportverbände nach eigenen Regeln funktionieren und nur teilweise den Gesetzen des Arbeitsmarktes gehorchen, sollen ergänzend aktuelle Ansätze der Organisationssoziologie berücksichtigt werden, die Geschlecht als wichtigen Einflussfaktor betrachten und das "sex-structuring of organizations" untersuchen.10 Die dort veröffentlichten Beiträge helfen auch, das "Glass-Ceiling-Syndrome", d.h. den Verbleib der Frauen auf der mittleren Hierarchieebene, zu beschreiben und zu erklären.

Einen weiteren theoretischen Zugang fanden wir über die Theorien geplanten sozialen Handelns, die den motivationstheoretischen oder den Rational-Choice-Ansätzen zuzuordnen sind. Die Absicht eines Individuums, eine Handlung zu vollziehen, wird wesentlich durch dessen Einstellung gegenüber der Handlung selbst und durch subjektive Normen beeinflusst, weniger durch soziale Normen oder durch Gefühle. Insofern wird von VertreterInnen dieser Theorien11 Verhalten als planbar definiert, Entscheidungen werden auf logische und nachvollziehbare Prozesse zurückgeführt. Die Ansätze dienten uns als Grundlage zur Ermittlung der Motive, eine Führungsposition im Sport auszuüben - oder dieses eben gar nicht zu beabsichtigen.

Typische Bilder

Mit 10,4 Millionen Mädchen und Frauen ist rund ein Viertel der weiblichen Bevölkerung in Deutschland in Vereinen des DSB organisiert. Damit stellten Frauen unter den Mitgliedern des DSB im Jahre 2001 nahezu 40% - mit steigenden Zuwachsraten. Im Präsidium des DSB liegt der Anteil der Frauen in ehrenamtlichen wie hauptamtlichen Gremien bei ca. 25 %, in den Präsidien der Landessportbünde bei ca. 22%, die Spitzenverbände unterbieten diese Zahlen zum Teil sogar noch (in den 28 Fachverbänden sind von insgesamt 285 Präsidiums- und Vorstandsposten 259 mit Männern und 26 mit Frauen besetzt, das macht einen Frauenanteil von 9,12%12).

Der Deutsche Turner-Bund (DTB), mit insgesamt mehr als 4,8 Millionen Mitgliedern einer der größten deutschen Spitzenverbände überhaupt, hat mit 3,4 Millionen weiblichen Mitgliedern den höchsten Frauenanteil. Doch auch dort spiegelt sich die Mitgliederverteilung von Frauen und Männern nicht in den Führungspositionen wider. Das bestätigt auch ein vorläufiges erstes Ergebnis unserer inhaltsanalytischen Auswertung des DTB-Jahrbuchs 2001. Die Verteilung von Männern und Frauen in der Führungsstruktur der DTB-Dachorganisation liegt bei 68,5% zu 31,5%, in seinen Landesverbänden im Durchschnitt bei 59,1% zu 40,9%. Auch in anderen Fachverbänden, wie zum Beispiel in der Deutschen reiterlichen Vereinigung, im Deutschen Schwimm-Verband oder im Tanzverband, hat der Frauenanteil auf der Ebene der Vereinsmitglieder den der Männer mittlerweile überrundet. Diese Entwicklung zeigt sich jedoch nicht in der Besetzung von Führungspositionen, vielmehr eröffnet sich eine breite Schere zwischen dem sportlichen Engagement von Mädchen und Frauen und ihrer Vertretung in Führungspositionen. Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in Entscheidungsgremien ist auch auf der Ebene der Sportvereine wiederzufinden. Eine Untersuchung des Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine, unter seinen 157 Mitgliedern ergab, dass lediglich 19% (791 Frauen und 3.196 Männer) der sowohl ehren- als auch hauptamtlichen Führungspositionen von Frauen besetzt sind.13 Diese Untersuchung ergab zudem, dass Frauen in Vereinsvorständen die prestigeträchtige, mit hohem Grad an Verantwortung und Außenwirkung verbundene Funktion der Vereinsvorsitzenden äußerst selten ausüben. Weibliche Vorstandsmitglieder übernehmen dagegen relativ häufig das Amt der Schriftführerin oder der Kassenführerin.

Im Rahmen unseres Forschungsprojektes "Frauen an die Spitze" haben wir die Geschlechterverteilung in den Vorständen der Berliner Sportvereine untersucht. Dabei zeigte sich, dass nur etwa 10% der (insgesamt 1.840) ersten Vorsitzenden Frauen sind.

Zur Erklärung dieser Situation liegen, wie oben erwähnt, kaum Untersuchungen vor. Ein interessanter Ansatz findet sich bei Winkler14, der für die 80er Jahre nachweisen konnte dass die Situation der Frauen in Führungspositionen der Sportverbände stagnierte und noch stagniert. Winkler kam zu dem Ergebnis, dass 91% der ehrenamtlichen Funktionsträger in den Sportverbänden Männer sind und dass sich die Frauen in ehrenamtlichen Positionen (9%) überwiegend mit dem Frauen- (35,5%) und dem Jugendsport (16,4%) beschäftigen.15

Ähnliche Tendenzen lassen sich im Trainer- und Übungsleiterbereich des Sports erkennen. Während das Amt der Schiedsrichterin, welches mit einem Autoritätsanspruch verbunden ist, zu einem Anteil von 11% in den alten Bundesländern und zu einem Anteil von 14 % in den neuen Bundesländern von Frauen ausgeübt wird, beträgt der Frauenanteil unter den Übungsleiterinnen 22% in den alten und 21% in den neuen Bundesländern.16 Diese Differenzierung entspricht der sportinternen Hierarchie, in der der Freizeit- und Breitensport in Bezug auf Prestige und finanzielle Ausstattung dem Leistungssport untergeordnet ist. Sie ist auch Ausdruck der gesellschaftlichen Geschlechterhierarchie, in der Männer im Rahmen ihrer freiwilligen Tätigkeit Positionen mit stärkerer Berufsrelevanz und höherem Prestige sowie Tätigkeiten mit Leitungsaufgaben bevorzugen. Frauen decken im Übungsleiterinnenbereich überwiegend den Kinder- und Seniorensport oder den Gesundheitssport ab.

Säkularisiertes Berufsethos

Eine in der Forschung vernachlässigte Frage ist die nach den Ursachen des Fehlens von Frauen in Führungspositionen des Sports oder auch die Frage, ob sich Männer und Frauen bei der Ausübung von Ämtern unterscheiden. Zur Erklärung werden meist stark verallgemeinernde Ansätze herangezogen, zum Beispiel, dass Frauen zu wenig motiviert seien oder dass Männer Frauen aus bestimmten Positionen ausgrenzen würden. Doch die Zusammenhänge sind komplexer. Für andere gesellschaftliche Bereiche wie die Politik oder den Sozialbereich liegen bereits umfangreichere Analysen und Ansätze zum "Glass-Ceiling-Syndrome" vor, die das "Steckenbleiben" von Frauen an einem bestimmten Punkt der Karriereleiter durch die Wechselwirkungsprozesse zwischen Gesellschaft, Arbeitsplatz und Lebenszusammenhang zu erklären suchen. Wir werden im Verlaufe des Forschungsprojekts versuchen, diese Ansätze auf Ehrenämter im Sport anzuwenden.

Das Ehrenamt ist die tragende Säule der Sportvereine. Ehrenamtliches Engagement besitzt in Sportvereinen im Vergleich zu anderen Vereinstypen den größten Umfang hinsichtlich der Anzahl der Engagierten sowie hinsichtlich des Zeitaufwandes, der von diesen Engagierten betrieben wird.17 Im Freiwilligensurvey 1999 wurde ermittelt, dass nahezu jeder Dritte unter den aktiv Beteiligten im Sport auch ehrenamtlich aktiv ist.18 Laut DSB beträgt die Anzahl ehrenamtlicher MitarbeiterInnen für das gesamte Bundesgebiet rund 2,6 Millionen. In der oben bereits zitierten Studie von Winkler19 wird das sportliche Ehrenamt durch die enge Verbindung von Status, Prestige und Lebensstil charakterisiert, bei der die Karriere im Ehrenamt stark an den beruflichen Erfolg im Arbeitsleben gekoppelt ist. Auf der Führungsebene ist das Ehrenamt somit ein männlich zentriertes und stark berufsbezogenes Tätigkeitsfeld. Tatsächlich wird ein Ehrenamt in diesem Bereich zu 91% von Männern ausgeübt, die fast alle erwerbstätig sind.20 Winkler sieht zudem einen besonderen Zusammenhang zwischen Ehrenamt und "Lebensführung", wobei er sich auf Max Weber und dessen Untersuchungen zur protestantischen Ethik im Calvinismus bezieht. Die protestantische Ethik, der eine extrem rationale Lebensführung zugrunde gelegen hatte und die nach Webers Auffassung mit hoher Leistung und daraus folgend mit dem Aufblühen des Kapitalismus korrelierte, wird auch heute noch in säkularisierter Form im Berufsleben mit seinem Leistungsgedanken in Verbindung gesetzt. Nach Winkler verfügen ehrenamtliche Funktionsträger aus höheren Soziallagen über ein säkularisiertes Berufsethos und neigen auch zu Handlungsbereitschaft in nicht-berufsbezogenen Bereichen. Eine hohe soziale Stellung im Beruf sei insofern verknüpft mit einem überproportionalen Anteil an gesellschaftlicher Beteiligung in politischen Institutionen sowie gesellschaftlichen Organisationen.

Häufig sind bei der Wahl der FunktionsträgerInnen vor allem funktionale Kompetenzen ausschlaggebend, die aus der Berufstätigkeit abgeleitet werden. Diese Ressourcen, die die BewerberInnen einbringen, wie zum Beispiel informelle Beziehungen zu wichtigen Personen aus Institutionen der Sportverwaltung, der Parteien oder der Wirtschaft, scheinen aus Organisationsperspektive für die Bekleidung eines höheren Amtes unabdingbar zu sein. Die gesuchten funktionalen Kompetenzen sind aber vor allem in den höheren beruflichen Tätigkeitsfeldern vorzufinden und dort trifft man vor allem auf hochqualifizierte Männer. Deren Bereitschaft zu ehrenamtlicher Betätigung steht in engem Zusammenhang mit der Neigung, weitere Mitgliedschaften einzugehen und zusätzliche Ämter zu übernehmen. Fast 70% der von Winkler befragten FunktionsträgerInnen sind zugleich in anderen Organisationen Mitglied. Mit ihrer Stellung in der Ämterhierarchie steigt die Zahl weiterer Mitgliedschaften innerhalb und außerhalb des Sportsystems. Mehrfachmitgliedschaften kommen in auffallender Weise häufig in Kombination der Bereiche Sport und Politik vor. Verbandsfunktionäre sind zudem desto eher bereit, eine weitere Funktion zu übernehmen, je höher der Stellenwert dieser freiwilligen Organisation mit quasi-öffentlichen Aufgaben in der Gesellschaft eingeschätzt wird.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass dieser hohe Grad an ehrenamtlichem Engagement Ausdruck eines spezifischen Lebensstils ist, der über eine reine Freizeitbeschäftigung oder einen Ausgleich für den Beruf hinausgeht und der gesellschaftliches Engagement und Berufsleben miteinander verknüpft. Insofern dürfte es interessant sein, herauszufinden, in welchem Lebenszusammenhang sich Frauen befinden, die ein Ehrenamt im Sport anstreben, ausüben oder aufgegeben haben.

Das Projekt

Die vorausgegangenen Ausführungen belegen die Wichtigkeit, das Thema für den Sportbereich in Deutschland zu untersuchen und praktische Maßnahmen für eine Verbesserung der Situation zu erarbeiten. In diesem Kontext ist die Zielsetzung des Projekts "Frauen an die Spitze" angesiedelt.

Zunächst soll im wissenschaftlichen Teil auf der Grundlage von Sekundäranalysen und Literaturstudien die Geschlechterverteilung in Führungspositionen inner- und außerhalb des Sports untersucht werden. In einem weiteren Schritt wird mit Hilfe von Inhaltsanalysen der Jahrbücher ausgewählter Sportfachverbände der Frauenanteil in den einzelnen Organisationshierarchien der Verbände erforscht. Im Kontext einer Strukturanalyse werden zudem die Aufgaben, die Positionen und die Arbeitsplatzbeschreibungen von Führungspositionen in ausgewählten Verbänden analysiert.

Auf der Grundlage von drei empirischen Erhebungen werden die in der Ist-Analyse gewonnenen Erkenntnisse geprüft und ergänzt: Zunächst sollen in einer qualitativ angelegten Führungskräfte- und ExpertInnenbefragung die sozio-demographischen Merkmale, die Berufs- und Sportbiographien, die Motive, ein Ehrenamt im Sport auszuüben (oder dieses eben nicht zu tun), sowie die Barrieren im Karriereweg ermittelt werden. Schwerpunkt ist hierbei die Ursachenanalyse. Die Interviews erfolgen face-to-face; diese Phase ist gegenwärtig nahezu abgeschlossen. Weiterhin ist eine quantitativ ausgerichtete Vollerhebung der Präsidien von Fachverbänden und Landessportbünden geplant. Drittens wurde eine repräsentative Befragung von ÜbungsleiterInnen des DTB durchgeführt. Diese Ergebnisse geben Auskunft über die Struktur, Motivlage sowie Hemmnisse des Nachwuchspotenzials, aus dem sich weibliche Führungskräfte im Sport rekrutieren könnten.

Auf der Basis der Ist-Analysen und empirischen Erhebungen werden dann Methoden und Konzepte zur Erstellung von Prognosen und Praxismaßnahmen entwickelt. Gleichzeitig läuft in Frankfurt/Main unter Federführung des NOK das Praxisprojekt. Es beinhaltet Mitarbeit an der Entwicklung und Auswahl von Konzepten, Umsetzung dieser Konzepte in Kooperation mit Verbänden und Vereinen, Betreuung von Maßnahmen und Aktionen sowie Pflege von Netzwerken. Die in der Praxis durchgeführten Maßnahmen werden abschließend vom Wissenschaftsteam evaluiert.

Im Dezember letzten Jahres fand im Deutschen Olympischen Institut in Berlin die Auftaktveranstaltung des Projekts statt. Neben zahlreichen prominenten VertreterInnen aus Politik und Presse hatten sich auch 45 Frauen aus mehr als 20 Landessportbünden und Sportfachverbänden eingefunden, um am Podium und in Arbeitsgruppen über Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils im Sport zu diskutieren und konkrete Schritte zur Umsetzung zu planen. Die nächste Veranstaltung mit weiblichen Führungskräften aus LSB’s und Fachverbänden findet am 4. Mai in Frankfurt statt.


Anmerkungen

1) www.djv.de; Thema "Gleichstellung".

2) Berechnungen nach Europäische Datenbank: Frauen in Führungspositionen, www.db-decision.de und www.bundestag.de

3) U.a. Bericht der Bund-Länder-Kommission www.blk-bonn.de/chancengleichheit-fuer-frauen.html

4) Europäische Datenbank: Frauen in Führungspositionen, www.db-decision.de

5) www.nok.de/doku/frauenfoerderplan.htm.

6) Vgl. u.a. Kraus, U.: "Ich möchte keine Macht im Sport …". Karriereplanung und Machtbewusstsein von Frauen in Ehrenämtern des Sports. In: U. Henkel/G. Pfister (Hg.): Für eine andere Bewegungskultur, Pfaffenweiler 1997, S. 203-218

7) Vgl. u.a. Deutscher Kulturrat (Hg.): Ehrenamt in der Kultur, Bonn 1996; Wiegandt, H.: Berufstätigkeit und Aufstiegschancen von Frauen. Eine (nicht nur) ökonomische Analyse, Berlin 1995; Ernst, S.: Geschlechterverhältnisse und Führungspositionen, Wiesbaden 1998; Goos, G./K. Hansen: Frauen in Führungspositionen. Erfahrungen, Ziele, Strategien, Münster 1999

8) Hall, A./D. Cullen/T. Slack: The Gender Structure of National Sport Organizations, unveröffentlichtes Manuskript 1990; Cameron, J.: Trail Blazers. Women who manage New Zealand Sport, Christchurch 1996; McKay, J.: Managing gender, New York 1997

9) Lorber, J. : Paradoxes of gender, New Haven/London 1994

10) U.a. Mills, A./P. Tancred (Hg.): Gendering Organizational Analysis, Thousand Oaks/London/New Dehli 1997

11) U.a. Ajzen, I./M. Fishbein: Understanding Attitudes and Predicting Social Behavior, Englewood Cliffs 1980; Ajzen, I.: Attitudes, Personality and Behavior, Stony Stratford 1988; Ortmann, G. Et al.: Theorien der Organisation: Die Rückkehr der Gesellschaft, 2., durchgesehene Auflage, Wiesbaden 1997

12) NOK-Befragung: Bericht über den aktuellen Stand der Vertretung von Frauen in den Gremien und sonstigen Funktionen des NOK und seiner Mitgliederorganisationen, Frankfurt/Main und Berlin 2001

13) Umfrage in den Großvereinen des Freiburger Kreises von Sylvia Glander, zit. aus DSB-Presse Nr. 35/28.09.2001, S. 2

14) Winkler, J.: Das Ehrenamt. Zur Soziologie ehrenamtlicher Tätigkeit dargestellt am Beispiel der deutschen Sportverbände, Schorndorf 1988

15) Ebd., S.94

16) Vgl. Beher, K./R. Liebig/T. Rauschenbach: Strukturwandel des Ehrenamts. Gemeinwohlorientierung im Modernisierungsprozess. Weinheim/München 2000, S.174

17) Vgl. Heinemann, K./M. Schubert: Ehrenamtlichkeit und Hauptamtlichkeit in Sportvereinen. Eine empirische Studie zur Professionalisierung am Beispiel eines ABM-Programms, Schorndorf 1992, S.64.

18) Vgl. Rosenbladt, B. von/K. Blanke: Ehrenamt und Freiwilligenarbeit im Sport. In: S. Picot: Freiwilliges Engagement in Deutschland - Freiwilligensurvey 1999 - Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement. Bd. 3: Frauen und Männer, Jugend und Sport, Stuttgart/Berlin/Köln 2000, S. 303-358, hier S.315

19) Winkler 1988, a.a.O.

20) Ebd., S. 94


Prof. Dr. Dr. Gertrud Pfister lehrt am Institute of Sport and Exercise Sciences der Copenhagen University; Dr. Dr. Sabine Meck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Frauen an die Spitze" an der Freien Universität Berlin und freie Wissenschaftsjournalistin

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