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Klaus Holzkamp

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Modernes Bildungsprivileg

15.07.2002: Verknappung von Bildung durch Bildungsgutscheine

  
 

Forum Wissenschaft 3/2002; Titelbild: Andrè Kubin

Neben den Studiengebühren ist es vor allem die Diskussion um sogenannte Studienkonten- oder Bildungsgutscheinmodelle, die zur Zeit die Vorreiterrolle bei den Versuchen der Beschränkung des Hochschulzugangs und -verbleibs spielt. Dieses Ziel soll über die Marktförmigkeit von Bildung erreicht werden, die ihren Preis hat. Damit ein solcher Preis realisiert werden kann, muss erst einmal die Nachfrage das Angebot übersteigen. Und dann wird es natürlich verschiedene Preisklassen geben müssen: Luxus-Bildung und Aldi-Studium. Klemens Himpele beleuchtet die Konsequenzen.

In der Diskussion zur Gesetzesvorlage der 6. HRG-Novelle durch die Bundesregierung tauchen neben dem Hauptthema Studiengebühren auch immer wieder als neu angepriesene Modelle auf, die man schon in den ewigen Jagdgründen gewähnt hatte. Besonders die PolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen1 und der FDP2 plädieren mit innovativem Gestus für sog. Bildungsgutscheine. In dieselbe Kategorie gehört auch das Studienkontenmodell des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Jürgen Zöllner (SPD).

Bildungsgutscheine sollen ein formalisierter und kontingentierter individueller Rechtsanspruch auf Bildungsdienstleistungen etwa an den Hochschulen (aber nicht nur dort) sein. Abrechnungseinheit wäre etwa die Anzahl der belegten Semesterwochenstunden. Dabei ist es zunächst methodisch gleichgültig, ob diese Dienstleistungen staatlich oder privat finanziert werden; beides ist möglich, ebenso eine Mischform. Semesterwochenstunden sollen demnach einen Preis haben, so dass Bildungsgutscheine ein administratives Mittel zur Verknappung von Bildung sind.3 Ziel ist die Konstituierung eines Bildungsmarktes.

Das Konzept der Bildungsgutscheine läßt sich auf die Lehre des US-amerikanischen Ökonomen Milton Friedmann zurückführen.4 Gemeinsames Merkmal der aus dem Friedmanschen Marktkonzept abgeleiteten Modelle ist die Idee, dass Studierende Bildungsgutscheine erhalten oder erwerben und diese an Hochschulen einlösen können. Studierende sollen als NachfragerInnen fungieren, da die Hochschulen die (zunächst) staatlichen Zuschüsse entsprechend der Menge der eingelösten Gutscheine pro Fachbereich erhalten. In diesem Modell verknüpft sich die Steuerung des individuellen Bildungsverhaltens durch (künstliche) Verknappung mit der "leistungsorientierten Mittelvergabe" in der staatlichen Bildungsfinanzierung.

Im Studienkontenmodell aus Rheinland-Pfalz erhalten die Hochschulen für Semesterwochenstunden, die von den Studierenden nicht mehr in der Regelstudienzeit realisiert werden, nur noch den halben Betrag. Der Druck wird hierbei an die Studierenden weitergegeben, da die Hochschulen ihre Finanzierung durch Beschleunigung der Durchschnittsstudienzeit sichern müssen.5 Neu ist diese Idee nicht: "Die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit gediehene Umstellung auf Mechanismen indikatorbezogener Output-Finanzierung bedeutet im Kern, dass tendenziell alle Tätigkeiten an Hochschulen quantifiziert und die Organisationseinheiten […] entsprechend erfolgsorientiert finanziert werden.6

Studieren wie im Supermarkt

Durch die Idee des Nachfrageprinzips werden Bildungsutscheine als allokative Mittel und damit als marktwirtschaftliche Instrumente eingesetzt. Die Konsequenz ist eine systemische Änderung der Hochschulsteuerung. Durch den Einsatz der Gutscheine sollen Studierende über die Qualität der jeweiligen Hochschule befinden. Zu beachten ist hierbei, dass "Qualität" mit der Anzahl der NachfragerInnen gleichgesetzt wird. Im "freien" Spiel des Marktes treffen sich also AnbieterInnen und NachfragerInnen. Die Hochschulen seien daher gezwungen, ihr Angebot zu optimieren, um ausreichend KundInnen zu werben.

In der Marktideologie wird davon ausgegangen, dass sich Angebot und Nachfrage treffen und ausgleichen. Als Auktionator, der für diesen Ausgleich sorgt, fungiert der Preis. Dieser zeigt in der Marktlogik zum einen den Knappheitsgrad, d.h. den Bedarf an und sorgt durch Variation gleichsam als "unsichtbare Hand"7 für einen "geräumten" Markt.

Es ist unbestritten, dass es unterschiedliche Motive für die Aufnahme eines Hochschulstudiums gibt. Daher ist es auch unbestritten, dass unterschiedliche Angebote nachgefragt werden. Durch die Schaffung eines Bildungsmarktes bei Einführung der Gutscheinmodelle sind die auf Nachfrage angewiesenen Hochschulen demnach verpflichtet, verschiedene Angebote zu schaffen. Eine formale Diversifizierung des Angebotes erfolgt. Unterschiedliche Angebote wiederum führen in der Marktlogik zwangsläufig zu unterschiedlichen Preisen. Wäre dies nicht der Fall, würden alle Studierenden zu der besten Hochschule mit dem besten Angebot gehen. Da die betroffene Hochschule ihre Qualität nur halten kann, wenn ein gewisses Lehrenden-Lernenden-Verhältnis nicht überschritten wird, muss eine Zulassungsschranke eingeführt werden. Diese Schranke muss allerdings den Finanzbedarf der Hochschule berücksichtigen. Eine Schranke bedeutet in der Logik der Bildungsgutscheine, dass weniger NachfragerInnen auch Mindereinnahmen mit sich bringen. Was bietet sich in diesem Modell als Schranke also besser an als den Preis zu variieren? Es wird zu Hochschulen mit dem Qualitätsmerkmal "billig" und zu welchen mit dem Merkmal "Hohe Qualität der Lehre" kommen. Es wird also Aldi-Hochschulen und Feinkost-Käfer-Hochschulen geben. Zusätzlich führt das Bildungsgutscheinsystem zu einer Unter- oder Nichtfinanzierung von "schlechten"8 Hochschulen, bis hin zu deren Schließung und dem damit verbundenen Wegfall von Studienplätzen. Die Systemänderung von einem öffentlichen Bildungssystem hin zu einem durch Marktmechanismen gesteuerten Angebots-Nachfrage-System führt auf Dauer zwangsläufig zu den beschriebenen Diversifizierungen in Preis und Leistung, so dass die Qualität der eigenen Bildung vom Geldbeutel abhängt.9

Künstliche Verknappung

Hierbei sei angemerkt, dass die hier angestrebte "Qualität" - rein quantitatv definiert über die Anzahl der NachfragerInnen - natürlich mit dem Ruf des jeweiligen Bildungsanbieters zusammenhängt und wenig über die objektive Qualität, so den umfassenderen gesellschaftlichen Gebrauchswert der jeweiligen Wissenschaftsangebote, aussagt. Es kann unterstellt werden, dass die Hochschulen daher einen nicht unwesentlichen und künftig noch wachsenden Teil ihres Finanzaufkommens in Marketingmaßnahmen - "Profilbildung" heißt dies neuerdings - stecken werden, bei denen der äußere Schein wichtiger ist als die Substanz. Dieser Werbeetat wäre besser in Lehre und Forschung aufgehoben, wo er abgezweigt werden muss.

Wenn an den Hochschulen über Bildungsgutscheine der Marktmechanismus regieren soll, kann die Politik keine Vorschriften mehr über die Verteilung der Studierenden machen, etwa um diese Verteilung mit gesellschaftlichen Zielsetzungen (Chancengleichheit) zu verbinden. An einem Markt versuchen AnbieterInnen (die Hochschulen) und NachfragerInnen (die potenziellen Studierenden) zu einer Übereinkunft zu kommen. Das heißt, potenzielle Studierende suchen die Hochschule, die ihren Wünschen am ehesten entspricht (und die sie sich leisten können). Damit sind staatliche Eingriffe beispielsweise über die Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) hinfällig. Diese Zentralstelle hatte in ihrer ursprünglichen Funktion nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Aufgabe dafür zu sorgen, dass das Recht auf einen Studienplatz, das man mit dem Abitur erwirbt, auch eingelöst werden kann. Über die Kapazitätsverordnung (KapVO)10 sollte gesichert werden, dass die Aufteilung auf Hochschulen ungefähr proportional erfolgt und dass der Mangel an Studienplätzen möglichst gut verwaltet werden kann. Diese Mechanismen, ursprünglich eingeführt, um die erhöhte Bildungsbeteiligung und Chancengleichheit unter Bedingungen der Überlast der Hochschulen zu gewährleisten, lassen sich im Bildungsgutscheinmodell nicht aufrechterhalten. Sollen die Hochschulen nach ihrer Attraktivität - gemessen in Gutscheinen - finanziert werden, dann kann man ihnen nicht per ZVS vorschreiben, wie viele Studierende sie zum Fach XY zuzulassen haben. Die vermeintliche formale Wahlfreiheit der Studierenden in ihrer neuen KundInnenrolle wird dadurch wieder aufgehoben, dass sich Bildungsbeteiligung nicht mehr über Rechtsanspüche reguliert, sondern in der Kontrolle der einzelnen Hochschulen über verschiedene Arten von Eignungstests erfolgt.

Nur wenn ein Gut knapp ist, gibt es einen Preis dafür und damit auch einen potenziellen Markt.11 Da das Studium mit Bildungsgutscheinen bezahlt werden soll, gehen die VerfechterInnen dieses Modells also davon aus, dass Bildung ein knappes Gut ist (oder dazu gemacht werden muss). Dies ist schon insofern bemerkenswert, als dass Bildung ein nicht-konkurrierendes Gut ist.12 Das heißt, dass z.B. "eine qualitative Besonderheit des Gutes "Information" [darin] besteht […], dass die Information nicht verschwindet, wenn sie konsumiert wird; sie ist für Produzenten wie Konsumenten und übrige Interessierte dann immer noch da".13

Es handelt sich im Gutscheinmodell augenscheinlich um eine künstliche Verknappung, welcher die Annahme zugrunde liegt, dass nur eine gewisse Anzahl an Personen mit Hochschulbildung erforderlich ist. Es geht um die Steuerung der Elitenbildung durch die Anzahl der Bildungsgutscheine. Wer dazugehören darf, wird durch verschiedene, gleichzeitig einsetzende Mechanismen geregelt; nicht zuletzt über den (familären oder individuellen) Geldbeutel bzw. ein Sponsoring der jeweils aktuell amtierenden Elite (Stipendien), schließlich ist Geld erforderlich, um über ein staatlich garantiertes Mindestkonto hinaus Gutscheine erwerben zu können.

Systemimmanente Probleme

Wenn Studierende zu autonom entscheidenden KundInnen werden sollen, dann muss ein gewisses Maß an Markttransparenz gegeben sein. Diese im Hochschulsektor zu gewährleisten dürfte schwierig werden, schon aufgrund der unklaren Kriterien. Vielmehr werden zahllose Rankings und sonstige Pseudo-Messinstrumente für Steuerung herhalten müssen. Beliebte Kriterien sind auch z.B. Einwerbung von Drittmitteln, Abschlüsse pro DozentIn, Durchschnittstudiendauer etc. Was diese und andere Messinstrumente mit Qualität, geschweige denn mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen zu tun haben, sei dahingestellt.14 Klar ist jedoch, dass diese Rankings die Entscheidungen bei der Wahl des Studienortes potenzieller Studierender maßgeblich mit beeinflussen wird, da eine vollständige Markttransparenz als Entscheidungskriterium nicht existiert.

Ein weiteres Problem ist die Flexibilität und Mobilität. Wenn einem das Bier in Kneipe A zu teuer ist, geht man in Kneipe B. Das kann bei Hochschulen nicht funktionieren, da man nicht mal eben die Hochschule wechseln kann. Damit ist der von den VertreterInnen der Marktideologie propagierte Vorteil der Nachfragerautonomie hinfällig. Wenn die gewünschte Abstimmung mit den Füßen nicht oder nur begrenzt durchführt werden kann, wird auch der Steuerungseffekt reduziert

Wie bereits erwähnt, will der Staat die Finanzierung der Hochschulen über die Bildungsgutscheine oder -konten abwickeln. Dabei sind verschiedene Modelle im Gespräch. Zum einen etwa Überlegungen, nach absoluter Anzahl der Studierenden zu bezahlen. Dass dies den gewünschten Effekt der Verkürzung der Studienzeit konterkariert, ist klar. Die Hochschule hätte ein Interesse, die Studierenden möglichst lange zu halten, was sie z.B. durch hohe Durchfallquoten gewährleisten kann. Verknüpft man hingegen die Finanzierung mit der Anzahl der in der Regelstudienzeit realisierten Veranstaltungen, so wird es zu einer Reduzierung der Inhalte kommen, da die Hochschulen zur Verbesserung ihrer Finanzierung die Studierenden durch das Studium jagen müssen. Diese Verknüpfung (wie in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geplant15) wird auch zu einer Verdrängung der herkömmlichen Magister-, Lehramts-, und Diplomstudiengänge zu Gunsten der konsekutiven (BA/MA) Studiengänge führen.16 "Als problematisch ist zudem anzusehen, dass Studierende, die auf Grund ihrer Lebensumstände ihr Studium über einen längeren Zeitraum ausdehnen müssen oder die weniger gut mit dem Studium zurecht kommen, für die Hochschulen uninteressant werden, weil sich ihr Studium zwischen dem Ende der Regelstudienzeit und dem Erreichen der doppelten Regelstudienzeit für die Hochschulen nicht rentiert. […] Finanziell interessant werden die Studierenden erst wieder mit dem Überschreiten der doppelten Regelstudienzeit, wenn sie Studiengebühren entrichten müssen."17

Bildungsgutscheine bzw. Studienkonten hätten auch irreversible Konsequenzen für die inhaltliche Ausgestaltung des Wissenschaftssystems und für das wissenschaftliche Personal.

Wenn die Hochschullandschaft über einen Bildungsmarkt geregelt wird, sind die BildungsträgerInnen darauf angewiesen, ihre Finanzierung durch Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition zu sichern. Nach der Logik des Marktes erhalten sie dieses Geld über das Eintreiben von Bildungsgutscheinen.18 Die Hochschulen sind demnach darauf angewiesen, ein Angebot zu schaffen, dass viele NachfragerInnen anzieht. Konsequenz daraus ist, dass bei den angebotenen Fächern nicht mehr der Nutzen der Gesellschaft, sondern der pure Verwertungsstandpunkt im Mittelpunkt steht. Als NachfragerInnen werden die Studierenden dazu stiumuliert, "gute" Studiengänge nachzufragen, was in der Marktlogik nur "ökonomisch am besten verwertbar" heißen kann. Massenstudiengänge wie BWL werden weiterhin angeboten werden, da die Hochschulen hier genügend Bildungsgutscheine verdienen können. Fächer, die nicht mitten im Trend liegen, fallen dabei unter den Tisch. Die Auswahl der angebotenen Studiengänge wird nur noch über die verschiedenen Ebenen der Gewinnmaximierung vorgenommen. "Eine Gesellschaft, die sich ein kostenloses Studium nicht leisten will, muss auch eine Gesellschaft sein, die bereit ist, auf gemeinnützige Berufe […] zu verzichten."19

Soll es schließlich zu einer Abstimmung mit den Füßen über Hochschulen und Studiengänge kommen, muss es den Hochschulen auch möglich sein, die Anzahl ihrer Beschäftigten je nach Nachfrage zu variieren. Da das Beamtenrecht den ProfessorInnenstand vor solcher Flexibilisierung schützt, darf geschlussfolgert werden, dass die Anpassung an die jeweilige Nachfrage nur durch eine weitere Prekarisierung der Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Mittelbaus im Sinne des "Hire-and-Fire"-Prinzips vorgenommen werden kann. Eine dauerhafte Arbeit an einem Thema - insbesondere wenn sich dies nicht unmittelbar oder mittelbar ökonomisch verwerten lässt - ist nicht mehr gesichert, da ständig die Gefahr einer Entlassung oder einer Umlenkung der Finanzströme auf attraktivere Themen droht.

Chancengleichheit?

Die viel zitierte PISA-Studie hat vor allem aufgezeigt, dass die soziale Selektion im Bildungssystem nirgends in der OECD so groß ist wie in Deutschland.20 Unbestritten ist, dass diese Selektion überwiegend schon in der Schule stattfindet. Nichtsdestoweniger wird sie im Hochschulzugang fortgesetzt. Sie würde sich bei der Einführung von Bildungsgutscheinen weiter verschärfen. Es "ergibt sich eine fallende Studiennachfrage in Abhängigkeit von den Studienkosten, d.h. die Studiennachfrage wird ceteris paribus21 um so geringer sein, je höher die Kosten des Studiums sind".22 Zusammenfassend lässt sich zu diesem Aspekt sagen, dass zum einen die Diversifizierung nach Preis und Qualität (bzw. Ruf der Hochschule) und zum anderen die unvermeidliche Privatisierung der Zulassungsbestimmungen zu einer weiteren Ausgrenzung von Studienwilligen aus sozial schwachen Familien führen wird. Ebenfalls kritisch hinterfragt werden muss, was mit den angeblich "schlechten" Hochschulen passiert, die ja nach der Bildungsgutschein-Logik nicht mehr finanziert würden. Es steht zu befürchten, dass es zu einer weiteren Verknappung des Bildungsangebotes kommen wird. In der Marktlogik heißt dies, dass der Preis der Bildung weiter steigen und damit die soziale Selektion zunehmen würde.

Die für Bildung zuständigen LänderministerInnen Behler (Nordrhein-Westfalen, SPD), Erdsieck-Rave (Schleswig-Holstein, SPD) und Zöllner (Rheinland-Pfalz) verkaufen zusammen mit ihren Koalitionspartnern (Grüne und FDP) das Studienkontenmodell als erfolgreiche Strategie zur Verhinderung von Langzeitstudiengebühren. Studienkonten können als eine Variante des Bildungsgutscheinmodells aufgefasst werden. Ihre Einführung hätte vermutliche eine irreversible Kettenreaktion des markt- und wettbewerbsgetriebenen Hochschulumbaus zur Folge.

Letzten Endes bewirken Bildungsgutscheine die endgültige Beerdigung der Gremienhochschulen, da die Bildungsanbieter zu profitorientierten Unternehmen umgestaltet werden. Hier geht es nicht um die demokratische Aushandlung gesellschaftlich relevanter Lehre und Forschung, sondern um eine KundInnenbeziehung. Erwarten kann die Kundin / der Kunde eine Ausbildung, die als Investition in das eigene Humankapital verstanden wird. Je besser diese Ausbildung ist, desto größer ist der zu erwartende return on investment, dass heißt, das zu erwartende spätere Einkommen. Leitbild ist das des "Unternehmers seiner eigenen Fähigkeiten".23

Die Stellung der Studierenden wäre selbst gegenüber der heutigen Gruppenhochschule mit ihren rudimentären Mitbestimmungsmöglichkeiten deutlich einflussloser. Als KundInnen wären sie nicht souveräner, sondern abhängiger von einer fremdbestimmten bzw. anonym sich vollziehenden Bildungsökonomie.


Anmerkungen

1) In einem Grundsatzbeschluss der grünen Bundestagsfraktion zur Hochschulpolitik vom 26.11.2001 heißt es: "Um die Hochschulen zu einer Verbesserung der Studienbedingungen zu bewegen, plädieren wir für die Einführung von Bildungsgutscheinen." www.gruene-fraktion.de/ext/publikationen/ls/ls14-47.pdf. (eingesehen am 20.03.02)

2) Vgl. etwa: "Ein System der Bildungsgutscheine, wie Herr Loske sie jetzt vorschlägt, haben wir bereits vor mehr als einem Jahr als konkretes Modell in den Bundestag eingebracht. Unserem Modell der Bildungsschecks hätten die Grünen zustimmen können. Damit hätten wir bereits heute eine Stärkung der Nachfrageposition der Studierenden." mdb.liberale.de/fraktion/aktuelles.php?id=33231, eingesehen am 26.03.02

3) vgl. Ball, Stephen im Interview mit Jürgen Klausnitzer: Zunehmende Ungleichheit, in: Forum Wissenschaft 2/2002, S.38-41

4) Friedman, Milton: The Role of Government in Education. In: R.A. Solo (Ed.): Economics and the Public Interest. New Brunswick 1955, ders.: Capitalism and Freedom. Chicago/London 1962, S. 85-107

5) Vgl.: Weber, Silke/Himpele, Klemens/Schneijderberg, Christian: Warum Studienkonten Studiengebühren sind, in: Aktionsbündnis gegen Studiengebühren ABS (Hrsg.), Zeitung gegen Studiengebühren Nr.6, Bonn 2002

6) Bultmann, Torsten/Weitkamp, Rolf: Hochschule in der Ökonomie. Zwischen Humboldt und Standort Deutschland, Marburg 1999, S.42

7) "Invisible Hand", ein Begriff, den der Ökonom Adam Smith (1723-1790) für die markträumende Funktion des Preises prägte. "Die "unsichtbare Hand", der Preismechanismus, führt trotz oder gerade wegen der eigennützigen und individualistischen Handlungsweise der einzelnen zu einer Koordination ihrer Wirtschaftspläne." (aus: Felderer, Homburg: Makroökonomik und neue Makroökonomik, 7. Auflage, Berlin/Heidelberg 1999, S.23f.)

8) Ich bleibe hier in der Marktlogik. "Schlecht" heißt: Wenig nachgefragt.

9) Es spielt systemisch hier keine Rolle, dass die Bildungsgutscheine zunächst vom Staat gestellt werden sollen. Die Differenzierungen werden sich im Zweifel in "Schwarzmarktpreisen" niederschlagen, dass heißt in Tauschbörsen oder ähnlichem.

10) Die Kapazitätsverordnung ist Kernstück des Staatsvertrages zur Begründung der ZVS. Der Staatsvertrag war die Konsequenz des so genannten Numerus-clausus-Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1972, das besagt, dass grundsätzlicher jede Person mit Hochschulreife das Recht auf einen Studienplatz hat.

11) Ein Beispiel: Luft ist kein knappes Gut, weswegen es auch keinen Preis dafür gibt. Anders ist dies beim Gold, ebenfalls ein Naturprodukt. Dieses Gut ist knapp, dass heißt es gibt eine unbefriedigte Nachfrage. Deshalb sind Menschen bereit, einen Preis für Gold zu bezahlen.

12) Unter einem nicht-konkurrierenden Gut versteht man Güter, die mehrfach genutzt werden können. Ein Beispiel: Ein Brötchen ist ein konkurrierendes Gut. Wenn Person A das Brötchen isst, ist es für Person B nicht mehr zu haben. Wissen hingegen ist ein nicht-konkurrierendes Gut: Wenn Person A weiß, dass 2+2=4 ist, dann kann sie das Person B erklären, ohne selber auf dieses Wissen verzichten zu müssen.

13) Lohmann, Ingrid: Bildungspolitik am Ende der Moderne, in: Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft (spw), Ausgabe 5/2001, S.16-19, hier S.18

14) vgl. Bultmann/Weitkamp, a.a.O., S.32-38

15) Im geplanten Studienkontenmodell sollen die Hochschulen für in der Regelstudienzeit realisierte Veranstaltung doppelt so viel Unterstützung erhalten wie für Veranstaltungen, die vom Studierenden erst nach der Regelstudienzeit realisiert werden.

16) Da Bachelor und Master im Gesetzesentwurf der 6. HRG-Novelle den herkömmlichen Abschlüssen rechtlich in nichts nachstehen ist zu befürchten, dass Studierende durch ökonomischen Druck in diese Studiengänge gepresst werden sollen. Dies ist umso verwerflicher als diese Studiengänge die "KundInnen" Studierenden bisher qualitativ nicht überzeugen konnten. vgl. hierzu auch: Weber/Himpele/Schneijderberg 2002, a.a.O.

17) Husberg, Volker: Zweifel am Sinn des Studienkontenmodells, in: Uni Siegen aktuell 1/2002, S.7-9, hier S.8

18) Systemisch spielt es hierbei keine Rolle, ob der Staat den Hochschulen Geld für die Gutscheine gibt oder ob die Finanzierung direkt über Studiengebühren läuft.

19) Turner, Eddie: Englischer Eiertanz; in: Aktionsbündnis gegen Studiengebühren ABS (Hrsg.), Zeitung gegen Studiengebühren Nr. 6, Bonn 2002

20) vgl. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (Hrsg.): PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde, Berlin 2001, S.33ff

21) Unter sonst gleichen Umständen

22) Nagel, Bernhard/Jaich, Roman: Bildungsfinanzierung in Deutschland - Analyse und Gestaltungsvorschläge. Endbericht an die Max-Träger-Stiftung, Kassel 2002, S.172

23) Peter, Horst/Rünker Reinhold/Rünker, Gesa : Bildung forever?, in: Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft (spw), Ausgabe 5/2001, S.14-15, hier S.14


Klemens Himpele studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und ist Bildungspolitikreferent des dortigen AStA

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