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Von der Frauenförderung zur Frauenverpflichtung

15.12.2003: Frauenpolitische Anmerkungen zur Reform des Arbeitsmarktes

  
 

Forum Wissenschaft 4/2003; Titelbild: E. Schmidt

Diskriminierungen von Frauen im Erwerbsleben finden ihre Fortsetzung in der Arbeitsmarktpolitik. Wenn sie wenig verdient haben, erhalten sie auch nur geringere Lohnersatzleistungen und wenn sie verheiratet sind, fallen sie nach Ablauf der beitragsabhängigen Leistungen völlig aus der sozialen Sicherung heraus. Die Umsetzung des "Hartz-Konzepts" wäre eine gute Gelegenheit gewesen, frauendiskriminierende Regelungen über Bord zu werfen und Gender Mainstreaming zu realisieren. Leider ist das Gegenteil herausgekommen, so Hannelore Buls, deren Beitrag sich mit den Auswirkungen des 3. und 4. Gesetzentwurfes infolge des "Hartz-Konzeptes" für Frauen beschäftigt.

Wohin die Reise bei der Neuausrichtung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) gehen würde, wurde bereits kurz nach der Bundestagswahl 2002 deutlich, als die Ministerien für Wirtschaft und Arbeit zusammengelegt und "Superminister" Clement berufen wurde: Arbeitsmarktpolitik wird nunmehr - obwohl immer noch beitragsabhängig - als Teil der Wirtschaftspolitik betrieben. Die BA erfährt eine unternehmensähnliche Umgestaltung, wofür auch die Umbenennung in Bundesagentur stehen soll. Sie orientiert sich vorrangig am Zurückfahren sozialer Transferleistungen und am Wirtschaftswachstum. Zu den bisher bekannten arbeitsmarktpolitischen Zielen tritt daher die "Senkung der Lohnnebenkosten" hinzu. Damit wird ein umstrittenes Erklärungsmodell für wirtschaftliche Stagnation und hohe Arbeitslosigkeit (dass nämlich die vermeintlich zu hohen Lohn(neben)kosten ursächlich seien) zu einem Grundpfeiler der Neuausrichtung erhoben. Zahlreiche Neuerungen wirken sich geschlechtsspezifisch unterschiedlich aus, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.1

Persönliches Pech

Die beabsichtigte Kürzung der beitragsabhängigen Zahlung von Arbeitslosengeld (ALGI) auf 12 Monate bedeutet in Verbindung mit den scharfen Anrechnungsvorschriften eine kurze und schnelle Talfahrt auf das Niveau der Sozialhilfe oder den Ausstieg aus dem System. Die bisherige beitragsabhängige Arbeitslosenhilfe entfällt und wird durch ein bedürftigkeitsgeprüftes Sozialeinkommen (ALGII) ersetzt, dessen Höhe der der Sozialhilfe entspricht. Ein Jahr nach dem Verlust des Arbeitsplatzes ist die wirtschaftliche Zukunft somit ein Fall für die "neue" staatliche Fürsorge oder "Privatsache". Dabei spielt auch eine Rolle, dass damit die Möglichkeiten der Arbeitsförderung (z.B. Unterhaltsgeld, Trainingsmaßnahmen, Kurzarbeitsgeld) in der Frist von 12 Monaten bereits enthalten sind. Zu dieser "Philosophie" passen auch arbeitsamtsfinanzierte Einstiegschancen für Berufsrückkehrerinnen nicht mehr: Wer nicht versichert war, hat das selbst so entschieden oder Versäumnisse begangen - eine Konsequenz aus der "persönlichen Entscheidungsfreiheit", der Kunden-Ideologie im "Hartz-Konzept".

Die Anrechnungs- und Bedürftigkeitsprüfungsregeln im neuen zweiten Buch des Sozialgesetzes2 (SGBII) führen dazu, dass Frauen häufiger als Männer aus dem System herausfallen. Sie sind dann auf die private Versorgung durch einen Partner angewiesen und aus der Vermittlung ausgeschlossen - auch bei langjähriger Beitragszahlung. Frauen unterliegen aufgrund ihrer niedrigeren Einkommen (im Verhältnis zu den Einkommen ihrer Lebenspartner) häufiger der Partnereinkommensanrechnung.

Schon vor Januar 2003 erhielten 40% der arbeitslosen Frauen keine Leistungen der Arbeitslosenhilfe aufgrund der Partnereinkommensanrechnung. Diese Zahl hat sich nach Angaben des BMWA im ersten Halbjahr 2003 um ca. 100.000 (= zwei Drittel der Hinzugekommenen ohne AlHi) erhöht. Aufgrund der jetzigen Neuregelung wird eine drastische Ausweitung erwartet, mit der Konsequenz, dass entweder die Arbeitslosigkeit bei Frauen mit verdienendem Partner nach 12 Monaten "beendet" ist oder die Frauen arbeitslos im Sinne des ALGII bleiben, wenn ihr Mann arbeitslos ist. Wer keine Leistungen vom Arbeitsamt erhält, wird bereits jetzt nicht oder nur in sehr geringem Umfang betreut und vermittelt. Diese stillschweigende Diskriminierung resultiert aus der "bevorzugten Vermittlung des Familienvorstandes," wie es in den Entwürfen zum "Hartz-Konzept" noch hieß, in der Endfassung aber weggelassen wurde. Die Philosophie wurde dennoch aufgegriffen und umgesetzt. Die tatsächliche Wirkung dieser Bestimmungen kann im Moment frauenpolitisch noch nicht abgeschätzt werden, da hier praktisch ein Systemwechsel stattfindet. Die konsequente Forderung lautet hier: Eigenständige Betrachtung individueller Ansprüche und Vermeiden von Abhängigkeiten für Frauen. Da das SGBII die Zahlung von ALGII jedoch bedürftigkeitsabhängig gestaltet, ist nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung für eine solche Anrechnung individuell erworbener Ansprüche zu gewinnen sein wird. Es ist vorgesehen, das Subsidiaritätsprinzip, nach dem die "staatsferne" Versorgung durch Familie oder Partnerschaft Vorrang hat, voll anzuwenden, ungeachtet der Versicherungszeiten.

An prominenter Stelle im §1 des neuen SGBII wird ausdrücklich die Gleichstellung von Männern und Frauen als durchgängiges Prinzip benannt. Geschlechtsspezifischen Nachteilen von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ist entgegenzuwirken, familienspezifische Lebensverhältnisse von Erwerbsfähigen, die Kinder erziehen und Angehörige pflegen, sind zu berücksichtigen. Die ungleiche Situation von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt wird so für den Bereich der Leistungsgewährung in bestimmten Fällen anerkannt, und zwar im Nachteilsausgleich aus geschlechtsspezifischen Gründen und in der Anerkennung familiärer Verpflichtungen.

Grundsätzlich greift Hartz-IV (SGBII) mit der Definition von "Gleichstellung als durchgängiges Prinzip" die bisherige Linie des SGBIII (§1 Abs.1) auf. Im Gegensatz zum Recht der Arbeitsförderung geht es aber im SGBII um die Gewährung einer staatlichen Fürsorgeleistung bzw. vorrangig um deren Vermeidung durch "Motivation" zur Arbeitsaufnahme. Aufträge zur Frauenförderung und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleiben außen vor. Gleichstellung bedeutet in Bezug auf die Fürsorgeleistung des ALGII nicht "Chancengleichheit herstellen oder verbessern" bzw. Gender Mainstreaming als Managementstrategie anzuwenden (im Sinne einer Prüfung von unterschiedlichen Wirkungen auf Männer und Frauen). Frauen und Männer sollen lediglich gleich behandelt werden, es sei denn eine/r von ihnen erzieht ein Kind, pflegt Angehörige oder leidet unter "geschlechtsspezifischen Nachteilen" auf dem Arbeitsmarkt. Letzteres wird im weiteren Gesetzestext nicht wieder aufgegriffen und bleibt damit vage.

In der Fürsorgeleistung ALGII wird "Gleichstellung" damit bedeuten, dass Frauen gleichermaßen eine Arbeitsverpflichtung auferlegt wird. Und das nicht nur, wenn sie einen eigenen Anspruch auf ALGII haben. Auch bei einem von ihrem arbeitslosen Mann abgeleiteten ALGII (Sozialgeld) kann sie zur Erfüllung der Unterhaltspflichten in der "Bedarfsgemeinschaft" durch eigene Arbeitsaufnahme verpflichtet werden, wenn der Mann nicht eingegliedert werden kann (oder will). Für den Teil der staatlichen Fürsorgeleistung findet in der Arbeitsmarktpolitik damit ein Zielwechsel von der "Frauenförderung" aus dem SGBIII zur "Frauenverpflichtung" statt. Unsere Kritik richtet sich hier nicht darauf, dass Frauen erwerbstätig sein sollten. Das konservative Familienbild wird generell bestätigt und nur dann durchbrochen, wenn die Familie sich nicht mehr aus eigenen Mitteln finanzieren kann.

Familienbild: Versorgerehe

Gleichzeitig wird eine Abhängigkeit innerhalb der Familie angenommen: §38 des SGBII legt fest, dass als "Vertretung der Bedarfsgemeinschaft" gilt, wer die Leistungen beantragt und dass diese/r berechtigt ist, Leistungen auch für die mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft Lebenden zu beantragen und entgegenzunehmen. Das wird in Familien mit erwerbslosen (Ehe-)Frauen in der Regel der männliche "Ernährer" sein. In §15 wird zudem klargestellt, dass die BA die vorrangige Bemühung zur Eingliederung dem Vertreter der Bedarfsgemeinschaft angedeihen lässt und dass in Abhängigkeit davon andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einbezogen werden: §15 Abs.2 besagt, dass dessen Eingliederungsvereinbarung auch festlegen kann, "welche Leistungen (zur Eingliederung) die Personen erhalten, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben." Die Vereinbarung kann im Zweifel durch Verwaltungsakt festgelegt werden.

Hierin wird die "Familienfreundliche Quickvermittlung für den Familienvorstand" wiederholt, die von ver.di bereits bei Erstellung des "Hartz-Konzeptes" abgelehnt wurde. Frauen müssen, wenn sie über die Zugehörigkeit in einer Bedarfsgemeinschaft Leistungen erhalten, eine eigenständige Behandlung beim Arbeitsamt erfahren und ihre Eingliederungsvereinbarungen selbst gestalten und abschließen sowie Geldleistungen selbst entgegennehmen können. Alles andere bedeutet eine krasse Hierarchisierung zuungunsten von Frauen in Partnerschaften, die nur dadurch durchbrochen wird, dass die Frau ihre Unterhaltspflicht erfüllen muss.

Die einzige positive Wendung, die der zweite Entwurf des Hartz-III-Gesetzes genommen hat, ist eine Verpflichtung für die Jobcenter, Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen bzw. durch Dritte erstellen zu lassen. Obwohl ausreichende Kinderbetreuung für Mütter immer noch die elementare Voraussetzung für Erwerbstätigkeit ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere frauenfördernde Maßnahmen der Arbeitsvermittlung wegfallen sollen und die wenigen positiven Leistungen für Frauen eigentlich Leistungen für die Familie sind.

Der §16 Abs.2 sagt unter 6., dass zur Eingliederung Gelegenheiten zu fördern sind, wo der "erwerbsfähige Hilfebedürftige" zu "im öffentlichen Interesse liegenden Arbeiten" heranzuziehen ist. Arbeitslose sind nach SGBII verpflichtet, jede Arbeitsgelegenheit anzunehmen, wobei insbesondere die Ablehnung der Arbeit im öffentlichen Interesse als sanktionswürdig herausgestellt wird. Die ver.di Frauen haben bereits gefordert, dass soziale Tätigkeiten, z.B. Kinderbetreuung, Altenpflege und Gartenamt auf kommunaler Ebene weiterhin als tarifgerecht bezahlte, arbeitsvertraglich geregelte und sozialversicherte Arbeit bewertet und erhalten bleiben müssen. Mit der vorgenannten Vorschrift kann dieser Grundsatz in großem Stil umgangen werden. Da die Begründung eines Arbeitsverhältnisses für solche Arbeiten ausgeschlossen wird (Arbeitslose also arbeitslos bleiben) und die Kommunen im Falle der Verfügbarkeit von zahlreichen billigen "Einzugliedernden" für diese Arbeiten kaum mehr reguläre Arbeitsplätze einrichten werden, werden Rückkehrchancen in den ersten Arbeitsmarkt faktisch gleich null sein. Im Gegenteil. Die Arbeitsmarktsituation von Frauen wird noch verschlechtert, weil wesentliche frauentypische Berufe als Erwerbsquelle gefährdet sind. Die vorgesehene generelle Anwendung dieser Arbeitserprobung unterstellt zudem, dass Arbeitslose - wie es das BSHG für Einzelfälle voraussetzt - an Arbeit gewöhnt werden müssten.

In den §§7 und 14 wird definiert, dass Leistungen mit dem Ziel gezahlt werden, die Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern, also zur Arbeitsaufnahme führen sollen. Die Bedeutung dieser Paragraphen wird bei Betrachtung des §10 klar, der besagt, dass dazu "jede Arbeit zumutbar" ist, auch solche mit niedrigen Verdiensten, niedrigerem Ansehen, in größeren Entfernungen und ausbildungsfremden Tätigkeiten. Zumutbar sind damit auch unversicherte Tätigkeiten: auch sie tragen dazu bei, die Hilfebedürftigkeit zu verringern. Als nicht zumutbar gilt nur, wenn die Erziehung von Kindern gefährdet wird. Allerdings wird jeweils die gesamte Bedarfsgemeinschaft einbezogen, so dass vermutlich nur Alleinerziehende diese Regel in Anspruch nehmen können.

Mit der Schärfe der Zumutbarkeitsregeln und der Schnelligkeit und Konsequenz von Sanktionen wird der finanzielle Abstieg durch einen beruflichen Abstieg flankiert, der von der Bundesregierung beabsichtigt oder zumindest akzeptiert zu sein scheint. Hierin wird ein besonderes Druckmittel gesehen, mithilfe dessen entweder die Entwicklung eines Niedriglohnsektors gefördert wird oder das verstärkt zum "freiwilligen" Ausstieg aus dem System führen kann. ExpertInnen aus der Sozialhilfepraxis vermuten, dass gerade die Geschwindigkeit des sozialen und beruflichen Abstiegs dazu führen wird, dass Arbeitslose "freiwillig" keine Leistungen von der BA mehr beanspruchen - sofern sie es sich "leisten" können. Der direkte Rückgriff auf die Versorgung in der Familie oder der Verwandtschaft wird als der würdevollere Weg angesehen, ohne sich die eigene Abhängigkeit vorher von der BA berechnen zu lassen. Zusätzlich zu denjenigen, die aufgrund der Anrechnung der Partnerschaftseinkommen ausscheiden, werden so zahlreiche weitere Arbeitslose aus dem System aussteigen, auch wenn sie keine existenzsichernde Beschäftigung gefunden haben.

Neue Rollenkonflikte

Die Berechnung von Regelsätzen und Freibeträgen für den Hinzuverdienst wird dazu führen, dass ALGII nicht mehr gezahlt wird, wenn ein/e Verdiener/in in der Familie vorhanden ist. Die Grenzen sind so niedrig angesetzt, dass beispielsweise bei einem (Ehe-)Paar der Nettoverdienst von etwa 700 Euro ausreicht, um einen ALGII Anspruch (ohne Wohngeld) nicht mehr begründen zu können. Frauen, die mit einem verdienenden Mann zusammenleben, werden kaum noch Gelegenheit haben, ALGII zu beanspruchen. Ganz im Sinne des Prinzips der Gleichstellung, wie es im neuen SGBII verwendet wird, bedeutet das für Männer das gleiche. Schon wenn die Frau einen so genannten Minijob mit bis zu 800 Euro Monatsverdienst hat oder beide jeweils eine geringfügige Beschäftigung ausüben, wird er keinen Anspruch auf ALGII haben.

Da, anders als in der bisherigen Arbeitslosenhilfe, in der Anrechnung die Grenze zur geringfügigen Beschäftigung unterschritten wird, werden zusätzliche Wirkungen bei (Ehe-)Partnern (männlich) eintreten, wo das bisher als Zuverdienst verstandene Einkommen der Frau tatsächlich dem Verdienst der Familie entsprechen wird. Die Ausrichtung auf familiäre Abhängigkeit wirkt im Bereich des SGBII für Männer gleichermaßen. Die Situation für die Bedarfsgemeinschaft ist in Fällen, in denen Frauen mit niedrigem Einkommen arbeiten, wahrscheinlich noch prekärer und führt - soziologisch betrachtet - dazu, dass auch für Männer ein neuer Rollenkonflikt entsteht.

Zynisch könnte man bemerken, dass der Begriff der Versorgerehe hier ideologisch aufgebrochen wird und so neue Anreize für Frauen entstehen, sich einen tariflich bezahlten und versicherten Job zu suchen. In Anbetracht der Lage auf dem Arbeitsmarkt bedeutet die neue Anrechnungspraxis jedoch faktisch ein Leben auf Sozialhilfeniveau nach 12 Monaten Arbeitslosigkeit oder familiäre Abhängigkeit, egal wie viel ein/e Beschäftigte/r vorher verdient und an Beitragsleistungen in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat.

An dieser Stelle ist nochmals die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung und die Einführung der Gleitzone kritisch zu hinterfragen. Zum 1.4.2003 wurde in der geringfügigen Beschäftigung die Wochenstundenbegrenzung aufgehoben, so dass versicherungsfreie Beschäftigung jetzt auch mit mehr als 15 Wochenstunden möglich ist. Wer beispielsweise 18 Wochenstunden arbeitet, dabei nach den neuen Möglichkeiten aber auch nur 400 Euro monatlich verdient, ist im Sinne des SGBII erwerbstätig - auch ohne Versicherungsschutz. Der neue Regelsatz für ALGII wird bei 300 Euro monatlich liegen und ist damit überschritten. Nach Ablauf der 12-Monatsfrist ist der Zugang zur versicherten Tätigkeit nur mit Arbeitsvermittlung als "Kannleistung" oder aus eigener Kraft zu erreichen. Wichtig ist aus ver.di-Sicht, dass der Anspruch auf eine versicherte Tätigkeit erhalten bleibt und dass Beschäftigte, die zur Minderung ihrer Hilfebedürftigkeit eine versicherungsfreie Beschäftigung annehmen, dennoch voll in die Vermittlung und die Leistungen der BA aufgenommen werden.

Für die Umsetzung des Regierungswillens in praktische Politik spielt der Umbau der BA ein wesentliche Rolle. Bundesregierung und BA legen künftig Ziele, Inhalt und Bedingungen der BA-Tätigkeit durch Vereinbarung fest. Der BA werden mit diesem "Kontraktmanagement" eine erhöhte Ergebnisverantwortung und ein höherer Erfolgsdruck in der Beschäftigungs- und Sparpolitik übertragen. Für den Bereich der beitragsfinanzierten Leistungen werden für den Haushalt der BA bereits ab 2004 Kontraktöffnungsklauseln vorgesehen. Für das steuerfinanzierte ALGII ist eine jährliche Zielvereinbarung vorgesehen. Wird beispielsweise in einer Verhandlung festgelegt, dass die ALG-Zahlungen um 2 Mrd. Euro zu verringern sind, ist dies künftig nicht mehr Aufgabe der Bundesregierung, sondern liegt in der Verantwortung der BA. Die Zielvereinbarung kann festlegen, wie die BA das umzusetzen hat. Sie kann aber auch eigenständig interne Entscheidungen vorsehen. Politisch inhaltliche Vorgaben verlieren damit an Bedeutung, zumal sie durch den Verhandlungsvorgang zwischen Bundesministerium und BA-Vorstand einer öffentlichen Diskussion entzogen sein werden. Durch das Kontraktmanagement auch innerhalb der BA und den Agenturen für Arbeit auf lokaler Ebene brauchen die Beauftragten für Chancengleichheit Rechte zur Beteiligung an diesem Verfahren. Wenn Ziele gesetzt und Umsetzungswege konzipiert und beschlossen werden, muss gewährleistet sein, dass Frauen- und Gleichstellungsinteressen in diese Entscheidungsprozesse eingebracht werden können. Insbesondere auf der Ebene der Jobcenter, dort wo Betreuung und Vermittlung stattfindet, sind frauenpolitische Qualitätskriterien entsprechend der Vorgaben der Europäischen Union und des Grundgesetzes zu entwickeln und umzusetzen. Aufgrund der Verpflichtung der Bundesregierung zu Gender Mainstreaming sind auch die Arbeitsämter - künftig Agenturen für Arbeit - verpflichtet, diese anzuwenden. Positiv zu sehen ist hier für die Strategieentwicklung die Beibehaltung der Beauftragten für Chancengleichheit auf Bundes- und lokaler Ebene. Allerdings ist die Landesebene der Beauftragten im Entwurf nicht mehr erwähnt. Da an anderer Stelle der mittelfristige Erhalt der Landesarbeitsämter festgestellt wird, sind auch die Stellen der Landesbeauftragten so lange zu erhalten. Gerade in einer Umstellungsphase, in der die Landesämter als Koordinationsstellen gebraucht werden, haben die Beauftragten für Chancengleichheit wichtige Aufgaben zu erfüllen.

Versicherungsfrei und chancenlos

Ein bereits erkennbares Beispiel für die Neuausrichtung der BA ist die Umgestaltung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM): weg von der Verbesserung der "Eingliederungsaussichten" von Arbeitslosen hin zum Erhalt oder zur Wiederherstellung ihrer "Beschäftigungsfähigkeit". Mit der "Beschäftigungsfähigkeit" (Employability) verfolgt die Bundesregierung eine der europäischen Vorgaben zur Beschäftigungspolitik und meint, dass es "auf die Verbesserung der Eingliederungsaussichten in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr ankommt" - vielleicht weil die europäische Beschäftigungspolitik weitere Maßnahmen auf dem Weg zur Vollbeschäftigung vorsieht: die Entwicklung des Unternehmergeistes, die Förderung der Anpassung der Unternehmen und der Beschäftigten und die Förderung der Chancengleichheit, die allerdings hier nicht gleichermaßen eingebracht werden.

Da das Ziel nun nicht mehr die Eingliederung ist, sind ABM künftig ohne Arbeitslosenversicherung ausgestaltet. Für Berufsrückkehrerinnen entfällt damit der Zugang zu Pflichtleistungen der Arbeitsvermittlung. So "kann" z.B. Weiterbildung gewährt werden, muss aber nicht. Für Frauen mit "Patchworkbiografien" ist jedoch dieser Zugang bisher ausgesprochen wichtig, und die Regelung bedeutet einen schweren Verlust. Die Verbindung der Faktoren Versicherungsfreiheit, Chancenlosigkeit im ersten Arbeitsmarkt, Verpflichtung zur Aufnahme von Arbeit "im öffentlichen Interesse" und Förderung der "Beschäftigungsfähigkeit" ist die ideale Voraussetzung, um einen regionalen "sozialen" (aber weitgehend sozialversicherungsfreien) Arbeitsmarkt versorgen zu können. In Verbindung mit dem Ziel der Strukturförderung für die neuen Bundesländer werden die ABM für Frauen in Westdeutschland komplett ausfallen.

Anmerkungen

1) Der Beitrag basiert auf zwei Stellungnahmen zur Arbeitsmarktpolitik für Frauen, die am 16./17. September 2003 vom ver.di Bundesfrauenrat zustimmend zur Kenntnis genommen wurden.

2) Das Sozialgesetzbuch (SGB) setzt sich derzeit aus 11 Teilen bzw. Büchern zusammen: SGB I bis SGB XI. Das zweite Buch (SGB II) ist bisher nicht belegt und soll nun mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (= Hartz 4) gefüllt werden. Schwerpunktmäßig regelt das neue SGB II die Voraussetzungen für den Bezug des neuen Arbeitslosengeldes II, welches die bisherige Arbeitslosenhilfe ersetzt und nun mit der Sozialhilfe zusammengeführt wird. Die verbleibende Sozialhilfe (bisher im Bundessozialhilfegesetz BSHG geregelt) soll künftig in einem neuen SGB XII normiert werden.


Hannelore Buls ist Diplom-Volkswirtin und arbeitet als Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik für Frauen im Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik beim ver.di Bundesvorstand in Berlin

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