BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Zukunftskatastrofe Alter?

15.12.2005: Demografische Mobilmachung und kluge Stimmen

  
 

Forum Wissenschaft 4/2005; Titelbild: Hermine Oberück

Apokalyptische Beschwörungen einer durch Vergreisung dem Untergang geweihten Gesellschaft, Nation, gar der westlichen Welt wurden in den vergangenen Jahren in Legionärsstärke publiziert. Die einen beklagen das Sinn-, die anderen das Rentenloch, wieder andere sehen genauer hin und daher mehr. Ulrike Baureithel stellt einige der entworfenen Szenarios vor und skizziert die Debatte.

Jetzt kommen sie schon zum Sterben her! Wer so im angesagtesten Techno-Club der Stadt mit dem Satz begrüßt wird, hat allen Grund, irritiert über die Schulter zu schauen: Wer kann gemeint sein, wo man die Rentengrenze selbst noch längst nicht erreicht hat und dieses Fatum am biographischen Horizont bislang nicht aufschien? Aber man ist tatsächlich gemeint, und der Schock, der das "gefühlte Alter" binnen dreißig Sekunden über die Siebzigermarke treibt, will verarbeitet sein.

Insbesondere von Männern, die berufsjuvenil durch die letzten Jahrzehnte surfen. Bemüht ironisch kontert Reinhard Mohr (Jahrgang 1955), der die einstigen, ewig zu spät gekommenen, Revoltegewinnler ("Zaungäste" hatte er sie in einem 1992 erschienen Buch genannt) nunmehr zur "Generation Z" verkürzt und ihr zwischen subkulturellem Betroffenheits-Gestern und Prostata-versehrter Zukunft eine mitunter launige, gelegentlich melancholische, durchweg männlich-selbstverliebte Lebensbilanz aufmacht.1 Im Furor welterlösender Demagogik pariert Frank Schirrmacher (Jahrgang 1959), der das (subjektiv verleugnete) "Altersproblem" schon auf der Titelseite seines Buches2 zum "Problem der Welt" erhöht und den "Überlebensinstinkt" der mittleren Generation zu mobilisieren trachtet.

Befürchtungen

Dass beide wahrscheinlich weniger die Furcht vor dem "Renten-" als vor dem künftigen "Sinnloch" plagt - die Kränkung, als Weltdeuter verabschiedet zu werden, kann sehr schmerzhaft sein -, ist das Eine. Überraschend bleibt aber trotzdem das Andere: dass es nicht die trendsettenden, demnächst von der aktiven Bühne abtretenden Achtundsechziger sind, die Alter, künftigen "Rentnerberg" und "demografische Katastrophe" an den publizistischen Nährtropf hängen, sondern heute Vierzig- bis Fünfzigjährige bedrohliche Altersszenarien imaginieren, als wollte die "Generation Z" wenigstens diesmal nicht zu spät kommen. Zumindest palavernd, denn sie wird auf jeden Fall jene "kritische Masse" sein, für die der Kuchen nicht mehr reicht und die sich untereinander und mit den Jüngeren um versiegende Versorgungspfründe wird streiten müssen. Die in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Geborenen werden in dreißig Jahren das Rentenalter erreicht oder überschritten haben, und es werden, so die wiederkehrende, statistisch auch nicht widerlegbare Behauptung, zu wenig jüngere Leute da sein, um sie zu alimentieren, zu pflegen und vielleicht sogar zu beerdigen.

Zieht euch warm an, lautet die Botschaft, es wird grausam. Rüstet euch, es geht um unser Altersüberleben. Es sind, sagt Schirrmacher, "Methoden alternativer Kriegsführung" gefragt, "die es einem erlauben, auch als schwacher Alter zu überleben: von der Partisanentätigkeit bis zum Hacker-Angriff" (die "Generation Z" hat beides gelernt!) Zumindest der publizistisch plakatierte Demografie-Diskurs ist deshalb zuallererst ein Generationen-Streit.

Dabei musste der "Clash of Generations" nicht von einem FAZ-Herausgeber erfunden werden; die kriegerische Mobilmachung wurde schon früher vom "Feld der Klassen" auf das "Feld der Generationen" verlegt. Inszenierte Mitte der neunziger Jahre die UN anlässlich der Weltbevölkerungskonferenzen das Überbevölkerungsdrama ("Zeitbombe Mensch"), läutet nun der - auch globale - Geburtenschwund die als Epochenbruch markierte "demographische Zeitenwende" - so der Titel des mittlerweile in dritter Auflage in Deutschland kursierenden Bevölkerungs-Menetekels von Herwig Birg3 - ein. Darin generiert der einflussreiche Bielefelder Demograf die "Generation der Nichtgeborenen" als neues historisches Subjekt, das an den Grundfesten der Gesellschaft rüttelt. Was das Buch mit zahlreichen Statistiken, Graphiken und einem Wust von Kennziffern und sterilen Begrifflichkeiten zu vermitteln versucht, wird der Autor nicht müde, öffentlich zu wiederholen, zuletzt vor prominenten Teilnehmern der Herbert-Quandt-Stiftung in Bad Homburg4, die sich aufgrund von "Bevölkerungsrückgang und Überalterung" um die "Gesellschaft ohne Zukunft" sorgten.

Seit 1972, erklärt Birg, übersteige in Deutschland die Sterbe- die Geburtenziffer und sei bislang nur durch den "Einwanderungsüberschuss" kompensiert worden. Der Rückgang der Geburten führe spätestens 2020 bis 2030 zu einer zusätzlichen "Dezimierung" der Elternzahl. Die Geburtenrate von statistisch 1,3 bis 1,4 Kindern pro Frau verfehle weit den "bestandserhaltenden Wert" von 2,1. Damit und mit der erwartbaren steigenden Lebenserwartung verschöbe sich nicht nur der Bevölkerungsaufbau und erhöhe den "Altersquotienten", also den Anteil der über 65-Jährigen an der Gruppe der 15- bis 65-Jährigen, um das Doppelte (Zunahme bis 2050 um rund 10 Millionen), sondern lasse die deutsche Bevölkerung auch absolut schrumpfen. Damit fehlten Beitragszahler für die sozialen Sicherungssysteme, um die vielen Alten zu versorgen. Das Hauptproblem sieht er im "dramatisch zunehmenden Verteilungsstress zwischen den sozialen Gruppen"; aber auch die entstehende "Parallelgesellschaft von Kinderlosen und Menschen mit Nachkommen, der schrumpfungsbedingte Nachfragerückgang und der kapitalvernichtende Rückbau seien Faktoren, die die gesellschaftliche Stabilität untergraben könnten.

Ausgleichschancen? Absage

Einen Ausgleich durch zunehmende Einwanderung findet Birg dagegen weder realistisch noch wünschenswert: "Wollte man den Altenquotienten durch Einwanderung junger Menschen bis zum Jahr 2050 konstant halten", behauptet er, "müssten netto 188 Millionen Menschen einwandern." Warum dies nicht gewollt werden könne, ist aufschlussreich: Schon jetzt, so Birg, wachse die zugewanderte Bevölkerung (jährlich 170.000) bis 2050 von 7,9 auf 19 Millionen (von 9 auf 27 Prozent der Gesamtbevölkerung), weil die Geburtenrate der zugewanderten Frauen durchschnittlich bei 1,64 Kindern liege und damit erheblich höher ist als die der deutschen Frauen. Dies führe aber zu einer Polarisierung der Gesellschaft, wie sich in Frankreich beobachten lasse, dessen relativ hohe Geburtenrate von 1,9 sich teilweise den aus Afrika Zugewanderten verdanke. In seinem Buch führt Birg wiederholt und nachdrücklich aus, dass das Bildungsniveau der Menschen mit Migrationshintergrund zu gering sei, um den zukünftigen Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften zu befriedigen, und Konsequenzen für die Sozialausgaben habe: Eine weitere "Einwanderung in die Sozialsysteme", unterstreicht er auch in Bad Homburg, "sei "schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr möglich."

Auch wenn Birg die Furcht vor Majorisierung durch Zugewanderte treibt, die "deutsche Identität" in Auflösung wähnt, das "niedrige Bildungsniveau" von MigrantInnen und ihrer Nachkommen offenbar als gottgegeben annimmt und den "demographischen Winter" als unumkehrbaren Prozess ("wie der Wechsel der Jahreszeiten durch die Bahnen der Gestirne") heraufziehen sieht, glaubt er wohl selbst nicht daran, dass der "demographisch bedingte Konkurs der Deutschland AG" nur durch finanzielle Anreize oder Dauerbeschallung der jüngeren Frauen aufzuhalten sei. Das Max-Planck-Institut für Demographische Forschung in Rostock machte im vorigen Jahr wieder einmal darauf aufmerksam, dass durchaus auch junge Männer "Vermeidungsstrategien" verfolgen und sich diese besonders bei jüngeren ostdeutschen Männern manifestieren.5

Dass das reproduktive Verhalten von Menschen ein vielschichtiger, von vielen Einflüssen bewegter Prozess ist, lehrt der Blick in die Vergangenheit. Die "aussterbende Nation" hing nämlich schon einmal als publizistisches Damoklesschwert über Deutschland. Um 1930 sagte der Vordenker der deutschen Bevölkerungsstatistik, Friedrich Burgdörfer, den Untergang der Deutschen aus, weil sich zu diesem Zeitpunkt in allen Schichten die Zwei-Kinder-Familie durchgesetzt hatte. Daran änderten auch die pronatalistischen Maßnahmen der Nazis (freilich nur für die "arischen" Volksteile!) nichts - die Jahrgänge, die ihre Kinder zwischen 1930 und 1940 auf die Welt gebracht hatten, blieben mit 1,9 Kindern im Mittelbereich, wie die historische Demografie mittlerweile weiß.

Einer ihrer kritischen Vertreter, der Salzburger Historiker Josef Ehmer, der eine aufschlussreiche Enzyklopädie zur Bevölkerungsgeschichte und historischen Demografie über Deutschland zwischen 1800 und 2000 vorgelegt hat,6 mahnt deshalb "zur Vorsicht gegenüber düsteren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Prognosen, die aus dem Wandel der Altersstruktur abgeleitet werden." Das eingangs skizzierte paradoxe Phänomen, dass Überbevölkerungs-, Entvölkerungs- und Alterungsfurcht Hand in Hand gehen, bestimmte schon die von Malthus angestrengte bevölkerungspolitische Debatte des 19. Jahrhunderts. Ebenfalls historisch nachweisbar ist die noch heute gültige Tatsache, dass Gesellschaften mit jüngeren Populationen und vielen Kindern in aller Regel die ärmeren sind. Und auch hinsichtlich der Aussagen über ständig steigende Lebenserwartung ist Zurückhaltung geboten : Zwar kann ein heute Geborener eher damit rechnen, das 65. Lebensjahr zu erreichen, als vor 150 Jahren, und er wird durchschnittlich älter als vor 50 Jahren, doch scheinen dem biologischen Alter auch Grenzen gesetzt - zumal der heutige Gesundheitszustand von Kindern in Zukunft wenig Erfreuliches zeitigt. Die von Frank Schirrmacher behauptete "Grenzenlosigkeit" der Lebenserwartung ("theoretisch 700 Jahre") jedenfalls möchte wohl eher dem Intellektuellen schmeicheln, der uns gerne noch 650 weitere Jahre mit Pamphleten von der Art des Methusalem-Komplexes malträtieren würde.

Darin feiern der "Fortpflanzungsegoismus der Natur" und ihre "Abneigung gegen das Altern" fröhliche Urständ. Ein unhintergehbarer "biologischer Code des Menschen" sorgt angeblich dafür, dass "die Alten" aus der Gesellschaft eliminiert werden. "Der Hass auf das Alter und die Angst vor ihm sind Urgewalten", proklamiert Schirrmacher, und mit seinen "Genveränderungen" sei Alter nur noch ein "Risiko für den Genpool". Dabei gilt seine Trauer auch noch den "Unsummen von Fruchtfliegen", die bei der "Suche nach Unsterblichkeit" über den Jordan gehen, doch: "Was immer wir tun: Die Natur will Gegenleistung, und Gegenleistung heißt nun einmal Fortpflanzung."

Genauere Blicke

Man muss diesen biologistischen Alarmismus, der offenbar der Devotion vor dem genetischen Imperativ und zugleich der Angst vor genetischer Überwältigung entspringt, nicht weiter verfolgen; möge es hoffentlich nie zu dieser "Selbstverteidung" der Alten gegen den Darwinismus der Jungen kommen. Dass Vertreter der "Babyboomer"-Generation auch vernünftig und sachlich mit dem Gegenstand umzugehen wissen (und die eigene "Betroffenheit", wie die "Generation Z" sagen würde, dabei nicht verhehlen), beweist das angenehm unaufgeregte Buch der Wirtschaftsjournalistin Elisabeth Niejahr (Jahrgang 1965)7. Auch sie präsentiert die "harten Zahlen", auch sie taucht die Szenerie der "Altenrepublik" in gedämpftes Licht und mutmaßt über die bevorstehenden Verteilungskämpfe, die sie allerdings eher nach sozialen Lagen als nach dem Alter ausmisst: "Es spricht nicht viel dafür", winkt sie mit dem Zaunpfahl in die FAZ-Zentrale, "dass sich die Alten von morgen oft zusammenraufen".

Mit der historischen Forschung stimmt sie darin überein, dass der Rückgang der Bevölkerung eine Gesellschaft "nicht automatisch ärmer" macht. Immerhin stünden mehr Ressourcen zur Verfügung, die eine vergleichsweise kleine und reiche Erbengeneration unter sich verteilen wird. Entscheidender schlagen ihrer Meinung nach die Kosten der Alterung zu Buche. Schrumpfende Gesellschaften benötigen weniger Infrastruktur, Schulen müssen schließen, Krankenhäuser fusionieren, Überkapazitäten allerorten abgebaut werden. Ostdeutschland ist derzeit das erste Experimentierfeld, auf dem der sogenannte "Rückbau" exerziert wird. Auf diesem Feld blamiert die Wirklichkeit den Fetisch vom grenzenlosen Wachstum, wie kürzlich auch von Jens Bisky in seinen Betrachtungen zur sozialen Einheit in Deutschland vorgeführt8.

Doch weniger Menschen beanspruchen nicht nur weniger Schulen, Universitäten, Straßen oder Klärwerke, sie konsumieren auch weniger und ihrem Alter angemessen. Siebzigjährige werden, selbst wenn sie sich noch "rüstig" fühlen, nicht alle drei Jahre das neueste Automodell ordern und schon gar kein neues Haus mehr bauen. Ein Blick ins tägliche Werbefernsehen offenbart, dass sich die Industrie auf die neuen Alten einstellt, die von der Pille gegen Blasenschwäche über Inkontinenzhilfen bis zum "Lifta" versorgt sein wollen.

Welche Auswirkungen die Alterung der Gesellschaft für die Produktivität haben wird, ist umstritten. Mancherorts vertraut man noch darauf, dass sich die Arbeitslosigkeit in wenigen Jahrzehnten erledigen wird, weil weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Doch auch hier ist Ostdeutschland ein desillusionierendes Beispiel, denn paradoxerweise gehen dort Arbeitslosigkeit und Facharbeitermangel Hand in Hand. Skeptisch beurteilt Niejahr auch die Erwartung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die für die nächsten 50 Jahre einen so hohen Produktivitätsschub prophezeit, dass er die Folgen der Alterung auszugleichen vermag. Ob solche Größenordnungen im postindustriellen Zeitalter überhaupt noch erreichbar sein werden, glaubt die Autorin nicht. Und ob solche Steigerungsraten ökologisch überhaupt vertretbar sind, sei einmal dahingestellt.

Ein wichtiger Indikator ist für die gelernte Ökonomin der Umgang mit den Erfahrungsressourcen älterer Menschen, die sie künftig wirkungsvoller eingesetzt sehen will als heutzutage, wo sie vielfach nutzlos brachliegen. Die absehbare Erhöhung des Renteneintrittsalters werde außerdem dazu führen, dass ältere Menschen länger erwerbstätig sein werden. Sie plädiert deshalb für ein Umdenken: Der automatische Aufstieg durch Alter sei ebenso zu verabschieden wie die automatische Frühverrentung. Viel sinnvoller wäre eine dem jeweiligen Lebensalter und der Lebenssituation (Kinder) angemessene Arbeitsbiographie, die es den dreißigjährigen Männern und Frauen erlaubt, sich ohne Karriereknick gleichermaßen um Kinder zu kümmern und, wenn diese selbstständig sind, beruflich noch einmal richtig durchzustarten.

Die Furcht vor einem zukünftigen "Innovationsvakuum" mag sie allerdings so wenig teilen wie die gerontophoben Vorstellungen vom ausschließlich hässlichen, lebensunwerten Alter, wie sie beispielsweise ein Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung malte9. Mit der Lebenserfahrung steige die "Konzentration aufs Wesentliche", hält Niejahr dagegen, und alternde Gesellschaften müssen nicht "automatisch zu Ideenwüsten" verkommen. Auch der Rückbau der Städte und Infrastruktur sei, selbst wenn er Geld koste, nicht nur ein Nachteil. Die heute ohnehin zu dicht besiedelte Republik könnte entspannter leben und arbeiten: Small is beautiful. Dringenden Handlungsbedarf sieht sie in der Gesundheitsversorgung und Pflege, weil gerade Alte dem Kreislauf von Armut und Krankheit besonders hilflos ausgeliefert sind. Doch auch hier sieht sie positive Entwicklungen: Weshalb sollten Pflegezeiten nicht adäquat wie Erziehungszeiten gehandelt werden und die WG-Veteranen von früher nicht fähig sein, sich zu Altenwohngemeinschaften zusammenzuschließen?

Nicht Absturz: Übergang

Obwohl Niejahrs Dauerbeschuss mit dem Begriff "Babyboomers" das analytische Sensorium mit der Zeit abstumpft und obwohl auch sie uns streckenweise in erhöhte politische Alarmbereitschaft versetzt, ist ihr Durchgang durch die verschiedenen Aspekte des "demographischen Übergangs" vielseitig, unvoreingenommen und zudem noch unterhaltsam. Am originellsten ist das Kapitel über "Frauen und Graue": Dass und was die Alten von der Frauenbewegung lernen könnten, läßt sich weder bei egozentrisch-schnoddrigen Mohrs noch bei gen-verseuchten Schirrmachers und schon gar nicht bei Zahlenfetischisten wie Birg finden.

Und wer am Ende bedient ist von den flapsig-journalistischen Überflügen, mag in der Formel-Welt der Bevölkerungsökonomen Entspannung suchen. Christoph Borgmann hat ein für Laien nicht gerade leicht erschließbares, doch recht informatives Buch zum Thema Soziale Sicherungssysteme, Demografie und Risiko veröffentlicht, das den "demographischen Übergang" vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung verschiedener Alterversorgungsmodelle diskutiert.10 Darin findet sich nicht nur eine gute Zusammenfassung der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung und ihrer Folgen für unsere Altersversorgung, sondern es zeigt auch unterschiedliche Ansätze zur Risikoabschätzung: Was heißt es zum Beispiel für verschiedene Formen der Alterseinkünfte, wenn künftig die Löhne steigen und die Kapitalrenditen sinken? Am überraschendsten aber ist, dass der Mitarbeiter von Bernd Raffelhüschen, seines Zeichens strengster Kritiker des gegenwärtigen Umlagesystems, der Gesetzlichen Rentenversicherung kein nur negatives Zeugnis ausstellt, auch wenn Borgmann kapitalgedeckte Alternativen für unumgänglich hält.

Vielleicht sollten man dem demografischen Alarmismus mit der Ruhe des französischen Bevölkerungshistorikers Hervé Le Bras begegnen, der meint, Prognosen über mehr als zehn Jahre hinaus seien unseriös und hätten eher die Funktion, gegenwärtige politische Ängste in Szene zu setzen als Aussagen über die Bevölkerungsentwicklung zu machen. Und wie sagte mein Großvater, nachdem er das sechste Kind gezeugt hatte: Jetzt kriegt der Storch ‘n Knopf ins Ohr. Die Töchter haben nicht so lange gewartet - und auch ein Mutterkreuz hätte sie davon nicht abgehalten.


Anmerkungen

1) Reinhard Mohr: Generation Z oder: Von der Zumutung, älter zu werden. 221 Seiten. Argon-Verlag, Berlin 2003

2) Frank Schirrmacher: Das Methusalem-Komplott. München (Karl Blessing Verlag) 2004

3) Herwig Birg: Die demographische Zeitenwende. Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa. München (C.H. Beck) 32003

4) Gesellschaft ohne Zukunft? Bevölkerungsrückgang und Überalterung als politische Herausforderung. 153 Seiten. Hg. von der Herbert-Quandt-Stiftung, Bad Homburg 2004 (zu beziehen über:www.herbert-quandt-stiftung.de )

5) vgl. Max-Planck-Institut für Demographische Forschung, Demografische Forschung 4/2004

6) Joseph Ehmer: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie 1800-2000. München (Oldenburg-Verlag) 2004

7) Elisabeth Niejahr: Alt sind nur die anderen. So werden wir leben, lieben und arbeiten. Frankfurt (S. Fischer Verlag) 2004

8) Jens Bisky, Die deutsche Frage, Waum die Einheit unser Land gefährdet. Berlin 2004 (Rowohlt Verlag), 2005

9) SZ, 22.8.2002

10) Christoph Borgmann: Social Society, Demographics, and Risk. Berlin/Heidelberg/New York (Springer-Verlag) 2004


Ulrike Baureithel ist Redakteurin des Freitag (Berlin) und freie Autorin.

Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion