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Europäische Hochschulen mit globaler Verantwortung?

22.05.2014: Kritische Anmerkungen zur internationalen Dimension des Bologna-Prozesses

  
 

Forum Wissenschaft 1/2014; Foto: Ralf Roletschek, Fahrradtechnik und Fotografie / commons.wikimedia.org

Der "Kampf um die klugen Köpfe" ist ein internationaler - weshalb sich auch die Bemühungen der Bologna-Staaten um eine Internationalisierung zum Zwecke regionaler Interessen verschärfen. Eva Hartmann zeigt die Logik der internationalen Dimension von Bologna auf.

Im November 2011 kamen in Tokio RegierungsvertreterInnen aus 25 asiatisch-pazifischen Ländern zusammen, um ein Abkommen zu unterzeichnen, das zum Ziel hat, die gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen zu verbessern. Hiermit soll die internationale Mobilität von Studierenden und HochschulabsolventInnen gestärkt werden. Was in Tokio seinen Anfang nahm, gleicht in vieler Hinsicht dem Bologna-Prozess zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums. In diesem Beitrag soll zunächst auf einige Gemeinsamkeiten der beiden regionalen Vorhaben eingegangen werden, um anschließend auf wichtige Unterschiede zurückzukommen und einige Konsequenzen zur Diskussion zu stellen, die sich hieraus für die europäischen Länder ergeben. Konkret stellt sich die Frage nach einer neuen sozialen Verantwortung der europäischen Hochschulen. Bislang hat dieser Wandel der Verantwortung noch wenig Beachtung gefunden.

Die Regionalisierung der Hochschulbildung

Die auffallendste Gemeinsamkeit zwischen dem europäischen und dem asiatisch-pazifischen Vorhaben ist der Rechtsrahmen. Das Tokio-Abkommen basiert auf einer grundlegenden Revision des früheren UNESCO-Anerkennungsabkommens für die Region aus dem Jahre 1983.1 Auch in Europa rekurriert der Rechtsrahmen des Bologna-Prozesses auf eine Revision des UNESCO-Anerkennungsabkommens für die europäische Region von 1979.2 Das heißt, beide Prozesse nutzen den Rahmen der UNESCO und deren Anerkennungsabkommen für ihre jeweilige Region. Die europäische Revision wurde 1997 in Lissabon unterzeichnet und trägt entsprechend den Namen Lissabonner Anerkennungsabkommen.3 Eine ähnliche Revision ist zudem für die afrikanische Region geplant. 2009 hat die UNESCO-Generalversammlung hierfür grünes Licht gegeben.4 Allerdings gelang es den afrikanischen Ländern noch nicht, den Revisionsprozess zu einem Abschluss zu bringen, so dass die UNESCO-Generalversammlung 2011 das Mandat hierfür verlängern musste. Damit deutet sich ein wichtiger Unterschied in den einzelnen Bemühungen an, die regionale Mobilität von Studierenden und HochschulabsolventInnen zu fördern.

Keines der anderen regionalen Vorhaben konnte bisher die gleiche Wirkungskraft entfalten wie das europäische. Europa schuf ein starkes Anerkennungsregime, das grundsätzlich von einer Anerkennungspflicht ausgeht, die nur bei einem wesentlichen Unterschied zwischen den Abschlüssen des Aufnahmelandes und dem Abschluss des Herkunftslands aufgehoben werden kann.5 Zugleich stärkt das Lissabonner Abkommen die Position der AntragstellerInnen, indem es eine Umkehr der Beweislast vornimmt. Hiernach muss die zuständige Behörde im Aufnahmeland den Beweis des wesentlichen Unterschiedes erbringen.6 Doch der eigentliche Erfolg des Bologna-Prozesses liegt in der breiten Akzeptanz des starken Anerkennungsregimes, die sich in einer hohen Ratifikationsrate ausdrückt. Von den 45 europäischen Unterzeichnerstaaten haben mittlerweile alle das Lissabonner Abkommen ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt.7

Von einem solchen Erfolg sind die anderen Regionen weit entfernt. Dies gilt nicht alleine für die afrikanische Region, sondern auch für die asiatisch-pazifische. So hatte man sich hier bei der Revision des alten Abkommens auf ein ähnlich starkes Anerkennungsregime mit Beweislastumkehr geeinigt.8 Doch bis heute hat selbst das Gastgeberland Japan das Abkommen noch nicht unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert. Damit steht Japan nicht alleine: Von den 25 asiatisch-pazifischen Regierungen, die an der Konferenz teilnahmen, haben bislang nur neun das Abkommen unterzeichnet, darunter allerdings das für die Region wichtige Land China. Zudem unterstützt die australische Regierung das Tokio-Abkommen, das im Mai 2013 dem australischen Parlament vorgelegt wurde.9 Auch die neuseeländische Regierung überlegt, dem Abkommen beizutreten.10

Die globale studentische Migration

Die Revisionsbemühungen sind im Kontext einer starken Zunahme der grenzüberschreitenden Mobilität von Studierenden zu sehen. Deren Anzahl hat sich zwischen 1975 und 2011 mehr als verfünffacht, von 0,8 Millionen in 1975 auf 4,3 Millionen in 2011.11 Alleine zwischen 2000 und 2011 lag der Zuwachs bei über 100%. Allerdings stehen die regionalen Bemühungen in den nicht-europäischen Regionen im starken Kontrast zur internationalen Ausrichtung ihrer mobilen Studierenden. So nahmen 2011 alleine die 34 Länder der OECD 77% aller international mobilen Studierenden auf; die Mehrheit hiervon aus nicht-OECD-Staaten und rund 53% aus dem asiatischen Raum.12 Die EU 21-Länder bilden die wichtigste Zielregion mit 40% aller international mobilen Studierenden, gefolgt von Nordamerika mit insgesamt 21%. Im Gegensatz dazu nimmt der asiatisch-pazifische Raum gerade 14,6% auf. Noch deutlicher wird die Konzentration, wenn einzelne Länder betrachtet werden. Attraktivste Destination sind nach wie vor die USA mit 17% im Jahre 2011, auch wenn es hier zehn Jahre zuvor noch 23% waren.13. Zweitwichtigstes Land ist das Vereinigte Königreich (13%), gefolgt von Australien (6%), Deutschland (6%), Frankreich (6%), Kanada (5%) und Russland (4%). Angesichts dieser ungleichen Verteilung der Studienorte kann eigentlich nur im Falle Europas von einer regionalen Orientierung gesprochen werden. Hier stammt immer noch die Mehrheit der ausländischen Studierenden aus anderen EU-Ländern.14

Warum regional?

Angesichts der internationalen Ausrichtung der Migrationsbewegung mag die regionale Orientierung der Anerkennungsabkommen erstaunen. Sie ist auch nicht aus der Interessenslage der oft ärmeren Entsendeländer zu erklären, sondern vor allem das Resultat der Durchsetzungsmacht reicher Länder, allen voran der europäischen.

Als die Revision der ersten Generation der regionalen UNESCO-Anerkennungsabkommen zum ersten Mal Ende der 1980er Jahre auf die Tagesordnung kam, stand die Zusammenfassung der regionalen Abkommen in einem einzigen internationalen Abkommen zur Debatte.15 Damit rückte eine Option auf den Verhandlungstisch, die bereits bei der Ausgestaltung der ersten Generation in den 1960er Jahren diskutiert worden war.16 Damals einigte man sich jedoch auf eine regionale Ausrichtung, um zugleich eine internationale Ausrichtung für die Zukunft im Blick zu behalten. So steht in der Präambel des Anerkennungsabkommens für die Europaregion von 1979: "Mindful that the ultimate objective set by the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization consists in ›preparing an International Convention on the Recognition and the Validity of Degrees, Diplomas and Certificates issued by establishments of Higher Learning and Research in all Countries‹.".17

In den späten 1980er Jahren wollten nun einige Länder daran anknüpfen, um mit der zweiten Generation des UNESCO-Anerkennungsabkommens zugleich auch die regionale Begrenzung aufzuheben. Sie scheiterten jedoch am massiven Einspruch einiger europäischer Regierungen, allerdings nicht ohne Widerstand zu leisten, der sich über mehrere UNESCO-Generalversammlungen hinweg zog.18

Europe first

Das Interesse der EU19-Länder an einem regionalen Zuschnitt ist auf Spannungsverhältnisse innerhalb der EU zurückzuführen. So gewann die EU immer mehr Kompetenzen, die sich schon lange nicht mehr alleine auf wirtschaftspolitische Bereiche beschränkten. Ende der 1980er Jahre zeichnete sich die Notwendigkeit ab, die Hochschulpolitik stärker zu europäisieren, um den europäischen Integrationsprozess voranzutreiben. Eine Reihe von EU-Ländern hatte jedoch große Vorbehalte, der EU weitreichende bildungspolitische Kompetenzen einzuräumen. Zu sehr sah man Bildungspolitik als ein Kerngebiet nationalstaatlicher Politik. So wurde 1992 die allgemeine Bildungspolitik im Rahmen des Vertrages von Maastricht wohl zum ersten Mal Bestandteil der Europäischen Gemeinschaft. Die Mitgliedstaaten räumten der Gemeinschaft jedoch nur eine Koordinationsrolle ein, sie erteilten aber keinen Auftrag, eine europäische Bildungspolitik zu schaffen.20 Allerdings waren die Länder durchaus an einer realen Stärkung der Mobilität der europäischen Studierenden und qualifizierten Arbeitskräfte interessiert und somit an einer Verbesserung der gegenseitigen Anerkennung der Hochschulabschlüsse.

In dieser Situation erwies sich der intergouvernementale Rahmen der UNESCO als eine interessante Alternative, da die Einhaltung der Abkommensauflagen nicht, wie im Rahmen der supranationalen EU, durch eine überstaatliche Gerichtsinstanz eingefordert werden kann. Dafür musste aber bei der zweiten Generation der UNESCO-Abkommen an der regionalen Begrenzung festgehalten werden, auch wenn es gegen den Widerstand aus anderen Weltregionen sein sollte. Einige EU-Hochlohnländer taten sich ohnehin bereits mit der deutlich inklusiveren Definition Europas des europäischen UNESCO-Abkommens schwer, das mittlerweile von fast allen der heute 47 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet worden war. Da jedoch die Auflagen eines UNESCO-Abkommens nicht von einer supranationalen Gerichtsinstanz eingefordert werden konnten, war man bereit, dieses Zugeständnis an Osteuropa zu machen. Es war diese europäische Gemengelage seit Ende der 1980er Jahre, an der die BefürworterInnen eines internationalen Abkommens vorläufig scheiterten.

Die Rückkehr der internationalen Ausrichtung

Erst Mitte der 2000er Jahre bekam die internationale Ausrichtung des UNESCO-Anerkennungsregimes wieder Auftrieb. Auf der Londoner Nachfolgekonferenz im Jahre 2007 verabschiedeten die teilnehmenden MinisterInnen eine globale Strategie, die die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulraumes fördern sollte, aber auch die Anerkennung nicht-europäischer Abschlüsse. Konkret bezogen sie sich auf die Leitlinien, die die UNESCO zusammen mit der OECD zur Qualitätssicherung von grenzüberschreitenden Bildungsanbietern erstellt hatte.21 Damit rekurrierte man letzten Endes auf eine neoliberale Internationalisierungsstrategie, die vor allem an einer Stärkung der internationalen Mobilität von Bildungsanbietern auf der Suche nach zahlungskräftigen Studierenden interessiert war.

Doch schon bald wurden die internationalen Kooperationsbeziehungen ausgebaut, nicht zuletzt im Rahmen des Bologna Policy Forum. Dieses Forum wurde 2009, parallel zur Nachfolgekonferenz in Leuven, zum ersten Mal einberufen und ist seither fester Bestandteil der regelmäßig stattfindenden Nachfolgekonferenzen. Einbezogen wurden zunächst die wichtigsten nicht-europäischen Hochlohnländer USA, Kanada, Japan, Australien und Neuseeland, jedoch auch aufstrebende Wirtschaften wie China, Brasilien sowie die Mittelmeeranrainerstaaten Ägypten, Marokko und Tunesien. Auf den Nachfolgetreffen kamen weitere Länder hinzu, so dass es auf dem dritten Forum 2012, das im Rahmen der Bologna-Nachfolgekonferenz in Bukarest stattfand, bereits 40 waren.

Doch auch innerhalb der UNESCO formierte sich eine Fraktion, die deren Rolle bei der Regulierung von internationalen Anerkennungsfragen stärken wollte. Ein erstes Ergebnis waren die bereits erwähnten UNESCO/OECD-Leitlinien zur Qualitätssicherung grenzüberschreitender Bildungsangebote. Die Länder des Südens mussten hierbei allerdings in den ›sauren Apfel beißen‹ und ihr Anliegen nach einer Verbesserung der Anerkennung ihrer Abschlüsse mit den Interessen transnationaler Bildungsanbieter verbinden, die mehrheitlich aus den Hochlohnländern stammen.

Nach dieser neoliberalen Vereinnahmung ihres Anliegens wandten sich die Regionen verstärkt ihren eigenen regionalen Abkommen zu, um diese nach dem Vorbild des Lissabonner Abkommens zu revidieren. Allerdings bleibt bei einem regionalen Zuschnitt das Problem, dass selbst bei gleichem Wortlaut die Anerkennungspflicht der Abkommen auf die jeweiligen Unterzeichnerstaaten beschränkt bleibt. Mit anderen Worten: Auch wenn die Rechte und Pflichten des Tokio-Abkommens und des Lissabonner Abkommens identisch sind, müssen die europäischen Länder die Abschlüsse der asiatisch-pazifischen Länder nicht anerkennen. Sie müssen nicht einmal überprüfen, ob diese gleichwertig sind. So erstaunt nicht, dass die anderen Regionen nach wie vor großes Interesse an einem internationalen Abkommen haben.

Entsprechend wurde in Tokio nicht nur das neue Anerkennungsabkommen für Asien und Pazifik unterzeichnet, sondern zugleich die UNESCO aufgefordert, eine Studie zur Machbarkeit eines internationalen Abkommens zu erstellen. Die Studie wurde im November 2013 der UNESCO-Generalversammlung vorgelegt und bildet die Grundlage des Auftrags der Generalversammlung an die Generaldirektion, mit weiteren Konsultationen zum internationalen Abkommen fortzufahren.

Dass eine globale Reichweite des zukünftigen UNESCO-Anerkennungsregimes nach wie vor umstritten ist, macht ein Vergleich einer ersten Fassung des Resolutionstextes mit dem im November 2013 schließlich verabschiedeten Text deutlich.22 Laut erster Fassung sollte die Generaldirektion einen konkreten Aktionsplan zum Verfassen der neuen Konvention erstellen.23 Zugleich sollte die Generalversammlung beschließen, dass das internationale Abkommen das UNESCO-Instrument werden sollte, um die gegenseitige Anerkennung zu regeln.24 Somit würde es über den regionalen Abkommen stehen und diese perspektivisch ersetzen. In der verabschiedeten Resolution sind diese klaren Anweisungen, die das neue Rechtsinstrument gestärkt hätten, gestrichen. Der Text hält zwar an der Entwicklung eines internationalen Abkommens fest und fordert den Generaldirektor auf, den Prozess zu initiieren. Darüber hinaus beließ man es aber bei der vage formulierten Aufforderung, die Konsultationen weiterzuführen.25 Zugleich wertete man die regionalen Abkommen durch den Auftrag, diese weiterzuentwickeln, auf.26

Dass die InternationalistInnen trotz dieser Abschwächungen dieses Mal erfolgreich waren, ist nicht zuletzt auf eine veränderte Interessenslage innerhalb Europas zurückzuführen.

Neue Interessenslage in Europa

In Europa ist die Zurückhaltung der 1980er und 1990er Jahre einer offensiven Strategie gewichen, qualifizierte Arbeitskräfte gezielt aus aller Welt anzuwerben. Hintergrund ist eine Verschärfung des globalen Wettbewerbs mit verstärkten Bemühungen Europas, seine Position auf dem Weltmarkt zu behaupten und auszubauen. Hinzu kommen Bedenken, dass der demographische Wandel in Europa zu einer Verknappung von qualifizierten Arbeitskräften führen könnte. Entsprechend rückte die Europäische Union den Begriff von Humankapital in den Mittelpunkt ihrer Europa 2020-Strategie. Nicht zuletzt im Wettbewerb mit den USA "um die klügsten Köpfe" soll Europa für Hochqualifizierte aus nicht-europäischen Ländern attraktiver gemacht werden. Hierzu bedarf es einer Verbesserung der Situation der MigrantInnen aus Drittstaaten.

Mit der Stärkung der Rechte der BürgerInnen aus EU-Ländern, nicht zuletzt im Rahmen der Unionsbürgerschaft, hatte sich die Situation der DrittstaatlerInnen in den letzten beiden Jahrzehnten oft verschlechtert, sei es absolut oder auch nur relativ. Auf diese Situation reagierte die EU mit einer Reihe von Regulierungen und Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs, die gerade beim Familiennachzug und bei einer zweiten Migration, nun innerhalb der EU, die starke Rechtsungleichheit zwischen EU-BürgerInnen und DrittstaatlerInnen zu mildern suchen.27

Allerdings gilt dies nicht für alle nicht-europäischen MigrantInnen. Es sind vor allem hochqualifizierte Arbeitskräfte, Studierende und ForscherInnen, die von der Ausdehnung der EU-Freizügigkeitsrechte auf DrittstaatlerInnen profitieren. In dieser Begrenzung auf eine kleine Bildungselite zeigt sich die am Wettbewerb orientierte Strategie der EU deutlich. Im Nachklapp der Hochqualifizierten-Richtlinie (2009/50/EG) wurde die sogenannte blue card eingeführt, um den Aufenthalt von Hochqualifizierten aus Drittstaaten weiter zu erleichtern. Zugleich wurden EU-Regeln geschaffen, die das gleiche Ziel bezogen auf Studierende (Richtlinie 2004/114/EG) und ForscherInnen (Richtlinie 2005/71/EG) erreichen sollen.28 Wie eng diese EU-Strategie mittlerweile mit der internationalen Dimension des Bologna-Prozesses verbunden ist, zeigt eine Reihe von Empfehlungen und Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zur außereuropäischen Dimension der Hochschulbildung, die alle Bezug auf den Bologna-Prozess nehmen.29

Zugleich hat die EU eine wichtige Umorientierung ihrer Entwicklungspolitik vorgenommen, indem sie diese im Rahmen des Gesamtansatzes für Migration und Mobilität (GAMM) verstärkt mit der Migrationspolitik verknüpft.30 Allerdings stellte sich einmal mehr die Frage, wer hiervon profitieren soll. Die EU stellt die Migration klar in den Kontext europäischer Interessen. Sie soll sich nach den europäischen Arbeitsmarkterfordernissen und dem Qualifikationsbedarf richten.31 Der Gefahr des brain drain, d.h. des Verlusts qualifizierter Arbeitskräfte in den Ländern des Südens, will man mit einer Befristung des Aufenthaltes in der EU begegnen, um eine zirkuläre Migration zu begünstigen. Europäischen Hochschulen wird in diesem Kontext eine wichtige Rolle zugewiesen. Sie sollen institutionelle Netze und Partnerschaften mit Hochschulen aus anderen Regionen entwickeln, um die "Lehrpläne und Zulassungsverfahren besser auf die Arbeitsmarkterfordernisse der EU und der Partnerländer" abzustimmen32.

Es ist zu bezweifeln, dass die Partner wirklich auf gleicher Augenhöhe agieren können, wenn es um Kooperationen mit den Ländern des Südens geht. Es sind nicht alleine die vergangenen Erfahrungen, die einen neuen Europe-first-Ansatz befürchten lassen. De facto stehen die europäischen Forschungsgemeinschaften und die Hochschulen immer mehr unter dem Druck, ihre Aktivitäten durch ihren Beitrag zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu rechtfertigen. Bei der Akquise von europäischen Geldern für Bildung und Forschung tritt dieser Rechtfertigungsdruck am deutlichsten zu Tage. Wie soll unter solchen Bedingungen die Situation der Länder des Südens wirklich Berücksichtigung finden, gerade dort, wo sich ihre Interessen nicht mit den europäischen decken?

Mit anderen Worten: Die Unterordnung der Wissenschaft und der Hochschulen unter das Profitmaximierungsdiktat der europäischen Wirtschaft im Rahmen des globalen Wettbewerbskampfes ist immer weniger auf den europäischen Raum begrenzt. Europäische Hochschulen sollen dabei helfen, auf die (Human- und Wissens-)Ressourcen der anderen Länder zuzugreifen und sie im Interesse der europäischen Wirtschaft nutzbar zu machen. Die Länder des Südens selbst sollen sich mit Rücküberweisungen und der sozialen Mobilität ihrer Eliten begnügen. Die eigentlichen Entwicklungsziele, die sich Europa auf die Fahne geschrieben hat, wie nachhaltige (ökologische) Entwicklung, drohen diesem ökonomischen "Wettrüsten" Europas zum Opfer zu fallen. Hier entsteht eine neue soziale Verantwortung der europäischen Hochschulen und Forschungsgemeinschaften. Sie sollten sich für diesen globalen Wettbewerbskampf nicht mehr länger von der EU und den eigenen Regierungen instrumentalisieren lassen. Vielmehr gilt es die Konsequenzen dieses "Wettrüstens" für die Allgemeinheit, die nunmehr eine globale Allgemeinheit ist, in echter Kooperation mit den Ländern des Südens aufzuzeigen. Die anstehenden Europaparlamentswahlen könnten hierzu einen ersten Rahmen bieten.

Anmerkungen

1) Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in Asien und Pazifik der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO).

2) UNESCO-Übereinkommen über die Anerkennung von Studien, Diplomen und Graden im Hochschulbereich in den Staaten der europäischen Region.

3) Die offizielle Bezeichnung ist Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region, ETS 165.

4) UNESCO 2009: Records of the General Conference, 35th session Paris, 6 October - 23 October 2009, Volume 1, Resolutions. Paris, UNESCO: 29.

5) Lissabonner Abkommen Art. IV.1, V.1, VI.1; siehe auch Eva Hartmann 2011: Auf dem Weg zu einem globalen Hochschulraum. Konsequenzen für die Konstitutionalisierung internationaler Politik, Baden-Baden: 111.

6) Lissabonner Abkommen Art. III.3(5).

7) Dass die Umsetzung in nationales Recht auch in manchen europäischen Ländern nicht unumstritten war, lässt sich an der Zeitspanne zwischen der Unterzeichnung des Abkommens und dessen Ratifizierung durch das Parlament ablesen. In Deutschland und Italien dauerte der Umsetzungsprozess mit 10 respektive 13 Jahren am längsten. Siehe conventions.coe.int. Hinzu kommt eine Reihe von Umsetzungsschwächen (siehe Europäische Kommission and EuroStat 2012: 55).

8) Tokyo Convention 2011: Asia-Pacific Regional Convention on the Recognition of Qualifications in Higher Education, UNESCO: Art. III.3(4).

9) The Parliament of the Commonwealth of Australia (2013). Report 135, Treaties tabled on 12 March and 14 May 2013: 13-20.

10) www.mfat.govt.nz/Treaties-and-International-Law/03-Treaty-making-process/1-International-Treaties-List/03-Arts-and-Culture.php.

11) OECD 2013: Education at a Glance. Paris: 306.

12) OECD 2013: 304.

13) OECD 2013: 307.

14) OECD 2013: 306 .Allerdings ist es auf Grund fehlender statistischer Genauigkeit nicht einfach, die genaue Anzahl zu eruieren. Die besagte OECD-Studie geht von einem 75%-Anteil der EU-Studierenden aus. Andere Studien verweisen auf einen deutlich geringeren Anteil (vgl. z.B. U. Teichler, I. Ferencz et al., Eds. 2011: Mapping mobility in European higher education Volume I: Overview and trends, Directorate General for Education and Culture (DG EAC) of the European Commission).

15) UNESCO 1988: Preliminary study on the advisability of preparing an international convention on the recognition of studies, degrees and diplomas in higher education, 130 Ex/9: 12.

16) vgl. UNESCO 1965: Executive Board, seventy-first Session, 71 Ex/ decisions, 29 November. Paris: Abs. 3.3.9; Hartmann 2011: 87

17) Hervorhebung E.H., UNESCO 1979: Convention on the Recognition of Studies, Diplomas and Degrees in Higher Education in the States belonging to the Europe Region, adopted at Paris, 21 December 1979, UN Treaty Series NO. 20966.

18) vgl. UNESCO 1993: Records General Conference, Twenty-seventh Session, Paris 25 October to 16 November 1993, Resolutions: 26-27; für eine genauere Analyse siehe Hartmann 2011: 100-103.

19) Bis 2009: EG - Europäische Gemeinschaft.

20) EGV Art. 126, heute AEUV Art. 165.

21) (London Communiqué 2007: para. 2.19&2.20).

22) UNESCO 2013a: Preliminary study on the technical and legal aspects relating to the desirability of a global standard-setting instrument on the recognition of higher education qualifications Item 8.3 of the provisional agenda, 37 C/45. Paris; UNESCO 2013b: Records of the General Conference 37th session Paris, 5 - 20 November 2013, Volume 1 Resolutions. Paris: 31.

23) UNESCO 2013a: No. 7.8.

24) Ibid No.7.5.

25) UNESCO 2013b: 15(3),15(4).

26) Ibid. 15.5.

27) Vgl. z.B. Richtlinie 2003/86/EG.

28) Deren Ersetzung durch eine einzige Richtlinie ist in Vorbereitung (siehe COM(2013) 151, März 2013).

29) Council of the European Union 2013: Council conclusions on the global dimension of European higher education, Council meeting Brussels, 25 - 26 November 2013; Europäischer Rat 2010: Schlussfolgerungen des Rates vom 11. Mai 2010 zur Internationalisierung der Hochschulbildung (2010/C 135/04).

30) Europäische Kommission 2011: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Gesamtansatz für Migration und Mobilität KOM(2011) 743.

31) Europäische Kommission 2013: "Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Den Beitrag der Migration zur Entwicklung optimieren Beitrag der EU zum VN-Dialog auf hoher Ebene - Ausbau der Verknüpfung von Entwicklung und Migration, COM(2013) 292.": 4.

32) Europäische Kommission 2011: 16.


Eva Hartmann forscht und lehrt derzeit an der Kopenhagen Business School, nachdem sie an einer Reihe von Hochschulen in Deutschland, der Schweiz und England, aber auch für internationale Organisationen tätig war.

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