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Bekenntnisschulen als Relikt einer anderen Zeit

04.09.2013: Merkwürdiges aus Nordrhein-Westfalen

  
 

Forum Wissenschaft 3/2013; Foto: photocase.com – Goulden

Konfessionell gebundene Schulen sind eigentlich nichts Besonderes - sofern sie als Schulen in privater (in diesem Fall kirchlicher) Trägerschaft geführt werden. Aber evangelische und katholische Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft? Gibt es, wie ein Blick nach Nordrhein-Westfalen zeigt. Dieses interessante Verhältnis zwischen Kirche und Staat lässt sich unmittelbar aus der Landesverfassung ableiten. Die Merkwürdigkeiten im nordrhein-westfälischen Schulsystem fasst Adeline Duvivier zusammen.

"Bewerben können sich nur Lehrkräfte mit gleichem Bekenntnis (römisch-katholisch)."

Ein kleiner Zusatz bei der Stellenausschreibung einer Privatschule? Nein, dies ist ein so genanntes hartes Kriterium, welches man bei jeder einzelnen Ausschreibung der 911 katholischen - und 76 evangelischen - der insgesamt 2.978 öffentlichen Grundschulen in NRW findet1. Wohlgemerkt, auch wenn es sich um katholische (oder evangelische) Schulen handelt, sind diese gleichzeitig öffentlicher - und nicht etwa privater - Natur. Wie war das nochmal mit Art. 3 GG: "Niemand darf wegen [...] seines Glaubens [...] benachteiligt oder bevorzugt werden"?

Grundlage bildet nach wie vor das Reichskonkordat von 1933, in welchem das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche geregelt ist. Bestehende Bekenntnisschulen wurden darin beibehalten, ebenso durften neue Schulen gegründet werden. Anders als herkömmliche kirchliche Schulen handelt es sich dabei aber um staatliche Schulen, sie stehen also in der Trägerschaft der politischen Gemeinden. Diese Gemeinden tragen alle Kosten mit Ausnahme des Lehrpersonals, die an einer Schule anfallen, so z.B. die Räumlichkeiten, das Mobiliar, die Schulbücher; die Lehrkräfte selber werden vom Bundesland bezahlt. Die Kirche legt die Konfession der Schule fest. Eine solche Regelung stärkt nicht nur den Katholizismus in der Lehrerschaft2, sondern - aufgrund der Multiplikatorenfunktion der LehrerInnen - auch in der Bevölkerung: "Ehrfurcht vor Gott, [...], ist vornehmstes Ziel der Erziehung." besagt schon Art. 7 der NRW-Landesverfassung.

"Falsche Konfession" und die Folgen

Dass ein Drittel der öffentlichen Grundschulen sogenannte konfessionelle Schulen sind, hat selbstverständlich Folgen für die Lehrkräfte: Während der Arbeitsmarkt für GrundschullehrerInnen ohnehin gerade übersättigt ist, stehen ein Drittel der Stellen nur für LehrerInnen eines bestimmten Bekenntnisses zur Verfügung. So ist es im Schulgesetz §26 (7) vorgesehen. Eine Bewerbung ist trotz besserer Noten und Zusatzqualifikation bei "falscher" Konfession aussichtslos, einzig die Lehrkraft, die für den Religionsunterricht der anderen Konfession zuständig ist - so er denn angeboten wird3 - darf der "falschen Kirche" angehören. Auf eine leitende Stelle an der jeweiligen Schule brauchen diese LehrerInnen aber nicht zu hoffen, dies ist nämlich nicht zulässig.

Für die SchülerInnen sind die Folgen allerdings noch weitreichender als für die LehrerInnen: Um eine bekenntnishomogene Schülerschaft zu erhalten, greift man gerne zu allen Mitteln. Entgegen dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht, werden die Eltern von Kindern, die dem Schulbekenntnis nicht angehören, bei der Anmeldung an einer Bekenntnisgrundschule oft aufgefordert, einer Teilnahme am Religionsunterricht zuzustimmen4. Angesichts dessen, dass es in vielen Städten keine Gemeinschaftsgrundschulen gibt5 - also öffentliche Grundschulen, die keine Bekenntnisgrundschulen sind - oder dass die nächste Gemeinschaftsgrundschule viel weiter entfernt liegt, ist dies eine seltsame Regelung. Auf diese Weise haben viele Schulen seit 2008, als die Schulbezirke aufgehoben wurden und die freie Schulwahl eingeführt wurde, versucht, die schon längst schwindende religiöse Homogenität wieder herzustellen. Dies führte zu vielen kuriosen Fällen, wo zum Beispiel Geschwisterkinder abgelehnt wurden, weil sie nicht am Religionsunterricht teilnehmen sollten, oder wo Kinder des passenden Bekenntnisses bevorzugt wurden, obwohl sie weiter weg wohnten als Kinder des "falschen" Glaubens. Da dies alles im Rahmen der gesetzlichen Regelungen erfolgt, finden die jeweiligen Landesregierungen daran nichts Verwerfliches, wie es die diversen Antworten zu Kleinen Anfragen dokumentieren.

Parallel dazu ist anzumerken, dass die gewünschte homogene Schülerschaft trotz aller oben genannten Bemühungen eben gar nicht mehr so homogen ist. Im Schuljahr 2012/2013 gehörten an 54 evangelischen und 263 katholischen Bekenntnisgrundschulen weniger als 50% der SchülerInnen dem jeweiligen Schulbekenntnis an.6 Aufgrund dieser Tatsache besteht die Möglichkeit, diese Schulen in Gemeinschaftsgrundschulen umzuwandeln. Nach Antrag von mindestens 20% der Elternschaft kann darüber abgestimmt werden, ob die Umwandlung stattfindet. An der Wahl selber müssen zwei Drittel aller Eltern teilnehmen, wobei wiederum zwei Drittel der Abstimmenden der Umwandlung zustimmen müssen. Bei einer ähnlichen Regelung in Niedersachsen, dem zweiten Bundesland, wo es Bekenntnisgrundschulen gibt, dürfen aber nur katholische Eltern des jeweiligen Bekenntnisses abstimmen. Zwischen 2003 und dem Schuljahr 2012/2013 haben in NRW 48 Schulen die Schulart geändert7.

Bekenntnisgrundschulen mit nicht homogenem Schülerbekenntnis?

Trotz vereinzelter Umwandlungen bleiben also fast ein Drittel der Grundschulen trotz öffentlicher Trägerschaft in kirchlicher Hand, da dort nach den Grundsätzen des jeweiligen Bekenntnisses unterrichtet wird (Landesverfassung NRW, Art. 12). Ob dies allerdings einen relevanten Unterschied zu den Gemeinschaftsgrundschulen und öffentlichen weiterführenden Schulen macht? Nun, dort wird ebenfalls "auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse" (Landesverf. NRW, Art. 12) erzogen, wobei der zweite Satzteil "und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam" der gesellschaftlichen Diversität wenigstens Rechnung trägt. Anders als in den Bekenntnisschulen müssen die SchülerInnen an Gemeinschaftsschulen nicht an regelmäßigen Gottesdiensten teilnehmen und dürfen sich vom Religionsunterricht abmelden. Für die Umwandlung aller Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen und damit dafür, dass alle SchülerInnen in dieselbe Schule gehen dürfen und nicht aufgrund eines Taufscheins in unterschiedliche Gebäude hineingehen müssen, kämpfen oft einzelne Eltern vor Ort. Zuvörderst für ihr eigenes Kind, aber auch für andere, denn aufgrund der "grundsätzlichen Tragweite der Verfahren"8 können entsprechende Klagen eben nicht mehr als Einzelfälle behandelt werden, wie eine Richterin im Fall eines muslimischen Kindes in Paderborn entschied, die den Fall an die Kammer zurückgab. Bisher existiert noch kein Grundsatzurteil über die Aufnahmepraxis (und das Bestehen) von Bekenntnisschulen, aber es ist zu erwarten, dass viele Schulen aufgrund ihrer schon bestehenden hohen konfessionellen Heterogenität der gesetzlichen Prüfung nicht Stand halten werden. Bis zur vollständigen Umwandlung aller Bekenntnisschulen ist es vorerst noch ein langer Weg, aber außerparlamentarische Initiativen wie Kurze Beine kurze Wege9 unterstützen bis dahin die innerparlamentarischen Anfragen der Piraten und der Linksfraktion10. Diese hatte schon Ende 2011 durch einen parlamentarischen Antrag versucht, das Erziehungsziel "Ehrfurcht vor Gott" aus der Landesverfassung zu streichen11, wohingegen alle anderen damaligen Fraktionen geschlossen dagegen standen und die "christlichen Werte" verteidigten.

Anmerkungen

1) Landtag NRW - Drucksache 16/2692 - Antwort an die Kleine Anfrage 1006 der Piraten "öffentliche Bekenntnisgrundschulen"

2) vgl. Carsten Frerk 2010: Violettbuch Kirchenfinanzen: 154.

3) Laut Drucksache 16/2691 des Landtags NRW - Antwort auf die Kleine Anfrage 1004 der Piraten wird an 9 evangelischen und an 242 katholischen Bekenntnisgrundschulen Religionsunterricht für das jeweils andere christliche Bekenntnis erteilt.

4) Landtag NRW - Drucksache 16/2691 - Antwort auf die Kleine Anfrage 1004 der Piraten "Religionsunterricht und religiöse Erziehung an öffentlichen Bekenntnisgrundschulen".

5) vgl. Landtag NRW Drucksache 16/3263 - Antwort auf die Kleine Anfrage der Piraten - Nachfragen zu öffentlichen Bekenntnisgrundschulen.

6) Landtag NRW Drucksache 16/2691.

7) Landtag NRW Drucksache 16/2692.

8) www.kurzebeinekurzewege.de/endlich-juristischer-ruckenwind-viele-bekenntnisgrundschulen-sind-eigentlich-gemeinschaftsschulen/ (05.08.2013).

9) www.kurzebeinekurzewege.de/.

10) ...bis sie bei den letzten Landtagswahlen aus dem Parlament ausschied.

11) archiv.linksfraktion-nrw.de/aus_ dem_landtag/argument_der_woche/detail_fuer_argument_der_woche/artikel/das-erziehungsziel-ehrfurcht-vor-gott-gehoert-nicht-in-die-landesverfassung-von-nrw/ (05.08.2013).


Adeline Duvivier, kommt aus dem laizistischen Frankreich und wundert sich jeden Tag über die Überbetonung christlicher Werte im Schulzusammenhang. Nach einem Lehramtsstudium absolviert sie gerade ihren Vorbereitungsdienst.

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