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Klaus Holzkamp

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Betrug oder Schlamperei

15.04.2013: Plagiats-Affäre Schavan

  
 

Forum Wissenschaft 1/2013; Foto: photocase.com – maspi

Plagiatsaffären ohne Ende: Nun hat es also auch Annette Schavan erwischt. Am 5.2.2013 entzog die Universität Düsseldorf ihr den Titel des Dr. phil., wenige Tage später trat sie von ihrem Amt als Bundesministerin für Bildung und Forschung zurück. Die Vorwürfe gegen Schavan lösten - wie auch schon in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit - eine intensive öffentliche Debatte aus, in der freilich lautstarke populistische Äußerungen dominierten - je nach (partei)politischer Verortung wurde entweder Schavans Rücktritt gefordert - oder abgewiegelt. Sachliche Äußerungen zum Thema waren hingegen selten. Eine löbliche Ausnahme ist das Interview mit Gerhard Dannemann, das am 29. Januar im Internetportal Studis Online veröffentlicht wurde. Der Beitrag erschien zwar vor dem Rücktritt Schavans, erscheint uns aber dennoch informativ genug, um ihn hier mit freundlicher Genehmigung zu dokumentieren. Das Interview mit Gerhard Dannemann führte Ralf Wurzbacher.

Ungemach für Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Der Rat der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf hat in der Vorwoche beschlossen, ein Verfahren zur Aberkennung ihres vor über 30 Jahren erlangten Doktorgrads einzuleiten. Zu prüfen ist nun, ob sie bei ihrer Dissertation vorsätzlich geschummelt hat, um zu akademischen Würden zu gelangen. Nach Ansicht von Gerhard Dannemann hat die CDU-Politikerin ihren Titel nicht verdient. Im Gespräch mit Studis Online erklärt der Juraprofessor, was ihr vorzuwerfen ist und wie ihr schlechtes Beispiel Schule machen könnte.

Studis Online: Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) steht im Verdacht, bei ihrer im Jahr 1980 vorgelegten Dissertation Person und Gewissen geschummelt zu haben. Sie sagen, diese Arbeit hat den Doktorgrad nicht verdient. Was beanstanden Sie konkret?

Gerhard Dannemann: Diese Arbeit weist gravierende Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis auf. Es gehört nun einmal zu den Geboten wissenschaftlichen Arbeitens, verwendete Quellen zu zitieren und klar zu kennzeichnen, wo Wortlaut übernommen wird. Beide Regeln werden in der Dissertation immer wieder missachtet. Und dies nicht nur ein- oder zweimal, sondern - je nachdem, wie großzügig oder kleinlich man ist - zwischen 40 und 90mal.

SO: Nun stellt sich ja die Frage, ob Frau Schavan wissentlich und vorsätzlich getäuscht hat. Wie lautet dazu Ihre Einschätzung?

GD: Ein Doktorgrad kann nachträglich in der Tat nur bei nachgewiesenem Vorsatz entzogen werden und eben nicht für den Fall, dass fahrlässig oder in Unkenntnis der Regeln gehandelt wurde. Professor Stefan Rohrbacher hat in seinem Gutachten für den Promotionsausschuss der philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf Frau Schavan eine "leitende Täuschungsabsicht" unterstellt. Ich halte diesen Schluss für nachvollziehbar, aber nicht für zwangsläufig, zumal an der Arbeit in weiten Teilen nichts auszusetzen und die Regeln offenbar eingehalten werden. Um zu einem Urteil zu gelangen, reicht es nicht, nur den Text zu durchforsten. Frau Schavan muss befragt werden, ebenso ihr damaliger Betreuer. Aus all dem kann sich die Fakultät dann ein Gesamtbild machen und muss dann urteilen, ob ein Vorsatz vorliegt oder nicht.

SO: Lässt sich ein Vorsatz in solchen Fällen überhaupt zweifelfrei nachweisen? Oder gibt es verbindliche Maßstäbe, nach denen das zu entscheiden ist?

GD: Ich halte mich da an die Rechtsprechung. Ab einer gewissen Häufigkeit an Regelverstößen gehen Gerichte davon aus, dass vorsätzlich plagiiert wurde, wenn nicht eine andere plausible Erklärung ersichtlich ist. Es ist ja auch nicht weiter schwer, richtig zu zitieren oder herauszufinden, wie man richtig zitiert. Und Frau Schavan hat ja in derselben Arbeit an anderen Stellen bewiesen, dass sie es kann. Dazu kommt, dass sie damals mit ihrer Unterschrift eidesstattlich versichert hat, alle ihre Quellen angegeben zu haben. Bleibt die Frage, warum sie sich nicht daran gehalten hat.

SO: Gibt es so etwas wie einen Grenzwert an Regelverstößen, bei dessen Überschreitung die Gerichte angehalten sind, einen Vorsatz festzustellen?

GD: Das lässt sich nicht allgemein festlegen, schon weil die Arbeiten unterschiedlich lang sind und in der Art und Schwere der Verstöße variieren. Es besteht nicht einmal Einigkeit darüber, ab welcher Anzahl von Wörtern Anführungszeichen zu setzen sind. Man würde einen Doktoranden auch nicht abstrafen, wenn er an einer Stelle mal zehn zusammenhängend übernommene Wörter nicht als Zitat gekennzeichnet hat. Es ist die Summe der Verstöße, die darüber entscheidet, ob man in der Note abgestuft wird oder gar durchfällt. Das ist aber immer am Einzelfall unter Berücksichtigung vieler Faktoren zu entscheiden.

SO: Das Plagiatportal Schavanplag hat in der Dissertation der Ministerin auf 97 von knapp 320 Seiten Verfehlungen ausfindig gemacht. 45 Quellen wurden demnach nicht oder ungenügend kenntlich gemacht. Ist das nicht ein ziemlich beachtliches Sündenregister?

GD: Bei manchen dieser Punkte würde ich sagen: Kleinkram. Und auch das Gutachten von Herrn Rohrbacher hat wohl 30 dieser Stellen wegen der Geringfügigkeit des Verstoßes außen vor gelassen. Was mich an der Arbeit am meisten stört, sind die Passagen, wo über mehrere Sätze, einmal eine ganze Seite lang, in einem Fall sogar eineinhalb Seiten aus einer Quelle übernommen wurden, ohne dies richtig oder überhaupt zu kennzeichnen. In der ganzen Arbeit gibt es etwa ein halbes Dutzend derartiger Stellen. Frau Schavans Arbeit liest sich so, als gäbe sie selbst Siegmund Freud, Carl Gustav Jung, Alfred Adler und Igor Caruso wieder, tatsächlich stützt sie sich aber nur auf Sekundärliteratur. Sie vermittelt den Eindruck, sie hätte sich mit allen Primärquellen auseinandergesetzt. In einigen Fällen, hat sie dies aber erkennbar nicht getan. Insbesondere da, wo sie falsche Titelangaben aus ihrer Quelle übernommen hat oder aus Gerhard Adler den Psychotherapeuten Alfred Adler gemacht hat.

SO: Sollte sich Frau Schavan angesichts solcher Bolzen nicht besser damit herausreden, dass sie einfach schlampig gearbeitet hat? Das wäre zwar peinlich, aber doch allemal glaubwürdiger als ihre Behauptung, sie habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Oder?

GD: Wir wissen natürlich nicht, wie Frau Schavan im Düsseldorfer Verfahren auf die einzelnen Vorwürfe eingegangen ist. Öffentlich erleben wir sie, wie sie jeden Fehler abstreitet. Das ist aber einfach nicht haltbar, und eigentlich hätte auch ich erwartet, dass sie ihre Verstöße gegen die Zitierregeln eingesteht und sagt: "Tut mir leid, war keine Absicht."

SO: Weil Dummheit in diesem Fall auch vor Strafe schützen könnte ...

GD: Das Verwaltungsrecht bestimmt, dass ein Doktortitel auch noch nach Jahrzehnten zurückgezogen werden kann, sofern vorsätzliches Fehlverhalten vorliegt. Fahrlässige Unkenntnis der Zitierregeln und sonstige Versehen würden dafür tatsächlich nicht ausreichen.

SO: Schavan hat Rückendeckung durch die sogenannte Allianz der Wissenschaftsorganisationen erhalten. Eines ihrer Argumente lautet, vor 30 Jahren wären die wissenschaftlichen Ansprüche andere, sprich laxere gewesen. Was halten Sie von dieser These?

GD: Gar nichts. 1980 war ich im Grundstudium, und da habe ich gelernt, dass man so nicht mit Quellen umgehen darf. Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass die Uni Düsseldorf so etwas vor 30 Jahren gutgeheißen hätte. Nun wird behauptet, bei den Erziehungswissenschaften wären damals weniger strenge Maßstäbe angelegt worden. Was heißt das? Wurde Erziehungswissenschaftlern wirklich beigebracht, dass sie absatzweise eine Quelle abschreiben dürfen, ohne dabei auf sie zu verweisen? Oder hat sich nur in der Praxis eine Haltung eingeschlichen, mit der Schummeln beim Zitieren als eine Art Kavaliersdelikt wie Falschparken gesehen wird? Selbst wenn letzteres zuträfe, wäre das noch nichts, was Frau Schavan entlastet. Falschparker werden schließlich auch zur Kasse gebeten.

SO: Haben Sie Sorge, mit derlei Argumenten könnte Schlamperei und mithin sogar Betrügerei in der Wissenschaft bagatellisiert werden?

GD: Ich halte diese Diskussion für hochgefährlich. Hier will man, um eine Ministerin zu retten, die man für sehr fähig und auch nützlich hält, die Standards so weit senken, bis Frau Schavans Arbeit mit Ach und Krach noch durchgeht. Nur was richtet man damit an? Wissenschaftler stehen unter Publikationsdruck, und schon heute gibt es den Trend: Masse statt Klasse. Wenn es jetzt noch heißt, das geht schon in Ordnung, wie Frau Schavan gearbeitet hat, erhöht das den Druck, nach niedrigem Standard und dafür mehr zu produzieren. Außerdem machen wir uns damit international lächerlich.

SO: Besagte Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein loser Verbund namhafter Forschungsinstitute und Forschungsförderer, darunter die Alexander von Humboldt-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Alle hängen am Tropf des Wissenschaftsministeriums. Hätten Sie sich aus dieser Ecke ein wenig mehr Zurückhaltung gewünscht?

GD: Auf alle Fälle. Geärgert habe ich mich auch über den ehemaligen DFG-Präsidenten, Wolfgang Frühwald. Unter seiner Ägide wurden Richtlinien für gute Wissenschaftliche Praxis festgelegt, und nun schreibt er in der Süddeutschen Zeitung etwas ganz anderes: Man dürfe alles ungekennzeichnet abschreiben außer Kernthesen und Kernaussagen einer Arbeit. Das ist gefährlich für den ganzen Wissenschaftsbetrieb.

SO: Auch und weil der Fall für heutige und kommende Studierende ein schlechtes Beispiel abgeben könnte?

GD: Richtig. Wie soll ich meinen Studierenden und Doktoranden vermitteln, Frau Schavan darf das, Sie aber nicht?

SO: Muss also die Ministerin Ihren Doktorgrad aberkannt bekommen, schon der abschreckenden Wirkung wegen?

GD: Es geht wirklich nicht darum, an ihr ein Exempel zu statuieren. Sie sollte genauso behandelt werden wie jede andere Person auch. Und ihr Fall ist längst nicht so eindeutig wie etwa beim ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Dessen Doktorarbeit besteht ganz überwiegend aus Plagiaten. Die Philosophische Fakultät der Uni Düsseldorf wird sich jetzt sehr genau anhören müssen, welche Erklärungen Frau Schavan für die einzelnen Fehler vorzubringen hat. Dann wird sie alle Umstände abwägen müssen. Ich kann nicht absehen, wie es ausgeht und will der Entscheidung auch nicht vorgreifen.


Ralf Wurzbacher hat Politik und Medienberatung studiert, war Volontär und Redakteur bei der jungen Welt und arbeitet als freischaffender Journalist mit den Schwerpunkten: Bildung, Hochschulen und Soziales. Gerhard Dannemann ist Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität Berlin (HUB) und arbeitet beim Plagiatportal VroniPlag mit.

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