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Studierende Kinder?

17.11.2011: Zur Unterhaltspflicht in Österreich

  
 

Forum Wissenschaft 3/2011; Foto: Sven Hoffmann – Fotolia.com

Das österreichische System der Studienfinanzierung setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: Unterhalt der Eltern, Familienlastausgleich und Studienbeihilfe. Sein Konzept fußt auf der Vorstellung, dass Studierende bei ihren Eltern wohnen und zur Universität pendeln, wie Sigrid Maurer nachweist.

Nach der bekannten Klassifizierung von Gøsta Esping-Andersen ist Österreich ein konservativer Wohlfahrtsstaat, der soziale Absicherung der Eigenverantwortung der BürgerInnen unterordnet und dem ein traditionelles Familienbild zu Grunde liegt.1 Das österreichische System der Studienfinanzierung spiegelt diese Konzeption eindeutig wider - StudentInnen werden in Österreich nicht wie selbstständige Erwachsene, sondern wie ›studierende Kinder‹ behandelt.

Das österreichische Studienfinanzierungssystem basiert auf der (gesetzlichen) Verpflichtung, dass die Eltern2 finanziell für ihre Kinder bis zum Abschluss des Studiums sorgen. Das ist die zentrale Säule der Studienfinanzierung - die staatlichen Unterstützungsleistungen sind um sie herum gebaut.

Unterhaltspflicht der Eltern

Eltern sind in Österreich grundsätzlich unterhaltspflichtig, solange ihre Kinder nicht selbsterhaltungsfähig sind. Bei Studierenden tritt diese Selbsterhaltungsfähigkeit in der Regel erst mit Abschluss des Studiums ein, wobei es keine Altersbegrenzung gibt: Solange sie innerhalb der Durchschnittsdauer ihres Studiums liegen, haben sie Anspruch auf Unterhalt durch ihre Eltern. Wenn der oder die Studierende im selben Haushalt wohnt wie beide Elternteile, ist der Unterhalt in Naturalleistungen zu erbringen, also durch die Bereitstellung von Wohnraum, Nahrungsmitteln, Kleidung und Taschengeld. Ein Anspruch auf einen in Geld ausbezahlten Unterhalt entsteht erst, wenn ein Elternteil nicht im selben Haushalt wohnt bzw. der oder die Studierende in einer eigenen Wohnung lebt. Die Höhe des Unterhalts ergibt sich aus dem Bedarf der/des Studierenden und der Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Eltern sowie der Anzahl der Geschwister. Der Regelsatz für Kinder über 15 Jahre ist mit 22% des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens der Eltern beziffert, bei mehreren Kindern reduziert sich dieser Satz um ein bis zwei Prozent (je nach Alter der restlichen Kinder). Es wird hierzu der Jahresnettoverdienst der Eltern aus dem Vorjahr durch zwölf dividiert; hiervon beträgt der Unterhaltsanspruch eines Einzelkindes 22%.3

Staatliche Unterstützungen

Ganz grundsätzlich unterstützt Österreich Familien überwiegend mit Direktzahlungen und nur in geringem Ausmaß mit Sachleistungen wie z.B. frühkindlichen oder ganztätigen Betreuungsangeboten. Dahinter steckt ein konservatives Familien- und vor allem Frauenbild - Mütter sollen zu Hause bei den Kindern bleiben. Um den hohen finanziellen Aufwand für die Kindererziehung und -versorgung abzufedern,wurde 1955 das Familienlastenausgleichsgesetz verabschiedet, das allen Eltern über die Familienbeihilfe monetäre Unterstützung zusichert. Zu deren Finanzierung wurde der Familienlastenausgleichsfonds eingerichtet, der in erster Linie über Arbeitgeberbeiträge für alle unselbstständig Beschäftigen - auch der kinderlosen - finanziert wird. 4,5% der Bruttolohnsumme muss der Arbeitgeber in den Fonds einbezahlen. Ferner werden auch Beiträge der Länder, der Selbstständigen und der LandwirtInnen eingehoben.

Der Anspruch auf Familienbeihilfe besteht grundsätzlich, solange sich Kinder in einer Berufsausbildung befinden, dazu zählt auch ein Studium. Antragsberechtigt sind die unterhaltspflichtigen Eltern, dementsprechend wird die Familienbeihilfe auch an diese ausbezahlt. Die Höhe der Beihilfe beträgt ab dem 19. Lebensjahr des Kindes 152,70Euro im Monat, mit ihr wird gleichzeitig der steuerliche Kinderabsetzbetrag4 in der Höhe von 58,40Euro ausbezahlt. Hinzu können noch Mehrkindzuschlag und Unterhaltsabsetzbetrag kommen.

Für studierende Kinder besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe nur dann, wenn diese "ernsthaft und zielstrebig" studieren, das bedeutet, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Mindeststudiendauer plus Toleranzsemester (nicht: Durchschnittsstudiendauer!) liegen. Das entspricht der regulären Studienzeit laut Curriculum (z.B. sechs Semester für ein Bachelorstudium) plus zwei Toleranzsemester. Außerdem müssen im ersten Jahr mindestens 16 ECTS-Punkte an Lehrveranstaltungen nachgewiesen werden.5

Bis 30. Juni 2011 wurde die Familienbeihilfe bis zum 26. Geburtstag ausgezahlt, im Rahmen des Sparpaketes 2011 wurde diese Leistung jedoch um zwei Jahre gekürzt, sie wird nur mehr bis zum 24. Geburtstag ausbezahlt. Im Ausnahmefall - etwa für Studierende, die Zivildienst ableisten oder die ein Studium mit einer regulären Dauer von zehn oder mehr Semestern studieren, kann sie auch bis zum 25. Geburtstag ausbezahlt werden. Durch die Kürzung verlieren nach Berechnungen der ÖH 27.000 Studierende (bzw. deren Eltern) in Österreich rund 2.700Euro pro Jahr.

Die dritte Komponente der Studienfinanzierung neben Elternunterhalt und Familienlastenausgleich ist die Studienförderung (auch Stipendium6 oder Studienbeihilfe), die 1969 eingeführt wurde. Sie dient dazu, jene Studierenden zu unterstützen, die von ihren Eltern aufgrund eines sehr niedrigen Einkommens nicht ausreichend finanziert werden können. Der Anspruch auf Studienbeihilfe ist ähnlich wie bei der Familienbeihilfe an das Studium in Mindeststudienzeit plus Toleranzsemester gebunden, der zu erbringende Leistungsnachweis ist jedoch höher - mindestens 30 ECTS-Punkte sind pro Jahr zu absolvieren. Die Höhe der Beihilfe ergibt sich aus dem Höchstbetrag von 679Euro im Monat, von dem die Unterhaltsleistung der Eltern, die Familienbeihilfe (falls sie bezogen wird) sowie der Betrag einer "zumutbaren Eigenleistung" der Studierenden abgezogen wird. Zudem gibt es auch in der Ausgestaltung der Studienbeihilfe eine starke Einschränkung durch das veraltete Familienmodell. Die sogenannte "Auswärtigkeitsregel" sieht vor, dass Studierende falls möglich bei den Eltern wohnen müssen, um die volle Beihilfe zu erhalten. Die Möglichkeit, bei den Eltern zu wohnen, definiert sich anhand der Fahrtzeit zum Studienort - bis zu maximal einer Stunde pro Richtung gilt das Pendeln als zumutbar. Für Studierende, die trotz ›Möglichkeit‹ nicht bei den Eltern wohnen, gilt ein Höchstsatz von 475Euro - 204Euro weniger als bei ›wirklich‹ auswärtigen Studierenden.7

Abseits des klassischen Sozial-Stipendiums gibt es weitere Förderungen, die auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sind und von vergleichsweise wenigen Studierenden in Anspruch genommen werden. Auf sie trifft die Konzeption rund um ein traditionelles Familienbild nicht zu. Studierende, die nach einer mindestens vierjährigen Erwerbstätigkeit ein Studium beginnen, können ein SelbsterhalterInnenstipendium beantragen,8 Studierende, die am Ende ihres Studiums ihre Erwerbstätigkeit für das Verfassen einer Abschlussarbeit einschränken wollen, können ein Studienabschlussstipendium beantragen.9 Es werden auch diverse Leistungsstipendien ausbezahlt, von denen in erster Linie Studierende aus gehobener Schicht profitieren.

Abgesehen von Stipendien gibt es noch einige weitere Ermäßigungen bzw. Unterstützungen für Studierende: Ermäßigte Tickets für den öffentlichen Verkehr, für diverse Kulturangebote oder vergünstigtes Mensa-Essen sowie die staatliche Förderung von Studierendenheimen sollen den Studierendenalltag erleichtern. Diese Vergünstigungen werden jedoch seit geraumer Zeit immer mehr eingeschränkt. In den 1990er Jahren wurden die damalige Studierendenfreifahrt, d.h. die kostenlose Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, sowie ein Jahr der Familienbeihilfe gestrichen (von 27 auf 26 Jahre). Im Rahmen großer neoliberaler Umstrukturierungen an den Universitäten wurden 2001 Studiengebühren eingeführt, die nach der Regierungsauflösung 2008 von einer Ad-Hoc-Koalition für ca. 80% der Studierenden wieder abgeschafft wurden, das Thema bestimmt jedoch nach wie vor die Diskussion um die Finanzierung der Universitäten. Im Rahmen des Sparpaketes für das Budget 2011 wurde die Familienbeihilfe um weitere zwei Jahre gekürzt (von 26 auf 24), die Zuschüsse für den Bau von Studierendenheimen und zur studentischen Selbstversicherung10 wurden gestrichen.

Die Formulierungen in den Gesetzestexten illustrieren sehr deutlich, dass StudentInnen in Österreich nicht als mündige Erwachsene, sondern als "studierende Kinder" verstanden werden. Diese Bevormundung setzt sich auch im Studienrecht z.B. mit einer starken Verschulung und Aufnahmetests fort. Studierende müssten "an der Hand genommen werden", ließ eine österreichische Vizerektorin verlauten, sie sollen nicht ihr Studium auswählen, die Hochschule zeige ihnen mittels Aufnahmetests, wofür sie geeignet wären.

Starke Abhängigkeit von den Eltern

Die österreichische Studienfinanzierung erfolgt über drei Mechanismen: Das Unterhaltsrecht, den Familienlastenausgleich (an die Eltern) und die Studienbeihilfe. Diese Mechanismen sind dabei unter der Annahme ausgestaltet worden, dass die Studierenden im Regelfall bei ihren Eltern wohnen bleiben. Eine - hervorhebenswerte - Ausnahme hiervon ist das Selbsterhalterstipendium für Berufstätige, die ein Studium machen wollen.

Die Probleme des österreichischen Systems ergeben sich auch aus dem konservativen (und nicht der sozialen Realität entsprechenden) Familienbild: Vielfach wollen weder die Studierenden noch ihre Eltern während des Studiums in einem gemeinsamen Haushalt leben. Neben der Frage des Wollens scheitert dies oft auch am Können: Auch wenn die Anfahrtszeit zum Studienort theoretisch "nur" bei einer Stunde liegen würde, scheitert eine solche Konzeption häufig an den öffentlichen Verkehrsmitteln, die gerade in ländlichen Gebieten große Intervalle und selten Verbindungen am späteren Abend aufweisen. Nachdem auch das soziale Leben rund um die Hochschule zum Studium gehört, wirkt sich eine solche Einschränkung erst recht negativ auf Studierende aus einkommensschwachen Schichten aus, die sich eine eigene Wohnung eben nicht leisten können. Studierende, die sich ihr Leben selbst - unabhängig von ihren Eltern - organisieren, werden durch eine Kürzung der Studienbeihilfe bestraft.

Die Studienbeihilfe erhalten Studierende auf ihr eigenes Konto, die Auszahlung der Familienbeihilfe kann nur in besonderen Fällen direkt erfolgen. Zwar wurde im Nationalrat die Direktauszahlung der Familienbeihilfe an die Studierenden bereits beschlossen, die Umsetzung dieses Beschluss ist jedoch bis heute nicht erfolgt. Durch die Abhängigkeit der Studierenden vom Good Will ihrer Eltern entstehen häufig Konflikte. Studierende, die aus Sicht der Eltern das ›falsche‹ Studium wählen, erhalten häufig keine finanzielle Unterstützung oder werden dazu gezwungen, das ›richtige‹ Studium zu inskribieren, beispielsweise, wenn eine Kanzlei oder Praxis zu übernehmen wäre. Ebenso kann ein aus Sicht der Eltern persönliches Fehlverhalten mit der Einbehaltung der finanziellen Unterstützung sanktioniert oder deren Auszahlung an persönliche Bedingungen geknüpft werden, die mit den rechtlichen Vorgaben für die Unterhaltsleistungen nichts zu tun haben. Der Rechtsanspruch auf Unterhalt ist einklagbar, die ÖH unterstützt diese Fälle vor Gericht. Ein solches Verfahren zu beginnen, ist jedoch oft schwierig - wer will schon seine eigenen Eltern verklagen? Zudem erhalten die Betroffenen während der häufig langen Verfahren keine finanzielle Unterstützung (z.B. durch einen Unterhaltsvorschuss durch den Staat).

Soziale Lage der Studierenden

Dass das österreichische Studienfinanzierungssystem nicht zeitgemäß ist, ist allgemein bekannt. Dass die Unterstützungsleistungen völlig unzureichend sind, zeigt alle Jahre wieder die Erhebung zur sozialen Lage der Studierenden, die vom Institut für Höhere Studien (IHS) im Auftrag des Bundeswissenschaftsministeriums (bmwf) in Kooperation mit der ÖH durchgeführt wird. Zentrale Ergebnisse dieser Erhebung sind seit vielen Jahren die schlechte soziale Durchmischung an den österreichischen Hochschulen, die prekäre finanzielle Situation und die daraus resultierend äußerst hohe Quote an Erwerbstätigen unter den Studierenden.

Die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems wird jährlich von zahlreichen Studien bestätigt. Über die soziale Zusammensetzung der MaturantInnen11 gibt es keine empirischen Daten, es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Selektivität mit den Hürden zu Studienbeginn weiter verschärft, denn das Bild setzt sich bei Betrachtung der Zusammensetzung der StudienanfängerInnen fort. Die EURscheinlichkeit ein Studium zu beginnen ist für Kinder, deren Väter mindestens Matura haben, 2,6 mal höher als für Kinder mit Vätern ohne Matura.12 Bereits in den 1970er Jahren war die starke Überrepräsentation von Studierenden aus bildungsnahen Familien Anlass für umfangreiche sozialpolitische Maßnahmen. So schaffte die damalige Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg (SPÖ) die Studiengebühren (damals Hochschultaxen) ab und baute Unterstützungsmechanismen für Studierende wie die Studienbeihilfe und Studierendenwohnheime aus. Firnberg trat offensiv für Chancengleichheit ein und verteidigte vehement den offenen und freien Hochschulzugang gegen die Forderung nach einem Numerus Clausus. Die Zahl der Studierenden aus ArbeiterInnenfamilien steigerte sich zwar 1974 von 7% auf 13%, die grundsätzliche Problematik blieb jedoch bis heute bestehen.13 In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder das ›Versagen‹ des offenen und freien Hochschulzuganges angeprangert. Ex-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) sah sogar Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen als Maßnahmen für die Verbesserung der sozialen Durchmischung an.14

In Österreich arbeiten 61,2% aller Studierenden während des Semesters, und zwar durchschnittlich knapp 20 Stunden pro Woche.15 Die Motive dafür sind in erster Linie die finanzielle Notwendigkeit: 79% der Erwerbstätigen geben an, dass diese Einnahmen unbedingt für die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes notwendig sind, 54% nennen die Deckung der Studienkosten als Motiv. In Bezug auf die Gestaltung des Beihilfensystems und die extreme Abhängigkeit der Eltern zeigt sich, dass diese für Studierende durchwegs problematisch sein dürfte: 69% geben finanzielle Unabhängigkeit als Grund für ihre Erwerbstätigkeit an.16 Im europäischen Vergleich ist der Anteil von ›TeilzeitstudentInnen‹ mit 32% sehr hoch, nur die Slowakei liegt hier noch höher.17 Ebenso zeigt sich der geringe staatliche Beitrag zur Studienfinanzierung, der nur 9% des Gesamtbudgets der Studierenden ausmacht (exkl. Familienbeihilfe), auch hier wird die starke Abhängigkeit vom selbst verdienten Geld, das 50% der studentischen Einnahmen ausmacht, deutlich.18

Die Studierendensozialerhebung zeigt auch, dass die Studierenden mit ihrer finanziellen Situation mitunter große Probleme haben: 27% der Studierenden geben an, schlecht oder sehr schlecht mit ihren finanziellen Mitteln auszukommen, wobei dies ältere Studierende und solche aus niedrigeren sozialen Schichten stärker trifft. Auffallend ist dabei, dass finanzielle Probleme häufig im Alter von 26 Jahren mit dem Wegfall von Beihilfen einhergehen.19 Die schlechte soziale Absicherung der Studierenden in Österreich drängt sie in die Erwerbstätigkeit - was in den allermeisten Fällen dazu führt, dass sie weniger Zeit in ihr Studium investieren können. Die so entstehenden Studienzeitverzögerungen führen in weiterer Folge zum Verlust der Beihilfen, da die vorgeschriebene Studiendauer nicht eingehalten werden kann. Um die Verluste zu kompensieren, müssen die Studierenden noch mehr arbeiten, was dazu führen kann, dass sie ihr Studium aus Zeitmangel nicht mehr abschließen können. Dies ist einer der Gründe für die Einführung des bereits erwähnten Studienabschlussstipendiums.

Studentische Grundsicherung

Die Österreichische HochschülerInnenschaft drängt seit vielen Jahren auf Verbesserungen der Unterstützungssysteme. So wären dringend die Erhöhung der Höchstsätze, die regelmäßige Index-Anpassung und die Ausweitung des BezieherInnenkreises sowie die Streichung der Auswärtigkeitsregel bei der Studienbeihilfe notwendig. Doch auch mit diesen Maßnahmen blieben die strukturellen grundlegenden Probleme weiter bestehen. Studierende sind volljährige, mündige Menschen, die ein eigenständiges Leben führen und selbstbestimmt ihren Lebens- und Bildungsweg gestalten können müssen. Dazu muss die Studienfinanzierung jedoch von der Familie, deren Einkommen und Vermögen entkoppelt werden.

Langfristig fordert die ÖH deshalb die Einrichtung einer studentischen Grundsicherung, bei der Studierende unabhängig von der Einkommenssituation ihrer Eltern für die Zeit ihres Studiums vom Staat finanziert werden.20 Für die Finanzierung einer solchen Grundsicherung sollten zum einen die bereits bestehenden Mittel für die Familien- und die Studienbeihilfe herangezogen werden. Der übrige Anteil der Finanzierung soll über steuerliche Mehreinnahmen durch die Anhebung vermögensbezogener Steuern erfolgen. Dies würde einen sozialen Ausgleich garantieren - vermögende Eltern würden entsprechend mehr zur Studienfinanzierung beitragen und damit Studierende aus schwächeren Schichten unterstützen. Die soziale Absicherung von Studierenden muss in der Verantwortung des Staates, nicht in der ihrer Eltern liegen. Die Einführung einer studentischen Grundsicherung wäre dementsprechend ein großer Schritt in Richtung studentischer Selbstbestimmtheit.

Anmerkungen

1) vgl. Carsten G. Ullrich, 2005: Soziologie des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt a.M., 46; siehe auch den Beitrag von Jochen Dahm in diesem Heft

2) Wenn im Folgenden von "Eltern" und "Kindern" die Rede ist, dann sind nicht zwangsläufig biologische Eltern und Kinder gemeint, sondern rechtliche. Dies können auch Adoptivkinder Pflegeeltern, usw. sein.

3) vgl. ÖH Bundesvertretung, 2008: Unterhalt für Studierende, Wien, 10-19

4) Das österreichische Steuersystem unterscheidet sich hier vom deutschen: in Deutschland werden Freibeträge grundsätzlich von der Bemessungsgrundlage abgezogen, dadurch verringert sich die Steuerschuld je nach Höhe des Einkommens (Progression), in Österreich werden die Absetzbeträge von der Steuerschuld abgezogen. Die Entlastung umfasst daher für alle SteuerzahlerInnen den selben Betrag.

5) vgl. ÖH Bundesvertretung, 2011: Sozialbroschüre, Wien, 20ff

6) Der Begriff des Stipendiums ist in Österreich anders besetzt als in Deutschland. Hier sind auch Unterstützungsleistungen des Staates mit Rechtsanspruch gemeint.

7) vgl. ÖH Bundesvertretung, 2001: Sozialbroschüre, Wien, 41ff

8) vgl. ebd., 72

9) vgl. ebd., 88

10) Studierende unter 26 sind meist bei der Krankenversicherung der Eltern mitversichert. Lief diese Versicherungsform aus, konnten sich Studierende zu einem vergünstigten Tarif selbst versichern.

11) Die Matura entspricht dem deutschen Abitur.

12) vgl. Martin Unger et al, 2010: Studierenden-Sozialerhebung 2009: Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, Wien, 60ff

13) Marlen Schachinger, 2009: Hertha Firnberg: Eine Biografie, Wien, 136ff

14) vgl. diewoche.at vom 13.04.2011: www.woche.at/klagenfurt/politik/qfreier-zugang-zur-hochschule-hat-versagtq-d37781.html

15) Unger et al. 2010: 140

16) vgl. ebd., 151

17) vgl. Dominic Orr et al, Social and Economic Conditions of Student Life in Europe: Synopsis of Indicators/Eurostudent IV, o. O., 92

18) vgl. ebd., 118

19) vgl. Unger et al. 2010, 418ff

20) vgl. Stefan Tacha, 2011: "Soziale Ungleichheit im Bildungssystem", in: ÖH Bundesvertretung (Hg.): Wessen Bildung: Beiträge und Positionen zur bildungspolitischen Debatte, Wien, 64


Sigrid Maurer studiert Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien und war bis Juni Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH)

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