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Klaus Holzkamp

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Forum Wissenschaft

Der Übergang Schule-Hochschule

15.03.2007: Eine andere Sicht auf den Hochschulzugang

  
 

Forum Wissenschaft 1/2007; Foto: Hermine Oberück

Die Diskussionen über den Hochschulzugang zeigen in der Mehrzahl eine in doppeltem Sinn verengte Problemsicht. Zum einen beschränken sie sich auf den schmalen Zeitausschnitt zwischen dem Abitur und der Zulassung zum Hochschulstudium. Damit hinterfragen sie weder die Ausbildungsleistungen der Schulen, die für einen erfolgreichen Übergang ins Studium erforderlich sind, noch die Qualität des Studienangebots an den Hochschulen. Zum anderen thematisieren sie lediglich die Ebene der Institutionen und deren "Passung", übergehen jedoch die Aspekte, die sich aus der Perspektive der Subjekte des Übergangs, der Schülerinnen und Schüler bzw. der jungen Studierenden, stellen: Fragen nach den kognitiven, sozialen und psychischen Anforderungen und Ressourcen für Lernen und individuelle Entwicklung.

Damit will ich die Nützlichkeit von Analysen der Hochschulentwicklung insgesamt und speziell der Umgestaltung des Hochschulzugangs nicht in Zweifel ziehen. Sie machen deutlich, welche Absichten mit Begriffen wie"Eliteuniversität", "Exzellenzinitiative" und "Auswahl der Studierenden" verbunden sind, welche Folgen zu erwarten sind und wer die monetären und sozialen Kosten zu tragen hat, wenn die Wissenschaften - und mit ihnen die Wissenschaftler/-innen und Studierenden - in die Freiheit des Marktes entlassen werden. (Dass z.B. die Studierenden, aller Rhetorik widersprechend, die ihnen in Feiertagsreden zugewiesene Rolle des "Kunden" nicht wahrnehmen können, da ihnen Marktmacht nicht zugestanden wird, sondern dass sie als Bittsteller agieren müssen, die gar noch das Lehrgeld, die Studiengebühren, mitbringen müssen, zeigt besser als viele Worte die Ziele und Widersprüche dieser Politik).

Dennoch halte ich die Sicht auf die lernenden Individuen - und auf die Bedingungen ihrer Entwicklung - für eine wichtige Ergänzung dieser Analyse, richtet sich damit doch die Aufmerksamkeit auf die Bildungs- und Qualifizierungsprozesse, in denen junge Erwachsene wissenschaftlich basierte Kompetenzen für ihr Studium und darüber hinaus für ihr Handeln in Beruf und Gesellschaft gewinnen sollen. Einige wenige Aspekte einer solchen subjektorientierten Perspektive sollen hier stichwortartig genannt werden.

Schule mache die Schülerinnen und Schüler nicht studierfähig - mit diesem seit Jahrzehnten gleichen Vorwurf schieben die Hochschulen die Schuld für die Misere des Übergangs den Schulen zu, ohne ihrerseits Antworten auf die Frage zu geben oder gar praktisch umzusetzen, wie die Studienanfängerinnen und -anfänger die in den Schulen erworbenen Kompetenzen im Studium weiter entwickeln können und wie die Fakultäten und Fachbereiche die Bedingungen dafür herstellen oder verbessern wollen.

Abstimmung und Kooperation

Schule und Hochschule sind trotz aller Reformen und Programme auch heute noch einander fremde Lern- und Lehrwelten. Die aktuellen und geplanten Veränderungen im Schul- und im Hochschulsystem führen nicht zu besseren Abstimmungen von Lerninhalten und Lernbedingungen, sondern erzeugen neue Unsicherheiten und Orientierungsbedarfe.

Lösungsansätze zu entwickeln, setzt die Kooperation von Schule und Hochschule voraus und verlangt Konzeptionen, die die kognitiven, psychischen und sozialen Lernvoraussetzungen aufgreifen, die "Entwicklungsaufgaben"1, die sich den Lernenden mit dem Abschluss der Sekundarstufe II und dem Einstieg in das Studium stellen, thematisieren und Beratungs- und Unterstützungssysteme für die Krisen der "Statuspassage"2 vorsehen.

Studienkompetenzen

Seit vielen Jahren wird die Qualität der schulischen Bildung ebenso kritisiert wie die Qualität der hochschulischen Studienangebote. Angesichts der erwarteten "Studierfähigkeit" werden fachliche und überfachliche Defizite der Schulausbildung beklagt. Auf der anderen Seite impliziert das Lehrangebot der Studieneingangsphase (soweit es überhaupt hochschuldidaktische Standards erfüllt) nur zu oft Kompetenzerwartungen, die die Studierenden überfordern.

Wie nun soll Schule auf das Studium vorbereiten? Welche Kompetenzen müssen im Studium weiterentwickelt werden? Die Klärung des Begriffs Studienkompetenz kann von der These ausgehen, "fähig werden" als einen (Selbst-) Bildungsprozess zu verstehen, in dem sich die lernenden Individuen mit je neuen Entwicklungsaufgaben auseinandersetzen. Dieser Bildungsprozess ist mit dem Erwerb des Abiturs nicht beendet; den Studierenden stellen sich beim Eingang in das Studium neue Lern- und Entwicklungsaufgaben. Das heißt, dass die Hochschulen die Aufgabe haben, Lernwege und Lernarrangements für die Aneignung von Studienkompetenz zu entwickeln und anzubieten.

Was meint nun Studienkompetenz? Die Antworten von Hochschuldidaktik und Hochschulforschung sind bekannt: Sie führen Fach- und Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz auf. Sie nennen u.a. kognitive Kompetenzen, die Fähigkeit zu logischem Denken und logischer Argumentation und zu kritischer Reflexion wissenschaftlicher Erkenntnis, die Beherrschung wissenschaftlicher Methoden und Arbeitstechniken, sie sprechen von Orientierungs-, Kommunikations- und Kooperationskompetenz, von der Kompetenz zu einer realistischen Selbsteinschätzung und zu Selbstkritik, von Motivation, Neugier und Lernbereitschaft.

Die (Haus-)Aufgaben der Hochschule

Schon der knappe Überblick zeigt, dass der Begriff Studienkompetenz als Konzeption individueller Entwicklungsprozesse breit entfaltet vorliegt. Dies provoziert die Frage, warum diese Überlegungen in der Praxis der Lehre so wenig Resonanz gefunden haben; es provoziert zugleich die zweite Frage, ob die Hochschulen und die Mehrzahl der Hochschullehrer/-innen die Kompetenz, d.h. die Fähigkeit und den Willen, besitzen, die Studienbedingungen sachlich, sozial und organisatorisch so zu planen und zu realisieren, dass die Studierenden in ihren Studiengängen die genannten Kompetenzen erwerben können.

Ansätze für eine Hochschulentwicklung, die die individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse der Studierenden in den Vordergrund stellt, sind jedenfalls, um das Mindeste zu sagen, selten. Und dennoch: Die Hochschulen werden ihre Lehr- und Ausbildungsaufgaben gerade in der Studieneingangsphase nur dann besser wahrnehmen und die Qualität der Ausbildung verbessern können, wenn sie bereit sind, Prozesse der individuellen Qualifizierung der Lehrenden und der organisationalen Entwicklung miteinander zu verknüpfen. Gemeint ist mit dem Blick auf den Übergang vor allem,

  • Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer hochschuldidaktisch zu qualifizieren und Beratungskompetenz, Kreativität, Innovationsbereitschaft und Kommunikations- und Kooperationskompetenz als verbindliche Qualifikationselemente einzufordern,
  • Ressourcen für professionelle Information, Beratung, Begleitung und Unterstützung der Studierenden und ein breites Angebot von Tutorien, Projekten, Informations- und Einführungsveranstaltungen für die Studierenden bereitzustellen.

Die institutionelle Alternative

Neben der Strategie, die individuellen Lern- und Entwicklungsprozesse in der Phase des Übergangs durch eine bessere Abstimmung zwischen Schule und Hochschule, z.B. durch Verschränkung der Lernprogramme in Übergangsprojekten oder durch kooperative Beratungsanstrengungen, zu unterstützen, steht als Alternative eine institutionelle Lösung, wie sie der Wissenschaftsrat in seinen "Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs" anspricht: "Der Wissenschaftsrat hält es schließlich für grundsätzlich erwägenswert, eine Zwischenstufe zwischen Schule und Hochschule im Sinne einer Kollegstufe zu etablieren, die vornehmlich an einer Hochschule zu institutionalisieren wäre."3

Eine solche Institution ist nicht nur Gedankenexperiment. Sie hat von 1974 bis 2005 bestanden: das Oberstufen-Kolleg des Landes NRW an der Universität Bielefeld. Es hat in vierjährigen Ausbildungsgängen die Lerninhalte der gymnasialen Oberstufe und des universitären Grundstudiums integriert, Allgemeinbildung in fächerübergreifenden Kursen, exemplarische studienorientierte Spezialisierung in zwei (aus ca. 25 wählbaren) Fächern und praktische Anwendung des Gelernten in Projekten miteinander verbunden. So hat es seine Kollegiatinnen und Kollegiaten über den Graben zwischen Schule und Hochschule hinweggeführt und sie - unter Anerkennung der erbrachten Lernleistungen durch die Fakultäten - in ein höheres Fachsemester, zum Teil sogar in das Hauptstudium, des gewählten Studiengangs entlassen. Die Konzeptionen und Erfahrungen des Oberstufen-Kollegs standen und stehen allen Interessierten zur Verfügung. Seine institutionelle Unverträglichkeit mit dem Bildungssystem der Bundesrepublik hat allerdings die Landesregierung in NRW veranlasst, diesen Versuch im Jahr 2005 zu beenden.

Die Empfehlung des WR für das Modell der Kollegstufe sind daher eher ein Nach- als ein Weckruf - die Alternative ist zur Zeit unerwünscht.

Anmerkungen

1) Trautmann, Matthias (Hg.) 2004: Entwicklungsaufgaben im Bildungsgang. Wiesbaden.

2) Gennep, A. v., 1986: Übergangsriten. Frankfurt a.M./New York (Original 1909: Les rites des passage).

3) Wissenschaftsrat, 2004: Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs, 38f.

Dr. Ing. Jupp Asdonk war wiss. Mitarbeiter am Oberstufen-Kolleg und am Institut für Wissenschaft- und Technikforschung der Universität Bielefeld und danach Leiter des Oberstufen-Kollegs. Derzeit arbeitet er am Forschungsprojekt "Krise und Kontinuität in Bildungsgängen: der Übergang ‚Schule-Hochschule‘". - Drei weitere einschlägige Quellen können interessierte LeserInnen bei der Redaktion anfordern.

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