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Ausverkauf der biologischen Vielfalt

15.10.2002: Auswirkungen der "grünen Gentechnik" und der Patentierung von Leben

  
 

Forum Wissenschaft 4/2002; Titelbild: E. Schmidt

Im vergangenen Jahrhundert ist die Nutzpflanzenvielfalt dramatisch zusammengeschrumpft: im Weltdurchschnitt wird ein Verlust von 75% angenommen. Kein Problem - letztlich isst man ja doch immer dasselbe, oder? Sandra Blessin zeigt die Bedeutung auf, die eine Biologische Vielfalt für die Ernährungssicherheit hat und geht der Frage nach, wodurch und in wessen Interesse die Mannigfaltigkeit zur Einfältigkeit wird.

Biologische Vielfalt bzw. Biodiversität bedeutet die Fähigkeit der Natur und auch der landwirtschaftlichen Züchtung unter verschiedenen Bedingungen unterschiedliche genetische Variationen an Lebewesen und Organismen zu schaffen. Sie schließt nicht nur Tiere und Wildpflanzen mit ein, sondern ebenso die Vielfalt der seit Jahrtausenden sich entwickelnden Wild- und Nutzpflanzen. Daher ist die biologische Vielfalt auch Grundlage unserer Landwirtschaft und damit unserer Ernährung und unseres Überlebens.

Die voranschreitende Gefährdung dieser Vielfalt wird häufig mit der Abholzung des tropischen Regenwaldes in Zusammenhang gebracht. Tatsächlich ist das Vorkommen an genetischer Vielfalt in tropischen Wäldern verhältnismäßig groß und die Zerstörung für die fortschreitende genetische Erosion besonders alarmierend. Doch gibt es noch eine Reihe weiterer Faktoren, die das Schwinden der biologischen Vielfalt vorantreiben. Hierunter fallen nicht nur die Auswirkungen der "Grünen Revolution" sowie der so genannten Grünen Gentechnik, sondern auch internationale Regelungen über das Recht am geistigen Eigentum. Auch wenn die großen "Mannigfaltzentren der Kulturpflanzen", wie der Botaniker Nicolai Vavilov sie bereits in den 20er Jahren nannte, vor allem in Ländern des Südens zu finden sind, so haben sie dennoch eine erhebliche Bedeutung für den Norden: fast alle unsere Nutzpflanzen stammen aus diesen Zentren und haben dort ihre vielen Spezies entwickelt. Aber auch das Verschwinden der Wildpflanzen sollte nicht achselzuckend hingenommen werden - immerhin sind alle Nutzpflanzen einmal aus Wildpflanzen entstanden und könnten auch in Zukunft durch sie bereichert werden. Darüber hinaus bergen sie eine Vielzahl an noch unerforschten Inhaltsstoffen, die einmal für die medizinische Versorgung aller Menschen wichtig werden könnten. Warum also die Schätze zerstören, die wir noch nicht einmal kennen?

Biologische Vielfalt

Die Bedeutung der biologischen Vielfalt der Nutzpflanzen besteht zum einen in der Anpassungsfähigkeit an verschiedene geografische, klimatische, aber auch wirtschaftliche und kulturelle Bedingungen. So hat sich beispielsweise in Mexiko eine Vielzahl unterschiedlicher Maissorten je nach Boden- und Klimabedingungen entwickelt. Auf diese Weise wächst der mexikanische Mais nicht nur an der Küste, sondern auch in den verschiedenen Gebieten des zerklüfteten Hochlands von Chiapas und ermöglicht dort eine landwirtschaftliche Nutzung des Bodens. Diese heterogene Beschaffenheit des Maises hat sich längst auch in anderen Ländern Lateinamerikas sowie in afrikanischen Ländern herumgesprochen und wird dort mit großem Züchtungserfolg weiterentwickelt.

Neben der hohen Anpassungsfähigkeit dient die Vielfältigkeit von Nutzpflanzen als Hindernis für übermäßige Schädlingsausbreitung, wie dies in Monokulturen häufig der Fall ist. Schädlinge sind zumeist auf eine Sorte spezialisiert und enden dort, wo eine neue Sorte beginnt. Man kann also sagen, dass die biologische Vielfalt eine Art Pflanzenschutzmittel darstellt.

Von einer Abnahme der biologischen Vielfalt war zum ersten Mal in den 20er Jahren die Rede. Seit der weltweiten Verbreitung der Industrialisierung der Landwirtschaft - der so genannten Grünen Revolution - in den 1950er und 1960er Jahren hat sich die Generosion in einem rasanten Tempo beschleunigt: 75% der Nutzpflanzen sind seit 1900 verloren gegangen. Inzwischen werden sogar von Seiten der Industrie Eingeständnisse gemacht. Allerdings nur dann, wenn sich ein Vorteil daraus ziehen lässt. So wird der negative Effekt von Pestiziden auf die Biodiversität zugegeben, seitdem man Argumente braucht, um eine "Revolution" durchzusetzen, die angeblich den Einsatz von Pflanzenschutzmittel reduzieren hilft: die "Grüne Gentechnik". Tatsächlich werden schon seit Jahren gentechnisch veränderte Nutzpflanzen angebaut, die extra darauf getrimmt sind, dass 10- bis 20fache an Herbizidbehandlung zu ertragen.

Außerdem werden Rettungsversuche in Form von Genbanken unternommen, in denen Spezies eingelagert werden, um sie zumindest dort zu erhalten. Doch diese Zoo-ähnlichen Varianten können selbstverständlich keinen Ersatz für den beständigen Austausch und die Anpassung an sich verändernde klimatische Bedingungen der in-situ-Erhaltung (Erhaltung am natürlichen Standort) darstellen.

Die "Grüne Gentechnik" soll uns also nicht nur eine sauberere Umwelt schaffen und uns vom Welthunger befreien, sondern soll selbst zum Fortbestand der biologischen Vielfalt beitragen. Um dies zu beurteilen macht es Sinn in die Vergangenheit und die Errungenschaften der "Grünen Revolution" zu blicken, denn die AkteurInnen sind vielerorts dieselben geblieben und die Strategien auch.

Die Idee der so genannten Grünen Revolution war es, einheimische Sorten durch Hochertragssorten (so genannte High Yielding Varieties) zu ersetzten, um höhere Erträge zu erwirtschaften. In vielen Ländern wurden diese vermeintlichen Wundersorten in Zeiten von schlechten Erträgen und Hungersnöten freudig und mit viel politischer Unterstützung der Regierungen aufgenommen. So hat die philippinische Regierung beispielsweise Kredite für KleinbäuerInnen zur Verfügung gestellt, die diese ausschließlich für die neuen Wundersorten und ihre Betriebsmittel (Pestizide und Düngemittel) verwenden durften. Doch wie so oft hatte auch dieses "Geschenk" seinen Preis: die Hochertragssorten waren Hybride, die schon nach der dritten Ernte nicht mehr mit dem selben Resultat aussaatfähig waren. Darüber hinaus brachten sie die versprochenen Erträge nur unter erheblichem Einsatz von bis dato nicht benötigten Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Freilich lagen die Verdienste an dem Saatgut und den Betriebsmitteln häufig in einer Hand, wodurch die Preise für Saat und Betriebsmittel erheblich stiegen - und die Abhängigkeit der Bauern ebenfalls. Die verheerenden Auswirkungen von Pestiziden und Düngemitteln auf die Umwelt sind wohl hinreichend bekannt.1 Hier soll nur noch einmal darauf hingewiesen werden, dass der flächendeckende Herbizideinsatz nicht nur einen drastischen Rückgang der Ackerwildpflanzen zur Folge hat, sondern dass der Schutz von Wildpflanzen generell mit dem Einsatz von Breitbandpestiziden, wie sie häufig verwendet werden, nicht vereinbar ist.2

So hat die "Grüne Revolution" nicht nur durch ihre weltweite Verbreitung und Konzentration auf einige Hochertragssorten die biologische Vielfalt der Nutzpflanzen reduziert, durch den massiven Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bedroht sie zudem die Vielfalt der Wildpflanzen und Insekten.

Aus der Not Kapital schlagen

Heute ernährt sich die ganze Welt nur noch von etwa 30 verschiedenen Nutzpflanzen. Sie decken 90% des Kalorien- und Proteinbedarfs ab. Gleichzeitig gingen jedoch Vitamine und Spurenelemente verloren, die wir nur noch in Form von Tabletten (u.a. Zink, Jod und Eisen) unserem Körper in ausreichender Form zuführen können. So ist die Ernährungsproblematik nicht allein mit einer Unterernährung, sondern auch mit einer Mangelernährung zu begründen. Wo sich der Norden noch eine gewisse Vielfalt an Nahrung leisten kann und den Rest in Form von Tabletten zu sich nimmt, leiden viele Menschen aus den Ländern des Südens an einer sehr einseitigen Ernährung, die ihnen nicht zuletzt durch das Fruchtanbaudiktat des Welthandels aufgedrückt wird.

Doch auch hierfür will die Agrarindustrie wieder ein Patentmittel gefunden haben. Durch eine genetische Manipulation wurde Reis in einer Weise verändert, dass er beta-Karotin, eine Vorform des Vitamin A, produziert. Der Anstoß, an einem so genannten Goldenen Reis zu forschen, erwuchs ursprünglich aus der Feststellung von UNICEF und WHO, dass gerade in den Ländern, in denen Reis ein Grundnahrungsmittel darstellt, Menschen verstärkt an Vitamin A-Mangel leiden. Die Idee wurde von zwei Forschungsteams aus Zürich und aus Freiburg aufgenommen und umgesetzt. Gleichzeitig hatte Monsanto, einer der großen Biotechnologieunternehmen, die wirtschaftliche Bedeutung des "Goldenen Reises" für sich erkannt und das beta-Karotin-Gen in eine Senfpflanze eingebaut. Die Hoffnung des Life-Science-Unternehmens bestand darin, den Ruf der Gentechnik aufzubessern, um endlich einen breiteren Absatzmarkt zu finden.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die selben Unternehmen, die in den 1950er und 1960er Jahren "das Wunder" der "Grünen Revolution" über den Planeten verbreitet haben, nun aus der Not Kapital schlagen. Eine einseitige Zuführung von einem Vitamin wird von ErnährungswissenschaftlerInnen zudem nicht als sinnvoll angesehen: der Nahrungsbedarf eines Menschen und die Zusammenhänge zwischen den Vitaminen und Spurenelementen sind wesentlich komplexer, als dass man mit einem einzigen Vitaminzusatz die Mangelernährung auf Dauer bekämpfen könnte.

Dass die so genannte Life-Science-Industrie sich um ihren Ruf kümmern muss, ist allerdings gerechtfertigt. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Chemieunternehmen von der Gentechnik in der Landwirtschaft abgerückt, da das Wachstum der Branche nicht die erhofften Formen annahm. Hinzu kam, dass auch vor dieser Branche die Fusionswelle keinen Halt machte. Wo es in den 1960er Jahren noch 40 große Hersteller gab, beherrschten 1999 nur noch sieben Konzerne 90% des Geschäftes. Die oligopolartigen Strukturen konnten das geringe Wachstum durch hohe Endpreise wieder wettmachen. Viele Staaten sind skeptisch. So untersagte Frankreich beispielsweise die Freisetzung von gen-manipulierten Raps, weil die Ackerfrucht natürliche Kreuzungspartner hat und die Bestäubung dieser mit Pollen des Gen-Getreides zu einer ungewollten Veränderung auch anderer Nutzpflanzen führen könnte. Ähnlich sind die Befürchtungen bei anderem Saatgut, welches auf eine Art gentechnisch verändert wurde, dass es Resistenzen auf firmeneigene Herbizide entwickelt. Hier ist eine Übertragung auf Wildkräuter ebenfalls nicht zu vermeiden und könnte auch nach der Einschätzung des Bundesministeriums für Verbraucherschutz zu einer Art pestizidresistenten Superunkräutern führen. Der Effekt auf die biologische Vielfalt wäre verheerend.

Auch Griechenland verhängte ein Import-Verbot auf genmanipulierten Raps, jedoch nicht nur wegen der leichten Auskreuzbarkeit, sondern wegen seiner Antibiotikaresistenz, von der noch nicht bewiesen ist, dass sie sich nicht auf den Menschen überträgt. In der BRD werden seit 1994 gentechnisch veränderte Pflanzen in Freisetzungsversuchen getestet. Bis zum 17.10.2002 gilt ein EU-weites Moratorium für die großflächige wirtschaftliche Nutzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Die Begründung des Moratoriums ist überzeugend und gilt nach wie vor: Die Risiken, die der Anbau von gentechnisch veränderten Organismen mit sich bringt, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzbar, daher muss deren Anwendung nach dem Vorsorgeprinzip untersagt werden. Leider sind die Chancen, dass das Moratorium verlängert wird, aufgrund des zunehmenden Drucks seitens der Life-Science-Industrie gering.

Stattdessen sollen die VerbraucherInnen durch eine umfassende Kennzeichnung, die nicht nur das Endprodukt, sondern auch dessen Bestandteile erfasst, auf die gentechnische Veränderung von Lebensmitteln hingewiesen werden. Das bedeutet jedoch letztlich eine unbegrenzte Ermöglichung der Freisetzung von gentechnisch verändertem Saatgut in Europa.

Genmais gegen Hunger

Wie sich der ungeschützte Anbau von genmanipuliertem Saatgut auf die Nutzpflanzen der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, aber auch auf die übrige Flora und Fauna auswirken könnte, wird zur Zeit in einigen Studien untersucht. Das Institut für prospektive Technologiestudien der gemeinsamen Forschungsstelle (JPC) untersuchte im Auftrag der EU-Kommission die Auswirkungen des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen auf die übrige Landwirtschaft. Die Studie ergab, dass ein Anbau von gentechnikfreien Produkten schon bei einem 10%igen Anteil von GVO am gesamten Anbau de facto nicht mehr gewährleistet werden kann. In dem wissenschaftlichen Basisreader zum - vom Verbraucherministerium initierten - Diskurs Grüne Gentechnik wird angedeutet, dass die genetische Beeinflussung von Pflanzen immer die Gefahr in sich birgt, dass durch eine erhöhte Fitness auch langfristige Änderungen in natürlichen Populationen und Habitaten vorgenommen werden. Was im Klartext bedeutet, dass andere Arten zu Gunsten der GVO verdrängt würden. Darüber hinaus gibt der Reader zu bedenken, dass nicht nur Auskreuzungen zu artverwandten Gattungen, sondern auch gattungsübergreifend stattfinden können.3

Oft wird argumentiert, dass Gentechnik sich nicht von der natürlichen Selektion unterscheide. Tatsächlich werden durch die Gentechnik Pflanzen und auch Tiere auf eine Weise verändert und künstlich gegen ihre Umwelt gestärkt, wie dies in der Natur nicht vorkäme. Wenn man den großen Anteil bedenkt, den die Landwirtschaft an der allgemeinen Bodennutzung ausmacht, wäre eine Freisetzung genmanipulierter Nutzpflanzen für die Artenvielfalt aller Pflanzen in Europa mit irreparablen Folgen verbunden.

Eine besonders raffinierte Art, die unliebsamen GVO an den Mann und an die Frau zu bringen, sind die jüngst wieder häufiger werdenden Versuche der Life-Science-Industrie, GVOs als Nahrungsmittelhilfe in Hungergebiete zu senden. So versuchte die USA genmanipulierten Mais als Nahrungsmittelhilfe in Sambia loszuwerden. Der sambische Präsident Präsident Mwanawasa lehnte dies jedoch aus Sicherheitsgründen ab. Auch das Nachbarland Mosambik, wo 80% der 19,3 Millionen EinwohnerInnen von der Landwirtschaft abhängen, ist vorsichtig geworden. Die Regierung plant gerade eine gesetzliche Grundlage für den Umgang mit Genmais. Sie befürchtet, dass die Bauern und Bäuerinnen einen Teil davon für die nächste Saat aufbewahren und sich das genmanipulierte Saatgut mit einheimischem Mais vermischen werde.

Das brächte gravierende Probleme für den Maisexport. Denn der südostafrikanische Staat, dessen Landwirtschaft 30% zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, könnte dann keinen Mais mehr in die noch Gentechnik-kritische EU exportieren. Nahrungsmittelhilfe wurde für die langfristige Entwicklung der einheimischen Produktion schon immer als tödlich angesehen. Genmanipuliertes Saatgut schafft aber darüber hinaus noch Tatsachen, die sich im Grunde nicht mehr beheben lassen.

Das Argument, mit der "Grünen Gentechnik" den Hunger in der Welt besiegen zu wollen, wird häufig angeführt. Tatsächlich ist das Hungerproblem nicht ein Problem der Quantität an produzierter Nahrung, sondern ein Problem der Verteilung. Groteskerweise leiden gerade dort die Menschen an Hunger, wo die biologischen und natürlichen Voraussetzungen für eine vielfältige Landwirtschaft gegeben sind. Das Problem ist daher eher in dem fehlenden Zugang zu Land, Saatgut und Wasser zu sehen. Im Übrigen finden nur 10% aller Freisetzungsversuche der Biotechnologieindustrie in Entwicklungsländern statt.

Patent- und Sortenschutzregelungen

Eine weitere Entwicklung der vergangenen Jahre, die eng mit der Gentechnik verquickt ist, birgt Gefahren für die biologische Vielfalt: die internationalen Patent- und Sortenschutzabkommen. Mit Gründung der Welthandelsorganisation kam es 1995 auch zum Abschluß des TRIPs-Übereinkommens (Trade-Related Apects of Intellectual Property Rights), was seither die Patentierbarkeit von Lebensformen nicht nur erlaubt, sondern quasi zwingend vorgibt. Das bedeutet, dass alle Mitglieder der WTO mit einer gewissen Frist den Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente, ein eigenes Schutzsystem oder einer Kombination aus beidem garantieren müssen. Bei Mikroorganismen muss sogar zwingend ein Patenschutz erfolgen, wobei unter Mikroorganismen erstaunlicherweise in der Rechtspraxis auch Gene und Gensequenzen subsumiert werden.

Ein Patent gibt seinen InhaberInnen die Möglichkeit, das patentierte Objekt ausschließlich nutzen zu dürfen. Andere, die dieses Objekt verwenden wollen, müssen eine Lizenz kaufen. Übertragen auf Pflanzen bedeutet dies, dass bestimmte Nutzpflanzen nicht mehr frei angebaut werden dürfen.

Zunächst macht Patentierbarkeit vor allem Sinn für HerstellerInnen gentechnisch veränderten Saatguts. Obwohl schon hier fraglich ist, wo sich die für ein Patent vorausgesetzte Erfindung befindet, wenn lediglich ein oder mehrere Gene einer Art in eine andere eingebaut werden (GentechnikerInnen bezeichnen dieses Verfahren manchmal als eine Art Puzzle). Noch weniger überzeugend ist jedoch die Tatsache, dass auch bereits in der Natur vorkommende Pflanzen durch alleiniges Isolieren einzelner Gensequenzen patentiert werden können. Doch gerade das hat den rechtlichen Rahmen für die längst hoffähig gewordene Biopiraterie geschaffen. Ob es nun Patente auf den Neem-Baum sind, die den Völkern Indiens schon seit 5.000 Jahren eine Fülle von Heilmitteln liefern oder auf Ayahuasca, eine Pflanzenspezies aus dem Amazonasgebiet, die bei ihren bisherigen VerwenderInnen als heilig gilt. Fälle der Biopiraterie, in der sich transnationale Unternehmen am Wissen und an der Züchtungsarbeit zumeist indigener Gemeinschaften bereichern, gibt es zuhauf. Das TRIPs-Übereinkommen bedeutet ein globales Aufstülpen westlicher Vorstellungen von Privatbesitz. Gemeinschaften, die traditionsgemäß das Saatgut getauscht und ihr Wissen weitergegeben haben und damit der Entwicklung der biologischen Vielfalt einen unschätzbaren Nutzen gebracht haben, sehen sich plötzlich eines besseren belehrt. Dazu kommt, dass das Patentrecht offensichtlich nicht für diese Art von Gemeinschaften verfasst wurde, denn die zwingenden Tatbestandsmerkmale der gewerblichen Anwendbarkeit und der Handelsbezogenheit berücksichtigt nur den Patentanmelder, dessen "Erfindung" von Gewinnstreben motiviert ist.

Nach dem Europäischen Patentübereinkommen sind Pflanzensorten nicht patentierbar, da sie bereits unter die internationalen Sortenschutzregelungen fallen. Doch auch um das Internationale Abkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV) ist es nicht viel besser bestellt. Im Gegensatz zum Patent hat der Sortenschutz ursprünglich kein alleiniges Nutzungsrecht für den Züchter vorgesehen, sondern den BäuerInnen und anderen ZüchterInnen gewisse Freiheiten belassen, die für die Weiterentwicklung von Sorten unerlässlich sind. So sah die erste UPOV Vereinbarung ein Landwirteprivileg vor, das noch eine Weiterverwendung selbst produzierten Saatguts aus einer einmal erworbenen Sorte gestattete. Seit den Veränderungen von 1991 ist dieses Privileg bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen worden. Auch das Züchterprivileg, das eine Weiterentwicklung der geschützten Sorte ohne Erlaubnis ermöglichte, wurde stark eingeschränkt. Seit UPOV 1991 ist es nicht mal mehr möglich, eine bereits von der Ursprungssorte abgeleitete Sorte als Ausgangssorte für weitere Züchtungen zu verwenden. Dieses stark ans Patentrecht heranreichende Sortenschutzrecht stellt eine reale Gefahr für die freie Entwicklung der biologischen Vielfalt dar. Denn die Vielfalt ist nicht nur ein Produkt der Evolution, sondern das Ergebnis der über Jahrhunderte entwickelten Züchtungsarbeit von Bäuerinnen und Bauern. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Züchterarbeit gerade der BäuerInnen in den Ländern des Südens im Internationalen Patentrecht und dem Sortenschutzrecht im Gegensatz zu den Produkten der Biotechnologie nicht honoriert wird.

Die Voraussetzungen zur Erteilung eines Sortenschutzes sind Neuheit, Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit. Das Kriterium Neuheit verbietet, dass die Sorte zuvor bereits innerhalb eines bestimmten Zeitraumes an Andere abgegeben wurde. Doch im Abgeben und Tauschen besteht gerade die Philosophie der Pflanzenzucht vieler Bäuerinnen und Bauern des Südens, damit eine möglichst vielfältige Anwendung möglichst vielfältige Sorten zum Überleben schafft.

Patentierte Superpflanzen

Das Tatbestandsmerkmal der Unterscheidbarkeit richtet sich nur an Unterscheidungen dem äußeren Erscheinungsbild nach. Andere Charakteristika wie besondere Standortangepasstheit werden nicht berücksichtigt. Auch ist die Beständigkeit nicht das, worauf es die Züchterinnen und Züchter der indigenen Gemeinschaften abgesehen haben. Wer bei diesen Verträgen das Sagen hatte, ist nicht zu übersehen. Jedenfalls sind es nicht die indigenen Gemeinschaften, die für den weitaus größten Teil der Kulturpflanzenvielfalt zuständig sind, sondern eher die, die am liebsten nur eine Hand voll patentierter Superpflanzen auf der Welt säen wollen.

Trotz allem wird dieses weitgehende ausschließliche Nutzungsrecht der SortenrechtsinhaberInnen noch von denen der PatentinhaberInnen getoppt: Da sich Patente auch auf Verfahren beziehen können, kann sich durch eine einzige Genmanipulation an einer Pflanzensorte die Reichweite des Patentes auf alle Sorten erstrecken, in die dieses manipulierte Gen Eingang gefunden hat. Auf diese Weise kann die Zukunft ganzer Gattungen von dem Willen der PatentinhaberIn abhängig gemacht werden.

Dass dies alles dem Erhalt und der lebendigen Entwicklung der biologischen Vielfalt nicht zuträglich ist, bedarf keiner längeren Erläuterung. Der Life-Science-Industrie ist wahrscheinlich noch nicht ins Bewusstsein gekommen, dass sie ihre eigene Geschäftsgrundlage zerstört.

Was durch Hybridsorten der "Grünen Revolution" oder Terminatortechnologie der "Grünen Gentechnik" noch nicht völlig unter die privatrechliche Kontrolle der agrochemischen und biotechnologischen Industrie gebracht wurde, soll jetzt mit internationalen Abkommen durch Patente dingfest gemacht werden. Frei nach dem Motto: Her mit dem Grünen Gold! Der Planet ist schließlich nicht für alle da!

Anmerkungen

1) vgl. dazu den Beitrag von Alexandra Baier in diesem Heft

2) vgl. Ulrich Köpke: Umweltleistungen des Ökologischen Landbaus. In: Ökologie und Landbau 2/2002

3) vgl. den Basisreader zu dem Diskurs Grüne Gentechnik: www.gruene-gentechnik.de


Sandra Blessin ist Juristin und Referentin bei der BUKO Agrar Koordination

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