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Der Mediendiskurs als Kriegsstrategie

15.04.2003: Die Kritik am NATO-Krieg in Jugoslawien in den Medien

  
 

Forum Wissenschaft 2/2003; Titelbild: E. Schmidt

Medien berichten nicht aus einer neutralen Beobachterposition heraus über Kriege, sie sind gewollt oder ungewollt selbst Bestandteil der Strategien der kriegsführenden Parteien. Ob es um die Legitimation eines militärischen Angriffs, seinen Verlauf oder seine Folgen geht, den Medien kommt eine zentrale Rolle bei der Organisierung von Rückhalt im "Hinterland" zu. Am Beispiel des NATO-Angriffs auf Jugoslawien zeigen Margarete Jäger und Siegfried Jäger auf, dass auch die KriegsgegnerInnen mit einer besseren Medienstrategie einiges hätten gewinnen können.

Der Krieg der NATO in Jugoslawien im Frühjahr 1999, bei dem sich erstmals auch bundesdeutsche Soldaten an Kampfeinsätzen beteiligten, war für Deutschland und seine politische Kultur ein herausragendes Ereignis. Aus deutscher Perspektive gesehen markiert er einen Einschnitt in das sicherheitspolitische Selbstverständnis, der sich zwar abzeichnete, doch dessen Tragweite uns heute angesichts weiterer realer und drohender Kriege in Afghanistan und im Irak deutlich vor Augen geführt wird.

Markant für diese Entwicklung ist die Ablösung der NATO als Verteidigungsbündnis zu einem Bündnis, dem es um die "Wahrung von Interessen" geht. Im neuen NATO-Statut von 1999 werden diese Aufgabenstellung und die daraus folgenden Konsequenzen festgeschrieben. Das Aktionsgebiet der NATO ist nicht mehr auf den nordatlantischen Raum begrenzt. Was dies bedeutet, lässt sich ermessen, "wenn Caspar Weinberger, ehemals Verteidigungsminister der USA, die Ölreserven der kaspischen Staaten als vital im Interesse der USA stehend bezeichnet." Dann lassen sich "über den weiteren Fortgang der Konfliktlage vielerlei Vermutungen anstellen."1 Des weiteren soll ein Eingreifen der NATO fürderhin notfalls auch ohne eine Mandat der UNO möglich sein.

Die Bedeutung, die den Medien in dem neuen Kriegskonzept zukommt, lässt sich spätestens im Verlaufe des NATO-Krieges in Jugoslawien studieren. Hier hatten wir es mit der eigentümlichen Konstellation zu tun, dass dieser Krieg in der Gesellschaft eher skeptisch, von dem größten Teil der politischen und medialen Klasse jedoch befürwortend aufgenommen wurde. Gerade die Eindringlichkeit, mit der die mediale Klasse den Krieg als unvermeidbar darstellte, verwies darauf, dass in der Bevölkerung nicht unbedingt mit Zustimmung zu rechnen war. Und in der Tat zeigten Umfragen während der Kriegszeit, dass die Zustimmung zum NATO-Einsatz, noch dazu unter Beteiligung deutscher Truppen, nicht durchgängig und keineswegs überwältigend war.2

Vor diesem Hintergrund kann die Funktion der Medien - ob intendiert oder nicht - darin gesehen werden, dass die Bevölkerung ruhiggestellt und eine Kriegsakzeptanz organisiert wurde. Das DISS ist in einer diskursanalytischen Untersuchung der Frage nachgegangen, wie diese Akzeptanz hergestellt wurde. Dazu wurde der Mediendiskurs unter der Fragestellung analysiert, wie es gelingen konnte, den Krieg als ein Stück Normalität erscheinen zu lassen.3

Normalisierung des Krieges

Die Gespaltenheit bzw. Zerrissenheit, mit der auf den NATO-Krieg reagiert wurde und die während der gesamten Kriegsphase 1999 immer wieder herausgestellt wurde, schlug sich diskursiv vor allem als ein Abwägen zwischen der juristischen Legitimation des Krieges und seiner vorgeblichen humanen Zielsetzung nieder. Um beides wurde gerungen. Die juristische Absicherung des Krieges stand dabei allerdings auf wackligeren Beinen als die Versuche seiner moralischen Rechtfertigung. Durchweg wurde anerkannt, dass der Nato-Krieg einen Bruch des Völkerrechts darstellte. Gestritten wurde dann darüber, ob die Bomben der NATO die sich vollziehende Katastrophe beseitigen können, ob sie ein probates Mittel dafür sind, die Fluchtbewegungen zu stoppen oder ob sie diese nicht vielmehr verstärkten, wenn nicht sogar größtenteils erst ausgelöst haben.

Allerdings konnte auch festgestellt werden, dass im Verlaufe des Krieges diese beiden Argumentationsstränge neu gewichtet wurden. Während zu Beginn die moralische Rechtfertigung - auch mithilfe von Vergleichen mit dem deutschen Faschismus - stark dominierte, verstärkte sich in der zweiten Phase die juristische Argumentation.

Hinsichtlich der diskursiven Effekte bedeutet dies, dass durch den Vollzug dieser Debatte eine praktische Akzeptanz oder zumindest die passive Hinnahme des Krieges organisiert wurde. Vor dem Hintergrund der NATO-Bomben, also des realen Krieges, konnte die juristische Argumentation keine diskursive Kraft entwickeln. Schließlich war man mitten drin im Schlamassel, aus dem man irgendwie wieder herauskommen musste. Der Krieg wurde nicht gefeiert, aber es wurden auch keine Alternativen zum Krieg diskutiert. Insofern musste der NATO-Krieg hingenommen werden - so wie dies bei anderen Katastrophen auch der Fall ist.

Die Analyse der Bilder, die in den Print-Medien zum Einsatz kamen, schließt hier an und kann diesen Befund bestätigen. Vor allem durch die visuelle Darstellung der Flüchtlinge wurde in der ersten Phase eine starke Betroffenheit hergestellt, die ihren Ausdruck auch in einer enormen Spendenbereitschaft der Bevölkerung fand, sowie darin, dass Flüchtlinge für eine (kurze) Zeit in Deutschland akzeptiert wurden. Im Unterschied also zu anderen Zeiten, z.B. während der verheerenden Asyldebatte in Deutschland von 1980 bis 1993, wurden die Flüchtlinge durchaus als Individuen und Subjekte bildlich in Szene gesetzt, nicht nur als anonyme Masse. Jedoch konnte die Gleichzeitigkeit der Bebilderung der Fluchtbewegungen im Kosovo - sowohl als Individuen (Mutter mit Kind, alte Frauen, Kranke etc.) als auch als Masse (die auf die BetrachterInnen einstürmt) - bewirken, dass die Lesart, die Flüchtlinge als Bedrohung zu stilisieren, nicht vollends vergessen wurde. Bilder von Massenbewegungen und wandernden Menschenkolonnen fungierten als Brücke zu einer ausgrenzenden, nahezu rassistischen Lesart dieser Probleme, die als Hintergrundfolie auch während des Krieges vorhanden war.

Die Rechtfertigung des Krieges wurde auch durch die bildliche Inszenierung des Kriegsgegners in Gestalt von Slobodan Milosevic hervorgerufen, der als Inkarnation des Bösen ins Bild gesetzt wurde. Dagegen wurden westliche PolitikerInnen, allen voran die Führungsfiguren aus Deutschland, häufig in nachdenklicher Pose abgelichtet, womit der Eindruck erweckt wurde, diese seien in der Lage, die verfahrene Situation doch noch zu meistern und die Balkanregion zu befrieden.

Vor allem durch den Einsatz von Info-Grafiken wurde diese Region als "explosives Gemisch", als "Brandherd" imaginiert, der ganz Europa zu verwüsten drohe. Hierdurch wurde die Notwendigkeit der NATO einzuschreiten und ein souveränes Land zu bombardieren, unterstrichen und zu legitimieren versucht.

Stellten die Bilder der ersten Phase des Krieges Betroffenheit her und leisteten sie Akzeptanzarbeit für den Krieg, so erschienen in der zweiten Phase auch Bilder, die den Druck auf die Politik und die NATO erhöhten, den Krieg zu beenden.

Hier ist vor allem an Bilder von einer zerstörten Eisenbahnbrücke zu denken, mit der der verharmlosende Begriff der Kollateralschäden desavouiert wurde. Diese Bilder wurden immer wieder gezeigt und entfalteten dadurch enorme Wirkung. Zu erinnern ist aber auch an die Bombardierung der Fernsehstation in Belgrad, bei der auch JournalistInnen umkamen, und nicht zuletzt an die Bilder der Bombardierung der chinesischen Botschaft. Die ikonografische Inszenierung dieser Ereignisse trug mit dazu bei, dass die Strategie eines unblutigen und quasi chirurgischen Krieges, der sich nur gegen militärische Ziele richtet, immer unglaubwürdiger erschien und die zuvor aufgebaute Akzeptanz zu bröckeln begann. Deutlich wird dies auch an der kritischen Perspektive, die vor allem in Karikaturen zum Ausdruck kam.

Festzustellen ist jedoch auch der Effekt, dass die Bildberichte aus dem Krieg zugleich zur Normalisierung des Krieges beitrugen. Vor dem Kontext der Bilder, die anlässlich anders gelagerter Katastrophen wie Erdbeben, Flugzeugunglücke, Überschwemmungen in den Medien gezeigt werden, unterschieden sich die Fluchtbilder aus dem Kosovo kaum. Dies hatte zur Folge, dass sich zwar kurzfristig Mitleid und Hilfsbereitschaft einstellten; diese konnten jedoch auch schnell wieder verblassen, weil und insofern solche Bilder mittlerweile zur Normalität der Welt gehören.

Medienschaffende als Troubadoure?

Auch die Analyse der Art und Weise, wie die Medien sich auf die militärischen und politischen Strategien des Krieges bezogen, zeigt, dass es innerhalb der Print-Medien in den verschiedenen Phasen Gewichtsverschiebungen gab. Während zu Beginn die Option Bodenkrieg diskutiert, ja im Mediendiskurs geradezu favorisiert wurde - übrigens gegen den erklärten Willen der politischen Klasse und der Militärs4 - nahm mit zunehmender Kriegsdauer der Druck auf PolitikerInnen und NATO zu, mit diplomatischen Mitteln (unter Einbezug Russlands, Forderung nach einem UN-Mandat etc.) den Krieg zu beenden. Wichtig ist hier, dass es nicht um eine Ächtung kriegerischer Mittel generell ging, sondern darum, wie man diesem Krieg durch diplomatische Winkelzüge - was nicht abschätzig gemeint ist - beenden kann. Anlass zur Verwunderung gibt insbesondere die Tatsache, dass der Krieg nirgends als Bestandteil einer globalen politischen und strategischen Option diskutiert und kritisiert wurde. Sein Ende wirkte ähnlich willkürlich wie sein Beginn.

Insofern haben sich die Print-Medien, bezogen auf die eingeschlagenen Strategien, zunächst als Motor der Eskalation erwiesen, um in einem weiteren Schritt den Druck auf die PolitikerInnen zu erhöhen, alles zu tun, um diese von den Medien selbst mit verursachte Eskalation zu bremsen.

Wichtig im Zusammenhang mit der Debatte um die Strategien ist die unhinterfragte Berechtigung des Westens oder Europas, auf dem Balkan zu intervenieren. Dies gilt sowohl für die Bemühungen vor dem Krieg wie auch für die Perspektive, die bereits während des Krieges diskutiert wurde und die eine längerfristige Anwesenheit von NATO-Truppen in diesem Gebiet prognostizierte. Diejenigen, um deren Wohl es angeblich ging, kamen in der Diskussion nicht vor: Sie hatten die Befriedung durch den Westen hinzunehmen und sich dieser politischen Perspektive zu beugen. Dies gilt nicht nur für die jugoslawische Bevölkerung, sondern auch für deren politische VertreterInnen. Sie nahmen in der gesamten Debatte, wenn sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurden, die Position von Randfiguren ein. Das galt insbesondere, aber nicht nur, für den Sprecher der Kosovo-Albaner Ibrahim Rugova.

Die Rolle der Medien im Krieg wurde sowohl in der "heißen" Kriegsphase wie auch danach ausführlich diskutiert. Zwar wurde bereits während des Golfkrieges die Rolle der Medien kritisch beleuchtet, doch die Tatsache, dass Deutschland in diesem Krieg Kriegsteilnehmer war, hat offenbar die Debatte um die Arbeitsbedingungen unter Zensur in besonderer Weise angeregt. Die damit verbundene Diskussion um Manipulationen durch Bilder und die Sehnsucht, die einzige und richtige Wahrheit zu berichten, haben allerdings die Potenzen, die in einer solche Reflektion stecken, nicht zur Geltung kommen lassen. Eine Auseinandersetzung mit der Rolle des Mediendiskurses als bewusssteinsformierendes und nicht schlicht in-formierendes Medium fand und findet nicht statt. Weiterhin reflektieren sich die Medienschaffenden als Troubadoure, die dazu da sind, die Vermittlung zwischen Wirklichkeiten und den in diesen Wirklichkeiten lebenden Subjekten herzustellen. Sie fühlen sich der Wirklichkeit verpflichtet und übersehen, dass auch Diskurse Teil der Wirklichkeit sind.

Trotz der insgesamt festzustellenden normalisierenden Effekte, die vom Mediendiskurs während der Kriegsphase ausgingen, waren jedoch im Diskurs auch solche Stimmen zu vernehmen, die sich gegen den Krieg aussprachen. Doch sie konnten nicht die Wirkung entfalten, die Öffentlichkeit gegen den Krieg zu mobilisieren, womit auf die politischen und militärischen HandlungsträgerInnen Druck hätte ausgeübt werden können. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass wir mit weiteren Interventionskriegen rechnen müssen und dass in das Konzept der neuen Kriegsführung die Medien eingebunden werden sollen, ist deshalb für KriegsgegnerInnen die Frage wichtig, auf welche Weise sich Kritik am Krieg in den Medien bislang überhaupt entfalten konnte. Welche Schwächen müssen wir feststellen? Oder anders gefragt: Lag es auch an der Ausrichtung dieser Kritik, dass sie durchgreifende Wirkung vermissen ließ? Darauf soll im folgenden genauer eingegangen werden.5

Bereits im Feld des Krieges

Thematisch konzentrierte sich die Kritik am NATO-Krieg auf eine Kritik der Kriegsstrategie, die unter vielfältigen Gesichtspunkten angesprochen wurde. Dies zeigt bereits, dass die Reichweite der Kritik stark eingeschränkt war. Es ging nicht um eine generelle Ablehnung des Kriegseinsatzes, sondern um eine detaillierte Kritik an der Kriegsführung.6

Dass dabei vor allem in Verbindung mit der Betonung der politischen Schäden, die durch den Krieg entstanden sind, auch der Krieg als Ganzer abgelehnt wurde, soll nicht verschwiegen werden. Doch die Perspektive einer strategischen Kritik trug insgesamt dazu bei, dass sich ihre Reichweite und Tiefe nicht weiter entfalten konnte. Sie zwang die KritikerInnen dazu, sich auf die strategischen Fragen, die vor allem von den Kriegsbefürwortern bzw. -betreibern aufgeworfen wurden, einzulassen und deren Vorgaben zu diskutieren. Wer allerdings militärische Optionen im Krieg kritisiert, befindet sich im Ausgangspunkt bereits im Feld des Krieges und wendet sich aus dieser Position heraus gegen einzelne Aspekte. Auf diese Weise konnte es dann auch geschehen, dass sich in einem einzigen Artikel gleichzeitig ablehnende und befürwortende Stellungnahmen zu Krieg auffinden ließen.

Die Betrachtung der Äußerungsformen der Kritik bestätigt, dass diese nicht grundsätzlicher Natur war. Vielfach konnte festgestellt werden, dass sich die KritikerInnen des Krieges subjektiv in einer defensiven Sprecherposition verorteten, wobei sie teilweise den Anspruch darauf, überhaupt Kritik formulieren zu dürfen, explizierten. Daneben wurde die Kritik in der Regel sehr sachlich vorgetragen, die Argumente der Kriegsbefürworter wurden aufgenommen und zu widerlegen versucht.

Die ebenfalls anzutreffenden emotionalen und/oder ironisch sarkastischen Beiträge sind dagegen vorwiegend in LeserInnenbriefen zu finden. In ihnen lässt sich eine Hilflosigkeit entdecken, die dann vom politischen Gegner auch gerne dazu ausgenutzt wurde, um auf mangelnde Rationalität der KriegsgegnerInnen hinzuweisen und ihnen fundamentalistische Positionen zu unterstellen.

Dabei ist es nicht verwunderlich und übrigens auch nicht zu beanstanden, dass die Print-Medien sich vor allem kritisch mit den strategischen Fragen des Krieges auseinander setzten. In den mehr als zwei Monaten, in denen die NATO Raketen auf Jugoslawien abfeuerte, gehörte es selbstverständlich zu ihrer Aufgabe, diesen Prozess auch in einer kritischen Perspektive und Distanz zu begleiten. Die Kommentare und Reportagen wären eher unglaubwürdig gewesen, wenn sie während dieser Zeit immer wieder eine grundsätzliche Kritik am Krieg vorgetragen hätten. Kritisch ist aber anzumerken, dass sich die JournalistInnen über die Einengung ihrer eingenommenen Perspektive offenbar nicht im Klaren waren. Sonst hätten sie möglicherweise erkennen können, dass sie gegenüber den "starken" Argumenten der Kriegsbefürworter ebenfalls starke Argumente hatten und haben.

Kritik ohne Konzepte

So ist der Skandal, den dieser Krieg für die deutsche Politik darstellte, vom Mediendiskurs kaum bearbeitet worden. Zwar spielte der Rechtsbruch, den die NATO durch ihre Kampfeinsätze begangen hat, in der Kritik eine große Rolle. Doch der in Verbindung damit stehende Einsatz deutscher Soldaten in out-of-area-Einsätzen ist ausgesprochen leise artikuliert worden. Diese neue Situation, die nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch in der Bevölkerung stark umstritten war, ist nicht skandalisiert worden. Durch eine stärkere Thematisierung dieses Sachverhalts hätte aber nicht nur die historische, sondern auch die aktuelle Verantwortung Deutschlands in diesem Krieg deutlicher herausgestellt werden können. Diese Chance ist während des Krieges jedoch weitgehend unbeachtet geblieben.

Die starke Akzentuierung der Kritik auf die Kriegsstrategie der NATO weist auf ein weiteres Problem hin, das nicht nur für den Mediendiskurs in dieser Frage gilt. Es zeigt sich, dass die Kritik lediglich punktuell geäußert wurde und nicht in ein umfassenderes Konzept von De-Eskalisierung eingebunden war. Insofern zeigt sich in dieser Schwäche des Mediendiskurses eine Schwäche der öffentlichen Diskurse insgesamt. Offenbar verhält es sich so, dass alternative friedenspolitische Konzepte vor, während und nach dem Krieg im hegemonialen Diskurs kaum verankert sind.

Auf welche Weise die defensive Sprecherposition der Kritisierenden die geäußerte Kritik zu einem stumpfen "Waffe" machen konnte, soll an einem Beispiel aus der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) verdeutlicht werden. Es handelt sich dabei um den ersten Kommentar zum Krieg überhaupt, der am 25.3.99 vom Chefredakteur Ralf Lehmann verfasst wurde.

Dieser Kommentar ist erstaunlich weitsichtig. Nachdem er den Luftschlag gegen "Serbenführer Milosevic" als einen "bedenkliche[n] Akt militärischer Gewalt zur Durchsetzung politischer und humanitärer Ziele" charakterisiert hat, sieht er ziemlich klar, dass die Bomben das Problem eher verschärfen als lösen werden: "Der Widerstand der Serben wird sich eher versteifen, weil sie sich als verfolgte Opfer westlicher Machtgelüste verstehen. Hinzu kommt, daß die UCK den NATO-Angriff als Parteinahme zu ihren Gunsten mißverstehen könnte. Während die NATO-Raketen am Himmel ihre Ziele suchen, könnte am Boden der Kampf Mann gegen Mann erst richtig entbrennen. Die Not der Bevölkerung, die man zu lindern sucht, könnte dann erst recht zur humanitären Katastrophe entarten."

Zwar formuliert Ralf Lehmann hier im Konjunktiv, doch der Fortgang des Krieges hat gezeigt, dass er mit dieser Prognose richtig gelegen hat. Doch wenn wir seine Einwände gegen den Krieg genauer betrachten, zeigt sich, dass sie ausgesprochen vorsichtig vorgetragen sind. Keine klare Kritik daran, dass die NATO geltendes Völkerrecht brach, in dem sie ohne UN-Mandat eingriff. Im Gegenteil, Milosevic habe die NATO quasi gezwungen, gegen geltendes Recht zu verstoßen: "Während die Welt zum Dorf wird und Alt-Europa zu Euro-Land, klammert sich Milosevic an seinen dumpfen Traum vom ethnisch reinen Großserbien. Daß die Nachwende-Ordnung in ihrer Angst vor dem Chaos die alten Grenzen sanktionierte, macht Milosevic stark und verurteilt die NATO letztlich zum Bruch des Völkerrechts."

Aus den zuvor geäußerten Bedenken wird im Fortgang der Argumentation somit ein gewisses Verständnis: "Bei allen Zweifeln und Skrupeln - es gibt gute Gründe, ja wohl sogar ein natürliches Recht, dem Treiben des Milosevic auch mit Gewalt Einhalt gebieten zu wollen."

Hier lohnt die genaue Lektüre. Ralf Lehmann sagt nicht, dass es ein "natürliches Recht" darauf gäbe, "Milosevic auch mit Gewalt Einhalt" zu gebieten. In diesem Fall hätte er sich innerhalb seines Kommentars vom Bedenkenträger zum Befürworter gewandelt. Er äußert vielmehr Verständnis dafür, dass es eine solche Position gibt - ohne sich ihr anzuschließen. Doch da er seine Ablehnung des Krieges nicht dadurch zum Ausdruck bringt, die Luftschläge zu verurteilen und eine sofortige Beendigung des Krieges zu fordern, kann seine versteckte Kritik leicht überlesen werden.

Obwohl im Kommentar der Krieg insgesamt abgelehnt wird, kann er wohl kaum kritische Wirkungen entfalten.7 Es wird zwar eindringlich vor den politischen und militärischen Eskalationsrisiken gewarnt, doch wird ebenso ein enormes Verständnis für diejenigen aufgebracht, die den Krieg befürworten oder als alternativlos ansehen. In gewisser Weise kann der Kommentar als ein Ausdruck der Zerrissenheit gelesen werden, von der in den Kriegstagen allenthalben die Rede war.

So gesehen, kann der kritische Einsatz des Artikel sogar dazu führen, dass KriegsgegnerInnen eingeschüchtert werden, weil sie sich als eine Minderheit wahrnehmen müssen, die sich nur mit großem taktischen Geschick zu Wort melden kann. Dabei war die Positionierung als Minderheit eigentlich nicht gerechtfertigt. Vielmehr hätte die vorhandene Ablehnung des Krieges oder doch die Distanz zum Krieg weiter ausgebaut werden können.

Es gibt viel zu tun

Insgesamt kann die Analyse der kritischen Stimmen im und zum Krieg zeigen, dass ihre Schwäche vor allem aus den jeweiligen Sprecherpositionen resultiert, die in die Argumentation einflossen, ohne dass sie von den JournalistInnen reflektiert oder gar problematisiert wurden. Insofern wäre es für eine Stärkung von Kritik - nicht nur innerhalb der Kriegsberichte - wichtig und notwendig, solche kritischen Reflektionen hinsichtlich der eigenen Perspektive vorzunehmen.

Doch die Analyse der kritischen Stimmen während der Kriegszeit hat noch ein weiteres Problem aufzeigen können. Es wurde sichtbar, dass es an einem umfassenden Deeskalationskonzept fehlt, auf das sich die kritischen Stimmen hätten berufen können. Das ist natürlich nicht allein den Medien anzulasten, sondern gilt für die politischen Diskurse insgesamt. Das hat allerdings zur Folge, dass die kritischen Stimmen immer nur als Einzelstimmen auftraten und auch nur einzelne Aspekte des Krieges ansprechen konnten. Die Kritik wurde je nach vorhandener diskursiver Position und der damit eingenommenen Perspektive formuliert und schloss damit wichtige Fragen, mit der z.B. eine Opposition in der Gesellschaft hätte gestützt werden können, aus. Zu denken ist hier vor allem an das Skandalon des ersten Krieges mit deutscher Beteiligung nach 1945. Die im Grundgesetz festgehaltenen Schlussfolgerungen aus der deutschen Katastrophe wurden schlichtweg vom Tisch gewischt. Diese Tatsache ist nur auf dem Hintergrund einer generellen Wende des historischen Selbstverständnisses der deutschen Eliten der Gegenwart zu verstehen, die durch die Walser-Debatte und andere spektakuläre Bemühungen um eine Normalisierung der deutschen Nation symbolisch verortet werden kann. Insofern kann die Schlussfolgerung auch nur heißen. Es gibt viel zu tun. Vorliegende Konzepte der Deeskalation sollten diskutiert, modifiziert und in den hegemonialen Diskurs eingebracht werden.8

Anmerkungen

1) Johannes Becker: Ein neues Kriegsbild? Acht Thesen zu einem nahezu protestfrei hingenommenen Krieg, in: Forum Wissenschaft 1/2002, 21-23, hier S.22. Becker skizziert in diesem Beitrag den Weg in diese neue "Sicherheitspolitik" und ihre hervorstechenden Eigenschaften.

2) Nach einer Emnid-Umfrage vom 26.3.99 sprachen sich 33% der Westdeutschen und 58% der Ostdeutschen gegen die Luftangriffe aus. Gegen eine deutsche Beteiligung an dem Krieg waren im Westen immerhin 30% und im Osten sogar 58%. Der Spiegel 13, 29.3.1999. Einen Monat später spricht sich nur noch 41% der Gesamtbevölkerung für eine Fortführung der Bombardements - 43% im Westen und 33% im Osten. Der Spiegel 17, 26.4.1999.

3) Siehe: Der Beitrag der Medien zur Akzeptanz des Krieges. Ergebnisse einer diskursanalytischen Untersuchung. Eine detaillierte Darstellung der Untersuchung und seiner Ergebnisse findet sich in Jäger, Margarete/Siegfried Jäger (Hg.): Medien im Krieg. Der Anteil der Printmedien an der Erzeugung von Ohnmachts- und Zerrissenheitsgefühlen, Duisburg 2002.

4) Zu den (keineswegs humanen) Gründen des Zögerns der Militärs den Bodenkrieg zu wagen, vgl. Ignatieff, Michael: Virtueller Krieg. Kosovo und die Folgen, Hamburg 2001, S.150-164. Dort heißt es u.a.: "Amerika beherrscht derzeit den Weltraum und den Himmel, aber nicht den Boden. Im Kosovo wurden unter anderem deshalb keine Bodentruppen eingesetzt, weil die Vereinigten Staaten nicht über die gemeinsamen, mobilen, rasch zu stationierenden Expeditionskorps verfügten, die für eine solche Aufgabe erforderlich gewesen wären." (S.164) Diese Tatsache wird insbesondere auf Querelen innerhalb der amerikanischen Streitkräfte zurückgeführt.

5) Vgl. im folgenden auch Jäger, Margarete/Sonja Eggert/Julia Krämer/Reinhard Pastoor: Die zahnlose Kritik am Krieg und die fehlenden Perspektiven, in: Jäger/Jäger (Hg.), a.a.O., S.227-288

6) Neben der Kritik an der Kriegsstrategie wurden folgende weitere Aspekte von Kritik geäußert: Ablehnung von militärischer Gewalt generell, der Bruch des Völkerrechts, die Verletzung von Souveränitätsrechten eines Landes, Ablehnung von dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen, die Ablehnung der deutschen Beteiligung am Krieg, die Ablehnung von Blutvergießen durch Krieg, die Ablehnung der hohen Kosten des Krieges - um nur einige zu nennen.

7) Dies gilt sicherlich nicht für die interne Wirkung, die der Kommentar innerhalb der WAZ auslöste. Ralf Lehmann, der Verfasser dieses Kommentars, war zum Kriegszeitpunkt immerhin Chefredakteur der WAZ, und er dürfte auch aufgrund seiner Position die Ausrichtung der Kriegsberichterstattung damit erheblich beeinflusst haben.

8) Hier ist von Seiten der Friedensbewegung bereits einiges vorgelegt worden, z.B. das "Konzept einer intelligenten Deeskalations-Strategie für UNO, Demokratie, demokratische Bewegungen und Parteien sowie NGOs". In diesem Konzept wird auch die "mediale Komponente" bedacht, in dem z.B. die "Bildung eines UNO-Komitees gegen mediale Kriegshetze" gefordert wird. Vgl. dazu auch Jäger, Margarete/Siegfried Jäger/Jürgen Link/Ernst Schulte-Holtey (Hg.): Im Auge des Tornados. Gemeinsames Sonderheft des DISS-Journals und der kultuRRevolution, Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie, Duisburg 1999, S.39-40


Dr. phil. & dipl. ök. Margarete Jäger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS); Prof. Dr. Siegfried Jäger lehrt an der Universität Duisburg/Essen und ist Leiter des DISS.

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